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Die besonderen Sitzungen des Nationalrats
7. September 2018 Politometer Lesezeit 6 min
Sondersitzungen des Nationalrats sorgen für öffentliche Aufmerksamkeit, nicht nur in der Causa BVT. Wir zeigen, wer am häufigsten zu einem außerordentlichen Plenum einberuft und welche Themen vorherrschen.
Bild: Christian Lendl | Addendum

Der Nationalrat tagt für gewöhnlich zwischen September und Juli. „Innerhalb einer Tagung beruft der Präsident des Nationalrates die einzelnen Sitzungen ein“ – so will es die Geschäftsordnung. Allerdings können die Abgeordneten Sondersitzungen verlangen, die der Präsident innerhalb von acht Tagen einberufen muss. In den vergangenen 18 Jahren machten Sondersitzungen etwa zwölf Prozent aller Plena aus.

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Wer darf Sondersitzungen verlangen?

Sondersitzungen können verlangen:

  • Je 20 Abgeordnete, allerdings nur einmal pro Jahr
  • Ein ganzer Klub mit weniger als 20 Abgeordneten, ebenfalls nur einmal jährlich
  • Ein Drittel aller Abgeordneten ohne Beschränkung
  • Die Bundesregierung, ebenfalls unbegrenzt

Am häufigsten verlangen Klubs oder 20 Abgeordnete eine Sondersitzung. Seit 2000 entfielen 85 Prozent der Anträge auf sie. Sondersitzungen auf Verlangen eines Drittels des Nationalrats, wie im aktuellen Fall, sind vor allem dann selten, wenn die Bundesregierung über eine Zweidrittelmehrheit verfügt.

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Die außerordentliche Tagung

Derzeit tagt der Nationalrat aber nicht. Das bedeutet, das Drittel der Abgeordneten, über das die Opposition verfügt, muss zunächst über den Präsidenten des Nationalrats vom Bundespräsidenten verlangen, den Nationalrat zu einer außerordentlichen Tagung einzuberufen – die ordentliche beginnt erst am 11. September.

Dieses Verlangen muss „mit den eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten“ versehen sein, was insbesondere in der Urlaubszeit einen gewissen Verwaltungsaufwand bedeutet. Der Bundespräsident muss diesem Verlangen auch nachkommen.

Hat das Staatsoberhaupt die Tagung anberaumt, was die Parlamentsdirektion mittlerweile avisiert hat, kann im nächsten Schritt die Sondersitzung verlangt werden. In dieser Sitzung wiederum wird ein dringlicher Antrag oder eine dringliche Anfrage gestellt. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die inhaltliche Auseinandersetzung im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

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Dass der Nationalrat nur ein eingeschränktes Selbstversammlungsrecht hat und jährlich vom Bundespräsidenten zu einer ordentlichen Tagung einberufen werden muss, war immer wieder Gegenstand von Kritik. Die Idee, diese Verfassungsbestimmung abzuschaffen, fand im Österreich-Konvent breite Unterstützung, wurde aber nicht umgesetzt. Art 28 B-VG, in dem die Einberufung geregelt wird, ist allerdings sehr umsichtig formuliert. Eine Einberufung des Nationalrats zu einer außerordentlichen Tagung durch den Bundespräsidenten muss nicht vom Bundeskanzler gegengezeichnet werden. Dadurch nimmt die Bundesverfassung der Regierung eine theoretische Sabotagemöglichkeit, die Einberufung des Nationalrats durch Verweigerung der Gegenzeichnung zu verhindern. Auch würde der Bundespräsident einen offenen Verfassungsbruch begehen, wenn er dem ausreichend unterstützten Verlangen nicht entsprechen würde.

Die großen Themen der Sondersitzungen

Die Themen der Sondersitzungen des Nationalrats sind oft Momentaufnahmen großer Debatten und Affären, ein EKG des politischen Diskurses. Sie helfen vor allem der Opposition, Anliegen lautstark zu artikulieren und das Handeln und Unterlassen der Regierung vor einer kritischen Öffentlichkeit zu sezieren.

Der Sondersitzung – der Begriff hat sich eingebürgert, auch wenn die Geschäftsordnung des Nationalrats ihn nicht kennt – haftet daher ein gewisser Show-Charakter an. Besonders die FPÖ neigt, wenn sie als Oppositionspartei Sitzungen alleine beantragt, zu Überschriften mit Ansage: Das Repertoire der Sitzungsthemen reicht von „Reformieren statt abkassieren – wo bleiben Verwaltungsreform und Bürokratieabbau, Herr Bundeskanzler?“ über „Direkte Demokratie gegen rot-schwarzen Reformstau und soziale Kälte, Herr Bundeskanzler“ bis hin zu „Sicherheit und Arbeitsplätze statt Asyl-Zahlentricksereien und Türkendemos“. Oft muss sich ein bestimmter Minister gegen die Angriffe der Opposition verteidigen, die manchmal auch mit einem Misstrauensantrag einhergehen.

So wurde in Sondersitzungen im März und Juni bereits zweimal beantragt, Innenminister Kickl das Vertrauen zu versagen. Ob auch diesmal ein Misstrauensantrag eingebracht wird, ist noch nicht bekannt. Es ist aber so gut wie sicher, dass ein solcher nicht angenommen werden würde. Der Nationalrat hat noch nie die Amtsenthebung eines Regierungsmitglieds erzwungen. Sondersitzungen erzeugen vor allem Zeitungs- und Fernsehberichte oder dienen der Regierung dazu, kurzfristig Gesetzesvorlagen einbringen zu können.

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Finanzen, Bildung, Eurofighter

Die Sondersitzungen seit dem Jahr 2000 drehten sich am häufigsten ums Geld. Insgesamt 16 und damit knapp ein Fünftel der außerordentlichen Debatten im Nationalrat beschäftigten sich mit finanziellen Fragen. Auf Platz zwei lag das Thema Bildung mit zehn Sondersitzungen, danach beschäftigten Eurofighter-, Hypo- und Arbeitsdebatten das Plenum.

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Dass die Sondersitzung vor allem ein Instrument der Opposition ist, zeigen die Zahlen: Von 2000 bis 2017 haben die Grünen beispielsweise 24 Verlangen unterstützt und damit vier mehr als die FPÖ, Regierungsanträge auf Sondersitzungen eingerechnet.

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Die ÖVP kommt mit 12 von Regierung und Abgeordneten anberaumten Sondersitzungen auf wesentlich weniger als die Spitzenreiterin SPÖ mit 34. Die Volkspartei war bekanntlich seit 1987 nicht mehr in Opposition.

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