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Wenn die Regierung geht
21. Mai 2019 Politometer Lesezeit 4 min
Scheidet eine Bundesregierung aus dem Amt, sind Unterlagen zu vernichten, Mitarbeiter zu versorgen und letzte Urkunden auszustellen. Über ein Ende mit viel Verwaltungsaufwand.
Bild: Georges Schneider | APA

Bei zwischenstaatlichen Krisen des vergangenen Jahrhunderts zählte die Beobachtung von Rauchfängen zum Geschäft der Geheimdienste. Wenn die Botschaft des Konfliktgegners begann, wichtige Dokumente zu verbrennen, galt ein Krieg als wahrscheinlich. Ganz so dramatisch ist es bei Regierungswechseln natürlich nicht, aber Akten spielen auch dabei eine wichtige Rolle. Scheidet ein Minister oder die gesamte Regierung aus dem Amt, ist das „Schriftgut“, so nennt es das Bundesarchivgesetz, das „in Ausübung ihrer Funktion oder in deren Büros anfällt und nicht beim Nachfolger verbleiben soll, … unverzüglich nach dem Ausscheiden aus der Funktion dem Österreichischen Staatsarchiv zu übergeben.“

Was passiert, wenn eine Bundesregierung aus dem Amt geht?

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Die Schredder werden angeworfen

Zu diesem Schriftgut gehören „schriftlich geführte oder auf elektronischen Informationsträgern gespeicherte Aufzeichnungen aller Art“, aber keine persönlichen Unterlagen „wie beispielsweise Aufzeichnungen und Notizen“. Welche Notizen und E-Mails archiviert werden müssen und welche als persönliche Unterlagen skartiert, das heißt vernichtet werden können, entscheidet letztlich der scheidende Minister selbst.

Ins Staatsarchiv wandern vor allem sogenannte Kabinettsakte, die mittlerweile elektronisch angelegt werden. Sie werden für die nächsten 25 Jahre gesondert gespeichert und, so schreibt es das Gesetz vor, „versiegelt“.

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Das „Zentrum für Politische Schönheit“, ein Zusammenschluss von Aktionskünstlern, postete das Bild eines Lastwagens einer Datenvernichtungsfirma vor dem Innenministerium, nachdem Kanzler und Bundespräsident die Entlassung Herbert Kickls angekündigt hatten. Es könnte sich aber auch um eine reguläre Dienstleistung handeln. Laut BMI wurde die Firma nicht beauftragt. Hinter dem LKW befindet sich der Amalientrakt der Hofburg, in dem Dienststellen des Bundeskanzleramtes untergebracht sind. Die Büroräumlichkeiten des Innenministers befinden sich hingegen in der Herrengasse.

Über 200 Arbeitslose mehr?

Tritt ein Minister ab, beginnt nicht nur die große Aktensäuberung, sondern auch die Jobsuche für seine Mitarbeiter. Mit Stand März 2019 arbeiteten 235 Mitarbeiter in den Kabinetten der Regierungsmitglieder und in den Büros der Staatssekretäre, bei denen es sich nicht ausschließlich um Sekretariats- und Assistenzpersonal handelte. Die letzte Bundesregierung hat den Großteil dieses Personals im staatlichen oder staatsnahen Bereich versorgt. Sie hatte allerdings auch mehrere Monate Zeit, um bis zum Antreten einer neuen Regierung neue Jobs zu schaffen und Stellen auszuschreiben.

Die Kabinettsmitarbeiter stellen eine wichtige Personalreserve und Informationsquelle für die Regierungsparteien dar. Mit dem Ausscheiden der FPÖ aus der Bundesregierung verliert sie diese Ressource und hat wohl auch ein gewisses Interesse, dass die ÖVP nicht mehr darauf zugreifen kann. Das wäre der Fall, wenn die Bundesregierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird und die nachfolgende Interimsregierung die ÖVP-Mitarbeiter nicht weiterbeschäftigt.

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Entlassen und enthoben

Tritt ein Minister zurück, teilt er das dem Bundespräsidenten für gewöhnlich schriftlich mit. Niemand kann gezwungen werden, Mitglied der Bundesregierung zu werden oder zu bleiben. Der Bundespräsident muss ein Rücktrittsgesuch annehmen und den scheidenden Bundesminister des Amtes entheben. Daraufhin betraut er entweder diesen, einen seiner Regierungskollegen, einen Staatssekretär oder einen leitenden Beamten mit der Fortführung der Geschäfte. Ein amtsführender Minister muss, ebenso wie eine Amtsführende Regierung, nicht nochmal des Amtes enthoben werden, sondern scheidet aus, sobald der Bundespräsident über die Nachfolge entschieden hat.

Dasselbe Prozedere gilt auch, wenn ein Bundesminister entlassen wird. Das ist in der Zweiten Republik bisher nicht vorgekommen, wird bei Bundesminister Herbert Kickl aber nun der Fall sein. Die Entlassung einzelner Minister wird dem Bundespräsidenten vom Bundeskanzler vorgeschlagen. Den Kanzler selbst oder die gesamte Regierung kann er jedoch ohne Vorschlag entlassen. Die Urkunde über die Amtsenthebung wird vom Bundespräsidenten ausgestellt und vom Bundeskanzler gegengezeichnet, die Entlassung bedarf keiner Gegenzeichnung. Allerdings hat der Bundespräsident bisher niemanden mit der Führung des Innenressorts betraut und auch noch keinen Nachfolger ernannt. Bis dahin wird Herbert Kickl weiter die Geschäfte führen.

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Vom Misstrauen zur neuen Bundesregierung

Solange ein Minister auch nur amtsführend im Amt ist, bleibt er dem Nationalrat verantwortlich. Amtsführende Minister haben dieselbe Machtfülle wie ordentlich bestallte. Es ist allerdings Usus in so einer Phase, keine wichtigen Entscheidungen mehr zu treffen. Man kann allerdings auch, wie Innenminister Herbert Kickl, kurz vor der Entlassung noch Verordnungen erlassen. Diese kann allerdings der Nachfolger schon wieder aufheben.

Weder für die Dauer der vorübergehenden Betrauung noch für die Ernennung einer neuen Bundesregierung setzt die Bundesverfassung dem Staatsoberhaupt eine Frist. Die längste Regierungsbildung der Zweiten Republik dauerte 129 Tage, bis dahin könnte bereits gewählt werden. Der Bundespräsident kann jeden Österreicher, der zum Nationalrat wählbar ist, zum Bundeskanzler ernennen. Eine Pflicht, einen bestimmten Parteienvertreter oder einen Experten zu ernennen, besteht nicht.

Es ist damit zu rechnen, dass der Bundespräsident für den Fall eines erfolgreichen Misstrauensantrags bereits eine integrative Persönlichkeit gebeten hat, eine mögliche Ministerliste zusammenzustellen, um möglichst schnell eine Übergangsregierung bilden zu können. Es wäre die erste Beamten- oder Expertenregierung der Zweiten Republik. Realpolitisch ist nicht damit zu rechnen, dass die Opposition diese ebenfalls stürzen würde.

Spricht der Nationalrat der Bundesregierung das Misstrauen aus, ist sie vom Bundespräsidenten jedenfalls des Amtes zu entheben. Das Verhältnis des Nationalrates zur Bundesregierung ist dabei rein destruktiv: Er kann und muss der Regierung nicht vertrauen, es genügt, wenn er ihr nicht das Misstrauen ausspricht. Löst der Bundespräsident den Nationalrat vorher auf, könnte die Regierung einem Misstrauensantrag entgehen, dafür gibt es aber derzeit keine Anzeichen. 

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