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Nicht fix: Warum das Glyphosat­verbot noch scheitern kann
5. Dezember 2019 Pestizide Lesezeit 3 min
Anfang Juli beschloss der Nationalrat ein Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ab 1. Jänner 2020. Drei Monate hatte die EU-Kommission Zeit, Einspruch zu erheben. Zwar ist diese Frist abgelaufen, aber die Republik verstieß im Gesetzgebungsprozess gegen EU-Regeln.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Pestizide und ist Teil 8 einer 9-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Update 9. Dezember 2019:

Wie Regierungssprecher Alexander Winterstein auf Twitter bekanntgegeben hat, kann das Glyphosatverbot nicht wie geplant in Kraft treten. Die zugehörige Stellungnahme können Sie hier aufrufen.

Vereinfacht gesagt ist es so: Nationale Gesetze dürfen übergeordneten EU-Gesetzen nicht widersprechen. Um solche Widersprüche möglichst schon im Vorfeld aufzulösen, haben sich die EU-Staaten auf gemeinsame Regeln für den Abgleich geplanter nationaler Gesetze mit EU-Gesetzen geeinigt. Das vom Nationalrat beschlossene Glyphosatverbot gilt in diesem Zusammenhang als eine technische Vorschrift. Und für den Erlass solcher technischer Vorschriften gilt die EU-Richtlinie 2015/1535 „über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften.“ Darin ist ein sogenanntes Notifizierungsverfahren festgeschrieben, in dessen Rahmen der EU-Kommission drei Monate Zeit zugestanden werden, um nationale Gesetzesvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Recht zu prüfen. Nicht EU-konform könnte ein nationales Glyphosatverbot zum Beispiel deshalb sein, weil für die Zulassung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen die EU und nicht Nationalstaaten zuständig sind und zudem für alle EU-Landwirte gleiche Bedingungen gelten müssen. Sofern innerhalb dieser Frist kein Widerspruch in Form einer ausführlichen Stellungnahme kommt, kann das Gesetz in Kraft treten.

Wir zeigen Ihnen hier noch einmal unser Video vom vergangenen Juli, das den Weg des SPÖ-Antrags für ein Glyphosatverbot im Nationalrat beschreibt und erklärt, warum Landwirte das Gesetz als kontraproduktiv in Sachen Boden- und Klimaschutz erachten:

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Verstoß gegen EU-Recht

Das Entscheidende ist nun: Die EU-Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, Gesetze bereits im Stadium des Entwurfs in das Notifizierungsverfahren zu schicken. Dagegen hat die Republik Österreich verstoßen, indem sie ein bereits vom Nationalrat fix und fertig beschlossenes Gesetz notifiziert, spricht der EU-Kommission mitgeteilt hat. Der Vorgang ist vergleichbar mit einem Fußballtrainer, der einen Einwechselspieler schon mal aufs Spielfeld schickt und den Schiedsrichter erst danach über seinen Wechselwunsch informiert. Das Vorgehen Österreichs kommentiert die Vertretung der EU-Kommission in Österreich so:

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„Die Europäische Kommission hat Österreich darüber informiert, dass sie zu dem Verbot von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln nicht Stellung nehmen konnte. Denn im Rahmen des Informationsverfahrens über technische Vorschriften kann die Kommission nur Entwürfe, also geplante Maßnahmen, inhaltlich kommentieren. Das österreichische Verbot war allerdings schon beschlossen, als es der Kommission am 28. August 2019 notifiziert wurde.“

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Droht Österreich ein Vertrags­verletzungs­verfahren?

Mit anderen Worten: Die EU-Kommission hat eigentlich kein „grünes Licht“ für ein österreichisches Glyphosatverbot gegeben, auch wenn dies in verschiedenen Pressemitteilungen so formuliert wurde. Viel eher hat sie gar kein Licht gegeben, weil sie eben gar „nicht Stellung nehmen konnte“. Zu der Frage, ob die EU-Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich auf den Weg bringen wird, will Brüssel derzeit keine Stellung nehmen. Auch das Bundeskanzleramt will das Ganze noch rechtlich prüfen, bevor die Bundeskanzlerin die letzte Hürde für ein vorläufiges Glyphosatverbot aus dem Weg räumt: Sie muss formal im Bundesgesetzblatt verkünden, dass die EU keine Einwände hat.

Es könnte also passieren, dass das Verbot wie vorgesehen mit 1. Jänner in Kraft tritt und erst später, nach einem Vertragsverletzungsverfahren, wieder zurückgenommen werden muss. Immerhin ergäbe sich für die österreichische Politik dann die bequeme Option, alle Schuld dafür öffentlichkeitswirksam bei der EU abzuladen. 

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