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100 Jahre Frauenwahlrecht
2. November 2018 Politometer Lesezeit 9 min
Vor 100 Jahren erhielten die österreichischen Frauen das Wahlrecht, zeigten aber beim Stimmverhalten wenig Dankbarkeit für jene, die sich dafür eingesetzt hatten.
Bild: ÖNB-Bildarchiv | picturedesk.com

Über die Daten

Als Datenquelle wurde die Website des Parlaments verwendet, außerdem wurden eigene Berechnungen durchgeführt. Visualisiert wurde für jede Gesetzgebungsperiode jeweils der Stand am Tag der Angelobung. Schwankungen innerhalb der Legislaturperioden werden nicht dargestellt.

Vor 100 Jahren erhielten die Österreicherinnen das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Ein Jahr später zogen die ersten weiblichen Abgeordneten ins Parlament ein. Eine Grafik und ein Text erklären, wie sich die Rolle der Frauen in der österreichischen Demokratie entwickelt hat.

1919 wird die Konstituierende Nationalversammlung gewählt. 53,5 Prozent der Wählerschaft sind weiblich; acht Frauen ziehen in die Nationalversammlung ein.
Die übrigen 151 Sitze entfallen auf Männer. Da Frauen mit unterschiedlichen Stimmzetteln wählen müssen, wird bekannt, dass sie konservativer wählen als Männer.
Die christlichsoziale Olga Rudel-Zeynek übernimmt 1927 für die Steiermark den Vorsitz im Bundesrat. Sie ist damit weltweit die erste Frau, die einer Parlamentskammer vorsteht. 1929 wird in Wien die „Österreichische Frauenpartei“ gegründet.
Bei der letzten Nationalratswahl der Ersten Republik im Jahr 1930 erhalten die zunehmend autoritären Christlichsozialen und Heimwehren 58 Prozent ihrer Stimmen von Frauen.
1951 tritt Ludovica Hainisch-Marchet als einzige Frau bei der ersten Volkswahl des Bundespräsidenten an. Sie erhält im ersten Wahlgang 0,05 Prozent der Stimmen.
Grete Rehor tritt 1966 als erste Frau in eine österreichische Regierung ein. Der Bundespräsident ernennt sie zur Sozialministerin in der ÖVP-Alleinregierung von Bundeskanzler Josef Klaus.
Der Frauenanteil im Nationalrat ist nach wie vor gering und liegt 1970 sogar unter fünf Prozent. Erst 1986 steigt er über zehn Prozent.
Einen Sprung gibt es 1990, als knapp 20 Prozent der Sitze auf weibliche Abgeordnete entfallen. Nach der Nationalratswahl 1995 sind ein Viertel der Abgeordneten Frauen.
Die Sozialdemokratin Barbara Prammer wird 2006 als erste Frau zur Präsidentin des Nationalrates gewählt.
Zwischenzeitlich sinkt der Frauenanteil wieder, bis 2017 mit 34 Prozent vorläufig ein neuer Höchststand erreicht wird. Aktuell liegt er bei 37 Prozent. (Stand November 2018)
Die Mehrheit der Wahlberechtigten waren in der Ersten und Zweiten Republik immer Frauen. Nimmt man diesen Wert als Maßstab für die Zahl der Mandate, die Frauen besetzen sollten, dann besteht immer noch eine beträchtliche Kluft.
Seit den 1990er-Jahren ist diese Kluft deutlich geringer geworden, aber nach wie vor „fehlen“ etliche Sitze auf eine Vertretung, die dem Anteil der Frauen unter den Wahlberechtigten entspricht.
Insgesamt entfielen in der Ersten Republik rund fünf Prozent aller Sitze im Nationalrat auf Frauen, in der Zweiten Republik waren es rund 16 Prozent.
Der Anteil der Sitze für Frauen variiert von insgesamt 50 Prozent bei den Grünen bis 11 Prozent bei der ÖVP. Vergleicht man nur den Zeitraum 1986-2013 (alle vier Parteien im Nationalrat vertreten), dann landet die ÖVP bei 21 Prozent, die SPÖ bei 28 und die FPÖ bei 19 Prozent.
Von den 621 Sitzen, die zu Beginn der jeweiligen Gesetzgebungsperioden Frauen innehatten, stammen 285 bzw. rund 46 Prozent von der SPÖ.
In den einzelnen Gesetzgebungsperioden gibt es teils große Schwankungen, wobei lange nur die Grünen der 50-Prozent-Marke nahegekommen sind bzw. sie übersprungen haben. Mittlerweile besteht etwa auch der Nationalratsklub der NEOS aus fünf Frauen und fünf Männern.
Noch zwei Details: Bei der FPÖ dauerte es bis 1983, bis die erste Frau in den Nationalrat einzog. Helene Partik-Pablé wurde in weiterer Folge zur (bisher) längstdienenden Abgeordneten mit 8.562 Tagen.
Als 1986 Freda Meissner-Blau als erste Spitzenkandidatin eine Partei in den Nationalrat führte, waren die weiteren sieben Abgeordneten der Grünen ausschließlich Männer.

Marianne Hainisch war alt – darauf wies sie auch selbst hin – als sie 1911 gebeten wurde, ein Geleitwort für die neue „Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht“ zu verfassen. Die damals 71-Jährige war in Österreich seit Jahrzehnten als Verfechterin für Frauenrechte bekannt. Nachdem der Ehemann einer ihrer Freundinnen verarmt war und diese keine Arbeit finden konnte, hatte Hainisch begonnen, sich insbesondere für die Arbeits- und Bildungsbedingungen der Frauen einzusetzen. 1902 gründete sie den „Bund Österreichischer Frauenvereine“, der als überparteiliches Sammelbecken diente. Ihre Stimme hatte in der Frauenbewegung besonderes Gewicht, weil sie als Bürgerliche neue Anhänger jenseits der ohnehin für die Gleichberechtigung agitierenden Sozialdemokratie ansprechen konnte.

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Bildung vor Wahlrecht?

Die Industriellengattin war eine nachdrückliche Verfechterin ihrer Sache. Sie forderte Arbeitsmöglichkeiten für Frauen ebenso wie deren gleiche Bezahlung und die Öffnung aller Schulen für Mädchen. Nach langen Bemühungen erreichte sie die Gründung von Mädchengymnasien und die Öffnung der medizinischen sowie der philosophischen Fakultät für Studentinnen. Da Frauen zunächst keinen freien Bildungszugang genossen, beruhigte Hainisch die Ängste der Konservativen noch: Nachdem Frauen ohnehin nur eine „geringe Ausbildung“ genießen könnten, wäre an ein Frauenwahlrecht vorerst nicht zu denken.

Das war 1870. Nach 41 Jahre sollte Hainisch freilich zum Schluss kommen, dass eine höhere Bildung für viele Frauen nicht zu erreichen sei, solange sie keine politisch gleichberechtigten Menschen waren und kein Wahlrecht besaßen. Ihr sei „der Stimmzettel noch immer kein Herzensanliegen“, sie sei aber mittlerweile der Ansicht, dass das Frauenwahlrecht „das Alpha und Omega zur Erlangung der Gleichberechtigung der Frau ist“, schrieb Hainisch daher 1911 in ihrem Artikel. Sie ging damit auf Linie mit sozialdemokratischen Frauenrechtlerinnen wie Adelheid Popp oder Therese Schlesinger und erhöhte so den Druck auf die bürgerlichen Parteien.

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Für die Männer geopfert

Die Debatte über das Frauenwahlrecht hatte nach der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechtes 1907 wieder an Fahrt aufgenommen. Zuvor galt ein Zensuswahlrecht. Die Staatsbürger wurden in Steuerklassen eingeteilt, die über das Gewicht der jeweiligen Stimme entschieden. Die Sozialdemokratie hatte jahrzehntelang für das allgemeine Wahlrecht gekämpft, bis schließlich selbst der Kaiser einlenkte und Druck ausübte, damit es beschlossen wurde. Die bittere Pille: Das Frauenwahlrecht, das die Sozialdemokratie auf Antrag von Therese Schlesinger am Parteitag ein Jahr zuvor zur Forderung erhoben hatte, war gegenüber den bürgerlichen Kräften nicht durchzusetzen. Der Christlichsoziale Albert Geßmann erklärte bei der Debatte zum allgemeinen Wahlrecht im Reichsrat, er hätte grundsätzlich nichts gegen ein Frauenwahlrecht, doch würde dadurch eine „Störung in der Familie Platz greifen“.

Die Befürchtungen der Gegner waren diffus. Schließlich hatten Frauen bis 1888 das Wahlrecht in den Gemeinden besessen und Großgrundbesitzerinnen bis 1907 jenes zu Landtagen und Reichsrat. Es sei bekannt, so hieß es in einem 1906 in der Neuen Freien Presse erschienenen Kommentar, dass solche Frauen „zu ganz absonderlichen Drohungen gegen ihre Ehegatten“ gegriffen hätten, um deren Stimmabgabe zu beeinflussen. Würden aber Frauen ohnehin gleich wählen wie ihre Männer, bekämen diese so gewissermaßen eine zweite Stimme geschenkt. Zudem seien Frauen zu emotional für die Politik.

Die Presse äußerte eine weitere Befürchtung: „Die Wahlberechtigten weiblichen Geschlechts wären statistisch nachweisbar in der Mehrheit.“ Dadurch werde ein mehrheitlich weibliches Parlament früher oder später ebenso möglich wie Ministerinnen. Bis zur ersten Frau in einer österreichischen Regierung sollte es freilich noch 60 Jahre dauern.

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Die revolutionäre Stunde

Die Stunde des Frauenwahlrechtes kam jedoch früher. Das Ende der Monarchie öffnete 1918 ein Fenster für die Sozialdemokratie. Sie konnte viele ihrer Forderungen durchsetzen, weil sich die Christlichsozialen vor noch Schlimmerem – nämlich der Ausrufung einer Räterepublik – fürchteten. Neben der Arbeitslosenversicherung und der Einführung von Betriebsräten sowie der Arbeiterkammern, stand das Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts ganz oben auf der sozialdemokratischen Wunschliste.

Zudem hatten die Frauen in der Kriegswirtschaft die Positionen der Männer gefüllt und die Wirtschaft lange vor dem Kollaps bewahrt. Der neue österreichische Staat konnte sich der Forderung nach dem gleichen Wahlrecht daher nicht weiter verschließen, wie es der alte getan hatte.

Die österreichischen Frauenvereine wandten sich mit einer Petition an die provisorische Nationalversammlung, die in deren Sitzung vom 30. Oktober verlesen wurde: „Die Demokratie wäre keine Demokratie, wenn sie nicht das ganze Volk umfassen würde.“ Die Abgeordneten reagierten mit Bravorufen.

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Wahlpflicht der Frauen wegen?

Doch die junge Republik kam nicht zur Ruhe. Die Gräben zwischen den politischen Parteien rissen allerorts auf. Die Christlichsozialen wollten eine Wahlpflicht einführen, um die konservativen Frauen an die Urnen zu zwingen, konnten sich aber gegen die Sozialdemokraten vorerst nicht durchsetzen.

Die erste Wahl der Republik brachte trotzdem eine hohe Wahlbeteiligung: 84,5 Prozent der Wahlberechtigten schritten zu den Urnen. Obwohl 53,5 Prozent der Wahlberechtigten Frauen waren, lag ihre Wahlbeteiligung mit 82,3 Prozent unter dem Durchschnitt. In der 1919 neu gewählten Konstituierenden Nationalversammlung waren erstmals acht Frauen – sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlichsoziale – vertreten, 151 weitere Abgeordnete waren Männer.

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Die konservativen Frauen

Die Wahlbeteiligung der Frauen blieb auch bei den folgenden Wahlen, wie von den Christlichsozialen befürchtet, niedriger als bei den Männern. Besonders gravierend war der Unterschied im Süden und im Osten, während er in Vorarlberg – dem einzigen Bundesland mit Wahlpflicht – 1923 nur 0,6 Prozentpunkte betrug. Bei den folgenden Wahlen wurden verschiedenfarbige Wahlzettel eingesetzt, um dem Wahlverhalten der Frauen auf den Grund zu gehen. Die Sozialdemokraten waren vom Ergebnis wenig erfreut: Ihr jahrzehntelanger Einsatz für das Frauenwahlrecht hatte sich nicht ausgezahlt, die Frauen wählten konservativer als die Männer.

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Marianne Hainisch erlebte das alles noch. Sie kandidierte sogar 1919, knapp vor ihrem 80. Geburtstag, für die Bürgerlich-Demokratische-Partei, die jedoch mit 1,64 Prozent der Stimmen den Einzug in die Nationalversammlung verpasste. Hainisch, die den Muttertag in Österreich einführte und noch mit 90 eine neue Frauenpartei gründete, blieben politische Ämter letztlich versagt. Dafür machte ein Mann Karriere. Mariannes Sohn Michael Hainisch wurde 1920 zum ersten Bundespräsidenten gewählt. 

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