Während unserer Recherchen haben wir auch bei der Polizei angefragt, wie viele den Polizei-Aufnahmetest (nicht) bestehen.
Die Auskunft des Innenministeriums zeigt: Nicht jede staatliche (Aufnahme-)Prüfung hat eine positive Abschlussquote von 100 Prozent. So haben zwischen März 2019 und Jänner 2020 4.611 Personen das Polizei-Auswahlverfahren begonnen. Knapp zwei Drittel erfüllten die (Mindest-)Aufnahmekriterien. Diese werden gereiht und je nach Ausbildungsplatz in den Polizeidienst aufgenommen, so der Ressortsprecher des Ministeriums.
Heißt: Hier kommt es – im Unterschied zu den Dienstprüfungen am Ende der Grundausbildung – tatsächlich zu einer Auslese.
Ein Relikt aus alten Zeiten sorgt in Österreich dafür, dass öffentlich Bedienstete sogenannte Dienstprüfungen absolvieren müssen. Und zwar am Ende einer mehrjährigen Grundausbildung. Fallen sie mehrmals durch diese Prüfung, müssen sie aus dem Dienst ausscheiden. Das soll langfristig zu einer besseren Qualität in der Verwaltung führen. Was in der Theorie gut klingt, findet in der Praxis aber nicht statt.
Nach einem Hinweis hat Addendum im Februar alle Bundesministerien und Sozialpartner zu den abgehaltenen Dienstprüfungen angefragt. Es stellt sich heraus: In jenen Ministerien, die uns antworteten und in denen Dienstprüfungen abgenommen werden, gab es keinen einzigen öffentlich Bediensteten, der aufgrund des Nicht-Bestehens aus dem Dienst ausscheiden musste. In fünf Ressorts gab es seit 2010 immerhin knapp 3.300 Dienstprüfungen.
Allein im Finanzministerium und seinen nachgeordneten Dienststellen wurden in den letzten zehn Jahren mehr als 2.500 Dienstprüfungen abgehalten. Auch hier: letztlich niemand durchgefallen. Während im Justizministerium keine Prüfungen abgenommen werden – die Beamtenschaft dort rekrutiert sich großteils aus Richtern und Staatsanwälten – fielen auch im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus und seinen Vorgängerressorts alle 144 abgehaltenen Dienstprüfungen positiv aus, 114 davon wurden sogar mit zwei oder mehr Auszeichnungen abgelegt. Von den Sozialpartnern erfuhren wir: Während in der Bundeswirtschaftskammer seit 2010 alle 400 Dienstprüfungen positiv abgelegt wurden, gibt es in der Arbeiterkammer keine solche Überprüfung.
Wer jetzt glaubt, Dienstprüfungen hätten in der öffentlichen Verwaltung theoretisch an Wichtigkeit eingebüßt, der irrt. Bis 2002 war es etwa möglich, unter Umständen auf Dienstprüfungen zu verzichten. Das geht seither nicht mehr, denn das zugrundeliegende Gesetz wurde nachgeschärft. Angehende Beamte und Vertragsbedienstete müssen sie nun bestehen, ansonsten scheiden sie aus dem Dienst aus. Das ist neben der mehrjährigen Grundausbildung gesetzlich so vorgeschrieben. Für die Prüfungsvorbereitung besteht sogar die Möglichkeit, sich Lernferien zu nehmen.
Wenn sämtliche Prüfungen positiv absolviert werden – und das ist laut Auskunft der Fall –, deutet das entweder auf eine wirklich gute Grundausbildung hin, oder es belegt, dass die Prüfungen sehr einfach sind. In jedem Fall stellt das Ergebnis den Prozess der Grundausbildung infrage. Wie ernst soll man eine Prüfung nehmen, die jeder besteht? Die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes teilt uns auf Anfrage mit, dass die Quote der AbsolventInnen der Dienstprüfung nichts über den Schwierigkeitsgrad aussagen würde. „Auch die Reifeprüfung schaffen – zumindest nach mehrmaligem Antreten – praktisch alle“, so der Pressesprecher der GÖD gegenüber Addendum. Das stimmt freilich nur bedingt. Denn laut Zahlen der Statistik Austria lag etwa die Matura-Erfolgsquote (nach drei Antrittsterminen) an den AHS im Schuljahr 2016/17 bei 91 Prozent.
Wozu wird also ein derart großer Aufwand um die Dienstprüfung betrieben, und warum wird sie nicht abgeschafft? Ein wichtiger Grund dürfte sein: Die meist zweijährige Grundausbildung, die der Dienstprüfung vorangeht, spart dem Staat Geld. Wer sich in Grundausbildung befindet, erhält weniger Gehalt, und zwar unabhängig davon, ob er die Dienstprüfung erst am Ende oder schon früher ablegt. Gleichzeitig erhält der Bund mit seiner Verwaltungsakademie ein eigenes System, das die Grundausbildungen der einzelnen Ressorts unterstützt. Die Ausbildungen sind zwar ressortspezifisch, gehen aber nicht auf den individuellen Bildungsweg der Bediensteten ein. So müssen beispielsweise fertige Juristen oftmals Inhalte lernen, die sie bereits aus dem Studium kennen.
In anderen Verwaltungsbereichen haben Prüfungen tatsächlich eine Auslesefunktion: Wer Polizist, Soldat oder Richter werden will, muss gewisse Anforderungen erfüllen, ohne die er nicht übernommen wird. In den Zentralverwaltungen der Ministerien werden diese Voraussetzungen aber bereits bei der Einstellung überprüft. Ein Ressort hat sich bereits entschieden, jemanden anzustellen, wenn es ihn in die Grundausbildung schickt. Oft arbeiten junge Verwaltungsbedienstete auch schon jahrelang in prekären Beschäftigungsverhältnissen für ein Ministerium, bevor sie überhaupt mit der Grundausbildung beginnen können.
Selbst im Außenministerium, das mit dem Préalable über einen eigenen Aufnahmetest verfügt, wird am Ende eine Dienstprüfung abgenommen. Auch dort fiel bei 15 Prüfungsterminen seit 2010 niemand durch. Nur elf Kandidaten mussten sich einer Nachprüfung unterziehen, während 74 mit Auszeichnung abschlossen.
Ein Vergleich mit unseren Schweizer Nachbarn zeigt, dass es auch ohne Dienstprüfungen ginge. „Wir schreiben jeweils die spezifischen Funktionen, die wir brauchen, aus und besetzen diese dann“, teilt uns ein Sprecher auf Nachfrage mit. Heißt: Bewerber müssen den künftigen Vorgesetzten überzeugen, dass sie die passende Besetzung für die offene Stelle sind. Warum Österreich eine Grundausbildung anschließt, die eine Personalauslese suggeriert, die aber nicht mehr stattfindet, ist unklar. Vor allem auch, weil die Schweiz ja nicht unbedingt für eine ineffiziente Verwaltung bekannt ist. Der Hauptzweck der österreichischen Dienstprüfungen scheint jedenfalls nicht die Sicherung der Qualität in der Verwaltung zu sein.