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Postenschacher andersrum: Der Fall Goldgruber
10. Dezember 2019 Postenschacher Lesezeit 5 min
Ex-Innenressort-Generalsekretär Peter Goldgruber wurde kurz vor dem Ibiza-Video von Herbert Kickl zum Chef-Polizisten der Republik gemacht und kurz danach von anderen wieder abberufen. Aber was, wenn der Vielkritisierte in dieser bemerkenswerten Geschichte selbst einmal Opfer war?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Postenschacher und ist Teil 5 einer 8-teiligen Recherche.
Bild: Michael Gruber | EXPA

Hat das sogenannte Ibiza-Video den heutigen FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl als Innenminister dazu bewogen, noch schnell Peter Goldgruber zum obersten Polizisten der Republik zu machen? Oder wurde der Grundstein für diese Entscheidung (die von Kickls Nachfolger rückgängig gemacht wurde) schon lange vorher gelegt, und hat mit dem Politskandal des Jahres nur wenig zu tun? Sechs Monate nach den innenpolitischen Chaostagen des Frühlings 2019 lassen die Ergebnisse unserer Recherchen so manche öffentlich verbreitete Erzählung als fragwürdig erscheinen.

Die bekannteste von ihnen lautet: Herbert Kickl sieht wenige Stunden vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos (17. Mai, 18 Uhr) genug Potenzial in der Affäre, um die türkis-blaue Regierung und die Legislaturperiode des Nationalrats vorzeitig zu beenden. Und besetzt in strategischer Voraussicht noch schnell eine der einflussreichsten Beamtenpositionen des Landes mit einem Gefolgsmann, der über die Legislaturperiode hinaus wirken kann. Der von vielen geäußerte Verdacht lautet auf Postenschacher der übelsten Sorte.

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Selbst die sonst so besonnene Wochenzeitung „Die Furche“ twitterte damals erregt.

Die weniger bekannte Version hingegen könnte so lauten: Der formal hochqualifizierte Goldgruber bekommt, anders als andere im Ressort , den Job letztlich deshalb nicht, weil sich in den Wirren des medialen Ausnahmezustands die alten, jedenfalls nicht FPÖ-nahen Seilschaften mithilfe der Öffentlichkeit wieder durchsetzen. Auch das wäre Postenschacher, nur eben andersrum. Unabhängig davon, wie man Goldgrubers umstrittenes Wirken als Generalsekretär, vor allem aber in der BVT-Affäre bewertet.

Es war nämlich keineswegs so, dass Kickl, nachdem er am Donnerstag den 16. Mai erfahren hatte, dass am Freitag mit der Politbombe Ibiza-Video zu rechnen sei, für nächsten Tag noch schnell die zwingend nötige Begutachtungskommission für die eingegangenen Bewerbungen zusammenrief. Wir sind im Besitz von Unterlagen, die das eindeutig widerlegen. Demnach wurde die Kommissionssitzung, an der fünf Personen teilnahmen, bereits zwei Wochen vorher, nämlich am 3. Mai fixiert. Und zwar für 10.45 Uhr des 17. Mai. Treffpunkt: Innenministerium, Eingang Minoritenplatz. Zwischen Beamten des Hauses und der Personalvertretung. So, wie es sonst auch üblich ist. Ein parteipolitisch orchestrierter Schnellschuss in letzter Sekunde sieht anders aus.

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Aus Gründen des Quellenschutzes können wir die Dokumente an dieser Stelle nicht im Original veröffentlichen.

ÖVP genauso schnell wie FPÖ

Ja, wie bei vielen anderen Stellenbesetzungen dürfte auch hier parallel „gearbeitet“ worden sein. Laut unseren Quellen wurde bereits vor Start der Bewerbungsfrist anderen Hochkarätern, die Goldgruber im Auswahlverfahren hätten gefährlich werden, bedeutet, keinen Lebenslauf einzuschicken (einer, Manfred Zirnsack, tat es trotzdem, dieser stellte von der Qualifikation her jedoch keine unmittelbare Gefahr für Goldgruber dar). Und auch der Umstand, dass die Kommission binnen Stunden ihr Gutachten pro Goldgruber schrieb, das Papier Kickl im Eiltempo vorlegte und sich dieser unmittelbar danach für seinen Vertrauten entschied, kann tatsächlich als merkwürdige Blitzaktion bewertet werden.

Andererseits: Eine Blitzaktion, die in ganz ähnlicher Form unter ÖVP-Herrschaft im Haus niemanden aufregte. Am Vormittag des 1. August 2017 trat jene Begutachtungskommission zusammen, die Michaela Kardeis als die bestgeeignete Kandidatin für die Suche nach einer neuen Führung für die Generaldirektion benannte. Am Nachmittag des selben Tages, um 15.03 Uhr, gab Innenminister Wolfgang Sobotka via Presseaussendung bekannt, dass die Kommission ihm ihr Gutachten vorgelegt, und er diesem folgen werden. Entscheidungen im Eiltempo sind also keine Spezialität der FPÖ.

Trotzdem: Nur wenige Tage nach Goldgrubers Bestellung verweigert Bundespräsident Alexander Van der Bellen seine Unterschrift auf der Ernennungsurkunde, Kickl wird entlassen, Kurzeit-Übergangsinnenminister Eckart Ratz beruft Goldgruber anschließend als sein direkter Vorgesetzter wieder ab.

An der fachlichen Qualifikation Goldgrubers konnte die Abberufung – im Gegensatz zu anderen freiheitlichen Postenbesetzungen – nicht liegen. Uns liegt die Bewerbung des 59-Jährigen für die Position des Generaldirektors vor: Lehrabschluss, Abendschule, Jus-Studium, Polizeiausbildung und folgend zahlreiche Führungsfunktionen bis an die Spitze des Hauses – Goldgruber hat sich nach oben gearbeitet.

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Natürlich, es gibt auch Kritiker, die seinen Stil bemängeln und die Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei einer bemerkenswert argumentierten Entscheidung unterstützten. Van der Bellen verkündete am 20. Mai unter öffentlichem Beifall via Twitter, dass er Goldgrubers Bestellung zum Generaldirektor nicht unterzeichnen werde. Praktisch alle Medien berichteten, dass der Bundespräsident damit der langjährigen Praxis folge, in Übergangszeiten keine Ernennungen von bedeutenden Beamten vorzunehmen. Seine Begründung gegenüber der Öffentlichkeit lautete:

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Und auch in diesem Fall zeigt die Bestellung von Goldgrubers Vorgängerin Michaela Kardeis (und zweier weiterer Polizei-Spitzenkräfte), dass in der Debatte mit zweierlei Maß gemessen wird. Auch seitens des Bundespräsidenten. Denn vor knapp zwei Jahren war die Ernennung dreier Spitzenpolizisten kein Problem. Dabei waren auch damals die Zeiten innenpolitisch stürmisch. Eine Übergangszeit also. Zur Erinnerung:

Als die Entscheidung im August 2017 auf Kardeis, Konrad Kogler (zum Landespolizeidirektor Niederösterreich) und Gerald Ortner (Landespolizeidirektor Steiermark) fiel, war das Ende von Rot-Schwarz und Kanzler Christian Kern nämlich längst beschlossen. Auch einen Neuwahltermin (Oktober 2017) gab es bereits. Am 17. Mai 2019, als Kickl Goldgruber zum Generaldirektor machte, war die ÖVP-FPÖ-Koalition noch intakt, Neuwahlen Spekulation, sogar einer der Video-Hauptdarsteller, Heinz-Christian Strache, noch im Amt.

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Die Farbe machte den Unterschied

Kardeis, Kogler und Ortner waren zudem politisch genauso zuordenbar wie Goldgruber, nur eben schwarz statt blau. Kardeis war Mitglied des berüchtigten ÖVP-Kabinetts von Innenminister Ernst Strasser, Ortner in jenem von Johanna Mikl-Leitner. Johanna Mikl-Leiter war es auch, die Kogler zum Generaldirektor machte, ihn später, als Landeshauptfrau, als Landespolizeidirektor nach Niederösterreich lotste. Dort ist er inzwischen nicht mehr Chef der Polizei, sondern der Landeskliniken. Auch keine Position, die man gegen den Willen der Landeschefin bekommt.

Verwirrspiel unter Kurzzeit-Minister Ratz

Der Narrativ vom blauen Postenschacher war während der innenpolitischen Chaostage offenbar so verlockend, dass nicht nur der Bundespräsident auf durchaus vergleichbare Ernennungen der jüngsten Vergangenheit vergaß, sondern sich auch der direkte Nachfolger von Herbert Kickl in der Chronologie der Ereignisse irrte.

Ex-OGH-Präsident Eckart Ratz, der nach Kickl 13 Tage lang als Innenminister im Amt war, gab am 23. Mai – ebenfalls via Presseaussendung – bekannt, dass er politische Entscheidungen, die nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos in seinem Ressort getroffen wurden, wieder rückgängig machen würde. Dazu gehöre auch die Bestellung von Peter Goldgruber als Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Tatsächlich wurde dieser jedoch wenige Stunden vor Veröffentlichung des Videos bestellt, die Grundlagen dafür wurden sogar schon viel früher gelegt (siehe oben).

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Und noch etwas erscheint merkwürdig.

1. Das entsprechende Schreiben von Ratz an Goldgruber liegt uns vor. Es ist extrem kurz, enthält keinerlei Begründung.

2. Das Papier war offenbar vorgefertigt, das genaue Datum der Abberufung wurde handschriftlich ergänzt.

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Der rasante Auf- und Abstieg des Peter Goldgruber ist inzwischen einige Monate her. Geklärt ist die Affäre jedoch noch lange nicht. Über Gründe, Umstände und die Tatsache, dass die Funktion bis heute noch nicht neu ausgeschrieben wurde, ist im Innenministerium nichts zu erfahren. Außer einer Antwort, die weitere Fragen aufwirft:

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Unter Berück­sichtigung des dazu laufenden Verfahrens und des Datenschutzes werden keine Auskünfte erteilt.

Welches Verfahren? Erstmals äußerte sich uns gegenüber auch Peter Goldgruber dazu. Er sagt, dass das Innenministerium ihm bis heute den Bescheid für seine Abberufung verweigert. Dagegen habe er nun eine Säumigkeitsbeschwerde bei Gericht eingebracht; um den Bescheid zur Abberufung anschließend vor Gericht bekämpfen zu können. Seine Karten dürften nicht die schlechtesten sein. Er hat bei der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) um Rechtshilfe angesucht. Und sie bekommen. 

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