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Glyphosat-Studie: Neue Plagiats-Vorwürfe
15. Januar 2019 Pestizide Lesezeit 5 min
Bei seiner Bewertung des Unkrautvernichters soll das zuständige Institut noch viel mehr von Monsanto abgeschrieben haben, als bisher angenommen wurde. Das ergab eine heute veröffentlichte Plagiats-Prüfung.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Pestizide und ist Teil 7 einer 9-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Heute Vormittag präsentierten in Straßburg Vertreter dreier Fraktionen im EU-Parlament, Sozialdemokraten, Grüne und Linke, eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie, die Addendum seit Freitag vorliegt. Dabei handelt es sich um eine neuerliche und ausführlichere Plagiatsprüfung jenes Glyphosat-Bewertungsberichts, der im Oktober 2015 vom deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) der EFSA, der europäischen Lebensmittelsicherheits-Behörde, vorgelegt worden war und dem Herbizid Sicherheit bescheinigt. Auf dieser Grundlage erhielt Glyphosat Ende 2017, nach monatelangem politischem Tauziehen, eine Wiederzulassung für fünf Jahre bis Ende 2022 in der EU.

Die heute präsentierte Plagiatsprüfung wurde vom Salzburger Plagiats-Experten Stefan Weber sowie dem Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden durchgeführt. Letzterer arbeitet für die Umweltschutzorganisation Global 2000. Das Ergebnis dürfte für neue Diskussionen sorgen.

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BfR bewertet Stand der Wissenschaft

Der zu prüfende BfR-Bericht zu Glyphosat (Final addendum to the Renewal Assessment Report) umfasst insgesamt 4.322 Seiten. Grob gesagt bewertet das BfR darin im Auftrag der EU den aktuellen Stand der Wissenschaft rund um die Risiken, die gegebenenfalls mit Glyphosat verbunden sein könnten. Dieser Stand der Wissenschaft speist sich sowohl aus sogenannten „Industriestudien“, die die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln laut Gesetz bei staatlich kontrollierten und zertifizierten Laboren in Auftrag geben und bezahlen müssen (sie bleiben unter Verweis auf das Geschäftsgeheimnis bislang meist unveröffentlicht), als auch um „publizierte Studien“, die etwa von Universitäten oder Umweltschutzorganisationen finanziert und veröffentlicht werden.

In der Zusammenfassung der Plagiatsprüfung heißt es nun: „Plagiate wurden ausschließlich in jenen Kapiteln entdeckt, die sich mit der Bewertung von publizierten Studien zu Gesundheitsrisiken von Glyphosat befassen. In diesen Kapiteln wurden 50,1 Prozent des Inhalts als Plagiat identifiziert.“

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Was ist ein Plagiat?

Dabei ist wichtig zu verstehen, dass das reine Kopieren von Textstellen nicht als Plagiat gilt, solange die fremde Urheberschaft kenntlich gemacht wird. Der plagiierte Inhalt wurde laut Plagiatsstudie aus dem Zulassungsantrag des Glyphosat-Erfinders Monsanto übernommen. Burtscher-Schaden weist darauf hin, „dass die Antragssteller alle epidemiologischen Studien, die ein erhöhtes Risiko für NHL (Anmerkung: Non-Hodgkin-Lymphom bzw. Lymphdrüsenkrebs) zeigen, als nicht zuverlässig eingestuft haben“.

Die Vorwürfe gehen aber noch weiter: „Eine der bemerkenswertesten Erkenntnisse aus unserer Studie ist, dass selbst die ‚Allgemeine Einführung und Erklärung der Herangehensweise des Berichterstatter-Mitgliedslandes‘ (Anmerkung: sprich des BfR) in weiten Teilen ein Plagiat aus dem Zulassungsantrag der Hersteller ist“, sagt Burtscher-Schaden weiter.

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Plagiatsforscher Stefan Weber, der seit über 15 Jahren plagiierte Texte aufspürt, erklärt den Unterschied zwischen „gutartigem Copy-Paste“ und Plagiat. Beim „gutartigen Copy-Paste“ würden Zusammenfassungen von Hersteller-Studien 1:1 kopiert abgedruckt und dann von der Prüfbehörde kommentiert. „Der vorliegende Fall sieht ganz anders aus: Hier wurden die Bewertungen von wissenschaftlichen, publizierten Studien 1:1 vom Hersteller übernommen, aber so getan, als hätte man das Kriterium einer eigenständigen, unabhängigen Prüfung erfüllt. Das ist dann eben nicht mehr gutartig, sondern Plagiat und Täuschung. Das haben wir nun mit Zahlen belegt und international durch Peer-Reviewer bestätigen lassen“, sagt Weber.

Burtscher-Schaden, seit vielen Jahren exponierter Pestizid-Kritiker, ergänzt: „Meines Erachtens zeigt unsere Analyse, dass die EU-Bewertungen die gesetzlich geforderte Unabhängigkeit, Objektivität und Transparenz bei der Bewertung der Studien vermissen lässt.“

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BfR: „Haben nach EU-Gesetzen gehandelt.“

Und was sagt das beschuldigte BfR? Auf Anfrage von Addendum verweist ein Vertreter der Pressestelle auf die EU-Gesetzeslage. „Wenn der berichterstattende Mitgliedsstaat mit einer bestimmten Zusammenfassung oder Bewertung der Antragsteller – einschließlich dessen Bewertung der Zuverlässigkeit einer Studie übereinstimmt, kann er diese direkt in seinen Bericht integrieren.“ Bei einer unterschiedlichen Bewertung würde diese mittels eigener Kommentare ausgedrückt. „Das BfR hat keineswegs die Sicht der Antragsteller und deren Interpretation entsprechender Studien unkritisch und ungeprüft übernommen“, heißt es weiter. Zudem verweist man auf zwei ausführliche Stellungnahmen zum Thema, hier und da.

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Ist Glyphosat nun krebserregend oder nicht?

Die Antwort auf diese Frage muss im Lichte der neuen Plagiatsstudie nicht zwangsläufig eine andere sein. Dass die Glaubwürdigkeit und das Ansehen des BfR unter den neuen Plagiatsvorwürfen leiden werden, ist freilich offensichtlich.

Dass in Zusammenhang mit Glyphosat immer wieder der Krebs-Verdacht geäußert wird, liegt an einer Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) aus dem Jahr 2015. Sie hatte den Wirkstoff als „wahrscheinlich krebserregend“ klassifiziert, allerdings völlig unabhängig von der Frage, in welchem Umfang man mit dem Stoff in Berührung kommen kann.

Zur Einordnung: Glyphosat steht dort in derselben Kategorie wie rotes Fleisch oder sehr heiß getrunkener Tee. Sonnenlicht und Alkohol sind demnach sogar als (sicher) krebserregend eingestuft. (Hier eine ausführlichere Erklärung.) Hinzu kommt: Für die EU-Bewertung von Pflanzenschutzmitteln gilt nicht die Einordnung auf einer IARC-Skala, sondern jene der Europäischen Chemikalienagentur ECHA, die Glyphosat nicht als krebserregend klassifiziert.

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Bei der Frage, ob dem Urteil des BfR oder dem der IARC eher getraut werden sollte, muss fairerweise wohl auch eine weiterer Aspekt erörtert werden: Einer der federführenden Köpfe, der bei der IARC mit Glyphosat betraut war, erhielt wohl kurz nach der Einstufung als „wahrscheinlich krebserregend“ zwei lukrative Beraterverträge mit Anwaltskanzleien. Diese wollen von Monsanto, jetzt Bayer, für mutmaßliche Glyphosat-Geschädigte hohe Summen einklagen und bauen ihre Argumentation auf das vermeintliche Krebsrisiko.

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Landwirt Lorenz Mayr erklärt, warum er Glyphosat als wichtiges Werkzeug des Bodenschutzes sieht. (Ausschnitt aus der „Im Kontext“-Reportage „Gift im Essen: Brauchen wir Pestizide?“ )

Neue Prüfung durch Health Canada

Vertraut man freilich vielen anderen Behörden in der Welt, dürfte Glyphosat als relativ sicher eingestuft werden. So hat erst vor vier Tagen die kanadische Gesundheitsbehörde vermeldet, dass sie ihre bis dato letzte Glyphosat-Bewertung aus dem Jahr 2017 nach dem Einlangen von acht Einwänden erneut geprüft hat. Ergebnis: Das Herbizid bleibt in Kanada zugelassen. Auf der Behörden-Website ist zu lesen: „Keine Pestizid-Regulierungsbehörde in der Welt betrachtet Glyphosat, in den Mengen wie Menschen damit in Kontakt kommen, derzeit als ein Krebsrisiko für Menschen.“

Umgekehrt lässt sich argumentieren, dass Europas Bürger alleine auf das Urteil ihrer eigenen Institutionen, wie in diesem Fall der EFSA bzw. dem BfR vertrauen können sollten. Warum sonst würde man sich diese Behörden überhaupt leisten wollen?

Auch um solchem Vertrauensverlust entgegenzuwirken, wird das EU-Parlament am Mittwoch über mehr Transparenz bei Pestizid-Zulassungsprozessen abstimmen. 

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