Bundespräsident Alexander Van der Bellen gab bei einer Pressekonferenz am Sonntag an, sein Vertrauen „in Teile der Bundesregierung verloren“ zu haben. Bisher ist mit Heinz-Christian Strache jedoch nur ein sehr kleiner Teil zurückgetreten. Auf die von einem Journalisten eingeworfene Frage, ob Herbert Kickl Innenminister bleibe, antwortete der Bundespräsident: „Wer ma sehn.“
Das Staatsoberhaupt könnte Kickl und alle anderen freiheitlichen Minister jederzeit auf Vorschlag des Bundeskanzlers entlassen. Für Kurz stellt sich ohnehin die Frage, wie viel Vorteil es ihm bringt, die FPÖ-Minister aus ihrer Regierungsposition heraus und mit der gesamten Infrastruktur ihrer Kabinette wahlkämpfen zu lassen. Darüber hinaus betreffen die Vorwürfe zu Vergaben bei Infrastrukturprojekten, die sich aus Straches Aussagen auf Ibiza ergeben, vor allem das Ressort des designierten FPÖ-Vorsitzenden und potenziellen Vizekanzlers Norbert Hofer. Bisher wurde auch nicht bekannt, welcher Bundesminister mit der Fortführung der Amtsgeschäfte des zurückgetretenen Vizekanzlers und Bundesministers für Öffentlichen Dienst und Sport betraut wurde. Erhält ein FPÖ-Minister das Mandat, würde das auf einen Verbleib bis zur Wahl hindeuten.
Der ÖVP ist es im Vorfeld der Neuwahlentscheidung des Bundeskanzlers nicht gelungen, die FPÖ zum Rückzug Herbert Kickls aus dem Innenministerium zu bewegen. Sollte der Bundespräsident ihn nun entlassen oder der Nationalrat ihm das Misstrauen aussprechen, könnte das zum Rückzug aller FPÖ-Minister und Staatssekretäre führen. Der Bundespräsident müsste dann entweder die verbliebenen ÖVP-Regierungsmitglieder mit der Führung der vormals freiheitlichen Ressorts betrauen oder interimistisch neue Minister ernennen. Das könnten ÖVP-Vertreter sein. In der Ersten Republik wurden bei Regierungskrisen allerdings regelmäßig Beamtenkabinette ernannt, die oft nur wenige Tage oder Wochen amtierten. Die Bestellung von leitenden Ressortbeamten könnte daher eine weitere Option darstellen. Die von den Freiheitlichen installierten Generalsekretäre dürften dafür aber eher ausfallen.
Im Fall eines Ausscheidens der FPÖ-Minister wäre die ÖVP aber auch nicht davor gefeit, ihre Minister durch einen Misstrauensantrag der Freiheitlichen und der Opposition zu verlieren. Der Bundespräsident müsste in diesem Fall ein völlig neues Kabinett ernennen, wobei sich auch hier eine Beamtenregierung anbieten würde.
In der Geschichte der Zweiten Republik ist jedoch kein einziger Minister entlassen worden. Alle, auch Strache, wurden entweder auf eigenen Wunsch des Amtes enthoben oder verstarben im Amt. Dem Bundespräsidenten steht es dennoch frei, jederzeit und ohne Angaben von Gründen die gesamte Bundesregierung zu entlassen. Im Gegensatz zur Amtsenthebung einzelner Mitglieder bedarf es dafür auch keines Vorschlags des Bundeskanzlers.
Die Wahl soll Anfang September stattfinden, das haben Bundeskanzler und Bundespräsident vereinbart. Bundespräsident Alexander Van der Bellen tritt „Angesichts des Fristenlaufs, den die Bundesverfassung vorsieht“ für einen Wahltermin in diesem Monat ein. Allerdings ist der Fristenablauf bei einem Neuwahlbeschluss durch den Nationalrat selbst gar nicht in der Bundesverfassung geregelt, sondern in der Nationalratswahlordnung. Und der frühestmögliche Wahltermin liegt auch nicht im September.
Der Nationalrat beschließt das Ende seiner Gesetzgebungsperiode per Gesetz, das von fünf Abgeordneten eingebracht werden kann. In der Vergangenheit konnten sich die Parteien bei einer vorgezogenen Neuwahl auf einen gemeinsamen Antrag einigen. Die SPÖ hat eine Sondersitzung für den 22. Mai beantragt. In dieser könnte der Neuwahlbeschluss bereits gefasst werden. Dieser wird dann im Bundesgesetzblatt kundgemacht, was sehr schnell gehen kann. Bei der letzten Wahl 2017 erfolgte die Kundmachung noch am Tag des Beschlusses.
Danach schreibt die Bundesregierung die Wahl im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates aus und setzt einen Stichtag fest. Dieser Stichtag, das ist auch der Tag, nach dem sich die Wahlberechtigung bemisst, darf nicht vor dem Tag der Wahlausschreibung liegen. Würde die Bundesregierung die Wahl sofort nach der Kundmachung per Verordnung ausschreiben, könnte bereits der 28. Mai der Stichtag sein. Die Wahl muss nämlich an einem Sonntag oder Feiertag sowie am 82. Tag nach dem Stichtag stattfinden. Damit wäre der frühestmögliche Wahltermin nicht im September, sondern der 18. August. Allerdings ist es angesichts der bereits getroffenen Festlegungen und der Urlaubszeit unwahrscheinlich, dass schon so früh gewählt wird.
Die derzeit ebenfalls im Raum stehenden vorzeitigen Landtagswahlen im Burgenland und in der Steiermark könnten gleichzeitig mit der Nationalratswahl stattfinden. Nur bei der Bundespräsidentenwahl ist eine zweite, gleichzeitig stattfindende Wahl unzulässig.
Ein Nebeneffekt der Neuwahl betrifft den derzeit noch laufenden BVT-Untersuchungsausschuss: Er muss seine Arbeit einstellen und Bericht erstatten. Der neu gewählte Nationalrat kann aber die Wiedereinsetzung des Ausschusses beschließen.
Der Bundespräsident kann nach Art 29 Abs 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Grund verfügen. Für diese Entscheidung bedarf es des Vorschlags der Bundesregierung. „Die Neuwahl ist in diesem Fall von der Bundesregierung so anzuordnen, dass der neugewählte Nationalrat längstens am hundertsten Tag nach der Auflösung zusammentreten kann.“
Bisher hat nur ein Bundespräsident den Nationalrat aufgelöst, und zwar Wilhelm Miklas 1930. Es gilt als relativ unwahrscheinlich, dass Alexander Van der Bellen diesen Schritt setzen wird, zumal sich eine Mehrheit für einen Neuwahlantrag im Nationalrat abzeichnet. Für Bundeskanzler Sebastian Kurz wäre diese Variante jedoch politisch angenehmer: Ein vom Bundespräsidenten aufgelöster Nationalrat kann nicht mehr tagen und Gesetze beschließen. Im Gegensatz zum vorzeitigen Wahltermin, den das Parlament selbst beschließt, können so keine Allianzen zwischen der bisherigen Opposition und der FPÖ zustande kommen. Gleichzeitig würde es seine Regierung gegen Misstrauensanträge immunisieren.