Es gibt einen Widerspruch, mit dem man irgendwie umgehen muss, wenn man das Thema Platzverbrauch ernst nimmt: Einerseits zeigen alle Zahlen, dass Österreich über Jahrzehnte sehr verschwenderisch mit seinen Platzressourcen umgegangen ist – was nicht nur ökologische Folgen hat, sondern auch die Budgets der öffentlichen Hand mehr und mehr belastet , die längere Straßen, Strom- oder Wasserleitungen erhalten muss.
Andererseits zeigen Umfragen über Jahrzehnte sehr konsistent, dass ein überwiegender Teil der Österreicher am liebsten in einem eigenen Haus wohnen möchte – das geht leicht zurück, aber der Traum von den eigenen vier Wänden auf eigenem Grund lebt noch immer.
Das ist eine Diskrepanz, die man politisch auflösen muss – und dabei erzeugt man auf allen involvierten Ebenen Reibung. Eine, die diese Konflikte jahrelang erlebt hat, ist Ulrike Böker. Böker ist seit 2015 Landtagsabgeordnete für die oberösterreichischen Grünen, war davor aber zwölf Jahre lang Bürgermeisterin von Ottensheim, einer 4.400-Einwohner-Ortschaft wenige Kilometer außerhalb von Linz. Ihren Durchbruch – mit der Wahl Bökers zur Ortschefin – hatte ihre Bürgerliste bei der Gemeinderatswahl 2003 erzielt. Die damals stärkste ÖVP hatte bis dahin geplant, das Gemeindeamt vom historischen Rathaus auf dem Hauptplatz in einen Neubau am Ortsrand zu verlegen.
Böker und ihre Bürgerliste machten dagegen mobil – und gewannen die Wahl, das Gemeindeamt blieb im Ortszentrum. In den folgenden Jahren hat Böker das Raumordnungsthema und Bodenpolitik ins Zentrum der Ottensheimer Kommunalpolitik gestellt: Die Gemeinde versuchte aktiv, die Innenstadt zu beleben und die Widmung von Baugründen außerhalb des Kerngebiets zu unterlassen – was durchaus auf Widerstand stieß: „Mir hat einmal wer an den Kopf geworfen, ,Sie sind die größte Wirtschaftsvernichterin von Ottensheim‘“, erinnert sich Böker.
Trotzdem zieht sie eine positive Bilanz ihrer zwölf Jahre an der Ortsspitze – es sei durchaus gelungen, das Bewusstsein dafür zu verankern, dass der Platz – gerade in einer auch flächenmäßig kleinen Gemeinde wie Ottensheim – nicht endlos verfügbar sei. Als Beispiele nennt sie eine Initiative für regionale Produkte, mit der die Gemeinde den Wert von Streuobstwiesen bewusst machen wollte – und dass diese zu wichtig seien, als dass man sie einfach zubetonieren könnte.
Am besten sei es aber gelungen, das Thema sogar bei den Grundeigentümern zu verankern, indem man das örtliche Entwicklungskonzept – das ist die dem Flächenwidmungsplan übergeordnete Norm – unter intensiver Bürgerbeteiligung erarbeitet hat: „Das ist ein Prozess, der sowohl Bürgern als auch Verwaltung viel Aufwand verursacht“, sagt Böker, „aber es zahlt sich aus.“ Während andere Gemeinden oft nur abnickten, was Planer vorschlagen, erarbeiteten die Ottensheimer – auch auf Druck des Landes, das solche Konzepte einfordert – in langwierigen Plenar- und Ausschusssitzungen einen gemeinsamen Plan, wie man die Gemeindefläche nutzen wollte.
Das ist nur ein Ansatz, wie man als Land und Gemeinde vorgehen kann, um den Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen der Grundeigentümer (bzw. potenzieller Käufer), die eine möglichst gewinnbringende Nutzung anstreben – und jenen der Gesellschaft, in der auch politisch mehr und mehr bewusst wird, dass im Sinne der Nachhaltigkeit Rücksicht auf eine möglichst kompakte Bauweise und Raumplanung Vorteile bringt.
Andere Ansätze beziehen sich darauf, wie neues Bauland entsteht: Um Spekulation auf Umwidmungsgewinnen vorzubeugen, sind manche Gemeinden dazu übergegangen, nur noch Bauland auf Grundstücken zu widmen, die ihr selber gehören: Wenn etwa eine neue Siedlung entstehen soll, bietet die Gemeinde dem Grundeigentümer an, die Fläche zu einem Preis zu kaufen, der zwar über jenem von Grünland liegt, aber unter jenem von Bauland. Ist das geschehen, widmet der Gemeinderat um und verkauft den Grund wieder – mit der Auflage, dort binnen weniger Jahre zu bauen zu beginnen, sonst wird das Grundstück wieder rückgewidmet.
Der Grund für solche Maßnahmen – und das bereits erwähnte schrittweise Anziehen der Raumordnungsgesetze auf Landesebene – liegt auch darin, dass Österreich auf riesigen Baulandreserven sitzt: Wie eine Studie der Raumordnungskonferenz 2015 gezeigt hat, ist mehr als ein Viertel des Baulands in Österreich zwar als solches gewidmet – aber nicht bebaut:
Österreichweit liegen also mehr als 800 Quadratkilometer unbebautes Bauland brach – das ist zweimal die Gesamtfläche von Wien.
Das sieht dann so aus (rot ist bebautes Bauland, grün unbebautes):
Oder so:
Oder so:
Zwingen kann Grundeigentümer nach geltender Rechtslage niemand, ihr Baurecht zu nutzen. Aber die Folgen sind häufig, dass es gute, zentrumsnahe Baugründe gäbe, aber Gemeinden außerhalb neu widmen, weil die Eigentümer sie aus verschiedenen Gründen nicht nutzen wollen: etwa als Spekulation, weil sie „für die Familie reserviert“ sind, oder weil die Eigentümer – häufiger, als man denkt – uneinig über die zukünftige Nutzung sind.
Auch wenn die raumordnerische Regelungsdichte in ganz Österreich zunimmt (was Experten durchaus mit Wohlwollen sehen): Am Ende bleiben Eingriffe des Staates gerade in diesem sensiblen Feld, wo signifikante Vermögensfragen (Ist mein Grund Bauland oder Grünland?) mit persönlichen Lebensmodellen (Wie wollen wir wohnen, Wohnung oder Haus?) und langfristigen gesellschaftlichen Fragen aufeinandertreffen, eine hochpolitische Angelegenheit.
Das war der sechste Artikel unseres Projekts zum Thema Platzverbrauch. Zum Schluss machen wir einen Sprung zu Initiativen in ganz Österreich, die unterschiedliche Lösungsansätze für das Thema bieten.