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OMV und Gazprom: Liebesg’schichten und Heiratssachen
4. Juni 2018 OMV / Gazprom Lesezeit 11 min
Vor drei Jahren trat Rainer Seele als Generaldirektor der OMV an. Seither hat das österreichische Vorzeigeunternehmen seine Strategie deutlich geändert. Wo steht der Konzern, wohin geht die Reise? Eine erste Zwischenbilanz anlässlich einer „goldenen Hochzeit“ – 50 Jahre Gaslieferverträge zwischen Russland und Österreich –, bei der auch der russische Staatschef Wladimir Putin nicht fehlen darf.
Dieser Artikel gehört zum Projekt OMV / Gazprom und ist Teil 1 einer 2-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Die Hochzeits­vorbereitungen haben die OMV in den letzten Wochen ordentlich auf Trab gehalten. So sehr, dass in der Woche vor der „goldenen Hochzeit“ – die Feierlichkeiten anlässlich „50 Jahre Gaslieferungen aus Russland“ werden intern als „Golden Wedding“ tituliert – keine Zeit mehr blieb, so scheint es, sich mit Anfragen zu Strategie und Geschäftsentwicklung auseinanderzusetzen, keine Zeit, unsere Fragen zu beantworten.

Wie dem auch sei. Eine umfassende Analyse der Aktivitäten des Konzerns, der den Österreichern nicht nur aufgrund der Beteiligung der Republik ans Herz gewachsen ist, scheint geboten, und ein Zwischenfazit zum Konzernumbau, der unter Generaldirektor Rainer Seele im Jahr 2015 begann, lässt sich jedenfalls ziehen.

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Am 1. Juni 1968 wurde der erste Erdgasliefervertrag zwischen Österreich, vertreten durch die Österreichischen Mineralölverwaltung und der ehemaligen UdSSR, vertreten durch Sojusneftexport unterzeichnet. Die Pipelines liefen damals wie heute von Westsibirien bis ins Niederösterreichische Baumgarten.

Entwicklung des Staatsanteils an der OMV

1956–1987:  100 %

1987: 85 % Beim ersten Börsengang werden 15 % privatisiert

1989: 75 % Weitere 10 % der OMV Aktien werden privatisiert

1994:  55,4 % Die International Petroleum Investment Company (IPIC) aus Abu Dhabi erwirbt 19,6 %. Syndikatsvertrag mit ÖBIB.

1996: 35 % – 14,9 % der OMV AG werden im Zuge eines Secondary Public Offerings über die Börse verkauft

seit 2005: 31,5 % Erhöhung des Grundkapitals, Begebung von drei Millionen neuer Aktien, erstmals mehr als 50 Prozent der Aktien im Streubesitz

Riesiger Zwerg

Je nach Perspektive erscheint die OMV als Riese oder als Zwerg. International gesehen ist der Konzern viel kleiner als die Großen, aber auch viel größer als die Kleinen, daher – und das ist jetzt als Wertschätzung für durchaus gute Arbeit zu verstehen: ein interessanter Übernahmekandidat. Aus österreichischem Blickwinkel wiederum gibt es kein wichtigeres und größeres teilweise im Staatsbesitz verbliebenes Industrieunternehmen. Der aktuelle Marktwert beträgt derzeit rund 17 Milliarden Euro, wobei noch ein Drittel der Aktien von der staatlichen Beteiligungsholding ÖBIB gehalten werden. Die Geldbörse des Unternehmens ist gegenwärtig mit rund 4,5 Milliarden Euro prall gefüllt. Der Aktienkurs und die Dividenden liegen auf Rekordniveau. Und der Vorstand zeigt sich in Kauflaune.

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Rainer Seele
Vorstandsvorsitzender der OMV
Seit 2015 leitet der Deutsche die OMV AG. Zuvor war er CEO der deutschen BASF-Tochter Wintershall, einer Konkurrentin der OMV und Partnerin der Gazprom. Sein Vertrag wurde im letzten Jahr vorzeitig bis 2020 verlängert. Zudem ist der studierte Chemiker seit 2012 Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.
Gerhard Roiss
Vorstandsvorsitzender der OMV 2011–2015
Von 2011 bis 2015 war der 1952 geborene Linzer Vorstandsvorsitzender der OMV AG. Obwohl er insgesamt 25 Jahre im Konzern verbrachte, war seine Amtszeit an der Spitze deutlich kürzer als die seiner Vorgänger. Mittlerweile ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Verbund AG.

Mit Blick auf die Kommandobrücke stellen sich folgende Fragen: Wohin geht die Reise? Steuert OMV-Kapitän Rainer Seele, seit 2015 an Bord, das Unternehmen weiterhin konsequent in Richtung Osten? Wird die OMV daher zu Recht, wie von manchen Experten, als „Gazprom-West“ bezeichnet, oder dient die Neuausrichtung vielmehr einer langfristigen Bestandssicherung für Österreichs Mineralölindustrie?

Darüber hinaus: Ist der Anstieg des Aktienkurses seit 2015 eine unmittelbare Folge der Unternehmenspolitik von Seele, oder liegt das doch auch an der globalen Ölpreisentwicklung?

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Roiss setzt auf viele Regionen

Bis ins Jahr 2014 hatte die Explorations- und Produktionsstrategie der OMV laut firmeninterner Darstellung aus den Kernländern Österreich und Rumänien sowie einem breit gestreuten internationalen Portfolio bestanden. Der damalige Vorstandsvorsitzende Gerhard Roiss, bis Sommer 2015 Generaldirektor, setzte auf eine Vielzahl an Förderregionen, unter seiner Führung ging die OMV etwa Engagements in der Nordsee (Norwegen, Großbritannien), in Afrika und im Mittleren Osten (Pakistan) ein. Im Jahr 2013 erwarb die OMV Assets in der Nordsee. Kaufpreis: beachtliche 2,65 Milliarden Dollar. Also sprach Roiss damals: „Die Transaktion unterstützt die OMV-Strategie massiv, indem sie unsere klare Fokussierung im Explorations- und Produktionsbereich auf politisch stabile Märkte unterstreicht.“

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„In meiner 20-jährigen Russland-Erfahrung habe ich eines gelernt: Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen. Daher sind wir Gazprom und unserer Zusammenarbeit verpflichtet und schauen nicht zur Seite.“

Rainer Seele am 13. März 2018 in London

Seele tanzt auf einer Hochzeit

Als der international angesehene Spitzenmanager Roiss unter zwar eigenartigen Umständen, aber voll rehabilitiert seinen Sessel räumen muss, ändert sich die Strategie doch deutlich. Nachfolger Rainer Seele glaubt an Russland. In Deutschland präsidiert er die Deutsch-Russische Handelskammer und kritisiert öffentlich die Russland-Sanktionen. Ab 2015 verkauft Seele als Vorstandsvorsitzender der OMV Beteiligungen in der Türkei, in Pakistan und in Rumänien. Die OMV-Anteile an Ölplattformen in der Britischen Nordsee werden an Gazprom abgetreten, und auch in Gabun, in Madagaskar und in Namibia stehen die Zeichen bald auf Abschied.

Dem stehen primär große Investitionen der OMV im neuen Kernland Russland gegenüber: beispielsweise der Kauf eines 24,99-Prozent-Anteils am Yuzhno-Russkoye-Gasfeld in Westsibirien um rund 1,72 Milliarden Euro oder der Asset-Swap für eine 24,98-Prozent-Beteiligung an Achimov IV und V im Gasfeld von Urengoi. Das diesbezügliche Transaktionsvolumen wird streng geheim gehalten, soll aber jenseits der Milliarden-Euro-Grenze liegen. Der mächtige russische Partner ist immer derselbe: Gazprom. Seit 50 Jahren liefert Russland nun Gas nach Österreich, und nie schien die Verbindung intensiver. Rainer Seele verhehlt das auch nicht. Bereits bei der Strategiepräsentation im März in London hielt der OMV-CEO fest: „In meiner 20-jährigen Russland-Erfahrung habe ich eines gelernt: Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen. Daher sind wir Gazprom und unserer Zusammenarbeit verpflichtet und schauen nicht zur Seite.“

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„Fifty years after we signed our marriage contract, it is surprising that our companies, OMV and Gazprom, are still so much in love with one another that we want to buy even more gas from Gazprom. This is why Alexei Miller and I are planning to discuss the extension of the current contracts and additional gas purchases.“

Rainer Seele bei einem Treffen mit Wladimir Putin am 17. April 2017

Gazprom

Die Aktiengesellschaft Gazprom ist mit rund 456.000 Beschäftigten das weltweit größte Erdgasförderunternehmen. Der russische Staat hält 50 Prozent und eine Aktie an dem Unternehmen. Das Unternehmen hat aktuell eine Marktkapitalisierung von 47 Milliarden Euro und einen Schuldenstand von rund 36 Milliarden Euro.

Gazprom produzierte 2017 nach eigenen Angaben 419 Milliarden Kubikmeter Gas. An die 192 Milliarden Kubikmeter davon gingen nach Europa und 9,1 Milliarden nach Österreich.

Gazprom kontrolliert das russische Pipeline-Netz für Erdgas und verfügt faktisch über ein Monopol für dessen Export.

Paartanz der OMV mit Gazprom

Der Paartanz von OMV und Gazprom setzt sich auch außerhalb des russischen Permafrosts fort.

Im Iran unterzeichnete die OMV am 2. Juni 2017 gemeinsam mit der Gazpromtochter Gazprom Neft Absichtserklärungen zur Entwicklung von Feldern mit der staatlichen iranischen Ölgesellschaft NIOC.

In der Türkei ist die OMV zu 40 Prozent und Gazprom über die Gazprombank und Akfel Holding zu 60 Prozent am Gashandelshaus Enerco Energy beteiligt.

In der Ostsee finanziert die OMV mit fast einer Milliarde Euro den umstrittenen Bau der zweiten Nord-Stream-Röhre . Damit soll russisches Gas künftig nicht über die Ukraine und Polen oder Österreich, sondern über die Ostsee direkt nach Deutschland kommen. Alleineigentümer des Projekts ist: Gazprom.

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In Österreich war Gazprom über die Firma Argosgas am Gashandelshaus RosUkrEnergo beteiligt und hält überdies Anteile am Gasspeicher Haidach. Der Beteiligungsversuch der Gazprom an der Weinviertel-Perle der OMV, der wertvollen Erdgasdrehscheibe in Baumgarten, scheiterte an den Auflagen der Europäischen Kommission im Jahr 2011.

Das wirtschaftliche Risiko dieser intensiven Verbundenheit mit dem Kreml sollte vor dem politischen Hintergrund der internationalen Sanktionen nicht unerwähnt bleiben. Am 9. April 2018, dem Tag, an dem US-Präsident Donald Trump neue Sanktionen gegen Russland verkündete, gab die OMV-Aktie um etwa vier Prozent nach. Dies entsprach einer Wertminderung von rund einer halben Milliarde Euro. Claus Raidl, Präsident der Oesterreichischen Nationalbank und ehemaliger Aufsichtsrat des ÖBIB-Vorgängers ÖIAG, mahnt jedenfalls zur Vorsicht: „Der Expansionsdrang des Kremls ist die Fortsetzung historischer Interessen, die sowohl in der Sowjetunion als auch zur Zeit der russischen Zaren erkennbar waren. Wir Österreicher unterschätzen die Strategien, die dabei zur Anwendung kommen und freuen uns, wenn einige Brösel abfallen.“

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Die schlechten Erfahrungen der Großen

Was macht den deutschen Manager Seele so sicher, dass der OMV in Russland kein ähnliches Schicksal blüht wie anderen, weitaus größeren Playern? Was, wenn die Liebe doch einmal erkaltet und Gazprom sich wieder anderen Partnern zuwendet? Auf dem Papier sehen Seeles Deals derzeit gut aus. Auch sind seine guten Russland-Kontakte sicher als Asset zu werten, und selbstverständlich sind Scheidungen nach einer goldenen Hochzeit eher die Ausnahme denn die Regel; ein Blick zurück zeigt aber, dass schon andere ehemals intakte Beziehungen plötzlich gescheitert sind.

Im Jahr 2006 musste der niederländische Öl- und Gasgigant Shell 50 Prozent am 17-Milliarden-Dollar-Projekt Sachalin an die staatliche Gazprom abtreten, um eine 30-Milliarden-Dollar-Klage abzuwehren, nachdem überraschend Umweltbehördenauflagen gefordert worden waren.

Im Jahr 2013 verkaufte die britische BP ihre Anteile an TNK-BP, dem drittgrößten Ölunternehmen in Russland, nach intensivem Kapitaleinsatz an den russischen Staatskonzern Rosneft rund um den Putin-nahen Oligarchen Viktor Wekselberg.

Und erst heuer verabschiedete sich der US-Ölkonzern EXXON nach der Verlängerung der Sanktionen aus den meisten Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Rosneft-Konzern.

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Das Tauschgeschäft

Eine der ersten Weichenstellungen des 2015 berufenen Vorstandsdirektors Seele war der Beschluss der strategischen Zusammenarbeit in Form eines Tauschgeschäfts mit Gazprom. Die OMV sollte eine Beteiligung an Teilen des westsibirischen Ölfelds Urengoi bekommen. Im Gegenzug soll Gazprom einen Anteil an der norwegischen OMV-Tochter Norge und damit Zugang zum Nordseeöl erhalten. Doch der Abschluss lässt offiziell aus Gründen der „Corporate Governance“ auf sich warten. Internationale Beobachter vermuten, dass sich Gazprom und die OMV noch nicht auf die Besetzung im Management der gemeinsamen Beteiligung einigen konnten.

Auf den ersten Blick wirkt das Tauschgeschäft mit Gazprom asymmetrisch, was die Risikoverteilung zwischen den Partnern betrifft. Während die Gazprom bei der geplanten Transaktion eine satte Kontrollmehrheit von 38,5 Prozent an den Offshore-Feldern in der Nordsee erhält, begnügt sich Seele mit einer Minderheitsbeteiligung von exakt 24,99 Prozent an den entlegenen Gasfeldern Westsibiriens. Was bedeutet dies in der Praxis? Nun kennen wir die streng vertraulichen Vereinbarungen der Partner nicht, und als guter Kaufmann hat der OMV-Chef in den Verträgen sicher eine Vielzahl an Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Vorerst kann Seele mit diesem Deal jedenfalls die potenziellen Gasreserven sowie Produktionsziffern in den Büchern der OMV nach oben schrauben. Wie gut der Deal am Ende des Tages für die OMV tatsächlich ausfällt, hängt jedoch noch von einigen Unsicherheitsfaktoren ab:

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  • Da wäre zum einen die Verpflichtung, zwei Drittel der künftigen Produktion zum günstigen russischen Inlandstarif zu verkaufen. Russische Winter sind kalt, und die Kaufkraft ist gering. Daher muss Putin sein Volk und seine Industrie mit Gas zu Preisen weit unter Weltmarktniveau versorgen. Zu Rubel-Kursen, versteht sich, was ein ebenfalls nicht unerhebliches Ertragsrisiko bedeutet, wenn man den Verlauf des Rubels seit der Wirtschaftskrise, der Krim-Annexion und den EU-Sanktionen betrachtet.
  • Das übrige wertvolle Gas für den Export muss dann eine lange Reise durch das vom Kreml kontrollierte Pipelinenetz absolvieren. Die dafür erforderlichen Transportquoten müssen beantragt und auch genehmigt werden. Ein weiterer strategischer Flaschenhals für einen ausländischen Juniorpartner.
  • Wenn alles gut geht, das viele Gas im Boden gefunden, gefördert, transportiert und exportiert werden konnte und die Dollars oder Euros trotz EU- oder US-Sanktionen ihren Weg auf ein russisches Konto finden, bleibt noch eine weitere Hürde, die genommen werden muss: Die russische Betreibergesellschaft, an der die OMV 24,99 Prozent und somit um 0,01 Prozent zu wenig für eine Sperrminorität hält, muss einen Gewinn feststellen und diesen auch zur Ausschüttung an die OMV freigeben. Auf diese Beschlussfassungen haben Aktionäre ohne Sperrminorität in der Regel keinen Einfluss. Sollte also eine Gewinnausschüttung über einen längeren Zeitraum unterbleiben, könnte Gazprom die Liquidität, die Handlungsfähigkeit und somit auch den Wert der OMV substanziell schmälern. Damit wäre die OMV ein leichter Übernahmekandidat. Allerdings primär für die Gazprom, welche über politische Instrumente den Wert oder Verlust der Beteiligungen in Russland steuern kann. Diesbezügliche Anfragen besorgter Kleinaktionäre bei der jüngsten OMV-Hauptversammlung  blieben mit dem Hinweis auf die Vertraulichkeit der Verträge unbeantwortet. Auch Addendum erhielt vom Konzern zu diesen Risiken keine Auskunft.
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OMV-Generaldirektor Rainer Seele betrachtete die erste Phase der Neuausrichtung der OMV auf dem Capital Markets Day im März in London jedenfalls als abgeschlossen. Russland sei die erklärte Kernregion, finanziert werde der Wachstumskurs über den Verkauf von Unternehmensanteilen, durch Tauschgeschäfte, aus dem Cash Flow, aber auch durch die Aufnahme neuer Schulden. Die aktuelle Schuldenquote des Unternehmens liegt laut Jahresbericht bei 15 Prozent des Eigenkapitals. Bei der jüngsten Hauptversammlung war von einer „Zielverschuldung von 30 Prozent“ die Rede. 

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