Es ist ein Thema, das in Niederösterreich verlässlich in jedem Wahlkampf wieder auftaucht: Werden Gemeinden, die eine SPÖ-Mehrheit gewählt haben, bei der Verteilung von Steuereinnahmen, besonders jener der sogenannten „Bedarfszuweisungen“, durch die ÖVP-geführte Landesregierung benachteiligt? Oder funktioniert alles gerecht und fair, abhängig nur von objektiven Kritierien? Wir haben nachgerechnet – und den Gemeindeförderungsbericht 2016 aufgeschlüsselt.
Die Bedarfszuweisungen entspringen jenem Pakt, der die finanziellen Verhältnisse der öffentlichen Hände in Österreich regelt: dem Finanzausgleich. Alle fünf Jahre verhandeln Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden darüber, wie sie die zentral vom Finanzministerium eingenommenen Steuern untereinander aufteilen. Neben Ertragsanteilen – das sind Steuereinnahmen, die der Bund grundsätzlich nach Bevölkerung auf die Gebietskörperschaften verteilt – kommen den Gemeinden dabei Bedarfszuweisungen zu: Der Bund gibt sie an die Länder weiter, die sie wiederum an die Gemeinden transferieren müssen – allerdings nicht nach einem statischen Kriterium wie der Einwohnerzahl, sondern eben: nach Bedarf.
Und wonach sich dieser Bedarf bemisst, kann jedes Land für sich festlegen.
Niederösterreich hat das wie alle Länder in Richtlinien formalisiert, nach denen Gemeinden solche Gelder beantragen können. Über die konkrete Verteilung entscheidet dann die Landesregierung gemeinsam, derzeit besetzt mit sechs ÖVP-, zwei SPÖ- und einem Team-Stronach-Mitglied.
Das Finanzausgleichsgesetz schreibt in § 12 Absatz 5 diese Gemeinde-Bedarfszuweisungsmittel auf Basis landesrechtlicher Regelungen für folgende Zwecke vor:
1. Förderung bestehender und zusätzlicher interkommunaler Zusammenarbeit einschließlich solcher in Form von Gemeindeverbänden,
2. Unterstützung strukturschwacher Gemeinden,
3. Förderung von Gemeindezusammenlegungen einschließlich solcher, die in den jeweils letzten zehn Jahren erfolgt sind,
4. landesinterner Finanzkraftausgleich zwischen den Gemeinden unter Bedachtnahme auf weitere landesrechtliche Finanzkraftregelungen,
5. Bedarfszuweisungen an Gemeinden.
Formal gibt es drei Kriterien, nach denen das Land den Bedarf bemisst:
Die Finanzkraft errechnet sich aus den Erträgen der ausschließlichen Gemeindeabgaben (dazu zählen etwa die Kommunalsteuer und die Grundsteuer) allerdings ohne die Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und ohne die Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern (dazu zählen die Anschlussgebühren für Kanal, Wasserversorgung und Abfallbeseitigung).
Dies betrifft Maßnahmen in den Bereichen:
So weit, so klar. Stein des Anstoßes, der das Thema brisant macht, ist nun, dass ÖVP-geführte Gemeinden bei der Verteilung dieser Bedarfszuweisungen stets mehr bekommen als SPÖ-Gemeinden. Und zwar nicht nur insgesamt – das liegt auf der Hand, weil es 439 Gemeinden mit ÖVP-Bürgermeistern in Niederösterreich gibt, dagegen nur 125 mit SPÖ-Bürgermeistern (und, der Vollständigkeit halber, neun, die von unabhängigen Listen geführt werden). 2016 hat das Land den Gemeinden 165 Millionen Euro ausgezahlt – und davon haben VP-Gemeinden auch auf die Zahl der Hauptwohnsitzer heruntergerechnet deutlich mehr bekommen: im Schnitt 117 Euro an Bedarfszuweisungen pro Einwohner, SPÖ-Gemeinden nur 66 Euro.
Der Rechnungshof analysiert im Jahr 2016 anlässlich einer Prüfung in Niederösterreich und der Steiermark das System der Bedarfszuweisungen. Er kritisierte in seinem Bericht vor allem, dass der Fokus zu sehr auf den Einnahmen einer Gemeinde und zu wenig auf den Ausgaben oder Einsparungspotenzialen lag. „Die Verteilung der Bedarfszuweisungen erfolgte vielfach nach der Finanzkraft von Gemeinden. Die Finanzkraft berücksichtigte nur die Einnahmenseite. Die Struktur der Ausgaben, die Möglichkeit der Bedeckung neuer Vorhaben aus eigenen Mitteln und vorhandene Einsparungspotenziale in der Gemeindegebarung blieben dabei unberücksichtigt.“ Gemeinden mit einer geringen Finanzkraft – etwa aufgrund geringer Gemeindeeinahmen – werden also gefördert, ohne dass auf etwaige gemeindeeigene Optimierungsmöglichkeiten besonders geachtet wird.
An diesem Punkt endet die Debatte über die Bedarfszuweisungen häufig schon wieder – die Frage, ob es für diesen Unterschied nicht sachliche Gründe geben könnte, bleibt in Wahlkampfreden regelmäßig außer Acht.
Nun ist es aber so, dass Bedarfszuweisungen für kleine und große Gemeinden, für wirtschaftlich schwache und wirtschaftlich starke, unterschiedliche Bedeutung haben: Eine kleine Gemeinde im hintersten Tal, wo die letzten Arbeitsplätze ein Wirtshaus und ein vom Land betriebenes Skigebiet sind, wird häufig mehr Bedarf argumentieren können als eine zentral gelegene Stadt, in der mehr Menschen einpendeln als dort wohnen. Die Städte profitieren zudem von höheren Pro-Kopf-Einnahmen aus Gemeindeabgaben – haben also einen Strukturvorteil.
Genau diesen Effekt sieht man, wenn man die Bedarfszuweisungen 2016 nach Gemeindegröße (wir haben uns an den Größenklassen des Finanzausgleichs orientiert) aufschlüsselt: Bei Kleinstgemeinden wurde die Finanzkraft pro Kopf um fast 500 Euro erhöht, bei größeren Orten mit mehr als 10.000 Einwohner vergleichsweise nur um ein Zehntel.
Auf den ersten Blick gilt es also die Größe einer Gemeinde in den Vordergrund zu stellen. Das deckt sich mit der Liste jener Gemeinden, die die höchsten Bedarfszuweisungen erhalten: Allesamt abgelegene Gemeinden, die keine starke Wirtschaftsleistung aufweisen, aber wie alle Orte Straßen- und Kanalnetze erhalten müssen, meistens noch in bergiger Lage:
Ergänzt man die Perspektive, dass kleine Orte mehr Bedarf haben und entsprechend mehr bekommen, dann noch um die Mehrheitspartei, zeigt sich ein differenziertes Bild:
Wir sehen also: Das wesentlichste Kriterium, nach dem Bedarfszuweisungen vergeben werden, ist tendenziell nicht die Parteifarbe, sondern die Gemeindegröße – und damit, indirekt, die wirtschaftliche Leistungskraft der Gemeinden.
Auch diese Bewertung ist allerdings nur eine Tendenz, nicht abschließend: Lässt man etwa in der Kategorie der Kleinstgemeinden die statistischen Ausreißer – etwa Puchenstuben mit mehr als 1.500 Euro pro Kopf – beiseite, bleiben für die verbleibenden zwei roten Kleinstgemeinden nur noch 350 Euro pro Kopf. Nach Bereinigung um den schwarzen Spitzenreiter in dieser Statistik – Breitenstein mit 1.200 Euro pro Person – verbleiben für die restlichen 15 ÖVP-Kommunen im Durchschnitt 406 Euro.
Bemerkenswert sind allerdings die Unterschiede bei den Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner. In dieser Größenklasse war das listengeführte Bad Vöslau mit rund 19 Euro pro Kopf deutlich weniger unterstützenswert als die 15 SPÖ- und ÖVP-Gemeinden, die allesamt über 30 Euro für jeden ihrer Bürger erhalten. Ausnahmen gelten hier für die SPÖ-Orte Schwechat und Traiskirchen.
Auch bei den großen Städten mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern setzt sich der parteipolitische Trend fort. Die beiden roten Städte Krems (rund 14 Euro) und Amstetten (rund 18 Euro) erhalten weniger Unterstützung als die ÖVP-regierten Ballungszentren Mödling, Baden, Wiener Neustadt und Klosterneuburg, die zwischen 19 und 40 Euro pro Kopf erhalten.
St. Pölten, absolut rot regiert, hat 2016 übrigens gar keine Bedarfszuweisungen erhalten – weil es nach den damaligen Richtlinien als Ausgleich für den Vorteil, Landeshauptstadt zu sein, keine beantragen durfte. Was erst Ende 2017 geändert worden ist. Gut möglich, dass das die Förderstatistik für das laufende Jahr noch einmal auf den Kopf stellt.