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Zwei weitere Jahre Postenschacher
1. Juli 2020 Postenschacher Lesezeit 7 min
Die Vergabe von Posten an FPÖ- und ÖVP-nahe Personen beschäftigt seit einem Jahr die Republik. Addendum hat alle Besetzungen der vergangenen zweieinhalb Jahren recherchiert – und so den rasanten Anstieg von FPÖ-nahen Kandidaten dokumentiert.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Postenschacher und ist Teil 8 einer 8-teiligen Recherche.
Bild: Robert Jäger | APA

Norbert Hofer und Hubert Fuchs (beide FPÖ) waren am Mittwoch und am Donnerstag in den Ibiza-Untersuchungsausschuss geladen. Der damalige Verkehrsminister der türkis-blauen Koalition und der frühere Staatssekretär im Finanzministerium wurden zu Postenbesetzungen in staatsnahen Unternehmen befragt.

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Hubert Fuchs
Staatssekretär (BMF) 2017–2019

Tatsächlich kam es in den eineinhalb Jahren der ÖVP-FPÖ-Regierung zu einem deutlichen Anstieg an Aufsichtsräten, Geschäftsführern und Vorständen mit FPÖ-Nähe. Gab es im Dezember 2017, als die Koalition angelobt wurde, so gut wie keine FPÖ-nahen Manager und Aufsichtsräte, hat sich deren Anteil bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 auf 10 Prozent aller in staatsnahen Unternehmen vergebenen Posten erhöht – in den meisten Fällen zulasten von SPÖ-nahen Personen.

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Unter Parteinähe wurden für diese Recherche folgende Kriterien definiert: (a) Mitgliedschaft in einer Partei, (b) Ausübung eines oder Kandidatur für ein politischen Amt für eine Partei (Gemeinderat, Landtag, etc.) oder (c) Mitarbeit in einer Partei bzw. Teilorganisation (Minister- bzw. Landesratskabinette, Parlamentsklub etc.). Personen, denen trotz intensiver Recherche keine dieser Kriterien zugeordnet werden konnten, werden als unabhängig gewertet.

Unter staatsnahen Betrieben sind alle Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung gemeint, an denen der Bund eine Beteiligung von mindestens 50 Prozent hält bzw. gehalten hat. Diese Unternehmen wurden anhand der jährlichen Beteiligungsberichte recherchiert. Die Aufsichtsräte, Geschäftsführer und Vorstände dieser Unternehmen wurden anhand des Firmenbuchs recherchiert.

Ein bekanntes Schauspiel

Wirklich neu ist diese Entwicklung jedoch nicht – zumindest nicht für österreichische Verhältnisse. Addendum hat in Zusammenarbeit mit dem Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik alle Postenvergaben in staatsnahen Unternehmen zwischen 1995 und 2020 recherchiert; dabei lässt sich ein wiederkehrendes Muster feststellen: Verändert sich die parteipolitische Konstellation in der Bundesregierung, folgt eine Veränderung der parteipolitischen Zusammensetzung der Aufsichtsräte und Manager.

Das wird mit dem Antritt der ersten schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel zum ersten Mal deutlich, als die Gremien der Unternehmen mit zahlreichen FPÖ-nahen Personen besetzt wurden und die bis dahin geltende sozialdemokratische Dominanz aufbrachen. Mit der erneuten Bildung einer Großen Koalition ab 2007 tritt das Muster in gespiegelter Form erneut auf: SPÖ-Manager kamen zurück, die der FPÖ verschwanden wieder. Unter Türkis-Blau wiederholte es sich erneut.

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Von den wiederholten Wechseln zwischen Rot und Blau profitiert vor allem die ÖVP, die seit 1986 ununterbrochen in Regierungsverantwortung ist. Die Volkspartei baute ihren Anteil in den letzten 25 Jahren daher konstant aus und hat auch während der türkis-blauen Regierungszeit Parteinahe in staatsnahen Unternehmen untergebracht – in durchaus vergleichbarem Ausmaß wie die Freiheitlichen. Die Zuteilung erfolgte dabei recht deutlich entlang der jeweiligen Ministerien: FPÖ-nahe Manager in den freiheitlichen Ministerien und ÖVP-nahe in den von der ÖVP geführten Ministerien.

Die Kontrolle über die für die Postenvergabe entscheidenden Ministerien – das Verkehrsministerium und das Finanzministerium, in denen die meisten staatsnahen Unternehmen angesiedelt sind – wurden unter den beiden Koalitionspartnern ja aufgeteilt.

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Postenbesetzungen seit Ibiza

Mit dem Zerbrechen der türkis-blauen Koalition und der Bildung einer neuen Regierung ohne freiheitliche Beteiligung folgt aber bereits eine erneute Trendumkehr. Von den insgesamt 36 freiheitlichen Managern, die zwischen Dezember 2017 und Mai 2019 besetzt wurden, sind nur noch 15 im Amt (58 Prozent). Unter den ÖVP-nahen Managern, die im gleichen Zeitraum eingesetzt wurden, sind es deutlich mehr, nämlich 83 Prozent (5 von 30); von den parteinahen Aufsichtsräten und Vorständen 70 Prozent. Die Folgen des Verlusts der Regierungsämter werden für die Freiheitlichen also bereits sichtbar.

Das wird besonders deutlich, wenn man einen Blick in den Aufsichtsrat der ÖBB Holding wirft, die dem Verkehrsministerium zugeordnet ist. Dieses wurde zunächst von Norbert Hofer und während der Expertenregierung von dem FPÖ-nahen Andreas Reichhardt geführt; seit Anfang des Jahres wird es von Leonore Gewessler und damit erstmals von einer Grünen geleitet.

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Leonore Gewessler
Umweltministerin

Noch zu Beginn der türkis-blauen Koalition gab es keinen freiheitlichen Aufsichtsrat; eine Woche vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos – also eineinhalb Jahre später – waren hingegen sechs der zehn Aufsichtsräte FPÖ-nah.

Und ein Jahr später? Anfang Juli 2020 ist keine dieser Personen mehr im Kontrollgremium vertreten: Andreas Reichhardt trat von seiner Funktion zurück als er als Verkehrsminister in die Regierung Bierlein wechselte. Wolf Dieter Hofer, Monika Forstinger, Barbara Kolm, Gilbert Trattner und Karl Ochsner wurden sämtlich Ende Mai 2020 abberufen oder nicht wiederbestellt.

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Darüber hinaus lässt sich auch einer der beiden Vorstände, Arnold Schiefer, der FPÖ zuordnen. Dieser war in den 1990er Jahren freiheitlicher Gemeinderat in Innsbruck und in den 2000er Jahren Kabinettsmitglied im Verkehrsministerium unter den freiheitlichen Ministern Monika Forstinger und Mathias Reichhold.

Andreas Reichhardt war in den 1990er Jahren parlamentarischer Mitarbeiter im Büro von Thomas Prinzhorn (FPÖ) und anschließend Kabinettschef von Verkehrsminister Hubert Gorbach (FPÖ). Darüber hinaus war er FPÖ-Bezirksrat in Wien-Landstraße.

Wolf Dieter Hofer kandidierte bei den Nationalratswahlen 2017 und 2019 für die FPÖ.

Monika Forstinger war zwischen 2000 und 2002 FPÖ-Infrastrukturministerin und zuvor Landtagsabgeordnete in Oberösterreich.

Barbara Kolm war zwischen 1994 bis 2000 sowie 2003 bis 2006 für die FPÖ im Innsbrucker Gemeinderat.

Gilbert Trattner war FPÖ-Abgeordneter zum Nationalrat und Mitglied des Bundesrats.

Karl Ochsner hatte nach unseren Recherchen nie eine offizielle FPÖ-Funktion inne, war allerdings der Trauzeuge des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache. Aus diesem Grund wurde er ebenfalls als FPÖ-nah codiert.

So rasant der Anstieg von FPÖ-Nahen nicht nur in der ÖBB Holding, sondern generell in den staatsnahen Unternehmen verläuft, so abrupt verlieren diese auch wieder ihre Positionen, wenn sich die Regierungskonstellation ändert. Daher ist die durchschnittliche Amtsdauer eines FPÖ-nahen Aufsichtsrats, Geschäftsführers oder Vorstands auch deutlich kürzer als die eines ÖVP-nahen oder parteiunabhängigen Aufsichtsrats. Das gilt in etwas geringerem Ausmaß auch für die Amtsdauer von SPÖ-nahen Managern, die ebenfalls kürzer im Amt sind als die der ÖVP. Auch darin spiegelt sich die im Vergleich zur ÖVP geringeren, im Vergleich zur FPÖ jedoch längeren Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten seit 1995.

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Grüne Wende?

Eine Besonderheit lässt sich seit dem Ende der türkis-blauen Regierung jedoch festhalten: Einen deutlichen Anstieg von Grünen in den Aufsichtsräten oder Vorständen gibt es vorerst nicht. Unter der Expertenregierung war dies ohnehin nicht zu erwarten; die Anteile der Parteinahen und Parteiunabhängigen haben sich im halben Jahr der Kanzlerschaft von Brigitte Bierlein auch dementsprechend konstant entwickelt. Aber auch seit Antritt der türkis-grünen Regierung Anfang 2020 hat sich der Anteil an Grünen nicht erhöht, wenngleich die Grünen das für Postenvergaben zentrale und sogar aufgewertete Verkehrsministerium kontrollieren.

Allerdings haben die Grünen einen deutlich kleineren Parteiapparat als ÖVP, SPÖ und FPÖ. Bereits nach dem Wiedereinzug in den Nationalrat und dem Eintritt in die Bundesregierung war die Besetzung des Grünen Klubs beziehungsweise ihrer Kabinette eine Herausforderung. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum seit Regierungsantritt vor allem die Anzahl an Parteiunabhängigen steigt: Von den 32 seit Jahresbeginn neubesetzen Positionen wurden 25 an Personen ohne deutliche Nähe zu einer politischen Partei besetzt und nur ein Posten mit einer Grünen. Mit Madeleine Petrovic, die allerdings bereits während der Regierung Bierlein in den Aufsichtsrat der Familie & Beruf Management GmbH berufen wurde, und Karin Tausz lassen sich daher derzeit zwei Personen den Grünen zuordnen. 

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Karin Tausz war Bezirksrätin in Wien-Wieden für die Grünen und sitzt seit Mai im Aufsichtsrat der Austro Control GmbH.

Methodik

Für diese Untersuchung wurden zunächst anhand der jährlichen Beteiligungsberichte alle Kapitalgesellschaften, an denen die Republik Österreich zwischen 1.1.1995 und 20.6.2020 eine Beteiligung von mindestens 50 Prozent gehalten hat beziehungsweise hält, gesammelt. Anschließend wurde auf Basis der (teilweise historischen) Firmenbücher eine Liste mit allen Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern dieser Unternehmen sowie das Datum des Amtsantritts (und gegebenenfalls das Ende) erstellt. Arbeitnehmervertreter, die gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz für je zwei Aufsichtsratmitglieder entsendet werden müssen, wurden nicht in diese Liste aufgenommen, da sie nicht von den zuständigen Ministerien ernannt werden. In einem letzten Schritt wurde auf Basis intensiver Recherchen überprüft, ob eine Person einer Partei nahesteht oder nicht. Dafür wurden folgende Kriterien herangezogen: (a) Mitgliedschaft in einer Partei, (b) Ausübung eines oder Kandidatur für ein politischen Amt für eine Partei (Gemeinderat, Landtag etc.) oder (c) Mitarbeit in einer Partei bzw. Teilorganisation (Minister- bzw. Landesratskabinette, Parlamentsklub etc.). Personen, die keine dieser Kriterien erfüllten, wurden als unabhängig gewertet.

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