Es galt als Wundermittel, wurde gar als Segen für die Menschheit tituliert. Wie hätte man daran auch zweifeln können? Das Pestizid mit dem umständlichen Namen Dichlordiphenyltrichlorethan – besser bekannt als DDT – wurde in den 1940er und 1950er Jahren mit riesengroßem Erfolg eingesetzt.
Im Zweiten Weltkrieg hatte man US-Soldaten im Südpazifik damit eingepudert, um sie vor Tropenkrankheiten zu schützen. Der aus der Schweiz stammende Chemiker Paul Hermann Müller, der die beeindruckende Wirksamkeit des Pestizids als Erster erkannt hatte, wurde 1948 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. In Afrika half DDT, die Malaria einzudämmen, in Deutschland schützte es Felder vor Kartoffelkäfern, in der Schweiz erklärte man den „Maikäferkrieg“, der unerbittlich mit DDT-beladenen Sprühflugzeugen geführt wurde.
Das änderte sich, als die US-amerikanische Biologin Rachel Carson 1962 ihr Buch „Der stumme Frühling“ („Silent Spring“) herausbrachte. Darin erklärte sie, welche unerwarteten Auswirkungen Pestizide wie DDT haben können: Nicht nur schädliche Insekten sind betroffen, sondern auch die Lebewesen, die von den Insekten leben.
Es kommt zu einer Anreicherung von DDT entlang der Nahrungskette, was beispielsweise dazu führen kann, dass die Eierschalendicke bei Greifvögeln abnimmt und keine Jungvögel mehr zur Welt kommen – eine indirekte, aber folgenschwere Wirkung, an die bei der Einführung des Wirkstoffs niemand gedacht hatte.
Carsons Buch wurde zum Bestseller, es gilt heute als Meilenstein in der Geschichte der Umweltbewegung. Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore nennt Rachel Carson als wichtigen Grund dafür, dass er sich für Umweltthemen zu interessieren begann. In vielen Industrieländern wurde DDT in den 1970er Jahren verboten.
Schon in der Antike wurden Pestizide genutzt, etwa Arsen oder Pyrethrum, das aus Chrysanthemenblüten hergestellt wird. Doch seither hat sich viel verändert. Im 20. Jahrhundert wuchs die Weltbevölkerung von weniger als zwei Milliarden Menschen auf über sechs Milliarden.
Die Bevölkerungsexplosion beruht auch auf der Mithilfe der chemischen Industrie, die durch Düngemittel und Pestizide den weltweiten Ernteertrag dramatisch steigerte. Dadurch war die Menschheit freilich erstmals auch in der Lage, durch massenhaften Pestizideinsatz ganze Ökosysteme zu beeinflussen.
Pestizide lassen sich heute in Flüssen und Seen nachweisen, im Grundwasser und im Boden. Das ist für sich genommen noch kein Alarmsignal, schließlich kann die moderne chemische Analytik heute winzigste Spuren verschiedenster Substanzen verlässlich aufspüren, selbst in Mengen, die nach allen praktischen Maßstäben bedeutungslos sind.
Tatsächlichen Grund zur Sorge liefert allerdings die lange Liste an gut dokumentierten schädlichen Auswirkungen von Pestiziden: Manche von ihnen wirken neurotoxisch auf nützliche Insekten. Auch bei anderen Tieren wurden schädliche Auswirkungen von Pestiziden auf das Nervensystem nachgewiesen – bei Fischen, Amphibien, Vögeln und sogar bei Säugetieren.
Auch das Hormonsystem, das Reproduktionssystem und die Embryonalentwicklung von Tieren kann durch Pestizide gestört werden. 1980 wurde durch einen Pestizidhersteller in Florida der Lake Apopka stark mit giftigen Substanzen belastet. Daraufhin zeigten sich erstaunliche Effekte bei Alligatoren: Bei männlichen Tieren wurden reduzierte Testosteron-Levels und verringerte Penisgrößen festgestellt, bei den Weibchen veränderten sich die Östrogen-Werte. Die Population ging deutlich zurück. Auch bei Fröschen und Kröten hat man wiederholt Einflüsse von Pestiziden auf das Hormonsystem entdeckt.
Pestizide beeinträchtigen die Vielfalt an Blühpflanzen und Ackerbeikräutern in landwirtschaftlichen Regionen. Das ist nicht überraschend – das ist schließlich ihre Aufgabe. Landwirtschaft bedeutet, auf Flächen, die sonst in Mitteleuropa meist von Laubmischwäldern bewuchert wären, nebeneinanderliegende Monokulturen gewünschter Nutzpflanzen zu schaffen.
Allerdings endet der Einfluss der Pestizide nicht am Rand des Feldes: „In Gebieten, in denen Pestizide intensiv eingesetzt werden, zeigen sich negative Wirkungen auf der Ebene von Populationen und Artengemeinschaften“, sagt Prof. Heinz R. Köhler vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen. „Das Problem ist, dass sich diese Effekte in der Regel nicht monokausal auf ein bestimmtes Pestizid zurückführen lassen. Und sehr oft fehlen Studien, die die molekularen Wirkungen eines Pestizids biologisch und ökologisch plausibel mit den beobachteten Effekten in Verbindung bringen.“
Die ökologischen Folgen eines neuen Pestizids lassen sich nicht vorausberechnen wie die Bahn einer Mondrakete. Das Netz an möglichen Wechselwirkungen ist dafür zu komplex. Ob eine Substanz für eine bestimmte Tierart akut giftig ist, lässt sich relativ rasch herausfinden. Doch was bedeutet das für seine Wirkung auf die Tierpopulation oder ein ganzes Ökosystem? Was passiert, wenn sich das Pestizid langfristig im Boden anreichert? Wie wirkt es sich aus, wenn es mit anderen Substanzen kombiniert wird? Wie beeinflusst ein Eingriff in eine bestimmte Tierart die anderen Lebewesen in der Umgebung?
Schwer vorherzusagen ist auch, wie lange Pestizide im Boden verbleiben. Während man etwa den Zerfall radioaktiver Stoffe mit einer einfachen Formel präzise berechnen kann, sind die Modelle, mit denen man den Abbau von Pestiziden beschreibt, recht unzuverlässig. Immer wieder erlebt die Umweltforschung Überraschungen – etwa, dass man das Herbizid Atrazin über 20 Jahre nach seinem Verbot immer noch im Boden nachweisen kann, obwohl man eigentlich mit einer viel kürzeren Verweildauer gerechnet hatte.
Darauf weist auch die „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina“ hin, die vor kurzem einen ausführlichen Artikel über umweltverträglichen Pflanzenschutz herausbrachte. Die Autoren – Fachexperten von unterschiedlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen – heben hervor, dass es noch immer Forschungslücken gibt, sie fordern eine Weiterentwicklung der Risikoabschätzung und verbesserte Monitoringprogramme, um die Pestizidbelastungen in Gewässern und im Boden genauer zu erfassen.
Die Untersuchung der Pestizid-Auswirkungen auf Insektenpopulationen wird dadurch erschwert, dass die Kombination verschiedener Pestizide sich anders auswirken kann, als die einzeln betrachteten Effekte der beiden Spritzmittel jeweils vermuten ließen. 2012 konnte eine Studie nachweisen, dass die Fähigkeit des Pollensammelns von Hummeln darunter leidet, wenn sie Neonicotinoiden in Kombination mit einem Insektizid namens Pyrethroid ausgesetzt werden – und zwar stärker, als es die Effekte der beiden einzelnen Stoffe vermuten ließen. Umgekehrt erscheint das Ergebnis einer kanadische Forschergruppe fast kurios: Sie konnte zeigen, dass das Fungizid Boscalid die tödliche Dosis eines Neonicotinoids für Honigbienen um die Hälfte reduzierte.
Die betroffenen Neonicotinoide wurden aufgrund des Verdachts der Bienenschädlichkeit, in der EU jedoch mittlerweile verboten. Bei Neonicotinoiden handelt es sich um eine Gruppe von Insektiziden, die auf die Nervenzellen bestimmter Schädlinge wirken. Bereits 2013 wurde beschlossen, die drei als besonders bienenschädlich geltenden Neonicotinoid-Wirkstoffe – Clothianidin, Thiomethoxam und Imidacloprid – vorübergehend zu verbieten. Das Verbot trug jedoch dazu bei, dass sich der Maiswurzelbohrer von Ungarn nach Österreich ausbreiten konnte. Im Süden Österreichs führte das zu Ernteausfällen und zog einen verstärkten Mais-Import aus dem Ausland nach sich. 2018 stimmten die EU-Mitgliedstaaten erneut ab und beschlossen ein dauerhaftes Freiland-Verbot der drei Neonicotinoide.
Tobias Bokeloh vom Saatgutproduzenten Strube hat ausgerechnet, dass deutsche Rübenbauern durch das Neonicotinoid-Verbot anstatt der bisherigen 20 Tonnen der Insektizide in Zukunft bis zu 120 Tonnen andere Insektizide spritzen werden müssen. Darin sieht er eine steigende Gefahr von Resistenzbildung unter Schädlingen. Es ist dieses vorausblickende Abwägen alternativer Szenarien, das Entscheidungen bezüglich der Verwendung von Pestiziden so schwierig macht.
Die Schwierigkeit, Umweltauswirkungen von Pestiziden richtig einzuschätzen und vorherzusagen, macht politische Entscheidungen über die Zulassung oder das Verbot von Pestiziden sehr schwer. Das zeigt etwa das Beispiel der Neonicotinoide. Eigentlich wurden sie in den 1990er Jahren eingeführt, um die Umwelt zu schonen.
Mit Neonicotinoiden kann man das Saatgut beizen, um es dann auf dem Feld auszubringen. Dadurch sind die Samenkörner gegen Fressfeinde geschützt, ein flächendeckendes Besprühen der Ackerpflanzen mit Insektiziden ist meist nicht mehr nötig. Mit Neonicotinoiden konnte man andere, gefährlichere Substanzen ersetzen, etwa Organophosphor-Verbindungen, die auch als chemische Kampfstoffe verwendet wurden. Im Gegensatz zu ihnen haben Neonicotinoide auf Wirbeltiere keine schwerwiegenden Auswirkungen.
„Das Volk stirbt nicht, ist aber weniger leistungsfähig“, sagt Karl Crailsheim, Leiter des Forschungsprojekts „Zukunft Biene“, „dass Pestizide dabei eine Rolle spielen, ist unbestritten.“
Doch schon bald kam der Verdacht auf, dass die Neonicotinoide für eine merkwürdige Art des Bienensterbens verantwortlich sein könnten – für die sogenannte „Colony Collapse Disorder“, bei der die Zahl der Arbeiterinnen dramatisch zurückgeht, obwohl Honig und Pollen vorhanden sind.
Experimente zeigten tatsächlich, dass Neonicotinoide das Nervensystem von Bienen beeinträchtigen und ihr Verhalten verändern. Bereits eine Menge, die deutlich unter der letalen (tödlichen) Dosis liegt, kann das Lern- und Erinnerungsvermögen der Bienen so durcheinanderbringen, dass sie nicht mehr zu ihrem Bienenstock zurückfinden.
Aber reichen die Mengen, die eine Biene realistischerweise in der Natur aufnimmt, aus, um auf diese Weise eine besondere Form des Bienensterbens (die über den natürlichen, unvermeidlichen Verlust einzelner Bienenvölker im Winter hinausgeht) zu erklären? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Klar ist, dass Neonicotinoide eine Gefahr für Bienen sind – doch klar ist auch, dass es noch andere Faktoren gibt, die für die „Colony Collapse Disorder“ eine Rolle spielen, etwa die gefürchtete Varroamilbe. Ein konsistenter statistischer Zusammenhang zwischen der Verwendung von Neonicotinoiden und dem Sterben von Bienenvölkern hat sich bisher nicht gezeigt.
Die EU erließ dennoch im Jahr 2013 Anwendungsbeschränkungen für Neonicotinoide, 2018 schließlich wurde beschlossen, die Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam in Freilandkulturen vollständig zu verbieten. Umweltschutzorganisationen jubelten, doch es gab auch Kritik: Die Zeitspanne zwischen den Beschränkungen 2013 und dem Verbot 2018 sei nicht lange genug gewesen, um wissenschaftlich zu klären, ob ein Neonicotinoid-Verbot der Umwelt tatsächlich helfen kann. Außerdem bringe das Verbot insbesondere Rübenbauern in eine schwierige Situation. Während es nämlich für andere Pflanzen Alternativen gibt, ist es im Zuckerrübenanbau nicht einfach, eine gleichwertige Alternative zu finden.
Dass Pestizide Nutzinsekten beeinträchtigen können, ist unumstritten. Dabei bestehen zwischen den einzelnen Wirkstoffen jedoch große Unterschiede. Besonders Glyphosat wird häufig nachgesagt, Bienenvölker zu gefährden. Befeuert wurde diese Haltung von einer kürzlich erschienenen Studie, laut der Glyphosat die Darmflora von Bienen verändert. Der Studie werden jedoch Ungereimtheiten bei der Datenanalyse vorgeworfen und dass nicht untersucht wurde, ob sich daraus überhaupt gesundheitliche Konsequenzen für die Bienen ergeben.
In einer anderen Studie wurden 42 Wirkstoff-Zubereitungen, die die häufigsten Pestizidklassen abdecken, auf ihre Auswirkungen auf Honigbienen untersucht. Der Sprühtest stellte realistische Feld-Bedingungen nach. Dabei töteten 26 der 42 getesteten Stoffe praktisch alle der vorhandenen Bienen. Lediglich drei Spritzmittel beeinträchtigten die Bienen so gut wie gar nicht – eines davon war Glyphosat, welches die mit Abstand geringste Bienenschädlichkeit von allen getesteten Spritzmitteln aufwies.
Noch hitziger als der Streit um Neonicotinoide wird die politische Debatte um Glyphosat geführt. Glyphosat blockiert ein Enzym, das Pflanzen zum Leben brauchen. Es tötet also praktisch alle Pflanzen ab, ist aber für Tiere und Menschen relativ ungefährlich. „Glyphosat gehört zu den bestuntersuchten Pestiziden“, sagt Prof. Siegrid Steinkellner vom Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien.
In den vergangenen Jahrzehnten hat man in Europa umfangreiches Expertenwissen aufgebaut, die Zulassungsverfahren verbessert und höchsten Wert auf Sicherheit gelegt. „Auf dieser Basis wurde Glyphosat als verhältnismäßig ungefährlich eingestuft“, erklärt Steinkellner, „und nun wollen manche Leute so tun, als wäre dieses Expertenwissen einfach umsonst?“ Sie fordert eine sachliche Diskussion: Auch wenn man Glyphosat keine Unbedenklichkeitsgarantie ausstellen kann, so ist es aus wissenschaftlicher Sicht trotzdem vielen anderen Pestiziden vorzuziehen.
Für Verwirrung sorgten zwei prominente Glyphosat-Studien, die sich auf den ersten Blick zu widersprechen schienen: Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC beschloss aufgrund von Tierversuchen, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hingegen verkündete, dass Glyphosat ungefährlich sei.
Wie kann es sein, dass zwei angesehene Institutionen einander so widersprechen? Der Grund ist ganz banal: Beide Studien hatten ganz unterschiedliche Ziele. Die IARC untersucht, ob eine Substanz grundsätzlich in der Lage sein könnte, auf irgendeine Weise Krebs auszulösen. Das ist bei Glyphosat durchaus möglich, auch wenn es darüber keinen endgültigen wissenschaftlichen Konsens gibt. Studien, bei denen man Ratten mit sehr hohen Mengen an Glyphosat fütterte, könnten aber darauf hindeuten.
Neben Glyphosat wurden auch andere weit verbreitete Substanzen von der IARC als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft – etwa Rindfleisch oder Mate-Tee. Wurst und Alkohol wurden von der IARC sogar in die noch gefährlichere Kategorie „krebserregend für Menschen“ eingeordnet.
Die europäische EFSA hingegen setzt sich ein ganz anderes Ziel: In ihrer Studie ging es um die Frage, ob eine Krebsgefahr bei normaler Anwendung realistisch ist. Daher können sogar beide Institutionen recht haben: Glyphosat kann in extrem hohen Dosen Krebs auslösen und gleichzeitig bei normaler Anwendung ungefährlich sein.
Aus ökologischer Sicht hat Glyphosat einen wichtigen Vorteil: Wer Glyphosat einsetzt, kann seinen Boden besser vor Erosion schützen. Eine Unkrautbekämpfung mit Glyphosat macht das Einpflügen des Unkrauts überflüssig, das den Boden schädigen kann. „Wenn man Glyphosat verbietet, werden viele Landwirte wieder den Pflug verwenden, das führt zwangsläufig zu mehr Erosion“, sagt Siegrid Steinkellner.
Nicht nur die Erosion ist ein Problem, das durch den Pflug entsteht, er ist auch schädlich für Kleintiere wie Regenwürmer. Pflügen benötigt Energie und verschlechtert die CO2-Bilanz der Landwirtschaft. All das spricht für die Verwendung von Herbiziden.
Wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse so verwirrend sind, bietet sich vielleicht die Biolandwirtschaft als möglicher Ausweg an? Die Idee, einfach ganz auf Agrochemie zu verzichten, mag verlockend klingen – aber ganz so einfach ist die Sache nicht, denn auch im biologischen Landbau werden Pestizide eingesetzt. Sogenannte „naturfremde, chemisch-synthetische“ Pflanzenschutzmittel sind verboten, es gibt aber genau definierte Listen von erlaubten Wirkstoffen, die auch vom Biobauern versprüht werden dürfen.
Dazu gehört beispielsweise Pyrethrum, hergestellt aus Chrysanthemenblüten, das bereits in der Antike als „persisches Insektengift“ bekannt war. Es handelt sich dabei um ein Kontaktgift, das auf Insekten neurotoxisch wirkt. Ebenfalls im Biolandbau erlaubt ist das Insektizid Rotenon. Schon seit dem 17. Jahrhundert wird es aus den Wurzeln bestimmter Schmetterlingsblütler gewonnen. Es tötet nicht nur Insekten, sondern ist auch für Fische sehr giftig.
Besonders umstritten ist der im Biolandbau übliche Einsatz von Kupferverbindungen. Sie werden etwa im Obst- und Weinbau verwendet, um Schimmelpilze zu bekämpfen – Kupferionen verhindern ein Keimen der Pilzsporen. Lange Zeit wurden Kupferverbindungen in der Landwirtschaft recht unbekümmert und in großer Menge eingesetzt. Dadurch konnte sich das Kupfer in den Böden anreichern und Schäden verursachen – für Regenwürmer etwa kann Kupfer giftig sein.
Vor kurzem hat die EFSA Daten vorgelegt, welche die Giftigkeit von Kupferpräparaten für Umwelt und Gesundheit erneut bestätigen. Doch anders als bei chemischen Pestiziden mit ähnlicher Datenlage bleibt Kupfer weiterhin erlaubt, mit der Begründung, bio-taugliche Alternativen würden fehlen. Auch das Insektizid Spinosad, das in der ökologischen Landwirtschaft zur Bekämpfung von Kartoffelkäfern eingesetzt wird, steht unter Kritik, da es auf Bienen sehr giftig wirkt. Der Verzicht auf synthetische Herbizide wiederum führt im Bio-Landbau zu einem verstärkten Einsatz des Pfluges, wodurch Bodenerosion und Humusabbau gefördert werden, Regenwürmer geschädigt und es zu einem vermehrten Ausstoß von Kohlendioxid kommt.
Heute geht man mit Kupfer vorsichtiger um: Es gibt genaue Vorschriften für die maximal erlaubte Kupfermenge, die im Biolandbau jährlich pro Hektar ausgebracht werden darf. Aber ganz ohne Kupfer geht es nicht. Besonders im Bio-Weinbau ist Kupfer unverzichtbar, wenn man keine synthetischen Fungizide einsetzen möchte.
Streng genommen muss man also die Pestizid-Diskussion von der Biolandbau-Diskussion trennen – Biolandwirtschaft heißt nicht pestizidfreie Landwirtschaft, und ein Gift bleibt ein Gift, egal ob es natürlichen Ursprungs ist oder in der Chemiefabrik hergestellt wurde. Trotzdem kann man die Vorteile der biologischen Landwirtschaft in diesem Punkt nicht abstreiten: Sie kommt in der Praxis tatsächlich mit geringeren Mengen an Pestiziden aus.
Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass Biolandbau die bessere Lösung ist. Es gibt nämlich einen massiven Nachteil: Bio-Landwirtschaft braucht mehr Fläche als konventionelle Landwirtschaft, um denselben Ertrag zu erzielen.
Eine Meta-Analyse, die 2012 im Wissenschaftsjournal Nature publiziert wurde, kommt zu dem Schluss, dass Biolandwirtschaft 13 bis 34 Prozent weniger Ertrag pro Fläche bringt – abhängig von vielen Faktoren, etwa von der Art der Pflanzen, dem Boden, oder auch dem Entwicklungsgrad des Landes.
Ein Land wie Österreich könnte nur dann vollständig auf Bio-Landwirtschaft umstellen, wenn man bestimmte Nahrungsmittel aus dem Ausland einführt – etwa Sojafutter aus Amerika für unsere Nutztiere. Dass das global betrachtet keine nachhaltige Lösung ist, versteht sich von selbst.
Wer die These aufstellen will, dass man mit Bio-Landwirtschaft die gesamte Weltbevölkerung ernähren kann, muss kühne Zusatzannahmen treffen. Der Schweizer Forscher Adrian Müller veröffentlichte 2017 mit mehreren Kollegen ein Rechenmodell, demzufolge die Ernährung einer Weltbevölkerung von über 9 Milliarden Menschen mit Bio-Landwirtschaft möglich sein soll – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, nämlich wenn man die landwirtschaftlich genutzte Fläche weiter vergrößert, dafür Wälder rodet, gleichzeitig die ganze Menschheit ihren Fleischkonsum drastisch senkt und ein gewaltiger Durchbruch bei der Vermeidung von Nahrungsabfällen gelingt.
Der Umweltautor Mark Lynas glaubt nicht an solche Szenarien. In den 1990er Jahren gehörte er zu einer Gruppe radikaler Umweltschützer. Er setzte sich gegen Agrarkonzerne ein und zerstörte Felder mit genmanipulierten Pflanzen. Um seine Thesen zu untermauern, begann er, sich immer tiefer in die wissenschaftliche Literatur einzulesen – und dabei änderte er seine Meinung völlig.
„Biolandwirtschaft kann die Welt nur dann versorgen, wenn man zwei Ziele erreichen kann, die in Wahrheit nicht zu erreichen sind: eine totale Umstellung unserer Ernährung und eine heroische Reduktion der Verschwendung von Lebensmitteln.“
Lynas sieht hier einen logischen Fehler: „Es ist, als würde man behaupten, dass Rauchen gut für die Gesundheit ist, wenn man gleichzeitig andere krebsverursachende Stoffe so stark reduziert, dass der Effekt des Rauchens ausgeglichen wird. Na gut, aber wäre es dann nicht besser, trotzdem auf das Rauchen zu verzichten und gleichzeitig auch die anderen krebserregenden Stoffe zu meiden?“
Einer vegetarischen Lebensweise kann Lynas aus ökologischer Sicht einiges abgewinnen, und auch die Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen, ist zweifellos eine gute Idee. Doch er möchte diese Maßnahmen mit dem hohen Ertrag der konventionellen Landwirtschaft kombinieren. Schließlich ist der Verlust von Lebensräumen der entscheidende Grund für das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Es ist also wichtig, dass der Mensch nicht mehr Fläche beansprucht als unbedingt nötig.
Eine Rückkehr zu den landwirtschaftlichen Techniken früherer Jahrhunderte ist nicht möglich, damit können wir uns heute nicht mehr ernähren. Es ist nicht sinnvoll, auf Pestizide zu verzichten, wenn die Alternativen für die Natur schädlicher sind als die Pestizide selbst. Es ist freilich auch nicht sinnvoll, Substanzen zu verwenden, deren Gefahren sich gar nicht endgültig abschätzen lassen.
Die eine, strahlende Patentlösung, mit der man alle Probleme in Griff bekommen kann, gibt es aus agrarwissenschaftlicher Sicht einfach nicht – das ist schon alleine deshalb unmöglich, weil Klima, Böden und Witterung zeitlich und räumlich stark variieren. Die wissenschaftlich rationale Herangehensweise ist daher, keine Methode von vornherein auszuschließen, sondern aus allen heute zur Verfügung stehenden technischen, chemischen und biologischen Ideen diejenige Kombination auszuwählen, die im Einzelfall am sinnvollsten erscheint – und zwar unter Einbeziehung aller Nebenwirkungen.
Diese flexible Herangehensweise hat einen Namen: Man spricht von „integrierter Landwirtschaft“. Sie wäre ein Mittelweg zwischen einem altmodisch-romantischen Bild einer technikfreien Landwirtschaft einerseits und dem sorglosen Giftsprühen vergangener Jahrzehnte auf der anderen Seite. Dabei geht es nicht nur um das Spritzen von Chemikalien, sondern um das Überdenken der gesamten landwirtschaftlichen Produktionsprozesse. Das beginnt bei der ökologisch sinnvollen Kombination verschiedener Pflanzenschutzmittel und reicht bis zum Schutz der Gewässer und der Reduktion von CO2-Emissionen.
„Die integrierte Landwirtschaft muss die Zukunft sein“, ist die Nutzpflanzenforscherin Siegrid Steinkellner überzeugt. Wer diese Form der Landwirtschaft betreibt, setzt sehr wohl synthetische Pestizide ein, wenn es nötig ist – aber nicht nach dem Motto „Mehr nützt mehr“, sondern auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, in möglichst geringen Mengen und in einer möglichst verträglichen Form.
Gleichzeitig setzt man auch auf natürlichen Pflanzenschutz, etwa indem man gezielt Nützlinge einsetzt: Florfliegen, Schlupfwespen oder Raubmilben attackieren Schädlinge, lassen die die Nutzpflanzen aber in Ruhe. Besonders in Glashäusern funktioniert das ausgezeichnet. Beim Kampf gegen Unkraut auf dem Feld gibt es heute schon vielversprechende Tests mit Drohnen oder kleinen Robotern, laufend werden neue technische Möglichkeiten entwickelt.
Steinkellner sieht der Zukunft überhaupt recht optimistisch entgegen. Schließlich hat sich auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel zum Positiven verändert: Besonders schädliche Pestizide wurden verboten, die Landwirte wissen heute viel genauer, wie sie welche Mengen von Pestiziden einsetzen müssen, um ihre Ernte zu retten und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Auch wenn wir die Wirkung verschiedener Substanzen auf ganze Ökosysteme noch immer nicht genau verstehen, wissen wir doch heute viel besser über die Gefahren von Pestiziden Bescheid als früher.
Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, das glaubt auch Heinz Köhler von der Uni Tübingen: „Unsere Daten zur Ökotoxizität von Pestiziden werden immer besser, gleichzeitig entwickeln wir unsere mathematischen Modelle weiter“, sagt er. „Es ist durchaus realistisch, dass man auf diese Weise ökologische Auswirkungen mit ähnlicher Zuverlässigkeit vorhersagen kann, wie der Wetterbericht heute atmosphärische Prozesse vorhersagt.“
Auch die politischen Entscheidungsprozesse haben sich im Lauf der Jahre entwickelt. „Wenn Gremien, die mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzt sind, bestimmte Pestizide verbieten oder erlauben, dann machen sie sich die Entscheidung nicht leicht und tun das aus gutem Grund“, betont Siegrid Steinkellner. „Und nicht zuletzt sollte die Bevölkerung auch den Landwirten vertrauen. Die wissen meist sehr gut Bescheid, überlegen sich mittlerweile ganz genau, wann sie zu Pestiziden greifen – und essen ihre Produkte dann auch selbst. Anlass für übertriebene Sorgen sehe ich da nicht.“