Lisbeth Salander, die weibliche Hauptfigur in Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie, lehnt gesellschaftliche Konventionen ab. Als Hackerin herrscht sie in einer Männerdomäne und nützt diese Macht, um Selbstjustiz an Männern zu üben, die Frauen misshandeln oder unterdrücken. Dass sie raucht, mag wie ein nebensächliches Detail scheinen, setzt aber eine literarische Tradition fort, die spätestens 1845 mit Prosper Mérimées Carmen begonnen hat: dass rauchende Frauen unangepasst, erotisch oder gefährlich sind. Und gar nicht selten alles zusammen.
Carmen mag nicht nur den Geruch von Tabak und raucht selbst, sie ist auch eine Schmugglerin, Räuberin und Diebin. Dem – bis dahin – rechtschaffenen Soldaten Don José verdreht sie den Kopf, zieht ihn in ihre Schmugglergeschäfte hinein und bereitet ihm damit den Weg ins Verderben.
Was ihr selbst zum Verhängnis wird, ist, dass sie nicht auf ihr ungebundenes Leben verzichten und mit ihrem Liebhaber nach Amerika gehen will.
Eines Abends, zur Zeit, als man gar nichts mehr sieht, lehnte ich rauchend am Geländer, als ein Frauenzimmer die Treppe, vom Flusse her, heraufkam und sich neben mir niederließ. Sie hatte Jasminblüten im Haar, deren nächtlicher Duft so berauschend ist. Sie war schlicht, fast ärmlich gekleidet und ganz schwarz wie die meisten kleinen Mädchen von Sevilla. […] Sofort warf ich meine Zigarre weg. Dieser Betätigung echt französischer Höflichkeit ließ sie sogleich die Bemerkung folgen, sie liebe Tabakgeruch und würde selbst rauchen, wenn sie leichte Papelitos zur Hand hätte. Glücklicherweise hatte ich welche bei mir und beeilte mich, sie ihr anzubieten. […]
Während sich unser Rauch vermählte, plauderten wir, die schöne Nymphe und ich, so lange, bis wir schließlich fast allein noch am Staden waren.
Prosper Mérimée: Carmen. Anaconda Verlag 2006, S. 27
Dafür wird sie von ihm erstochen. „Die Zigeuner tragen die Schuld; sie haben sie so erzogen.“
Carmen ist die erste individuell gezeichnete rauchende Frauengestalt in der Literatur. Sie ist Zigeunerin und als solche weniger strengen Konventionen unterworfen als Frauen im Bürgertum zur gleichen Zeit.
19. Jahrhundert: Bald werden sie Hosen anziehen und Journale lesen
Erster Weltkrieg: Männerarbeit für Frauen, aber kein Tabak
Zwischenkriegszeit: Die selbstbewusste Frau raucht Cigarette
Nationalsozialismus: Eine deutsche Frau raucht nicht
50er Jahre: Die Hausfrau mit der Filterzigarette
1960er und 70er Jahre: Die Zigarette ist auch ohne Frau gefährlich
Im Bürgertum des 19. Jahrhunderts wurde eine strenge Trennung zwischen männlicher und weiblicher, öffentlicher und privater Sphäre gelebt. Während Rauchen bei Männern in der Öffentlichkeit üblich war, galt es als selbstverständliche Höflichkeit, Damen diese Geruchsbelästigung zu ersparen, weswegen sich die Herren in Privathäusern ins sogenannte Raucherzimmer zurückzogen und dazu eigens ins Raucherjackett, den Smoking, wechselten.
Rauchen war für Frauen im Bürgertum nicht vorgesehen; taten sie es doch, setzten sie sich – ebenso wie studierende Frauen – über die Konvention hinweg und wurden als unweiblich verspottet. In zeitgenössischen Karikaturen wurden studierte Frauen grundsätzlich mit Hosen und Zigarette dargestellt.
Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil wurde 1804 in Paris geboren. Als Schriftstellerin legte sie sich ein männliches Pseudonym zu, außerdem trug sie Männerkleider und rauchte Pfeifen und Zigarren. Sie sprach sich gegen die Institution der Ehe aus und schrieb Romane über das Verschmelzen der sozialen Klassen.
Aus der Überlegung heraus, dass auch Frauen nicht nur auf das Jenseits vertrauen, sondern ein erfülltes Leben im Diesseits anstreben sollten, lehnte Louise Aston jegliche Religiosität ab. Damit war sie auch den meisten zeitgenössischen Frauenrechtlerinnen zu radikal.
Nicht rollenkonformes Verhalten ist eine Bedrohung für die herrschende Ordnung, in diesem Fall für die männlich dominierte Ordnung. Dementsprechende Ängste wurden formuliert:
Viele dieser Miniatur-George-Sands verschmähen schon jetzt die Zigarre nicht; neulich kam es sogar vor, daß eine elegante Dame einen Herren mit brennender Zigarre auf offener Straße anhielt, um die ihrige anzuzünden. Alles köstliche Aussichten! Wie lange wird’s noch dauern, so legen sie Hosen an, treiben die Männer mit der Reitpeitsche in die Küche und säugen ihre Kinder zu Pferde! Kleinigkeit für Emanzipierte! Ein öffentliches Damen-Kaffeehaus wird auch schon eingerichtet, dort sollen zugleich Debatten über das Verhältnis der Frauen losgelassen, dabei Zigarrchen geraucht, die neuesten Journale gelesen, genug – ein Herrenleben geführt werden. Wie sich die Berliner Ehemänner freuen werden, wenn sie ihre liebenden Weiber mit brennender Zigarre an die klopfende Brust drücken! Auf jeden Fall – pfui Teufel!
Berliner Magazin aus den 1840er Jahren, zitiert nach Detlef Bluhm: Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie. Tabak und Kultur von Columbus bis Davidoff. Berlin: Transit 1997, S. 96
Eine dieser Frauen, der diese Ängste galten, war die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Louise Aston, auch „die deutsche George Sand“ genannt.
„Im Verein mit einigen anderen Frauenspersonen hat Aston mit jenen Literaten öffentliche Lokalien besucht, mit ihnen Tabak geraucht und getrunken, und die Politik und Religion zum Gegenstande der öffentlichen Unterhaltung gemacht. Vorzugsweise will sie auf die Emanzipation der Frauen hinwirken. Und wie beharrlich und rücksichtslos sie ihre Ansichten durchzusetzen gesonnen ist, geht daraus hervor, dass sie bei ihrer Vernehmung über ihre persönlichen Verhältnisse ohne Scheu erklärt hat, ,sie glaube nicht an Gott und rauche Zigarren. Sie beabsichtige die Frauen zu emanzipieren und sollte es ihr Herzblut kosten. Sie halte die Ehe für ein unsittliches Institut und erst, wenn der Glaube an Gott und das Institut der Ehe fortfalle, würden die Menschen glücklich sein.‘“
Aus einem Polizeibericht über Louise Aston, zitiert nach Barbara Sichtermann: Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott. Hommage an Louise Aston. Edition Ebersbach 2014
Rauchende Frauen sind also – ebenso wie studierende und schreibende Frauen und Frauen, die ein Mitspracherecht bei ihrer Partnerwahl fordern – eine Bedrohung für die herrschende Ordnung, was sich in der Literatur oft als Bedrohung für Individuen manifestiert: Erstaunlich oft haben rauchende Frauen in der Literatur Männer auf dem Gewissen – was die unbestimmte Angst, sie könnten eines Tages Rechte einfordern, in eine tatsächliche Bedrohung für die Gesellschaft übersetzt.
Carmen hat Don José den Weg ins Verderben bereitet. Indem er sie umbringt, stellt er die männliche Dominanz wieder her – hat aber auch nicht mehr viel davon, denn ihn erwartet die Hinrichtung.
Die Angst, die im Berliner Magazin formuliert wurde, dass Frauen Hosen anziehen und in männliche Bereiche vordringen würden, war natürlich berechtigt.
Langsam, aber unaufhaltsam traten gesellschaftliche Veränderungen ein. Else Ury zeichnet den gesellschaftlichen Wandel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrem Roman „Wie einst im Mai“ anhand von sechs Freundinnen nach, die alle unterschiedliche Wege einschlagen.
Eine von ihnen, Hanna Kruse, hat sich in den Kopf gesetzt, Medizin zu studieren.
„Vorläufig nur eine Anfängerin in der lateinischen Wissenschaft und in dem Labyrinth der Algebra und Geometrie.“ Es sollte bescheiden klingen, kam aber doch ziemlich selbstbewußt heraus.
„Wa–as?“ Mariechens Vorstellung stockte. Latein und Mathematik lernte die Hanna wie ein Junge? Was mochte bloß der Vater dazu sagen! Sie schämte sich ordentlich für die Freundin.
Der Vater lächelte belustigt. „Nun, wenn’s erst in den Anfängen ist, dann geht es noch allenfalls. Hoffentlich lassen Sie es dabei bewenden!“
„Das hoffe ich nicht“, sagte Hanna ruhig.
Hannas Bildungsambitionen stoßen in ihrer Umgebung auf ebenso viel Ablehnung und Unverständnis wie ihr Rauchen.
„Die Hanna tut, als ob sie täglich Zigaretten rauche“, neckte Eva.
„Täglich nicht, aber ab und zu habe ich schon mal gepafft. Bernhard schenkt mir öfters mal eine Zigarette. Ihr müßtet mal Tante Mathildes Gesicht sehen, wenn sie Zigarettenrauch in meinem Zimmer wittert!“
„Kann ich Ihrer Tante durchaus nicht verdenken. Ich teile deren Abscheu gegen ein rauchendes weibliches Wesen, kann es mir überhaupt nicht vorstellen“, fiel Madam Kantor lebhaft ein. „Wo bliebe da weibliche Anmut?“
Hanna geht nach Zürich, um Medizin zu studieren. Sie eröffnet eine Arztpraxis und gewinnt nach einigen Anfangsschwierigkeiten als erste Ärztin in Berlin das Vertrauen der Patienten.
Sie trägt Reformkleidung („kein Korsett, keinen Kragen“) und beim Radfahren auch Hosen. Ihr Engagement in Frauenvereinen wird im Roman nur erwähnt, nicht beschrieben, aber dort wird sie wohl nicht die einzige rauchende Frau sein.
Nein, war die Hanna Kruse emanzipiert geworden! Die Haare trug sie wie ein Junge kurz geschnitten. »Tituskopf« nannte sie diese unweibliche Frisur. Geradezu schauderhaft! Schöne Zöpfe waren doch der Schmuck eines jeden Mädchens. Bequem mochte es ja sein, na ja, aber schön war es wirklich nicht, ebensowenig wie Hannas sonstiges Äußere. Reformkleidung trug Hanna Kruse, kein Korsett, keinen Kragen. Wie in einem Sack steckte sie in ihrem losen Kleide, ohne Markierung der Taille, die man doch jetzt wespenartig dünn schnürte.
Bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert sollten ihrem Mann ein gemütliches Heim bereiten, ihren Kindern eine liebevolle Mutter sein und sie so erziehen, dass sie ihrem Vater nicht zur Last fallen, schön für ihren Ehemann sein, sich ihrer Schönheit aber am besten gar nicht bewusst sein, sich züchtig in ein Korsett einschnüren, keine erotischen Bedürfnisse haben, aber immer ihrem Mann zu Willen sein, ihre Rolle nicht hinterfragen, tiefgläubig sein und ihren religiösen Pflichten nachkommen, sich nicht für Politik oder Wissenschaft interessieren, nicht rauchen.
Wenn sie diesem Idealbild in einem Punkt nicht entsprachen, dann vielleicht auch nicht in anderen. Dementsprechend wird all das in zeitgenössischen Karikaturen vermischt, und in Literatur und Film bis heute.
Im Ersten Weltkrieg wurde die Gesellschaft zum Wandel gezwungen. Frauen ersetzten die männlichen Arbeitskräfte, die im Krieg waren. Damit setzte sich auch praktischere Kleidung endgültig durch.
Während die Versorgung von Soldaten mit Tabak als kriegswichtig angesehen wurde, war zumindest in Österreich der Verkauf von Raucherwaren an Frauen verboten, Raucherkarten wurden nur an Männer vergeben.
Bei Frontsoldaten etablierte sich die Zigarette als billigere und schnellere Alternative zu Pfeife und Zigarre.
Nach dem Krieg bekamen Frauen in vielen Ländern das Wahlrecht und behielten ihre aufgewertete Stellung in der Öffentlichkeit. Auch Frauen konnten in der Öffentlichkeit das Leben genießen.
Tabak war nun keine Mangelware mehr, Zigaretten wurden industriell produziert und fanden große Verbreitung, auch bei Frauen. Wurden Pfeife, Schnupftabak und Zigarre als besonders unweiblich angesehen, stießen Zigaretten auf größere Akzeptanz.
Das Kino wurde zum Massenmedium, lasziv rauchende Femmes fatales verführten Männer auf der Leinwand. Es ist wohl auch kein Zufall, dass die meisten Prostituierten, die in Filmen eine Rolle spielen, rauchen.
Asta Bielsen Die freudlose Gasse 1925
Louise Brooks Die Büchse der Pandora 1928
Marlene Dietrich Der blaue Engel 1930
Shirley MacLaine Irma la douce 1963
Jeanne Moreau Eva 1962
Working Girls 1986
Die Tabakindustrie sprach mit ihrer Zigarettenwerbung nun auch gezielt Frauen an.
Eine Frau, die das Leben genießt, ist Rebecca de Winter. Sie ist eine echte Lady, hochanständig – zumindest nach außen hin. Atemberaubend schön, verdreht sie allen Männern den Kopf, sodass ihr Auserwählter leider erst nach der Hochzeit merkt, dass sie kaltherzig ist, ihn aus reinem Kalkül geheiratet hat und nicht daran denkt, ihm treu zu bleiben. Welche Rolle Zigaretten bei ihrer Verführungskunst gespielt haben, wird im Roman nicht beschrieben, nur dass sie raucht – auch als sie vorgibt, schwanger zu sein, und zwar von einem anderen, was den Stolz ihres Gatten endgültig dermaßen verletzt – wie es schon bei Don José und Carmen war –, dass dem armen Kerl gar keine andere Wahl bleibt, als sie zu erschießen und den Rest des Romans darunter zu leiden, was dieses Weib ihm angetan hat.
Man könnte sich an dieser Stelle fragen, was es eigentlich über das sogenannte starke Geschlecht aussagt, dass dessen Mitglieder einer Frau, sobald sie ein paar Reize auspackt, völlig hilflos ausgeliefert sind. Aber das scheint ein Naturgesetz in Romanen und Filmen zu sein.
Mit einer Ausnahme: Philip Marlowe, der eines Abends, als er heimkommt, eine Frau in seinem Bett vorfindet und zu ihr sagt, sie soll sich wieder anziehen.
Der 1938 erschienene Roman erzählt davon, wie sich die neue Frau an der Seite von Rebeccas Ex-Mann in ihrer Rolle als Gutsherrin einfindet, während Rebeccas Schatten über dem Anwesen liegt und die Haushälterin Mrs. Danvers ihr das Leben schwer macht.
Die Geschichte wurde 1940 von Alfred Hitchcock verfilmt, 2006 wurde ein Musical in Wien aufgeführt.
Dass Rebecca, wäre sie nicht von ihrem Gatten erschossen worden, an Krebs gestorben wäre, steht wahrscheinlich nicht in direktem Kausalzusammenhang mit ihrem Rauchen, denn die kanzerogene Wirkung des Tabakrauchs war damals noch nicht bekannt.
„Es ist nicht wegen der Nachbarn“, sagte ich ihr. „Denen ist das reichlich piepe. In so einem Apartmenthaus treiben sich die Miezen haufenweise umher, und wegen einer mehr wird nicht gleich die Bude einstürzen. Aber hier geht es um Berufsstolz. […] Ich arbeite für Ihren Vater. Er ist ein kranker Mann, sehr schwach, sehr hilflos. Er vertraut irgendwie darauf, daß ich keine Mätzchen mache. Wollen Sie sich nicht bitte anziehen, Carmen?“
[…]
Es ist so schwer für Frauen – selbst für nette Frauen – zu begreifen, daß ihr Körper nicht unwiderstehlich ist.
Philip Marlowe ist Privatdetektiv im Los Angeles der 1930er Jahre und damit ein prominenter Vertreter des sogenannten Hard-boiled-Genres. Wie der Name schon andeutet, spielen diese Krimis in einem rauen Milieu, wo fast so viele Schusswaffen wie Zigaretten im Umlauf sind, das von Schmuggel und organisiertem Verbrechen geprägt ist.
In diesen Krimis wird generell viel geraucht (im ersten Philip-Marlowe-Roman „The Big Sleep“ kommen die Wörter „cigar“ und „cigarette“ insgesamt 92-mal vor), vor allem vom Detektiv selbst, der natürlich ein harter Kerl ist, andererseits damit seine Melancholie zum Ausdruck bringt.
Philip Marlowe blickt der Welt mit einer zynischen Verachtung entgegen, von der vor allem Frauen nicht ausgenommen sind. „Man kann auch von anderem als Alkohol das heulende Elend kriegen. Ich hatte es von den Frauen. Sie machten mich krank.“ (S. 139) Er hat es in diesem Fall mit zwei Schwestern zu tun. Die eine hat einen Mord begangen, die andere hat ihn vertuscht. Beide versuchen, ihn zu verführen.
Die eine, Carmen, indem sie in seine Wohnung eindringt und ihn nackt in seinem Bett erwartet. Dass sie abgewiesen wird, verkraftet sie nicht gut, sondern versucht bei nächster Gelegenheit, den Detektiv zu ermorden.
Die ältere, weniger naive Schwester Vivian hat Carmen schon einmal geholfen, einen Mord zu vertuschen. Auch sie versucht, den Detektiv zu verführen, um sein Interesse vom Fall abzulenken.
Sie war einen Blick wert. Sie war das pure Unheil. Sie lag ausgestreckt auf einer supermodernen Chaiselongue, die Slipper abgestreift, und ich starrte auf Beine in hauchdünnen Seidenstrümpfen. Sie schienen zum Draufstarren arrangiert zu sein. Sie waren bis zum Knie sichtbar und eins noch ein gutes Stück darüber.
Vivian trägt gelegentlich auch Männerkleidung, ein Männerhemd mit Krawatte, spielt im Casino und raucht.
Vivian Regan langte in ihre Tasche nach einem Päckchen Zigaretten und schüttelte zwei ganz locker wie ein Mann. Sie hielt sie mir hin.
Viele der Frauen, mit denen Philip Marlowe zu tun hat, rauchen. Man kann nicht unbedingt sagen, dass sie gefährlicher sind als die anderen, denen er begegnet, denn Frauen sind in seiner Wahrnehmung generell gefährliche Flittchen, viele von ihnen außerdem naiv und dumm.
Die Verfilmungen von „The Maltese Falcon“ („Die Spur des Falken“, 1941) und „The Big Sleep“ („Tote schlafen fest“, 1946), beide mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle, begründen das Genre des Film noir, auf das unter anderem französische Filme bis in die 1970er Jahre Bezug nehmen, zum Beispiel „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“, wo Romy Schneider als Julie Wormser nicht nur viel nackte Haut zeigt, sondern auch beinahe den ganzen Film hindurch raucht und versucht, ihren Mann umzubringen.
„Tatsächlich hat jedoch die belangte Behörde in durchaus glaubwürdiger Weise diese Ungleichheit der Beteilung damit begründet, daß der Bedarf der Männer an Rauchwaren, nach dem allgemeinen Durchschnitt – im ganzen Bundesgebiet – gemessen, ein Vielfaches von dem der Frauen beträgt. […]
Eine so ermittelte Verteilungsgrundlage ist aber keine willkürliche, sie fußt auf objektiven Merkmalen und beinhaltet daher nicht die Einräumung eines Vorrechtes an das männliche Geschlecht.“
Die Nationalsozialisten erklärten Nikotin zum „Rassengift“ und stellten Forschungen zu dessen Schädlichkeit an. Deutsche Ärzte erkannten als Erste den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Während man den Frontsoldaten und überhaupt Männern das Rauchen nicht verbieten konnte, standen besonders Frauen, die ja gesunde Kinder gebären und sich überhaupt in ein sehr klassisches Rollenmuster fügen sollten, im Zentrum von Anti-Tabak-Kampagnen.
Als der Tabak rationiert wurde, bekamen Frauen zwar auch Tabakmarken, aber weniger als Männer. Männer bekamen sie ab 18 Jahren, Frauen nur im Alter von 25 bis 55, außerdem nur die Hälfte der Menge, die Männern zustand. Auf die Beschwerde einer Frau entschied der Verfassungsgerichtshof am 11. Februar 1947, dass das nicht diskriminierend sei.
In der Nachkriegszeit hatten Zigaretten allerdings eine weitere Funktion: Sie wurden als Zahlungsmittel verwendet.
Dass die Nationalsozialisten Rauchverbote auch aus Gründen der „Rassenhygiene“ verhängt hatten, schadete vor allem Antiraucherbewegungen der Nachkriegszeit.
Die strahlende Ehefrau verwöhnt ihren langweiligen Mann so vorbildlich mit Liebe, Essen und Zigaretten, dass sie zur Belohnung zum Abendessen etwas kochen darf, was sie selbst gern essen möchte. Selbst raucht sie allerdings nur heimlich, als ihr Mann weg ist.
Als die Männer aus dem Krieg zurückkehrten, nahmen sie ihre Rolle als Familienoberhaupt und Ernährer wieder ein. Wirtschaftswunder und Wohlstand hielten Einzug, und so mussten Frauen endlich nicht mehr ihren Mann stehen, sondern konnten sich wieder auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter konzentrieren – so die Idealvorstellung. Trotz dieser Rückkehr zu den bürgerlichen Werten versuchte die Tabakindustrie durch gezielte Werbung, gerade diese Zielgruppe zu erreichen.
Zum zunehmenden Tabakkonsum von Frauen trug auch bei, dass sich in den späten 50er Jahren die Filterzigarette durchsetzte.
Nicht dem bürgerlichen Frauenbild entspricht Claire Zachanassian, die so reich und mächtig ist, dass der Präsident der Weltbank sich danach richten muss, wann sie Zeit hat.
Hier ist es nicht eine böse und dämonische Frau, die einen Mann zu unmoralischem Verhalten verführt, sondern sie wurde durch das, was Männer ihr angetan haben, zu dem, was sie ist.
Claire wurde von ihrer Jugendliebe geschwängert, dann verleumdet und sitzen gelassen, was sie in die Prostitution getrieben hat. Dafür rächt sie sich bitterlich an den Verursachern ihres Leids und stellvertretend an allen Männern. Zu diesem Zweck benützt sie Ehemänner, die ihr Reichtum und Macht ermöglichen. Die beiden Freunde des Täters, die falsch gegen sie ausgesagt haben, kastriert und blendet sie und beschäftigt sie als Diener. Und der Täter selbst, Alfred Ill, wird kollektiv von der Dorfgemeinschaft umgebracht, die von Claire dafür eine Milliarde Franken bekommt.
Ihr Rauchen hat dabei auch einen dramaturgischen Zweck: Während der Abschiedsszene mit Alfred Ill rauchen die beiden Zigarren, was Erinnerungen an heimliches Rauchen in der Jugendzeit aufleben und damit nostalgische und romantische Gefühle aufkommen lässt. Auch was sie rauchen, ist kein Zufall: Romeo et Juliette.
Oberflächlich ganz anders erscheint Holly Golightly aus „Frühstück bei Tiffany“, nämlich jung, hübsch und lebensfroh. Doch auch sie ist eine zutiefst tragische Figur.
Als sie mit 14 Jahren einen texanischen Tierarzt mit vier Kindern geheiratet hat, hat sie sich in Träume von einem glamourösen Leben geflüchtet. Aus ihrem Leben ist sie ausgebrochen und nach New York gegangen, wo sie rauchend das Partyleben genießt. Doch in der Realität ist sie nie angekommen. Sie versucht, ihre unrealistischen Träume vom materiell erfüllten Leben über Männer zu erreichen, anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen, das sie derart wenig im Griff hat, dass sie ständig ihre Schlüssel verliert.
Dass sie als die tragische Figur dargestellt wird, die sie ist, und nicht als verkommenes Subjekt, ändert nichts daran, dass auch sie Männer nur benützt (und sich natürlich von diesen benützen lässt), in ihrem Fall, um sozialen Aufstieg und ein unbeschwertes Leben zu erreichen.
Dabei geht sie ziemlich zielstrebig vor, beispielsweise dringt sie bei ihrem Nachbarn ins Schlafzimmer ein – was traditionell ein männliches Privileg ist, wenn man sich gewisse dörfliche Bräuche in Erinnerung ruft. Dort steckt sie sich ungefragt eine seiner Zigaretten an und liegt wenig später neben ihm im Bett. Dieser Nachbar ist zwar ein ziemlicher Traummann, fesch, liebevoll und Schriftsteller, aber eben nicht reich. Im Buch (wo er möglicherweise nicht so jung und fesch ist, das erfährt man nicht) hat sie kein tieferes Interesse an ihm, im Film entspinnt sich eine Romanze. Doch Holly verfolgt ihr Ziel, reich zu heiraten, weiter.
Für den vermögenden Brasilianer José lernt sie kochen („she spent whole hausfrau afternoons slopping about in her midget kitchen“) und wäre sogar bereit, für ihn das Rauchen aufzugeben.
Als Holly in einen Skandal um einen Gangsterboss verwickelt wird, lässt José sie fallen, statt sie wie versprochen mit nach Brasilien zu nehmen. Im Buch geht sie allein und versucht dort, einen reichen Gönner zu finden. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.
Im Film hingegen redet ihr der nette Nachbar und Freund ins Gewissen: Er liebe sie, sie gehöre zu ihm. Holly widerspricht und raucht dabei. Er geht. Sie wirft die Zigarette fort – die uns vorher als Symbol ihres scheinbar selbstbestimmten Single-Lebens präsentiert wurde –, und folgt ihm.
Es wirkt wie ein Happy End, weil sie mit dem feschen Traummann zusammenkommt, der sie ehrlich liebt und sich um sie kümmern wird. Aber noch happier wäre es gewesen, wenn Holly ihr Leben vorher allein auf die Reihe gekriegt hätte und sich nicht wieder in die Abhängigkeit von einem Mann begeben würde.
1964 wird der Terry-Report veröffentlicht, eine Studie, die den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs, chronischer Bronchitis und Herzkrankheiten belegt, außerdem den Zusammenhang zwischen rauchenden schwangeren Frauen und untergewichtigen Neugeborenen. Es ist nicht die erste Studie dieser Art, aber die erste, die in der Öffentlichkeit auf breite Resonanz stößt und Warnhinweise und Einschränkungen für Zigarettenwerbung zur Folge hat.
Das Rauchen in der Öffentlichkeit gehört zum Alltag, in allen Gesellschaftsschichten, bei Männern und Frauen, am Arbeitsplatz, in Restaurants, im Zug. Dass es gesundheitsschädlich ist, ist zwar grundsätzlich bekannt, aber so richtig angekommen in der Bevölkerung ist dieses Bewusstsein nicht. Man kann die Gefahr ja einfach nicht zur Kenntnis nehmen und sich dadurch besser fühlen, empfiehlt ein Frauenratgeber noch 1975:
„Menschen, die sich nichts zutrauen, vertragen bald nichts mehr. Wer Zigarettenrauch schädlich, krebsfördernd und todbringend findet, wird sein Leben lang mit Kopfschmerzen herumlaufen, da er ihm nicht ausweichen kann.“
Gerda Trauttmansdorff: Die Frau und ihre Welt. Andreas Verlag 1975
Die Tabakindustrie reagierte auf die zunehmend bewusst werdende Gesundheitsgefahr mit Leichtzigaretten, die vor allem gezielt Frauen ansprechen sollten. Eigene Damenzigaretten längeren Formats mit längeren Filtern wurden entwickelt. Beworben wurden sie mit Slogans wie „Für Männerhände viel zu chic“, im Volksmund wurden sie gerne „Nuttenstängel“ genannt. Während Werbesujets zur gleichen Zeit auf selbstständige, selbstbewusste Frauen setzten, griff man für die Zigarettenpackungen selbst auf Konventionelles zurück, etwa Blumenmuster auf Packung und Filter.
„You’ve got your own cigarette now, baby, you’ve come a long, long way.“ Die „Frauenzigaretten“ Virginia Slim stellen Ende der 1960er Jahre in Werbespots die Zigarette als Symbol für die Freiheit der Frau dar.
Im 19. Jahrhundert hätten Sie Ihre Zigarette weggeworfen, um der Dame die Geruchsbelästigung zu ersparen. Nicht alles ist seither besser geworden:
Das lehrt Thomas Schäfer-Elmayer in: Früh übt sich … und es ist nie zu spät. Gutes Benehmen für Groß und Klein. Ecowin 2006
Ob das auch für Schwangere oder Mütter mit Kleinkindern gilt, steht da nicht.
In den 1970er Jahren sinkt der Anteil der rauchenden Männer, der Anteil der rauchenden Frauen jedoch steigt.
Ein Grund dafür wird sein, dass immer mehr Frauen erwerbstätig waren und somit über ein eigenes Einkommen verfügten.
Was damals noch nicht bekannt war, ist, dass Frauen anfälliger für die gesundheitlichen Risiken des Rauchens sind als Männer. Außerdem wirkt das Nikotin schneller, was die Abhängigkeit größer und das Aufhören schwerer macht.
Glaubt man aktuellen Studien, rauchen Frauen auch anders als Männer. Während sich Männer eher in Gesellschaft eine Zigarette anstecken, wenn es ihnen gut geht, rauchen Frauen eher bei Stress.
Das langsam aufkommende Bewusstsein, dass Nichtraucher unverschuldet denselben Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, wenn neben ihnen geraucht wird, führt zu Rauchverboten an öffentlichen Orten, auch wenn es bis ins nächste Jahrtausend dauert, bis Rauchen am Arbeitsplatz verboten wird.
Auch dem Elmayer von 2006 ist eher die ungestörte Suchtbefriedigung der Raucher ein Anliegen als das Bedürfnis von Nichtrauchern, ihre Wohnung rauchfrei zu halten.
Auch der Jugendschutz wird in den 1970er Jahren zum Anliegen. Die Zeiten, als man Kinder für Zigaretten werben ließ, sind nun endgültig vorbei.
„Ich habe Royal Star nicht probiert. Ich rauche nicht, ich bin noch zu klein. Aber mein Papi sagt, es gibt auf der ganzen Welt keine bessere Zigarette als Royal Star. Und mein Papi ist der klügste Mann von der ganzen Welt“, sagt der kleine Bub.
Der Vater lässt sich von seinem kleinen Sohn ein Feuerzeug bringen und zündet sich genüsslich eine Zigarette an. Die Mutter gesellt sich dazu. Der Sohn raucht fröhlich passiv mit.
Die 13-bändige Kinderbuchserie (1999–2006) erzählt von den drei Waisen Violet, Klaus und Sunny Baudelaire, die sich gegen eine Welt zur Wehr setzen müssen, in der alle Erwachsenen entweder böse oder dumm oder böse und dumm sind. 2004 wurde die Geschichte als Kinofilm adaptiert, 2017/18 als Netflix-Serie.
Die glückliche rauchende Familie hat auch in Kinderbüchern keinen Platz mehr.
In vielen Kinderbüchern lässt sich ein gewisser pädagogischer Anspruch herauslesen, auf die Schädlichkeit von Zigaretten hinzuweisen. Im Buch „The Slippery Slope“ aus der Reihe „A Series of Unfortunate Events“ ist besonders plakativ dargestellt, dass Rauchen dumm ist.
“What’s that?” Esmé asked.
“I think it’s a cigarette,” the man said.
“A cigarette!” Esmé said, with a smile as big as Olaf’s. “How in!”
“I thought you’d enjoy them,” the man said. […]
A bitter smell, like that of burning vegetables, filled the air, and Esmé Squalor began to cough.
“What’s the matter?” asked the woman in her deep voice. “I thought you liked things that are in.”
“I do,” Esmé said, and then coughed quite a bit more. […] “I love cigarettes,” she explained to the man with a beard but no hair, “but I prefer to smoke them with a long holder because I don’t like the smell or taste and because they’re very bad for you.”
Esmé Squalor ist ein absolutes Fashion Victim und richtet ihr gesamtes Leben danach aus, was gerade in ist. So raucht sie auch nur, weil sie es für besonders stylish hält, obwohl sie weiß, wie schädlich das ist. Esmé Squalor zeichnet sich außerdem durch extreme Rücksichtslosigkeit aus, ist grausam gegenüber Waisenkindern und Tieren.
This evening she was wearing a long coat made from the fur of a number of animals that had been killed in particularly unpleasant ways.
Darin erinnert sie an Cruella de Vil im Disney-Film, deren Ziel im Leben es ist, aus Dalmatinerwelpen einen Pelzmantel zu machen.
Esmés sonstige Charaktereigenschaften stehen in bester literarischer Raucherinnentradition:
Ihren Mann, den sie nur aus taktischen Gründen geheiratet hat, betrügt sie mit Graf Olaf, dem Oberhaupt einer kriminellen Organisation, die auch vor Morden nicht zurückschreckt.
Auch bei Filmen wird man sich bewusst, dass Comic-, Film- und Romanhelden möglicherweise auch beim Rauchen eine Vorbildfunktion ausüben können. Bösewichte rauchen auch in Filmen weiterhin, die Guten hörten aber in den letzten Jahrzehnten auf.
So tauschte nicht nur Lucky Luke 1991 die Zigarette in seinem Mundwinkel gegen einen Grashalm, auch James Bond raucht nur noch passiv.
Die Rauchgewohnheiten von männlichen Filmcharakteren änderten sich also radikal. Wenn in modernen Filmen geraucht wird, hat das fast immer eine Funktion zur Charakterisierung oder zum Fortgang der Handlung.
Geraucht wird vor allem noch von den Bösen, die allerdings meistens auch die Cooleren sind, womit das mit der Vorbildwirkung fraglich bleibt.
Bei rauchenden Frauen hingegen war das eigentlich schon immer so, wie wir gesehen haben. Es gibt natürlich ab und zu Frauengestalten, die rauchend nachdenken, beispielsweise bei Marlen Haushofer, aber das bleiben Ausnahmen. Keine positive weibliche Heldin raucht derart unmotiviert Kette wie Philip Marlowe oder Columbo. Zu sagen, dass in Filmen nur Frauen rauchen, die Männer auf dem Gewissen haben, würde wohl zu weit gehen. Aber jedenfalls klafft die Darstellung von Rauchern – und besonders Raucherinnen – in Fiktion und Realität weit auseinander.
Die Zigarette bleibt in aktuellen Filmen ein wichtiges Accessoire einer verführerischen (und gefährlichen) Frau, wenn auch nicht immer so plakativ wie beim Bond-Girl Xenia Onatopp, einer KGB-Agentin, die Männer umbringt, indem sie ihnen beim Sex die Luft abschnürt.
In „Die Wand“, wo sich die Erzählerin ganz allein und abgeschnitten von aller Zivilisation wiederfindet, sind Zigaretten das Erste, was ihr ausgeht und den Übergang in ein neues Leben signalisiert. Es folgen Lebensmittel, Schreibzeug und vieles andere.
In „Wir töten Stella“ ist die Erzählerin, die auch in einigen Szenen raucht, alles andere als eine emanzipierte Frau. Um die scheinbare Harmonie ihrer unglücklichen Ehe nicht zu stören, unternimmt sie nichts, als ihr Mann die junge Stella missbraucht, was deren Selbstmord zur Folge hat.
Ihre vom Friseur blondierten und ruinierten Haare sind zu neuem Leben erwacht, ich weiß nicht, ist es an der Geisterstunde gelegen oder an der indirekten Beleuchtung oder an den Hormonen oder am Bimbo, der ihr Feuer gegeben hat mit seinem Zippo-Feuerzeug.
„Ziehen!“ hat der Bimbo die Lanz-Tochter angebrüllt, während er ihr die Riesenflamme hingehalten hat, mit der er fast die strohtrockene Angelika-Mähne in die Luft gejagt hätte.
„Ziehen! Nicht blasen, Angelika!“
Die Angelika Lanz hat aber schon gewußt, daß man bei einer Zigarette ziehen muß, weil seit zehn Jahren die reinste Kettenraucherin. Und was ihr der Bimbo als nächstes erklärt hat, hat sie auch schon hundertmal gehört:
„Darum heißt es ja Zieh-Garetten!“
Sie hat einen tiefen Lungenzug gemacht, daß die Zigarettenspitze orange aufgeglüht ist wie eine Silvesterrakete.
„Ziehen! Nicht blasen, Angelika!“, hat der Bimbo jetzt noch einmal gesagt, aber für seine Verhältnisse aufreizend leise.
[…]
Jetzt natürlich. Ein Wort ergibt das andere. Und Alkohol im Spiel. Das ist ja bekannt, daß das eine enthemmende Wirkung hat. Am nächsten Tag tut es einem oft leid, und man möchte nicht mehr daran erinnert werden.
Aber der Brenner hat sich am nächsten Morgen noch an jede Einzelheit erinnert. Wie die Angelika den Bimbo gleich an Ort und Stelle, vor versammelter Mannschaft beim Wort genommen hat. Wie sie vor den grölenden Kollegen ihres Vaters, die sie angefeuert haben, wie den reinsten Fußballstürmer, den ganzen Bimbo zum Glühen gebracht hat.
Wolf Haas: Komm, süßer Tod. Rororo 1998, S. 36–37
Verführerisch muss aber nicht automatisch schön bedeuten. Es ist ja auch eigentlich nicht nachvollziehbar, dass gerade rauchende Frauen mit Schönheit und einem strahlenden Lächeln bezaubern sollen, denn schließlich lässt Rauchen ja, wie wir nicht nur von Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen wissen, die Haut altern und die Zähne gelb werden.
Doch diese Mängel kann frau durch entsprechende Freizügigkeit kompensieren. Schon im 19. Jahrhundert wurde rauchenden Frauen, die sich ja sowieso schon sittenwidrig verhielten, sexuelle Freizügigkeit unterstellt.
Auf die Spitze getrieben hat diesen Zusammenhang Wolf Haas am Ende des 20. Jahrhunderts:
Auch bei Lisbeth Salander, die nicht als attraktiv beschrieben wird, dafür aber als unangepasst, wild und gefährlich, denken erstaunlich viele Männer darüber nach, wie es wohl wäre, mit ihr ins Bett zu gehen.
Meistens aber sind verführerische Frauen in Filmen sehr schön. Mit Catherine Tramell (Sharon Stone) im Erotikthriller „Basic Instinct“ wurde ganz tief in die Klischee-Kiste gegriffen. Gleich in der ersten Szene ersticht sie einen Mann im Bett. Bei der anschließenden Polizeibefragung erweist sie sich als eiskaltes, manipulatives Biest. Sie raucht demonstrativ in einem Gebäude, wo Rauchen verboten ist, während sie sich ohne Unterwäsche auf einem Stuhl räkelt, einer Reihe von ratlosen Männern gegenüber.
Einen Detective, der mit dem Rauchen aufgehört hat, verführt sie wieder dazu und leitet ihn bei seinen Ermittlungen völlig in die Irre, was dazu führt, dass er seine Geliebte erschießt, die er fälschlicherweise für die Täterin hält.
Man könnte sich an dieser Stelle fragen, was es eigentlich über das sogenannte starke Geschlecht aussagt, dass dessen Mitglieder einer Frau, sobald sie ein paar Reize auspackt, völlig hilflos ausgeliefert sind, aber das ist eine andere Geschichte.
Catherine Tramell ist außerdem Schriftstellerin und benützt Männer für ihre Bücher. Eigentlich ist sie aber lesbisch und entzieht sich so männlicher Kontrolle. Und sie hasst Kinder. Männer im 19. Jahrhundert hätten ihre Angst vor unangepassten Frauen nicht besser darstellen können.
Natürlich bilden Romane und Filme die Realität nur in einem sehr begrenzten Ausmaß ab. Fast alles, was Romanfiguren oder Filmcharaktere tun, dient in irgendeiner Weise ihrer Charakterisierung oder dem Fortgang der Handlung, so auch das Rauchen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie beharrlich angesichts der Tatsache, wie stark sich das Rauchen in der Gesellschaft im letzten Jahrhundert gewandelt hat, in Romanen und Filmen an Stereotypen aus dem 19. Jahrhundert festgehalten wird.
Truman Capote: Breakfast at Tiffany’s. Penguin Modern Classics 2000
Raymond Chandler: Der große Schlaf. Üs. Gunar Ortlepp. Diogenes 1974
Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie. Neufassung 1980. Diogenes 1998
Wolf Haas: Komm, süßer Tod. rororo 2001
Stieg Larsson: Millennium-Trilogie (Verblendung, Verdammnis, Vergebung). Üs. Wibke Kuhn. Heyne
Daphne du Maurier: Rebecca. Virago Press 2006
Prosper Mérimée: Carmen. Novelle. Üs. Arthur Schurig, 1983, abrufbar in der Edition Gutenberg
Lemony Snicket: The Slippery Slope. A Series of Unfortunate Events 10. Harper Collins 2003
Else Ury: Wie einst im Mai. 1930, abrufbar in der Edition Gutenberg
Gerda Trauttmansdorff: Die Frau und ihre Welt. Andreas Verlag 1975
Thomas Schäfer-Elmayer: Früh übt sich … und es ist nie zu spät. Gutes Benehmen für Groß und Klein. Ecowin 2006
Als die Zigarette giftig wurde. Ein Risiko-Produkt im Widerstreit. Hg. v. Gerulf Hirt und Christoph Alten, Stefan Knopf, Dirk Schindelbeck, Sandra Schürmann. Jonas Verlag 2017
Carmen. Von rauchenden Frauen: Emanzipation und Männerphantasien im 18. Und 19. Jahrhundert. Detlef Bluhm: Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie. Tabak und Kultur von Columbus bis Davidoff. Transit Verlag 1997
Melanie Aufenvenne: Feuer gefällig? Eine Kulturgeschichte des Rauchens. Vergangenheitsverlag 2013 (= Kleine Kulturgeschichten)
Sabina Brändli: „Sie rauchen wie ein Mann, Madame“. Zur Ikonographie der rauchenden Frau im 19. und 20. Jahrhundert. In: Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Hg. v. Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki. Chronos Verlag 1996
Roman Sandgruber: Der Tabakkonsum in Österreich. Einführung, Verbreitung, Bekämpfung. In: Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Hg. v. Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki. Chronos Verlag 1996
Barbara Sichtermann: Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott. Hommage an Louise Aston. Edition Ebersbach 2014