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In die Tonne, aus dem Sinn: Warum so wenig Plastikmüll recycelt wird
18. Februar 2019 Plastik Lesezeit 9 min
Bis 2030 sollen 55 Prozent aller Plastikverpackungen recycelt und 90 Prozent aller Einwegflaschen gesammelt werden. Schaffen wir das?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Plastik und ist Teil 3 einer 5-teiligen Recherche.

Erst gestern sei sie wieder an der Donau gewesen, um dort Müll herauszufischen, erzählt Gudrun Obersteiner. Sie war nicht sehr erfolgreich. „Wir haben genau einen Strohhalm gefunden, drei Wattestäbchen, von den ach so bösen Einweglebensmittelverpackungen so gut wie nichts. Man findet viel undefinierbares Folienzeug, das schon sehr stark abgearbeitet ist, und wahnsinnig viele PET-Flaschen. Kleine und große Zuckerlpapierln. Und relativ viel Styropor, bei dem man nicht weiß, wo es herkommt“, erzählt sie. Obersteiner ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Abfallwirtschaft an der Wiener Universität für Bodenkultur und arbeitet am Projekt PlasticFreeDanube. Sie will herausfinden, welches Plastik in der Donau landet und woher es kommt. Das sei nämlich völlig unklar. „Plastik ist erst seit zwei bis drei Jahren ein Thema, seither recherchieren wir.“

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Kleines Plastik ist das große Problem

Klar ist bislang: Allzu viel ist es nicht, zumindest von dem, das mit freiem Auge sichtbar ist. „Das, was an Plastikverpackungen aus Deutschland und Österreich in die Flüsse geht, ist insgesamt null und nichtig“, sagt sie. Das Problem der Donau sei vielmehr jenes Plastik, das man nicht sieht: „Die Europäer sollten sich ums Mikroplastik kümmern, da sind wir verantwortlich. Mit der Kleidung, mit dem Reifenabrieb und so weiter. Das mit dem Makroplastik ist eh nett, aber das ist nicht das große Problem.“

Einer Studie des Umweltbundesamts zufolge transportiert die Donau bei Hainburg jeden Tag bis zu 66 Kilogramm Mikroplastik zumeist unbekannten Ursprungs. Aber was die Knotenbeutel für Obst und Gemüse betrifft, die derzeit im Fokus der Kritik stehen: „Da haben wir gestern keinen einzigen gefunden, die landen tendenziell eh im Müll“, sagt Obersteiner. Und was in Österreich im Müll landet, das ist die gute Nachricht, endet weder in der Donau noch im Meer. Anders als andere EU-Staaten exportiert Österreich nicht tonnenweise Plastikmüll in asiatische Staaten. Dafür produzieren die Österreicher vergleichsweise viel Plastikverpackungsmüll:

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Was passiert also mit einer PET-Flasche, die ausgetrunken und in den Müll geworfen wird? Zunächst einmal kommt es darauf an, wo sie hingeworfen wird: Landet sie im Restmüll, wird sie verbrannt. „Das ist immer so ein Irrglaube, dass das noch raussortiert wird, wenn man etwas in den Restmüll wirft – das geht eins zu eins in den Ofen. Der Kunststoff ist dann einfach weg und verursacht Emissionen“, sagt Christian Pladerer, Vorstandsmitglied des österreichischen Ökologieinstituts.

Selbst wenn die Flasche in der gelben Tonne landet, heißt das nicht, dass aus ihr wieder eine Flasche oder ein anderes Produkt wird – weil die Sortieranlagen nicht alle Flaschen ausfiltern können und nicht alle aussortierten Flaschen verwertbar sind. Insgesamt werden 58 von 100 PET-Flaschen wiederverwertet – und nur 24 Prozent davon werden wieder zu PET-Flaschen.

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Im Zuge ihrer Plastikinitiative will die EU dieses Problem angehen: Sie schreibt eine Sammelquote von 90 Prozent für Einwegplastikflaschen bis zum Jahr 2029 vor. Auch wenn sich Rewe (Billa, Merkur) und Spar dagegen aussprechen: „Viele in der Abfallwirtschaft glauben, wir werden um ein Pfandsystem bei PET-Flaschen nicht herumkommen“, sagt Gudrun Obersteiner. So wie in Deutschland, wo es ein Einweg- und ein Mehrwegpfandsystem gibt – und Rücklaufquoten von 95 Prozent. In Österreich hingegen werden vier Milliarden Getränkeverpackungen pro Jahr weggeworfen. Die Mehrweg-Quote in Österreich sei von 60 auf rund 20 Prozent gefallen, in Deutschland liege sie bei rund 45 Prozent – wobei dort ein Anfang 2019 verabschiedetes Verpackungsgesetz den Anteil auf 70 Prozent heben soll.

Die PET-Flaschen machen aber nur einen kleinen Teil des Plastikverpackungsmülls aus – weshalb Christian Pladerer vom Ökologie-Institut für möglichst viele Pfandsysteme plädiert: „Vom Coffee2Go- bis zum Joghurtbecher kann ich grundsätzlich alles bepfanden“, sagt er. Insgesamt werden von den rund 300.000 Tonnen Müll, die pro Jahr anfallen, nur rund 100.000 tatsächlich zu neuen Plastikprodukten – der größte Anteil geht in die thermische Verwertung, wird also verbrannt.

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Auch das will die EU steigern: Sie schreibt eine Recyclingquote von 55 Prozent bei Plastikverpackungen bis 2030 vor. Grundsätzlich sei das ein gutes Ziel, aber genau an diesem Ziel könnte wiederum ein Pfandsystem für PET-Flaschen – und andere Produkte – in der Praxis scheitern, sagt Christoph Scharff, Vorstand der Altstoff-Recycling-Austria (ARA). Würden PET-Flaschen nicht mehr in der gelben Tonne gesammelt, würde die dort anfallende Menge an Plastikmüll um 15 Prozent sinken, um den Anteil der PET-Flaschen eben. Um weiter wirtschaftlich zu bleiben, würde auch das Volumen der Sammelbehälter sinken müssen. Weil es nicht möglich sei, „bei den Containern 15 Prozent oben wegzuschneiden wie der Mundl beim Christbaum“, wie Scharff sagt, würden es weniger Container werden. Der Weg zur gelben Tonne für den einzelnen Konsumenten würde länger werden. „Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Convenience und Sammelmenge. Das heißt: Die Sammelmenge würde abnehmen. Ich muss sie aber um 65 Prozent steigern, um die EU-Ziele zu erreichen“, sagt Scharff. Aktuell steigt die Recyclingquote nur langsam.

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Um mehr zu recyceln, muss auch mehr getrennt gesammelt werden. Und es sei jetzt schon schwer, die Menschen zum Sammeln zu bewegen. „Die beiden Gruppen mit der niedrigsten Sammelquote aus unserer Sinusmilieustudie machen in Wien 29 Prozent aus. Die erreichen wir nicht.“ Scharff glaubt deshalb, dass die Lösung vielmehr darin liegt, einerseits die Sammelquote in den gelben Tonnen zu steigern und andererseits auch den Restmüll aufzutrennen und zu sortieren – was aktuell nicht geschieht. „Das ist natürlich kein Grund, alles in den Restmüll zu werfen, das schafft die Anlage auch nicht. Aber nur so schaffen wir die 90 Prozent Sammelquote.“

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Dass die Recyclingquote Österreichs mit 34 Prozent unter dem EU-Schnitt ist, sorgt Scharff nicht – die Zahlen seien falsch oder zumindest nicht vergleichbar: „Es waren bislang vier verschiedene Berechnungsmethoden zulässig, und Österreich hat immer nach der strengsten gerechnet“, sagt er. Der Recycling-Spitzenreiter Litauen etwa habe Plastikmüll importiert und recycelt, den es in seine Quote hineingerechnet hätte, obwohl dieses Plastik nie Teil der Ausgangsmenge war (so kommt Litauen auch auf eine Recyclingquote von über hundert Prozent bei Papier).

Deutschland beziehe sich bei seiner Recyclingquote von 48 Prozent auf die Menge, die in die Sortieranlage hineinkomme. „Wir messen, was verwertet wurde. Da liegen 15 Prozentpunkte dazwischen“, sagt Scharff. Nun wurden die Messmethoden vereinheitlicht, alle Staaten müssen in Zukunft die strengste Methode verwenden. „Unsere Zahlen werden halten und alle anderen radikal nach unten gehen“, sagt er.

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Umso mehr ist es fraglich, wie das EU-Ziel erreicht werden soll. „Das wird schwer, ich weiß es auch noch nicht genau“, sagt Scharff. Und: Wenn die EU das Ziel erreichen will, braucht es dafür noch die Infrastruktur. „Dann müssen wir die Kapazitäten verdreifachen. Nicht nur für die Verarbeitung, sondern auch für den Einsatz des wiederverwerteten Plastiks in sinnvollen Produkten. Das sollte ja kein Gartenzwerg werden“, sagt er. Zusätzlich hat China Anfang 2018 einen Importstopp für Plastikverpackungsmüll verhängt, weshalb in Europa die Preise in den Keller gefallen sind – viel mehr Angebot ohne eine große Nachfrage. Neu hergestelltes Plastik ist in vielen Fällen billiger als es recyceltes Plastik.

Die Alternative zum Recycling wäre Plastik, das kompostierbar ist und damit gar nicht zu Müll wird; einige Bio-Kunststoffe haben diese Eigenschaft. Aber für Plastik in der Biotonne funktioniert das Sortiersystem zu gut: „Es gelangt nie in die Kompoststufe, weil alle Plastiksackerl aussortiert werden. Es wird nicht erkannt, ob das Plastik kompostierbar ist oder nicht. Das ist ein romantisches Wunschdenken“, sagt Scharff. Und kompostierbares Plastik in der gelben Tonne könne sogar Schaden anrichten: „Das verunreinigt mir das Material, weil es einen anderen Schmelzpunkt hat.“ 

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Die Recherche

Am Anfang war das „Cookie Monster“. So wurde der kalifornische Anwalt Stephen Joseph genannt, weil er die Hersteller der Oreo-Kekse verklagte. Die Kekse enthielten Transfette, die sich irgendwann als gesundheitsschädlich herausstellten und mittlerweile in den gesamten USA verboten sind. Was das mit Plastik zu tun hat? Als ich über ebenjenen Stephen Joseph gestolpert bin, war ich erstaunt: Derselbe Mann, der sich erfolgreich mit der Lebensmittelindustrie anlegte und laut Eigenaussage die konservativen Republikaner hasst, ernannte sich danach zum Schutzherrn der Plastiksackerl und gründete eine „Save the Plastic Bag“-Initiative. Als Journalist wird man meistens hellhörig, wenn Menschen nicht die Meinung vertreten, die man von ihnen erwartet hätte.

Joseph erzählte meiner Kollegin Linda Kettler dann, er habe das Angebot, für die Plastiklobby zu arbeiten, zunächst auch empört abgelehnt. Er war vehementer Gegner der Sackerl, die Umwelt und Meere verschmutzen – so wie viele andere. Auch mich plagte beim Griff zum Plastiksackerl an der Kassa stets das schlechte Gewissen. Dann begann Joseph zu recherchieren. Dass es zum Beispiel einen Müllteppich im Pazifik von der Größe Texas’ gibt: einfach nicht wahr. Danach entdeckte er: Einwegpapiersackerl sind noch viel umweltschädlicher als die Alternativen aus Plastik. Jetzt ist er ein wortgewaltiger Lobbyist für die Plastiksackerl.

Und verliert seinen Kampf trotzdem. Plastik vermeiden will dieser Tage fast jeder, seit Jahren gab es kein Umweltthema mehr, auf das sich wirklich alle einigen können. Wenn ich Freunden von meinen Recherchen erzählt habe, bin ich oft auf Unverständnis gestoßen: Dass Plastik böse ist, sagt einem doch der Hausverstand, wahrscheinlich sogar schon der vom Billa. Klar, Plastik in den Meeren will niemand. Aber es verirrt sich auch kein Billa-Sackerl dorthin. Die Welt, in der wir leben, ist komplex und kompliziert, und egal mit welchen Experten wir gesprochen haben, fast alle warnen sie davor, zu voreilig auf den Zug aufzuspringen, der uns in eine plastikfreie Alternative führen soll. Aber es sei eben gerade angesagt, „über Plastiksackerl zu polemisieren“, meinte einer von ihnen. Auch wenn dadurch wichtigere Probleme wie der Klimawandel ins Hintertreffen geraten.

Anderes hat auch uns im Zuge der Recherchen Angst gemacht: Wie wenig wir über Mikroplastik wissen zum Beispiel. Und dass völlig unklar ist, ob es Folgen für den Menschen haben wird. Oder wie wir es vermeiden können. Aber dieser Aspekt geht zumindest in der politischen Debatte komplett unter. Für Mikroplastik gilt dasselbe wie für den Klimawandel: Man kann es weder sehen noch angreifen, und abstrakte Themen haben es immer schwerer. Da ist es viel leichter, Plastiksackerl zu verbieten, auch wenn die in Wahrheit nicht wirklich ein Problem sind.

So sind wir letzten Endes auf unseren Titel gekommen, dass Plastik besser als sein Ruf sei: nicht weil wir Plastik verherrlichen wollen. Aber weil es eben oft die bessere Alternative ist.

Thomas Trescher

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