Wer ein Haus bauen will, benötigt dafür zuerst ein Grundstück, das als Baugrund gewidmet ist und auf dem noch nichts gebaut ist. Solche Grundstücke gibt es in Österreich genügend, im Frühling 2016 waren es laut Umweltbundesamt 26,5 Prozent der gesamten Baufläche. Etwas mehr als ein Viertel der Böden, die für den Bau gedacht sind, sind also frei. Trotzdem werden nach wie vor freie Flächen neu als Bauland gewidmet. Das sorgt für Unmut.
Besonders viel Unmut gibt es darüber in Vorarlberg, wo der Anteil der gewidmeten und unbebauten Flächen mit 33,8 Prozent besonders hoch ist – obwohl von der Gesamtfläche des Bundeslandes nur 22,5 Prozent als Dauersiedlungsraum genutzt werden können, also nur 50 km2 mehr als die Fläche des Bodensees. Wegen des hohen Anteils der unbebauten und leer stehenden Flächen, der hohen Grundstückspreise und möglicher Neuwidmungen haben sich mehrere Bürgerbewegungen gebildet, die für eine effizientere Bodennutzung eintreten.
In Vorarlberg geht es aber nicht nur um leer stehende Flächen, sondern auch um deren Nutzung. Da nur ein geringer Anteil der Landmasse genutzt werden kann, ist die Nachfrage hoch. Steigt die Nachfrage, steigen aber auch die Grundstückspreise. Das kann zu Spekulationen mit dem Boden führen, als Baugrund gewidmete Grundstücke werden gehortet, aber nicht bebaut, um beim Verkauf einen größeren Gewinn zu erzielen. Das war auch für Josef Mathis, einen der Gründer der Initiative Vau Hoch Drei, eines der Motive, sich zu engagieren. Er hat als Bürgermeister der Gemeinde Zwischenwasser selbst gesehen, wie sich der Markt auswirkt: „Wohnen ist für junge Leute speziell im Rheintal sehr teuer geworden, für die ist es finanziell unmöglich, sich Baugrund zu schaffen und dann selber zu bauen.“
Mathis geht es aber nicht nur darum, die vorhandenen Baugründe zu nutzen, es soll auch zu weniger Neuwidmungen kommen. Die freien Flächen sollen besonders innerhalb der Siedlungsräume genutzt werden, Siedlungsränder abgesichert werden, um so Grün- und Freiflächen erhalten zu können. Das ist für Mathis nämlich nicht nur eine raumplanerische Frage: „Es geht nicht nur um Boden oder Raumordnung, es geht letztlich um Arbeitsplätze, Betriebe und soziale Gerechtigkeit.“
Einen stärkeren Fokus auf die freien Flächen hat die Initiative Bodenfreiheit. Sie sammelt Spenden, um damit Grundstücke zu kaufen, als freie Böden zu erhalten und so die Bodenfunktion zu bewahren. Die freien Flächen sollen aber nicht einfach brach liegen, sondern auch aktiv zum Nutzen der Gesellschaft beitragen. Für die „befreiten“ Grundstücke werden Nutzungskonzepte erstellt, sie werden je nach Lage und Bodenqualität als Gemeinschaftsgärten, Abenteuerspielplätze oder Fußballplätze genutzt.
Aufgrund des Engagements dieser Initiativen wurde im Herbst in Vorarlberg der erste Bürgerrat zum Thema Raumplanung veranstaltet. Das ist zwar kein bindendes demokratisches Mittel, zeigt aber, dass die Politik das Anliegen ernst nimmt. Experten sahen den Bürgerrat anfangs zwar kritisch, die Ergebnisse des Rates decken sich aber zu weiten Teilen auch mit den Forderungen von Vau Hoch Drei, findet Mathis.
Welche Wünsche der Initiativen beziehungsweise des Bürgerrates tatsächlich umgesetzt werden sollen, ist bis jetzt offen. Der Endbericht mit den Ergebnissen des Bürgerratsprozesses soll der Landesregierung in der ersten Novemberhälfte zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Einige der zentralen Vorschläge werden laut dem zuständigen Landesrat Karlheinz Rüdisser aber zumindest in den Entwurf zur Novelle des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes eingearbeitet.
Am anderen Ende Österreichs, in der Gemeinde Gänserndorf, gibt es seit 29. Juni 2016 eine Bausperre, zumindest für alles, was größer als ein Doppelhaus ist. Sie wurde verhängt, weil die Gemeinde sehr schnell gewachsen ist, in den letzten 15 Jahren um rund 30 Prozent der Einwohner – samt korrespondierendem Wachstum am Rande des Ortes. Damit soll jetzt Schluss sein, weil die Kosten für die benötigte Infrastruktur für die Gemeinde sehr hoch sind, wie Bürgermeister René Lobner sagt: „Wenn wir alles auf der grünen Wiese machen, müssen wir wieder die ganze Infrastruktur neu schaffen. Also Kanalisation, Beleuchtung, Straßen, Gehsteige und so weiter. Deshalb versuchen wir die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und lieber Baulücken zu schließen. Auch weil wir wissen, dass das enorme Folgekosten hat, zum Beispiel bei den Kindergärten.“
Jetzt will man zumindest in Gänserndorf diese Entwicklung am Ortsrand stoppen: „Wir versuchen, aktiv eine rund 6.000 m2 große Fläche der Gemeinde im Zentrum zu entwickeln und damit einen Platzcharakter zu schaffen. Das heißt, dass wir Grünelemente im Zentrum wollen, wir möchten aber auch Wohnfläche, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten und Sozialeinrichtungen errichten.“
Das, was Lobner beschreibt, ist das Prinzip der Innenverdichtung. Für die Raumforscherin und Raumplanerin Gerlind Weber von der Universität für Bodenkultur muss aber auch mit diesem Prinzip vorsichtig umgegangen werden, vor allem in größeren Städten: „Jetzt heißt das Zauberwort Verdichtung, und da sind wir genau in dem Dilemma. Erstens wird ökonomisch nur dort verdichtet, wo die Nachfrage groß ist, also zum Beispiel durch Dachbodenausbauten innerhalb des Gürtels in Wien. Das zweite ist die Frage der Gentrifizierung, dadurch entstehen nämlich in der Regel Luxuswohnungen, bei denen sich das ökonomisch auszahlt. Das Problem, dass für viele zu wenig leistbarer Wohnraum vorhanden ist, wird dadurch kaum gelöst.“
Um das Problem trotzdem zu lösen, werden teilweise Grünflächen in Innenstädten verbaut, die Lebensqualität sinkt dadurch. Weber zufolge müsste das Prinzip der Baulandzuteilung einfach nur umgedreht werden. Früher seien Grünflächen rund um Gebäude geschaffen worden, heute müssten Bauflächen sich am vorhandenen Grünnetz orientieren, damit genügend Erholungsräume für die Bewohner vorhanden sind. Wäre dieses Prinzip gleich befolgt worden, müssten in Gänserndorf nicht erst jetzt Grünflächen geschaffen werden, um die Innenstadt aufzuwerten.
Auch die sogenannte Leerstandsmobilisierung ist ein Lösungsansatz. Für Weber ist auch das ein Element mit Priorität: „Zuerst müsste man eigentlich den Leerstand und dann die Baulücken erfassen und kategorisieren. Dann sollten Verhandlungen mit den Grundeigentümern aufgenommen werden. Unter Umständen könnte man auch Sanktionen androhen. So hat man auch erschlossene Baugründe, die baulich nicht oder nur mangelnd genutzt werden.“
Eine Vorgehensweise, über die auch Bürgermeister Lobner in Gänserndorf schon nachgedacht hat: „Schön wäre es, wenn man auch als Kommune Instrumente hätte, mit denen man ein Stück weit lenken könnte. Wir haben jetzt die Bausperre verhängt, aber man könnte für die Zentrumsbelebung ja auch Anstoßfinanzierungen für Leerflächennutzung geben. Zum Beispiel indem man sagt: Ich befreie dich jetzt für eine gewisse Zeit von der Kommunalsteuer. Oder indem man einen gestützten Quadratmeterpreis einführt. Da muss man aber natürlich immer aufpassen, dass das in die richtige Richtung geht, sonst wäre es kontraproduktiv.“ Und kontraproduktiv will man nicht sein, wenn man versucht, die Gemeinde lebenswerter zu machen.
Am Ende bleibt jedenfalls die Herausforderung, die Nachhaltigkeitsforscherin Simone Gingrich von der Universität Klagenfurt bennent: „Lebensumstände zu schaffen für Menschen, die für die Menschen gut sind und für die Natur.“