Die Demokratie wird in der niederösterreichischen Landesverfassung nur einmal erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit Österreich als Gesamtstaat. Auf den ersten Blick mag man darin ein Sittenbild erkennen. Immerhin ist es Niederösterreich, das damit Bekanntheit erlangt hat, dass Protokolle der Landesregierung ebenso geheim sind wie Vorzugsstimmenergebnisse bei Gemeinderatswahlen. Der feudale Regierungsstil ehemaliger Landeshauptmänner hat ein Übriges dazu beigetragen, dem Ansehen Niederösterreichs in dieser Hinsicht eine gewisse Färbung zu geben.
Tatsächlich könnte das Land in Sachen Demokratie hier und da einiges ausbauen. Bei der direkten Beteiligung des Volkes auf Gemeindeebene ist es beispielsweise Schlusslicht. Es gibt weder Volksbegehren noch Volksabstimmungen, nur Volksbefragungen sind möglich, und auch die können nur vom Gemeinderat angesetzt werden. In Vorarlbergs Gemeinden gibt es alle drei Instrumente direkter Demokratie. Die Bevölkerung kann sogar Volksabstimmungen und -befragungen erzwingen.
Andererseits ist es bei niederösterreichischen Landtagswahlen leichter, als neue Partei in einem Wahlkreis zu kandidieren, als bei Landtagswahlen in Vorarlberg. Hier reichen 50 Unterschriften je Wahlkreis, im westlichsten Bundesland sind es 100. Allerdings hat Niederösterreich auch 20 Wahlkreise, Vorarlberg nur vier. Um eine Chance auf Einzug in den Landtag zu haben, sollte man möglichst in allen antreten.
Je mehr Einwohner ein Wahlkreis hat, desto einfacher sind Unterschriften zu bekommen. Wesentlich ist das Verhältnis von Wahlberechtigten zu Unterstützungserklärungen. Was das betrifft, steht Niederösterreich nicht schlecht da. Für einen Erstantritt brauchen Parteien nur eine Unterstützungserklärung pro 1.289 Wahlberechtigten, in Wien müsste man in einer gleich großen Gruppe zwei Personen zum Unterschreiben bringen.
Auch bei der Einzugshürde gehört Niederösterreich nicht zu den restriktivsten Bundesländern. Wie auf Bundesebene braucht eine Partei hier vier Prozent, um in den Landtag einzuziehen, allerdings reicht – anders als in den anderen Bundesländern – kein Grundmandat in einem der 20 Wahlkreise.
Niederösterreich und Oberösterreich waren lange die Bundesländer, in denen Untersuchungsausschüsse nur von einer Mehrheit im Landtag eingesetzt werden konnten. Das sogenannte Demokratiepaket 2017 hat hier eine Änderung gebracht. Ab der neuen Gesetzgebungsperiode werden Untersuchungsausschüsse zum Minderheitenrecht. Mindestens ein Drittel der 56 Abgeordneten – das sind 19 und damit 33,9 Prozent – kann nun einen U-Ausschuss erzwingen.
Allerdings sind immer noch sieben Bundesländer liberaler, was das parlamentarische Minderheitenrecht betrifft. In Vorarlberg genügt gar der Antrag von drei Abgeordneten für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Im Burgenland, in Kärnten und Salzburg kann immerhin ein Viertel der Landtagsabgeordneten dies veranlassen, in Tirol benötigt man die Zustimmung von zehn der insgesamt 36 Mandatare.
Wie auf Bundesebene National- und Bundesrat, können auch die Landtage in den Ländern parlamentarische Anfragen an die Regierungen stellen. Die Anforderungen daran sind wiederum höchst unterschiedlich. Während fünf Nationalratsabgeordnete Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung stellen können, sind es – auch bedingt durch die geringere Zahl an Mandataren – in den Bundesländern durchwegs weniger. In der Steiermark müssen immerhin drei von 48 Landtagsabgeordneten ihre Unterschrift unter eine Anfrage setzen, in Niederösterreich und vier anderen Bundesländern genügt die Unterschrift des Anfragestellers.
Ähnliche Unterschiede bestehen bei der Zeit, die den Regierungsmitgliedern für die Beantwortung der Anfragen zugestanden wird. Auf Bundesebene und in vier Bundesländern beträgt die Frist zwei Monate, die Landesräte in Vorarlberg haben hingegen nur drei Wochen Zeit. Niederösterreich liegt mit sechs Wochen auch hier im Mittelfeld.
Fünf Abgeordnete zum Nationalrat mit 183 Mandaten können sich in einem Klub vereinigen. Im niederösterreichischen Landtag mit 56 Abgeordneten muss man wie bisher mindestens vier Abgeordnete zusammenbringen, um einen eigenen Klub gründen zu können, gleich viele wie in Kärnten.
Allerdings bleiben die beiden Bundesländer damit im Spitzenbereich. Oberösterreich, in dessen Landtag wie in Niederösterreich 56 Abgeordnete sitzen, lässt Klubgründungen schon für zwei Mandatare zu.
Niederösterreich erscheint im Gesamtbild der Bundesländer weder als eine besonders restriktive noch als eine sehr offene Demokratie. Dahinter steht aber ein Prozess. Vor dem Demokratiepaket, das 2017 im Licht der Affäre um die Erwin-Pröll-Stiftung geschnürt wurde, wies Niederösterreich im Bundesländervergleich die größten Defizite in Sachen demokratische Partizipation und parlamentarische Minderheitenrechte auf.
Noch immer ist es nach Wien das Bundesland mit der höchsten Hürde für die Behandlung von Volksbegehren. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es weder ein Volksrechtegesetz noch eine nennenswerte Entwicklung der direkten Demokratie auf Gemeindeebene.
Dafür werden in Zukunft die Beschlüsse der Landesregierung veröffentlicht, wenn diese nichts dagegen hat. Damit übertrifft Niederösterreich beispielsweise die Steiermark. Insgesamt bleiben die Informationsrechte der Wähler aber im internationalen Vergleich unterentwickelt, nicht nur in Niederösterreich. Über 100 landesgesetzliche Bestimmungen beschäftigen sich mit dem Amtsgeheimnis, keine einzige enthält den Begriff Informationsfreiheit.