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Der Politometer – eine Bilanz
14. September 2020 Politometer Lesezeit 7 min
Seit fast drei Jahren dokumentiert der Politometer von Addendum das Abstimmungsverhalten und die Anwesenheit im Nationalrat: eine Bilanz der aktuellen Gesetzgebungsperiode.
Bild: APA

Seit 7. Jänner 2020 wird Österreich zum ersten Mal von einer Bundesregierung aus ÖVP und Grünen regiert. Im Nationalrat brachte dies jedoch keine Änderung: In 98 Prozent der Abstimmungen votierten Grüne und ÖVP für dieselben Anträge. Die aktuelle Bundesregierung ist daher genauso stabil wie frühere Bundesregierungen, denn die wenigen Abstimmungen, in denen zwischen den beiden Parteien kein Konsens erzielt wurde, fanden noch vor der Ernennung und Angelobung der türkis-grünen Regierung statt. Seit ihrer Angelobung kam es zwischen den beiden Regierungsparteien zu keiner Abweichung mehr.

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Wer geht mit wem?

Zwischen ÖVP-Grünen-Koalition und den Oppositionsparteien ergaben sich bei verschiedenen Themen immer wieder Schnittmengen. In der derzeitigen Gesetzgebungsperiode des Nationalrates war das am häufigsten bei den NEOS der Fall, am seltensten stimmte die FPÖ mit der Regierungsmehrheit. In den Themenbereichen Arbeit und Soziales leisteten FPÖ und NEOS überraschenderweise wesentlich stärkeren oppositionellen Widerstand als die SPÖ, was auch damit zu tun haben kann, dass die Sozialdemokratie während der Corona-Krise immer wieder als Beschafferin von Zweidrittelmehrheiten diente.

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Im österreichischen Parlamentarismus sind die Fälle, in denen ein Oppositionsantrag beschlossen wird, selten gesät. Von den Oppositionsparteien waren die NEOS mit ihren Anträgen bei den Regierungsparteien am erfolgreichsten: In 20 Prozent der Fälle fanden diese die Zustimmung der ÖVP, die Grünen gingen sogar bei einem Viertel mit. Die SPÖ erntete hingegen nur in drei (ÖVP) und vier Prozent (Grüne) die Zustimmung der Koalitionsklubs. Bei der FPÖ gingen es sogar nur zwei Prozent der Anträge durch

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Überraschend ist, dass Philippa Strache in vielen Fällen der SPÖ-Linie folgte: Sie stimmte für 84 Prozent der sozialdemokratischen Anträge, während die Vorschläge der FPÖ nur zu 58 Prozent Straches Zustimmung fanden.

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Die Vielsprecher

ÖVP-Klubobmann August Wöginger spricht deutlich häufiger und länger als seine Kollegin von den Grünen, Sigrid Maurer. Er setzt sich auch sehr deutlich von seinem Klub ab. Während Wöginger 28 Reden hielt, sprach der zweitgereihte Abgeordnete der ÖVP, Michael Hammer, nur 16-mal. Auf die 183 Minuten Sprechzeit Wögingers folgte Karlheinz Kopf mit nur 82 Minuten. Absoluter Rekordhalter in Sachen Sprechdauer ist jedoch FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl: Seit Beginn der Gesetzgebungsperiode redete er 230 Minuten lang im Plenum. Seine Kollegin Dagmar Belakowitsch hielt die meisten Reden unter den Abgeordneten: 44 waren es bisher.

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Unter den Regierungsmitgliedern taten sich vor allem Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Klimaministerin Leonore Gewessler als Vielredner hervor. Beide sprachen je 18-mal vor dem Nationalrat. Im Vergleich dazu hielt Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht einmal halb so viele Reden. Am seltensten trat Verteidigungsministerin Klaudia Tanner auf, die nur zweimal ans Mikrofon trat. Am wenigsten sprach, mit insgesamt nur 15 Minuten, Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler.

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In Sachen Anwesenheit

Der ÖVP-Klub legte eine beinahe militärische Anwesenheitsdisziplin an den Tag. Die Abgeordneten mit der höchsten Teilnahmerate an Abstimmungen waren durchwegs ÖVPler.

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Mandatare, die über die Bundesliste einzogen, waren – mit Ausnahme der Grünen – im Schnitt seltener anwesend als jene aus Regional- und Landeswahlkreisen. Am deutlichsten zeigt sich diese Tendenz bei der FPÖ. Hier ist zwar zu beachten, dass Norbert Hofer als Dritter Nationalratspräsident mit Bundeslistenmandat die Statistik drückt, da er nicht an den Abstimmungen teilnimmt, wenn er den Vorsitz führt. Allerdings gehört auch FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl zu den Abgeordneten mit der schlechtesten Anwesenheit und trägt entsprechend zum Bundeslistentief der Freiheitlichen bei.

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Die Opposition fehlt häufiger

Generell bestätigte sich der bereits in den Vorjahren durch die Politometer-Erhebungen dokumentierte Trend, nach dem Oppositionsparteien im Schnitt schlechtere Anwesenheiten aufweisen als die Klubs der Regierungsmehrheit. Lag die Anwesenheit der FPÖ im ersten Jahr der letzten Gesetzgebungsperiode noch bei 89,1 Prozent, sank sie seit Verlust der Regierungsbeteiligung auf 78 Prozent. Die FPÖ war damit die einzige Parlamentspartei, deren Anwesenheit sich im Vergleich zu 2018 verschlechterte – sieht man von der Liste JETZT ab, bei der sie naturgemäß auf null sank. In der aktuellen Gesetzgebungsperiode sind ÖVP (95 Prozent) und Grüne (92 Prozent) Spitzenreiter, gefolgt von NEOS (84 Prozent) und SPÖ (82 Prozent).

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Auch der Abgeordnete mit der geringsten Anwesenheit bei Abstimmungen, der nicht im Präsidium sitzt, saß im FPÖ-Klub: Der Niederösterreicher Christian Hafenecker war nur bei 40 Prozent aller Abstimmungen im Saal. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wiederum zeichnete sich durch ein, für einen vorsitzführenden Präsidenten sehr reges Abstimmungsverhalten aus. Er nahm an immerhin 59 Prozent jener Abstimmungen, bei denen er nicht selbst den Vorsitz führte, teil – rechnet man seine Vorsitzführung nicht heraus, waren es immerhin noch 41 Prozent und damit mehr als bei Hafenecker.

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Was bleibt?

Der Politometer hat seit der ersten Sitzung der XXVI. Gesetzgebungsperiode am 9. November 2017 die Abstimmungen im Nationalrat fotografiert uns ausgewertet. Das Parlament selbst erhebt weder, wer im Plenum anwesend ist, noch wie die einzelnen Abgeordneten abgestimmt haben. Durch die Arbeit des Politometer-Teams konnte unter anderem ein Auszählungsfehler aufgedeckt werden.

Aufgrund der Corona-Krise wurden einige Abstimmungen während des Lockdowns nicht dokumentiert. Eine weitere musste aufgrund eines unscharfen Fotos ausgeschieden werden. Derzeit laufen Bemühungen, die Abstimmungsdokumentation unter einem anderen Dach weiterzubetreiben. Der Politometer ist bis auf Weiteres unter [email protected] erreichbar. 

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Methodik: Wie wir Reden, Anwesenheiten und Abstimmungsverhalten erfasst haben

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  • Redezeiten: Die Dauer und Anzahl der Reden wurden von den Webpage des Nationalrats gescrapt und umfasst alle Reden, die seit dem 23.10.2019 im Plenum des Nationalrats gehalten wurden. Abgeordnete, die ihr Nationalratsmandat seit diesem Zeitpunkt zurücklegt haben, sind in der Darstellung bis zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens enthalten.
  • Anwesenheiten: Die Anwesenheiten von Abgeordneten wurden von den Politometer-Mitarbeitern für jede Abstimmung dieser Gesetzgebungsperiode fotografisch festgehalten. Am Höhepunkt der Corona-Krise wurde für die Plenarsitzungen am 03.04.2020 das Plenum auf die Hälfte der Abgeordneten reduziert. An diesem Tag sowie am 19.03.2020 waren die Politometer-Mitarbeiter nicht anwesend. Aus diesem Grund liegen für die Abstimmungen dieser Sitzungen keine Daten vor und wurden daher nicht in die Analysen mit einbezogen. Darüber hinaus wurden drei Abstimmungen in der Sitzung am 10.01.2020 sowie eine Abstimmung in der Sitzung am 26.05.2020 aus technischen Gründen aus der Analyse ausgeschlossen.
  • Abstimmungsverhalten: Für die Abstimmungsergebnisse auf Klubebene wurde das individuelle Abstimmungsergebnis aggregiert und – sofern es Abweichungen innerhalb der Klubs gab – das Mehrheitsergebnis verwendet. Abweichungen von der Fraktionslinie kamen aber auch in dieser Gesetzgebungsperiode nur in sehr wenigen Fällen vor.
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Die Redaktion von Addendum hat mit 15. September 2020 ihren Betrieb eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch diese Website letztmalig aktualisiert. Hier finden Sie das vollständige Archiv unserer Rechercheprojekte.
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Das Addendum-Team, September 2020