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Kein Anschluss in dieser Gemeinde
18. November 2019 Pendler Lesezeit 10 min
Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist eine der beliebtesten politischen Forderungen. Aber: Wo hinkt die Qualität von Bus und Bahn überhaupt hinterher?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Pendler und ist Teil 2 einer 4-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Es gibt eine politische Forderung, hinter der sich de facto alle Parteien versammeln können: Der öffentliche Verkehr soll ausgebaut werden. Absichtserklärungen dazu fanden sich etwa in den Wahlprogrammen bei der koalitionsverhandelnden ÖVP und den Grünen, Wahlversprechen in diese Richtung gibt es aktuell in der Steiermark und im Burgenland. So weit, so unverfänglich.

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Aber was soll das heißen?

Wo liegen Potenziale für einen Ausbau? Wo ist der öffentliche Verkehr gegenüber dem Auto konkurrenzfähig? Für Antworten auf diese Frage hat Addendum Datensätze (Basis: 2016) der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) analysiert und visualisiert. Damit ist erstmals die Versorgungsqualität einzelner Regionen interaktiv vergleichbar. Kennzahlen zum Vermessen der Qualität sind die Erreichbarkeit des nächsten regionalen bzw. überregionalen Zentrums sowie die Reisezeit dahin mit öffentlichen Verbindungen im Vergleich zum Auto. Dabei offenbaren sich große Unterschiede zwischen den Bundesländern, selbst schon auf dem Weg ins nächste regionale Zentrum, das essenzielle öffentliche Einrichtungen für Bürger bereitstellt.

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Ein wesentliches Merkmal für die Versorgungsqualität ist die Entfernung zur nächsten Haltestelle. Im Jahr 2016 hatten außerhalb Wiens 12 Prozent der Österreicher innerhalb von 1.250 Metern keine Haltestelle mit einer Verbindung in ein regionales Zentrum.

Nachzügler Steiermark

In der Steiermark im Allgemeinen (20 %) und den Bezirken Deutschlandsberg (44 %) und Südoststeiermark (43 %) im Besonderen waren die schlechtesten Werte zu finden. Das ist eine Folge der Zersiedelung in dieser Region. Kompakte Siedlungsstrukturen können leichter mit einem Mindeststandard an öffentlichem Verbindungen versorgt und erschlossen werden. Dieses Nachzügler-Dasein der Steiermark beim Öffi-Angebot ist auch Thema vor der Landtagswahl: Die regierende steirische Volkspartei etwa schreibt in ihrem Wahlprogramm umfassend davon, dass ländliche Räume an die größeren Siedlungsräume angeschlossen werden müssen und Investitionen vor allem dorthin fließen sollen.

Vorbild Vorarlberg

In Vorarlberg, wo nach der jüngsten Landtagswahl die Neuauflage einer schwarz-grünen Koalition fixiert wurde, ist die Ausgangslage eine andere. Dort konzentriert sich die Bevölkerung in Rheintal und Walgau, sodass eine Erschließung leichter möglich ist. So waren bei der Datenerhebung 2016 nur 2 Prozent der Vorarlberger nicht über eine Haltestelle innerhalb von 1.250 Metern an das Verkehrsnetz angeschlossen. Für 40 Prozent der Vorarlberger waren es sogar weniger als 300 Meter. Ähnlich verhielt es sich in Salzburg. Drei von vier Salzburgern konnten das nächste regionale Zentrum innerhalb von 30 Minuten mit öffentlichen Verbindungen erreichen. Das liegt auch daran, dass die Zahl regionaler Zentren dort vergleichsweise hoch ist. Das ist neben der Bezirksgröße an sich ein zentraler Faktor, wie die Erreichbarkeit beurteilt wird.

Je langsamer, desto mehr PKW

Für die meisten Pendler ist neben der Frequenz und der Verlässlichkeit von öffentlichen Verbindungen der zeitliche Vergleich mit dem eigenen PKW entscheidend. Also: Wie viel Zeit spare ich, wenn ich selbst mit dem Auto anreise? Statistisch nachweisen lässt sich, dass je weniger das Angebot öffentlicher Verbindungen mit dem Individualverkehr mithalten kann, desto mehr PKW pro Einwohner in einem Bezirk gemeldet sind.

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Die Bezirke Waidhofen an der Thaya, Zwettl und die Südoststeiermark zählen zu den Bezirken mit den meisten PKW pro Einwohner. Die Analysten der ÖROK-Arbeitsgruppe kamen zum Schluss, dass genau bei diesen „peripheren und wirtschaftlich schwachen Gebieten“ nicht das regionale Zentrum den wichtigsten Pendlerzielen entspricht. Sie gingen deshalb vor allem dort von einem noch stärkeren Zusammenhang zwischen der Motorisierung und der Qualität der öffentlichen Verbindungen aus. Die Qualität des Wiener Öffi-Netzes mit Ausnahme der Außenbezirke spiegelte sich in der niedrigen Zahl der PKW pro Einwohner wider. Die Bundeshauptstadt war das einzige Bundesland, in dem das öffentliche Vekehrsnetz mit den Verbindungsgeschwindigkeiten Schritt hält. In den anderen Bundesländern ist die öffentliche Verbindung ins nächste regionale Zentrum im Mittel um neun Minuten langsamer als die Fahrt mit dem Auto.

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Der Weg in überregionale Zentren, also Landeshauptstädte und einzelne wichtige Städte, war für manche Regionen ein beschwerlicher, für manche mit öffentlichen Verkehrsmitteln außer Reichweite. In fast jedem zweiten Bezirk hatte weniger als die Hälfte der Bewohner eine öffentliche Verbindung in eine Landeshauptstadt bzw. größere wichtige Stadt (z.B. Wiener Neustadt, Bludenz), die weniger als 50 Minuten in Anspruch nahm. Bis zu dieser Grenze hat die Arbeitsgruppe der Raumordnungskonferenz eine Verbindung als akzeptabel eingestuft.

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Ein weiterer Faktor dafür, ob öffentliche Verbindungen zum Individualverkehr konkurrenzfähig sind, ist die Anzahl der nötigen Umstiege. Bei der Datenerhebung im Jahr 2016 konnte jeder zweite Österreicher ein überregionales Zentrum ohne einen Umstieg des Verkehrsmittels erreichen. Ein Drittel erreichte eine Landeshauptstadt mit einem Umstieg. Vor allem im Burgenland und in der Steiermark sind Direktverbindungen in Großstädte eine Seltenheit. Dort gehörten einer oder mehrere Umstiege zur üblichen Reiseroute.

Höherer Zeitaufwand im Burgenland und der Steiermark

Im Burgenland zeigte sich, dass das Öffi-Angebot stark auf Wien ausgerichtet ist, auch wenn insbesondere im grenznahen Bereich Verbindungen zu überregionalen Zentren schneller zu erreichen wären. Das hängt mit der wirtschaftlichen Stärke der Bundeshauptstadt zusammen: 25.000 Burgenländer pendeln nach Wien für ihre Arbeitsstätte. Die Steiermark richtete ihre öffentlichen Verbindungen stärker auf regionale Zentren aus. Deshalb zählte die Steiermark gemeinsam mit dem Burgenland in der Erhebung zu den beiden Bundesländern mit der schlechtesten Erreichbarkeit überregionaler Zentren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Verbindungen waren – wenn es überhaupt welche gab – mit viel Zeitaufwand verbunden.

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Der Kärntner Zentralraum, das Vorarlberger Rheintal und der Zentralraum Oberösterreichs sowie die Ostregion um Wien haben vergleichsweise schnellen Anschluss an Landeshauptstädte. Ob andere Regionen aufschließen können, hängt davon ab, wie viel von den Wahlversprechen der potenziellen Koalitionsparteien und den wahlwerbenden Landesparteien im Burgenland und der Steiermark bleibt. 

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Methodik

Woher kommen die Daten?
Die Routen werden über das Straßennetz der Graphen-Integrationsplattform (GIP) abgefragt. Die Verbindungen des öffentlichen Verkehrs haben die Fahrpläne der ARGE ÖVV als Basis. Fußwege wiederum werden über die GIP errechnet. Die Daten basieren auf dem Jahr 2016. Das Erreichbarkeitsmodell hat das BMVIT erstellt, die Analyse das Unternehmen Verracon.

Was zeigen diese einzelnen Punkte in den Karten?
Jeder dieser Punkte ist eine bewohnte 100×100-Meter-Rasterzelle. Davon gibt es insgesamt 570.000. Für die Berechnung des Anteil der Bevölkerung, der ein regionales bzw. überregionales Zentrum innerhalb von 30 bzw. 50 Minuten erreichen kann, werden die einzelnen Verbindungen gewichtet. Je nach Ausgangspunkt in einem Bezirk kann das regionale Zentrum auch in einem anderen Bundesland oder anderem Bezirk liegen. Gewählt wird jeweils das nächstgelegene.

Ist ein Vergleich mit früheren Erreichbarkeitsanalysen möglich, sodass ersichtlich wird, wo sich die Qualität verbessert und verschlechtert hat?
Nein. Die Daten aus den Jahren 1995 und 2007 sind methodisch anders erhoben worden. Es wäre nicht ersichtlich, ob eine Veränderung des Angebots auf eine bessere Datenqualität oder auf eine tatsächlich bessere Situation zurückzuführen wäre. Heute fungieren für die Erreichbarkeit von Zentren rund 576.000 bewohnte Rasterzellen als Basis, 1997 waren es 46.000 Siedlungskreise. Zudem mussten 2005 alle Fahrpläne von unterschiedlichen Verkehrsunternehmen zusammengeführt werden, heute gibt es mit der ARGE ÖVV eine Plattform für einen besseren Austausch.

Was heißt „keine Erreichbarkeit im öffentlichen Verkehr“ genau?
Die Arbeitsgruppe für die Erreichbarkeitsanalyse hat Grenzen für die Zumutbarkeit einer öffentlichen Verbindung festgelegt:
1. Die nächste Haltestelle vom Wohnort muss innerhalb von 1.250 Metern zu erreichen sein. Park&Ride-Angebote oder eine Anreise mit dem Fahrrad zur nächsten Haltestelle konnten in der Analyse nicht berücksichtigt werden.
2. Die Verbindungen müssen zumindest von Montag bis Donnerstag vorhanden sein.
3. Eine Ankunft an diesen Werktagen muss innerhalb von 7 und 11 Uhr erfolgen.
4. Es dürfen maximal drei Umstiege nötig sein, die Umstiegswartezeit darf 15 Minuten nicht überschreiten und die Distanz zwischen den Umsteigehaltestellen darf maximal 300 Meter betragen.

Zudem sind keine Bedarfsverkehrsmittel, etwa Anrufsammeltaxis in der Analyse enthalten. Es wurde ausschließlich der fahrplanbasierte öffentliche Verkehr berücksichtigt.

Was sind regionale und überregionale Zentren?
Die in der Erreichbarkeitsanalyse definierten Zentren haben aufgrund von Arbeitsplätzen, Schulen, Geschäften, Freizeiteinrichtungen und medizinische Versorgung eine wichtige Bedeutung für Regionen. Insgesamt wurden 125 regionale Zentren in Österreich definiert. Zudem liegen 47 regionale Zentren im grenznahen Nachbarländern. Überregionale Zentren, zumeist handelt es sich um Landeshauptstädte und wichtige Städte mit vielen Einpendlern, gibt es 17. Zusätzlich sind 18 überregionale Zentren im Ausland definiert. Maribor (Slowenien), Rosenheim und Passau (beide Deutschland) zählen hier zu den wichtigsten. Die in der Erreichbarkeitsanalyse verwendeten Definitionen für diese Zentren kommen von den einzelnen Bundesländern. Eine bundesweite Definition gibt es nicht. So hat Vorarlberg vier überregionale Zentren (Bludenz, Feldkirch, Bregenz, Dornbirn), Tirol aber nur eines (Innsbruck). In der nächsten Erreichbarkeitsanalyse soll es standardisierte Kriterien geben.

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