Der Klubzwang wird heute als Maßnahme zur Sicherung der Regierungsmehrheit im Nationalrat, in den Landtagen und Gemeindevertretungen gesehen. Innerhalb eines parlamentarischen Systems, das darauf ausgelegt ist, stabile Mehrheiten zu garantieren, begreift man ihn oft als Notwendigkeit. Ein Vergleich mit den Alternativen zeigt seine Vorzüge und Nachteile.
In Österreich ist eine funktionierende Klubdisziplin das Eintrittsticket in die Regierung. Wer nicht garantieren kann, dass seine Mandatare für die gemeinsamen Vorhaben stimmen, gilt als nicht koalitionsfähig.
Die dadurch erzielte Stabilität bedingt eine geringer ausgeprägte Individualität im politischen Diskurs. Der einzelne Abgeordnete spielt eine kleinere Rolle, wenn er sich an den Beschlüssen der Regierung und des Klubs orientieren muss. Trotzdem bleibt sein Mandat frei. Letztlich entscheidet der Abgeordnete selbst, ob er sich dem Klubzwang unterwirft. Der Preis für ein Aufbegehren kann allerdings der Verlust des aussichtsreichen Listenplatzes bei der nächsten Wahl sein.
Ein gewisses Spannungsverhältnis zum freien Mandat bleibt bestehen. Gleichzeitig wird der Klubzwang durch das österreichische Wahlrecht gefördert. Die Abgeordneten verdanken in der Regel ihr Mandat denjenigen, die später im Nationalrat ihre Loyalität einfordern: den Parteien. Sie ziehen über deren Listen ins Parlament ein, Vorzugsstimmen spielen eine untergeordnete Rolle. Welche Partei wie viele Mandate erhält, entscheiden die Wähler, wer genau im Parlament sitzt, folgt den Wünschen der Parteien.
Gleichzeitig wird ein Großteil der legistischen Arbeit in den Bundesministerien erledigt, denn der Nationalrat verfügt nicht über die personellen Ressourcen, um Fachgesetze selbst ausarbeiten zu können. Immer wieder beschränkt sich die parlamentarische Arbeit auf die Diskussion und Anpassung von Regierungsvorlagen in den Ausschüssen. Auch so wird die Gestaltungsmöglichkeit der Abgeordneten verringert und der Klubzwang gestärkt.
Die besondere Strenge des Klubzwangs ist für Österreich spezifisch. Mehrheitswahlsysteme wie das britische oder Mischsysteme wie das deutsche, bei dem auch Direktmandate vergeben werden, begünstigen selbstbewusste Parlamente. In Frankreich wiederum ist der Klubzwang trotz Mehrheitswahl stärker als im Vereinigten Königreich. Die Nationalversammlung wird kurz nach dem Staatspräsidenten gewählt, was die Abstimmung zu einem Vertrauensvotum für das neue Staatsoberhaupt macht. Außerdem kann die Regierung jedes Gesetzesvorhaben mit der Vertrauensfrage verbinden und so ihre Abgeordneten zur Einigkeit drängen.
In den USA, wo die Regierung nicht das dauerhafte Vertrauen des Kongresses benötigt, entfaltet die Gesetzgebung eine viel freiere Tätigkeit. Ähnliches gilt für das Europäische Parlament, das die Kommission lediglich zu Beginn seiner Legislaturperiode bestätigen muss und diese danach nur mit Zweidrittelmehrheit abberufen kann. Der Klubzwang spielt eine geringere Rolle. Das stärkt die Unabhängigkeit des Parlaments, erhöht aber auch die Wahrscheinlichkeit von Blockaden gegen die Regierung.
Intensität und Ausgestaltung des Klubzwangs hängen vor allem vom politischen System ab, aber auch von der politischen Kultur. Den österreichische Klubzwang gab es aber bereits, als er noch nicht gebraucht wurde, um stabile Regierungsmehrheiten zu garantieren. Er reicht in die Zeit zurück, als Landtage und Reichsrat noch nicht demokratisch gewählt wurden.
Zur Zeit der Monarchie ist die Regierung nur dem Kaiser verantwortlich. Das Parlament hat die Macht über das Budget, aber nicht über die Minister, die es verwalten. Dass die k. k. Regierung das Vertrauen des Parlaments nicht unbedingt braucht, reduziert ihre Verantwortlichkeit, gleichzeitig aber haben die Abgeordneten die Freiheit, abseits der Zwänge einer Regierungskoalition freie Allianzen zu bilden. Das passiert allerdings nur eingeschränkt, Grund dafür ist unter anderem der Klubzwang.
Erstmals erwähnen den Klubzwang die Tiroler Zeitungen im August 1870. Der von den Ständen beschickte Landtag kann seine Arbeit nicht aufnehmen, weil katholische Mitglieder sich weigern, das vorgeschriebene Gelöbnis zu leisten. Sie wollen sich nur unter dem Vorbehalt angeloben lassen, dass sie die Gesetze nicht befolgen werden, wenn sie gegen ihre religiösen Überzeugungen verstoßen. Der konservative Abgeordnete Cäsar Ohnestinghel, so berichtet die Lokalpresse, beschwert sich bei einem liberalen Kollegen, die Gelöbnisverweigerung sei eine Schande, er sehe sich aber durch den Klubzwang gebunden.
Schließlich geben die Ultramontanen, wie die klerikalen aufgrund ihrer Romtreue genannt werden, ihren Widerstand auf. Der Klubzwang aber lebt weiter. Im Reichsrat der Monarchie spielt er eine wesentliche Rolle, um verschiedene Parteien in einer Fraktion zusammenzuhalten. Dabei spielen nicht nur politische, sondern vor allem auch nationale Überlegungen eine Rolle. So schließen sich beispielsweise verschiedene Gruppierungen zum sogenannten Polenklub zusammen. Der Klubzwang hält aber nicht immer und kann letztlich die Kluft zwischen den Parteien und Nationalitäten nicht überbrücken.
Die Klubdisziplin ist als Erbe der Monarchie von Anfang an Teil des republikanischen Parlamentarismus, auch weil er international vorherrscht und das Lagerdenken in der Ersten und zu Beginn der Zweiten Republik den innerparteilichen Zusammenhalt begünstigt. In den vergangenen Jahren zeigt der freiwillige Zwang zum uniformen Abstimmungsverhalten jedoch Risse: Von den ehemaligen sozialdemokratischen Abgeordneten Sonja Ablinger und Daniela Holzinger ist bekannt, dass sie in den vergangenen Jahren gegen ihre eigene Partei gestimmt haben. Die FPÖ ist sich beim EU-Beitritt Kroatiens derart uneins, dass gleich sieben Abgeordnete von der Fraktionslinie abweichen und Klubobmann Strache den Saal verlässt.
Holzinger ist nun Abgeordnete im Klub der Liste Pilz, die keinen Klubzwang kennt. Deren Obmann Peter Kolba bat bei der ersten Sitzung der neuen Gesetzgebungsperiode am 9. November 2017 um eine 100-tägige Schonfrist für seine Fraktion, man müsse sich erst konsolidieren. Dazu könnte Klubzwang durchaus einen Beitrag leisten. Neben Verlässlichkeit ist inhaltliche Konsistenz einer seiner Vorzüge. Eine Partei, die keine gemeinsamen Positionen hat, tut sich schwer, welche im politischen Diskurs unterzubringen.