Die enge Verflechtung von Parteipolitik und staatsnahen Betrieben ist eine österreichische Besonderheit. In den Nachkriegsjahrzehnten war die direkte Einflussnahme der regierenden Parteien auf die verstaatlichten Unternehmen fester Bestandteil des politischen Alltags.
Aber auch nach dem Ende der verstaatlichten Industrie bleibt Parteinähe ein sicherer Weg in die Vorstände, Geschäftsführung und Aufsichtsräte österreichischer Staatsbetriebe. Denn zwischen 1995 und 2019 wurden in den noch existierenden Staatsbetrieben etwas mehr als 3.000 Posten besetzt – ungefähr die Hälfte davon mit parteinahen Personen.
Die parteipolitische Zusammensetzung der Funktionäre folgt dabei so deutlich der Zusammensetzung der jeweiligen Regierungen, dass kaum von Zufall gesprochen werden kann. Vielmehr führt jeder Regierungswechsel zu einer sprunghaften Veränderung des Anteils der jeweiligen Funktionäre.
Betrachtet man also die Geschichte der österreichischen Staatsbetriebe, betrachtet man damit auch ein Stück österreichische Parteiengeschichte.
Diese Untersuchung ist eine Fortführung einer Studie, die von Laurenz Ennser-Jedenastik (Universität Wien) für den Zeitraum 1995 bis 2010 durchgeführt wurde. Addendum hat diese Studie für den Zeitraum 2011 bis 2019 mit der exakt gleichen Vorgehensweise weitergeführt.
Um den Einfluss der Parteien auf Staatsbetriebe zu verstehen, muss man jedoch zunächst in die unmittelbaren Nachkriegsjahre zurückblicken. 1946 und 1947 kam es im Rahmen mehrerer Verstaatlichungsgesetze zu einer umfassenden Umstrukturierung der österreichischen Wirtschaft. Österreich wurde so zu einem Land mit einer im internationalen Vergleich außergewöhnlich hohen Anzahl an verstaatlichten Betrieben .
Insbesondere in der Schwerindustrie, aber auch in der Stromerzeugung und im Bankwesen standen zahlreiche Unternehmen unter direkter Kontrolle des Bundes, der dadurch die Arbeitsplätze eines großen Teils der österreichischen Bevölkerung verwaltete. Noch in den 1970er Jahren waren ungefähr 15 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in öffentlichen Unternehmen beschäftigt – ein Ausmaß, das in keiner anderen westlichen Industrienation erreicht wurde.
Den beiden Großparteien ÖVP und SPÖ eröffnete sich so ein enormes Einflusspotenzial. Beide Parteien ließen auch wenig Zweifel aufkommen, dass die Führungsetagen nach parteipolitischen Kriterien zu besetzen seien: In allen Koalitionsvereinbarungen, die zwischen 1945 und 1963 von ÖVP und SPÖ geschlossen wurden, wurde explizit festgehalten, dass sich das parlamentarische Kräfteverhältnis in den Besetzungsentscheidungen widerspiegeln müsse. Der Proporz wurde damit fester Bestandteil der österreichischen Wirtschaftspolitik der Nachkriegsjahrzehnte.
Beispielsweise wird im Koalitionsabkommen 1949 unter Punkt 2 festgehalten:
„Im Verhältnis zwischen ÖVP und SPÖ gilt der bei den Wahlen am 9. Oktober 1949 erzielte Proporz. Dieser Proporz ist auch bei den Vorschlägen für Leitungsfunktionen der verstaatlichten Unternehmungen anzuwenden.“
Die verstaatlichte Wirtschaft kam in den 1980ern in die Krise. Unternehmen in der Stahl- und Eisenerzeugung, Ölwirtschaft oder der Telekommunikation wurden zerschlagen, (teilweise) verkauft oder wanderten ab. Andere Staatsbetriebe wurden in privatwirtschaftliche Rechtsformen umgewandelt, an denen die Republik Österreich oft nur mehr geringere Beteiligungen hält.
Darüber hinaus wurden gesetzliche Regelungen geschaffen; Führungspositionen in Unternehmen können so nicht mehr beliebig vergeben werden. Für Vorstände von Aktiengesellschaften und Geschäftsführern einer GmbH regelt beispielsweise das Stellenbesetzungsgesetz von 1998, dass „die Stelle ausschließlich auf Grund der Eignung der Bewerber zu besetzen“ sei. Die Eignung ist wiederum „insbesondere auf Grund fachlicher Vorbildung und bisheriger Berufserfahrung der Bewerber, ihrer Fähigkeit zur Menschenführung, ihrer organisatorischen Fähigkeiten und ihrer persönlichen Zuverlässigkeit festzustellen“. Vorzeitige Vertragsauflösungen können die Republik aufgrund von Abfindungszahlungen außerdem sehr teuer kommen. Aber hat mit diesen Änderungen auch die politische Einflussnahme ein Ende gefunden?
In Österreich gibt es zwei unterschiedliche Formen von Kapitalgesellschaften: die Aktiengesellschaft (AG) und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). In einer Aktiengesellschaft wählt die Hauptversammlung der Gesellschafter (Aktionäre) den Aufsichtsrat, der wiederum den Vorstand wählt. Der Vorstand leitet die AG und muss dem Aufsichtsrat als Kontrollorgan regelmäßig Bericht erstatten. In einer GmbH übernimmt die Geschäftsführung die Leitung des Unternehmens. Ein Aufsichtsrat ist bei einem Stammkapital von mehr als 70.000 EUR und einer Beteiligung von mehr als 50 Gesellschaftern oder wenn mehr als 300 Arbeitnehmer angestellt sind, gesetzlich vorgeschrieben.
Im Oktober 2007 wurden beispielsweise die bis 2011 laufenden Verträge der drei damaligen Asfinag-Vorstände Mathias Reichhold, Christian Trattner und Franz Lückler vorzeitig aufgelöst. Kolportiert wurden dabei Abfindungszahlungen von 1,5 Millionen Euro bzw. 2 Millionen Euro.
Betrachtet man die Besetzungen von Aufsichtsräten, Geschäftsführern und Vorständen in den 91 Kapitalgesellschaften, die zwischen 1995 und 2019 im Mehrheitseigentum des Bundes standen, fällt das Urteil klar aus: Politische Einflussnahme gibt es weiterhin; unter allen Regierungen und unter allen Parteien, die seither ein Ministerium geführt haben. Bei jedem Regierungswechsel lässt sich dabei ein ähnliches Muster beobachten: Sobald eine Partei Regierungsverantwortung übernimmt, steigt der Anteil an Parteinahen sprunghaft an – und sinkt genauso schnell wieder, wenn eine Partei den Gang in die Opposition antreten muss.
Das betrifft vor allem die Sozialdemokraten und Freiheitlichen. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kommt es zunächst zu einem deutlichen Ausbau des SPÖ-Einflusses. Unter den sozialdemokratischen Kanzlern Vranitzky und Klima dominiert die SPÖ die Führungsetagen der staatsnahen Betriebe. Dieser Einfluss ist dabei nicht nur ein Erbe der jahrelangen Alleinregierung, sondern wird vor allem unter Viktor Klima intensiv und zulasten der parteiunabhängigen Manager ausgebaut: Ende 1999 steht damit ein Drittel aller zu diesem Zeitpunkt besetzten Posten in einem Naheverhältnis zur SPÖ.
Diese Dominanz endet jedoch mit der Angelobung von Schwarz-Blau im Frühjahr 2000: Erstmals seit 30 Jahren stellt die SPÖ nicht mehr den Kanzler. Ihr Zugriff auf die Posten in den öffentlichen Unternehmen stürzt in der Folge deutlich ab; 2003 hat sich der Anteil an SPÖ-Nahen bereits halbiert. Profitieren kann davon besonders die FPÖ, die erstmals in der Zweiten Republik den Finanz- und den Verkehrsminister stellt und damit jene Ressorts, in denen der Großteil der Kapitalgesellschaften angesiedelt ist. Kontrolle über diese beiden Ministerien ist somit der Schlüssel, um auf die Besetzungen Einfluss zu nehmen. Das nützt auch die FPÖ: In nur zwei Jahren erhöht sich der Anteil an FPÖ-nahen Managern von beinahe null auf ungefähr 13 Prozent – trotz parteiinterner Streitigkeiten und eines im Vergleich zu SPÖ und ÖVP deutlich kleineren Parteiapparats.
Das Finanzministerium wurde unter Schüssel I und II von Karl-Heinz Grasser geführt. Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie wurde zwischen 01.04.2000 und 14.11.2000 von Michael Schmid und anschließend von Elisabeth Sickl geführt. Am 19.02.2002 wurde diese wiederum durch Mathias Reichhold ersetzt, der das Ressort bis zum Ende der Regierung Schüssel I führte. Unter Schüssel II wurde dann Hubert Gorbach Verkehrsminister.
Auch wenn das Verkehrsministerium geringere politische Bedeutung hat als das Innen-, Sozial- oder Finanzministerium, ist es auffällig, dass es häufig mit einflussreichen Parteipolitikern besetzt wird. In den letzten 25 Jahren übten beispielsweise Norbert Hofer und Hubert Gorbach (FPÖ), Doris Bures, Werner Faymann, Viktor Klima und Ferdinand Lacina (alle SPÖ) das Amt aus. Ein Grund für diese Besetzungen könnte eben der große Einfluss des Verkehrsministeriums auf Positionen in staatlichen Unternehmen sein.
Die vorgezogene Nationalratswahl im November 2002 bringt eine schwere Niederlage für die FPÖ. In den folgenden Koalitionsverhandlungen verlieren die Freiheitlichen drei der sechs Ministerien, darunter auch das für Postenbesetzungen einflussreiche Finanzministerium. Auch diese Machtverschiebung wird in der Besetzungspolitik sichtbar, denn die ÖVP baut nun ihren Anteil an parteinahen Managern deutlich aus. Die FPÖ kann hingegen nur mehr wenige neue Parteinahe in den öffentlichen Unternehmen unterbringen, was sich auch nach der Abspaltung des BZÖ im Frühjahr 2005 nicht mehr ändert.
Eine Besonderheit der Schüssel-Jahre stellt dabei das Finanzministerium unter Karl-Heinz Grasser dar: Zunächst von der FPÖ nominiert, war Grasser zwischen 2003 und 2007 Teil der ÖVP-Regierungsmannschaft. In beiden Perioden kommt es zu einer auffällig hohen Vergabe an parteiunabhängige Personen – dass diese jedoch zu großen Teilen aus dem direkten Umfeld des Ministers stammten, ist ein anderer Aspekt österreichischer Politikgeschichte.
Aufgrund der engen personellen Verflechtungen zwischen FPÖ und BZÖ wurden FPÖ- und BZÖ-nahe Personen zusammengezählt.
Mit der Neuauflage der Großen Koalition unter den sozialdemokratischen Kanzlern Gusenbauer, Faymann und Kern kommt es zu einer Trendumkehr. FPÖ bzw. BZÖ verlieren in diesem Zeitraum fast vollständig den Zugriff auf die Schalthebel der Macht – nur drei Jahre nach dem Ende von Schwarz-Blau stellt die FPÖ nur mehr vereinzelt Funktionäre in öffentlichen Unternehmen. Auch daran wird deutlich, wie eng Regierungsverantwortung und Postenbestellungen in Österreich verwoben sind.
Die SPÖ gewinnt im gleichen Zeitraum wieder an Macht, allerdings unterscheidet sich diese Große Koalition von ihrer Vorgängerin in den 1990er Jahren: Ende der 1990er Jahre setzte die SPÖ fast doppelt so viele Neubesetzungen durch wie die ÖVP. Da das ministerielle Gleichgewicht der beiden Parteien zwischen 2007 und 2017 jedoch ausgeglichen ist, werden Neubesetzungen nun paritätisch zwischen den beiden Regierungsparteien besetzt (SPÖ: 158, ÖVP: 164 – von insgesamt 623). Daher gelingt es den Sozialdemokraten auch nicht mehr, die ÖVP zu überholen.
Auch die eineinhalb Jahre der türkis-blauen Regierung bieten daher nichts Überraschendes: Zahlreiche Posten wechseln von der SPÖ zurück zur FPÖ. Die Umkehr der Umkehr der Kräfteverhältnisse kommt jedoch durch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos und den erfolgreichen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz im Frühjahr 2019 zu einem vorzeitigen Ende.
Im Kampf um Posten in staatsnahen Betrieben gibt es dennoch einen klaren Gewinner: die Volkspartei. Während Sozialdemokraten und Freiheitliche mit jedem Verlust der Regierungsfunktion Anteile verlieren, kann die Volkspartei ihren Anteil im letzten Vierteljahrhundert verdoppeln. Denn die ÖVP war zwischen 1987 und 2019 ununterbrochen in Regierungsverantwortung. Seit 2003 hält die ÖVP auch das für Postenbesetzungen wesentliche Finanzministerium, zusätzlich zum Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium, in denen zwar weniger, aber dennoch einige wichtige Kapitalgesellschaften angesiedelt sind.
Mehr noch: Aufgrund dieser jahrelangen Regierungsbeteiligung stellt die ÖVP aktuell so viele Funktionäre in Staatsunternehmen wie FPÖ und SPÖ zusammen. Ein klarer Machtvorsprung und ein Umstand, der sich angesichts der Umfragen wohl auch nach der Nationalratswahl so schnell nicht ändern dürfte. Vielleicht sieht man dann jedoch erstmals einen grünen oder pinken Balken nach oben schießen.
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Diese Untersuchung ist eine Fortführung einer Studie, die von Laurenz Ennser-Jedenastik (Universität Wien) für den Zeitraum 1995 bis 2010 durchgeführt wurde. Addendum hat diese Studie für den Zeitraum 2011 bis 2019 mit der exakt gleichen Vorgehensweise weitergeführt.
Dafür wurden zunächst anhand der jährlichen Beteiligungsberichte alle Kapitalgesellschaften, an denen die Republik Österreich zwischen 1.1.1995 und 15.4.2019 eine Beteiligung von mindestens 50 Prozent gehalten hat bzw. hält, recherchiert. Anschließend wurde auf Basis der (teilweise historischen) Firmenbücher eine Liste mit allen Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern dieser Unternehmen sowie das Datum des Amtsantritts (und gegebenenfalls das Ende) erstellt; diese Liste umfasst 3.004 Personen in 91 Unternehmen. Arbeitnehmervertreter, die gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz für je zwei Aufsichtsratmitglieder entsendet werden müssen, wurden nicht in diese Liste aufgenommen, da sie nicht von den zuständigen Ministerien ernannt werden. In einem letzten Schritt wurde auf Basis intensiver Internet-Recherchen überprüft, ob eine Person einer Partei nahesteht oder nicht. Dafür wurden folgende Kriterien herangezogen: (a) Mitgliedschaft in einer Partei, (b) Ausübung eines oder Kandidatur für ein politischen Amt für eine Partei (Gemeinderat, Landtag etc.) oder (c) Mitarbeit in einer Partei bzw. Teilorganisation (Minister- bzw. Landesratskabinette, Parlamentsklub etc.). Personen, die keine dieser Kriterien erfüllten, wurden als unabhängig gewertet.
Wenn sich die Parteinähe einer Person nicht eindeutig entscheiden ließ, wurde diese Person als unabhängig gewertet. Auf diese Weise wird der Anteil an Parteinahen unterschätzt (bzw. der Typ 1 Fehler minimiert) und die hier präsentierte Darstellung stellt eine konservative Schätzung dar. 95-prozentige Konfidenzintervalle der monatlichen Anteilswerte deuten ebenfalls darauf hin, dass die Veränderungen bei Regierungswechseln nicht auf zufälligen Messfehler zurückzuführen sind. Des weiteren wurde die Robustheit der Ergebnisse überprüft, indem unklare Fälle zufällig anderen Parteien zugewiesen wurden, wobei sich ebenfalls keine Auffälligkeiten zeigten.