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„Nein, es geht nicht um Anti-Plastik“
14. Mai 2019 Plastik Lesezeit 4 min
Andrea Lunzer, Betreiberin eines verpackungsfreien Ladens, will nicht Teil der Anti-Plastik-Bewegung sein und warnt vor falschen Alternativen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Plastik und ist Teil 5 einer 5-teiligen Recherche.
Bild: Pamela Russmann

Frau Lunzer, Sie betreiben die Maß-Greißlerei im zweiten Bezirk in Wien, das ist ein verpackungsfreier Laden. Trotzdem lehnen Sie Plastik nicht prinzipiell ab – warum?

Ein Beispiel: Alle unsere Spender, in denen Produkte wie Nüsse oder Rosinen lagern, sind aus Plastik. Ich könnte es meinen Angestellten nicht zumuten, welche aus Glas herumzuschleppen, weil schon fünf Kilo an Lebensmitteln drin sind. Die Gefahr, dass sie kaputtgehen, wäre auch sehr hoch – Glasbruch ist bei Lebensmitteln etwas extrem Heikles, da provoziert man Lebensmittelverschwendung.

Wie gehen Ihre Kunden damit um? Kommen viele nicht zu Ihnen, weil sie Plastik vermeiden wollen?

Zu Beginn war das ein gewisses Problem, weil es doch teilweise eine Antiplastik-Bewegung gibt, die einfach einen Stoff verteufelt. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch gerechtfertigt, es gibt Kunststoffe, in denen hormonell wirksame Stoffe sind. Aber grundsätzlich ist der kurzlebige Einsatz eines Produkts viel problematischer als der Stoff selbst – deshalb sind Verpackungen auch so ein tolles Symbol. Wenn man sich ein Kipferl vom Bäcker kauft, ist es egal, ob das in Papier oder Plastik verpackt ist – ich hab das nur fünf Minuten verwendet.

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Das war vermutlich auch die Motivation hinter der Maß-Greißlerei?

Ich habe für eine große Lebensmittelkette gearbeitet und war dort für Verpackungen zuständig. Dort habe ich gesehen, dass es bei der Lebensmittelindustrie sehr wenig Verpackungskompetenz gibt – weshalb sie von der Verpackungsindustrie beraten wird. Und die sind natürlich daran interessiert, möglichst viel auf den Markt zu bringen. Ich hatte die Idee, eine unabhängige Stelle für nachhaltige Verpackungen ins Leben zu rufen. Aber es war innerhalb von kurzer Zeit klar, dass meine Ansätze für die Unternehmen zu radikal waren.

Deshalb der Schritt zum eigenen Laden?

Ich dachte mir, bevor man jetzt hergeht und alle Verpackungsmaterialen bilanziert, welches Material wie schlecht ist, könnte man auch davon ausgehen, dass bestimmte Dinge gar keine Verpackung brauchen. Im ersten Schritt haben wir Obst und Gemüse lose angeboten, der zweite war, Molkereiprodukte und Getränke wieder mit einem Pfandsystem anzubieten. Das war vor sechs Jahren, und ich sehe jetzt mit Vergnügen, dass sich auch große Ketten ändern und bei Obst und Gemüse dasselbe versuchen oder Bio-Supermärkte Unverpackt-Ecken einrichten.

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Ich war neulich bei einer Bio-Kette, und dort stapeln sich im Kassenbereich statt den Plastik-, jetzt eben die Papiersackerl in allen Größen – obwohl man weiß, dass die um nichts besser sind. Haben Sie das Gefühl, dass oft auf falsche Alternativen zu Plastik gesetzt wird?

Ja, und das ist schade. Die Supermärkte tun was, weil es der Trend ist und die Kunden Druck machen – aber die Lösungen sind nicht immer die richtigen. An der Milch in der Glasflasche kann man das gut sehen: Als die wieder eingeführt wurde, gab es große Freude, die plötzlich dadurch getrübt war, dass die überhaupt keine bessere Ökobilanz hat, solange es eine Einweglösung ist. Das haben sie gemacht, um die Kunden zu befriedigen, auch wenn es in Wirklichkeit keinen positiven Effekt hat: Das Tetrapak ist in diesem Setting mit diesem Vertriebsnetzwerk und den Großlagern wahrscheinlich das Sinnvollste und das Nachhaltigste. Das hätten sie nur kommunizieren müssen. Aber dann gibt es einen Antiplastikgipfel, und das Ministerium steigt mit ein und sagt, dass Plastik so böse ist; statt dass versucht wird, Verpackungen zu reduzieren und Mehrwegsysteme zu fördern.

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Sind die von vielen propagierten Bio-Kunststoffe die Lösung?

Gerade im Verpackungsbereich finde ich, dass man keine Bio-Kunststoffe einsetzen sollte. Weil es fälschlicherweise ein gutes Gewissen kreiert und die Konsumenten glauben, das können sie eh auf den Kompost schmeißen. Aber erstens ist die Umsetzung dieser Kompostierbarkeit eine schwierige Sache – weil viele Bio-Kunststoffe nur unter industriellen Bedingungen kompostierbar sind – und zweitens gibt es Studien, die belegen, dass diese Bio-Kunststoffe vielleicht eine Spur besser sind, dass das aber nicht wirklich relevant ist.

Besteht die Gefahr, dass die Antiplastikbewegung letzten Endes mehr Schaden verursacht, als sie Gutes tut?

Das glaube ich nicht. Es ist total legitim, diese Plastik-Diskussion zu führen – und es ist auch legitim, einen falschen Wissensstand zu haben und sich eines Besseren belehren zu lassen. Letzten Endes führt es zu einer Verbesserung, man sieht jetzt auch, dass es plötzlich heißt: Nein, es geht nicht um Anti-Plastik. Und Einwegglas ist auch keine gute Idee. Das ist wirklich ein Umdenken.

Überfordert es den Konsumenten nicht auch?

Die Frage, was sinnvoll ist und was nicht, sollte nicht von den Marketingabteilungen der Unternehmen beantwortet werden. Als Verpackungsdesigner weiß man ja schon gar nicht mehr, wo man das nächste Bio-Logo hinklatschen soll. Natürlich ist der Kunde damit überfordert. Und je größer das Unternehmen, desto größer das Budget, um dem Kunden beim Einkaufen ein gutes Gefühl zu geben. Der Konsument kann diese Aufgabe nicht erfüllen, und es ist auch nicht seine Aufgabe, immer das Richtige zu tun. 

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