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Wie viele Pestizide sind in meinem Essen?
22. Oktober 2018 Pestizide Lesezeit 7 min
Obst und Gemüse werden regelmäßig auf Pestizidrückstände kontrolliert. Addendum hat die Messungen und Ergebnisse visualisiert.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Pestizide und ist Teil 2 einer 9-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Die Verwendung von Pestiziden ist gesetzlich stark reglementiert. Alles was in den Warenkorb der Konsumenten wandert, muss laut Vorschrift auf Pestizidrückstände getestet werden. In Österreich ist seit 2003 die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) dafür zuständig.

Jedes Jahr überprüfen Mitarbeiter der AGES verschiedene Sorten von Obst und Gemüse. Addendum hat die Berichte von 2003 bis 2016 analysiert. Dabei wurden jene Daten von Obst- und Gemüsesorten ausgewertet, die in dem Zeitraum über viermal getestet wurden.

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eine im Bundesbesitz stehende GmbH. Laut AGES-Website sind Eigentümer-Vertreter das Gesundheitsministerium sowie das Landwirtschaftsministerium. Dort heißt es weiter: „Die AGES unterstützt das Management der Bundesministerien in Fragen der Öffentlichen Gesundheit, Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Arzneimittelsicherheit, Ernährungssicherung und des VerbraucherInnenschutzes entlang der Nahrungskette fachlich und unabhängig mit wissenschaftlichen Expertisen (Aufgaben gemäß § 8 Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz – GESG).“

mit Ausnahme des Jahres 2013, da der Bericht aus diesem Jahr nicht online verfügbar ist

So testet die AGES: Es werden rund 100 Proben jedes ausgewählten Lebensmittels im Einzelhandel erworben – und zwar nicht auf einmal, sondern über das ganze Jahr verteilt. Im Labor werden die Proben dann auf Pestizidrückstände getestet – im Durchschnitt wurde eine Probe der Testreihe 2016 auf 370 Stoffe getestet. 2016 war auf 88,2 Prozent der getesteten Äpfel mindestens ein Stoff – also Reste mindestens eines Pestizids – nachweisbar.

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Auf etwa einem von hundert der getesteten Äpfel oder Erdbeeren wurde festgestellt, dass bei mindestens einem Stoff der gesetzliche Höchstwert überschritten wurde. Das ist im langfristigen Vergleich ein niedriger Wert: 2008 wurde noch jeder zehnte getestete Kopfsalat aufgrund von Höchstwertüberschreitungen beanstandet.

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Die Festlegung der Höchstwerte erfolgt laut Prof. Doris Marko, Leiterin des Instituts für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien, meist auf Basis einer für jeden Wirkstoff definierten erlaubten Tagesdosis.

Um diese zu ermitteln, wird – meist mittels Tierversuchen mit Nagetieren – die höchste Dosis ermittelt, bei der langfristig keine negativen Effekte zu beobachten sind. Auf den Menschen schließt man auf Basis des Körpergewichts mit einem hundertfachen Sicherheitsfaktor: Ein zehnfacher Faktor wird für die Unterschiede innerhalb der Spezies (z.B. zwischen Kindern und gesunden Erwachsenen) vorgesehen, ein weiterer zehnfacher für die Unterschiede zwischen der Spezies – so wird der Möglichkeit, dass Menschen unterschiedlich auf einen Stoff reagieren, Rechnung getragen.

Anhand eines fiktiven Warenkorbs wird für jeden Stoff und jedes Produkt ein erlaubter Rückstandshöchstwert definiert, der sicherstellt, dass bei durchschnittlichem Konsum die erlaubte Tagesdosis (Acceptable Daily Intake) eines Stoffs nicht überschritten wird. Der gesetzliche Höchstwert kann auch geringer ausfallen, wenn bei guter landwirtschaftlicher Praxis geringere Rückstände zu erzielen sind. Da man unterschiedliche Mengen an Erdbeeren als an Äpfeln konsumiert, unterscheiden sich deswegen auch die Höchstwerte von Äpfeln und Erdbeeren. 2016 lag der gesetzliche Höchstwert für das Insektizid Acetamiprid (aus der Gruppe der Neonicotinoide) beispielsweise bei Äpfeln bei 0,8 Milligramm pro Kilogramm.

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Eine Schwachstelle dieser Betrachtungsweise ist, dass in der Regel die Wirkung eines Stoffs nur in Einzelbetrachtung getestet wird. Für Doris Marko besteht hier Forschungsbedarf. Da es nun möglich ist, große Datenmengen zu verarbeiten, kann erforscht werden, was auf den Menschen einwirkt und wie Mittel im Zusammenspiel wirken. „Das heißt auch nicht zwingend, dass zwei Mittel in Kombination schlimmer werden – es kann auch sein, dass Wirkungen sich gegenseitig aufheben.“ Ein großes EU-gefördertes Forschungsprojekt zu dem Thema ist bereits aktiv.

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Die Umweltorganisation Global 2000 betreibt in Kooperation mit der REWE-Gruppe ein Pestizidreduktionsprogramm, im Rahmen dessen regelmäßig Obst und Gemüse auf Pestizidrückstände untersucht wird. Zusätzlich zu den Angaben zu gefundenen Rückständen und Höchstwertsüberschreitungen – wo sich die Werte in ähnlichen Größenordnungen mit den Prüfungen der AGES befinden – ermittelt Global 2000 auch einen Wert namens Summenbelastung. Um diesen zu berechnen, wird ermittelt, wie stark jeder Stoff einen Grenzwert ausnutzt. Addiert man die Anteile für alle Stoffe und erreicht 200 Prozentpunkte, wird dies als Überschreitung der Summengrenze gewertet.

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der aus der erlaubten Tagesdosis und einem Verzehr von einem Kilogramm Obst oder Gemüse pro Tag abgeleitet ist – also strenger ist, als der gesetzliche Grenzwert

Global 2000 zu den Ergebnissen: „Da der Pro-Kopf-Verbrauch von Äpfeln mit 19,6 kg pro Jahr etwa die 6-fache Menge von Erdbeeren beträgt (3,3 kg), besteht sowohl bei Erdbeeren als auch bei Äpfeln die Notwendigkeit, Pestizidrückstände zu reduzieren und Alternativen zu forcieren.“

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Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und die Kritik daran

Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ist zwischen der EU-Ebene mit der European Food Safety Autority (EFSA) und der Europäischen Kommission, die Wirkstoffe vor deren Einsatz in Pflanzenschutzmitteln genehmigen muss, einerseits und der nationalen Ebene andererseits zu unterscheiden. Man spricht von einem dualen System. In Österreich ist das Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES) für die Kontrolle und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig. Dies geschieht per Bescheid. Unterstützt wird das BAES von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES). Die Experten der AGES führen Analysen, Prüfungen und Bewertungen durch, betreiben aber auch angewandte Forschung und führen Genbanken zum Erhalt pflanzengenetischer Ressourcen. Neben den „regulären“ Zulassungen gibt es auch sogenannte Notfallzulassungen, wonach unter bestimmten Umständen Pflanzenschutzmittel zur Gefahrenabwehr für maximal 120 Tage zugelassen werden können.

Immer wieder wird auch Kritik an Zulassungsverfahren laut – etwa daran, dass Studien im Vorfeld von Zulassungen von den Herstellern selbst beauftragt und bezahlt werden. Dieser Kritik entgegnet Christian Stockmar, Vorsitzender der Industriegruppe Pflanzenschutz, die 15 Herstellerunternehmen der Branche vertritt: Die Studien würden von zertifizierten Labors, die von den jeweiligen, nationalen Gesundheitsbehörden kontrolliert und zertifiziert würden, erstellt. Außerdem sei der Prozess der Studienerstellung vorgegeben und werde auch überwacht. In eine ähnliche Kerbe schlägt Albert Bergmann (AGES): Die gesetzlichen Vorgaben, wie ein Versuch durchzuführen sei, seien sehr klar definiert und das Zulassungsverfahren sei derart streng und umfangreich, dass die Sicherheit der zugelassenen Pflanzenschutzmittel sichergestellt sei.

Genau das bezweifelt Helmut Burtscher von Global 2000. Insbesondere im Fall des Unkrautvernichters Glyphosat, der einst von Monsanto entwickelt und zuletzt vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung BfR im Auftrag der EU erneut bewertet wurde. Burtscher ist überzeugt, dass das BfR in seinem Bericht Studien-Interpretationen aus dem Zulassungsantrag von Monsanto ohne Prüfung übernommen hat. Dadurch seien Hinweise auf eine mögliche Krebsgefahr unter den Tisch gefallen. Manche würden von „wissenschaftlichem Betrug“ sprechen.

Das BfR hat sich mehrfach gegen die Vorwürfe gewehrt. So heißt es in einer Stellungnahme von Herbst 2017: „Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat seine Bewertung von Glyphosat entsprechend den gesetzlichen Vorgaben sowie den nationalen, europäischen und weltweiten Konventionen durchgeführt.“ Dabei sei üblich und anerkannt, einzelne Textpassagen nach Prüfung zu übernehmen. Dies werde auch aus den jeweiligen Kapitelüberschriften deutlich. Auch andere Institutionen der EU, der UNO oder Behörden anderer Staaten sehen in Glyphosat keine Krebsgefahr.

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Die langfristigen Trends der Datenanalyse seit 2003

Es werden immer mehr Pestizidrückstände auf Obst und Gemüse gefunden. Das hat freilich auch damit zu tun, dass die Analysemethoden immer besser werden. Rückstände können also exakter bestimmt werden. Gleichzeitig, und das ist die gute Nachricht, werden bei immer weniger Proben Überschreitungen von Höchstwerten festgestellt. 

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