Die Frage, ob der ORF eine staatliche Organisation ist und ob eine begriffliche Definition als „öffentlich-rechtliche Anstalt“ oder wie heute als „Stiftung des öffentlichen Rechts“ diese ausreichend beantwortet, mündete seit jeher in Auseinandersetzungen über die Bedeutung des Begriffs „öffentlich-rechtlicher Rundfunk“. Kritiker beklagen in diesem Zusammenhang fehlende Staatsferne, parteipolitische Abhängigkeit und zu wenig Bürgernähe und sprechen abwertend vom „Staatsfunk“.
Aber wie kann man überhaupt definieren, ob eine Institution oder ein Unternehmen staatlich ist oder nicht? Abseits von medienpolitischen Diskussionen gibt es Kriterien, die innerhalb der Europäischen Union herangezogen werden, um eine Einstufung zum sogenannten Sektor Staat vorzunehmen. Was demnach als Staat zu gelten hat und was nicht, regelt das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG). Alle EU-Staaten haben sich dazu verpflichtet, die Messung der wirtschaftlichen Aktivitäten entlang dieser Systematik vorzunehmen und analog dazu Statistiken an Eurostat zu übermitteln. Das ESVG stellt damit eine Art „Buchhaltung des Staates“ dar. Der „Buchhalter“ für Österreich ist die Statistik Austria.
Österreich war übrigens einer der größeren Sünder bei ausgelagerten Staatsschulden. Im Jahr 2014 führte das bei erstmaliger Anwendung des neuen ESVG 2010 deshalb auch zu einem abrupten Anstieg der Staatsschulden. Vor allem große öffentliche Unternehmen, wie die ÖBB, sorgten damals für einen Sprung der Staatsschulden von 74,5 auf 82,4 Prozent des BIP. Wer diesen in Statistiken nachschlagen will, könnte allerdings zunächst verwundert sein: Er ist heute in den Daten nicht mehr zu sehen. Die Statistik Austria rechnet auch für frühere Jahre mit den neuen Regelungen zurück, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. So verschwindet dieses Ereignis aus den Daten, nicht aber aus den Zeitungsmeldungen.
Seit der Revision des ESVG im Jahr 2010 gelten strengere Regeln, was die Zuordnung von Unternehmen und Rechtsträgern zum Sektor Staat betrifft. Bis dahin wurde oft die Kritik geäußert, dass die Mitgliedstaaten zu viel Spielraum hätten, um Schulden öffentlicher Unternehmen nicht als Staatsschulden auszuweisen. So konnten die Staatsschulden nach unten gedrückt werden, um den Maastricht-Kriterien zu entsprechen. Die neue Zuordnung erfolgt anhand erweiterter formaler Kriterien. Seit dieser Revision ist auch der ORF in Statistiken als staatliche Einheit zu führen. Die Begründung im Falle des ORF: Weniger als 50 Prozent seiner laufenden Produktionskosten werden durch Markterlöse gedeckt. Denn die ORF-Programmentgelte werden den staatlichen Abgaben zugeordnet und machen knapp über 60 Prozent der Erlöse des ORF aus. Mag der Begriff „Staatsfunk“ in der öffentlichen Debatte als Polemik gemeint sein, und in letzter Zeit als Kampfbegriff gegen den ORF wieder Konjunktur bekommen haben, zählt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich im Kontext des ESVG aber tatsächlich zum Staat.
Eine weitere bekannte medienpolitische Diskussion dreht sich um die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk über Gebühren oder über Steuern finanziert werden soll. Gemeint ist dabei zumeist, ob die Finanzierung über die zweckgewidmeten Mittel der GIS erfolgen soll oder aus allgemeinen Steuermitteln. Begrifflich gesehen ist diese Unterscheidung aber problematisch, da auch GIS-Gebühren von der Statistik Austria unter den Steuern kategorisiert werden.
Von Unternehmen bezahlte GIS-Gebühren (Rundfunkgebühren, ORF-Programmentgelt sowie Kunst- und Kulturförderungsbeitrag) sind den sonstigen Produktionsabgaben zugeordnet. Diese „umfassen sämtliche Steuern, die von Unternehmen aufgrund ihrer Produktionstätigkeit, unabhängig von der Menge oder dem Wert der produzierten oder verkauften Güter, zu entrichten sind“.
Die Gebühren für private Haushalte gelten als sonstige direkte Steuern und Abgaben und werden unter den Einkommen- und Vermögenssteuern subsumiert. Diese Klassifizierung mag etwas verwunderlich wirken. Die GIS-Gebühren werden ja weder am Einkommen noch am Vermögen bemessen (mit Ausnahme von Befreiungen). Prinzipiell haben sie aber einen starken direkten Besteuerungscharakter und werden deshalb den größeren direkten Besteuerungsformen zugeordnet. In der Beschreibung heißt es: „Die Einkommen- und Vermögensteuern umfassen alle laufenden Zwangsabgaben in Form von Geld- und Sachleistungen, die regelmäßig vom Staat und von der übrigen Welt ohne Gegenleistung auf Einkommen und Vermögen von institutionellen Einheiten erhoben werden. Eingeschlossen sind einige regelmäßig zu entrichtende Steuern, die weder auf das Einkommen noch auf das Vermögen erhoben werden.“ Außerdem heißt es dort: „Kopfsteuern, die je Erwachsenen oder je Haushalt, unabhängig von deren Einkommen und Vermögen, erhoben werden; …“
Diese Einordnung kann aber in Bezug auf das ORF-Programmentgelt aber durchaus kritisiert werden. In der Volkswirtschaftslehre unterscheidet man staatliche Abgaben oft in Steuern, Gebühren und Beiträge. Steuern bedingen, wie in den obigen Definitionen ausformuliert, eigentlich keinerlei Anspruch auf eine Gegenleistung. Bezahlt man ORF-Programmentgelte ist man zum Sehen des Programms berechtigt – ob man will oder nicht. Paradoxerweise sind GIS-Gebühren aber auch keine Gebühren. Diese Bezeichnung setzt nämlich eine unmittelbare Inanspruchnahme der staatlichen Leistung voraus – was bei den Programmentgelten nicht gegeben ist. Am ehesten fündig wird man bei dem Begriff Beitrag. Hier muss nämlich im Gegenzug zur Zahlung die staatliche Leistung bloß bereitgestellt, nicht aber tatsächlich genutzt werden. Die Grenzen zwischen den drei Begriffen sind aber tatsächlich fließend.
Jedenfalls handelt es sich aber bei den GIS-Gebühren um staatliche Abgaben. Der Unterschied spielt auch im Sektor Staat eine Rolle: Nicht alles, was von Einheiten des öffentlichen Sektors eingenommen wird, erhält die Bezeichnung Abgabe. Ein Ticketkauf bei den ÖBB ist etwa als Markterlös des Staates zu verbuchen und fließt dadurch nicht in die Berechnung der Abgabenquote ein – im Gegensatz zu den GIS-Gebühren.