Regierungsvorlagen und Anträge der Koalitionsparteien sind in den ersten 100 Tagen der Koalition Kurz im Nationalrat eingegangen.
Wie misst man den Fleiß, die Ambition, die Energie, mit der sich eine neue Regierungskoalition daran macht, das Land zu ändern? Und zwar, wenn man nicht gleich werten will, sondern ganz nüchtern nachvollziehen möchte, wie die Neuen da an ihre Arbeit herangehen?
Um es kurz zu machen: Es ist schwierig. Die Materien, um die es geht, ob ganz zu Beginn einer Amtszeit oder in höchster Krise, sind komplex und die Möglichkeiten vielfältig, denselben gestalterischen Effekt auf unterschiedliche Arten zu erreichen. Ob etwa eine bloße Verordnung eines Ministers ausreicht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, oder ob es dafür am Ende doch ein Gesetz braucht, entscheidet nicht selten erst lange im Nachhinein der Verfassungsgerichtshof.
Das heißt aber nicht, dass man nicht versuchen kann, sich der Regierungsarbeit auf quantitativem Wege anzunähern. Aus dem US-Raum ist inzwischen die Idee übergeschwappt, nach 100 Tagen im Amt eine erste Bilanz über Tun und Lassen der aktuellen Regierung zu ziehen – populär gemacht hat die Idee Präsident Franklin D. Roosevelt, der in den ersten Wochen nach der Wahl 1932 die ersten Reformen seines „New Deal“ auf den Weg brachte und nach hundert Tagen erstmals Resümee darüber zog. Die US-Medien und die gerade aufkommende Meinungsforschung übernahmen diesen Maßpunkt nur zu gerne.
Roosevelt bezog sich damals rein auf die legislative Arbeit im Kongress. Aber das US-System, das dem Präsidenten auch weiten Spielraum einräumt, Politik via Verordnung zu gestalten, erlaubt es Kandidaten in den hoch personalisierten Wahlkämpfen in Amerika, klare – und messbare – Ziele für diese magischen ersten hundert Tage anzukündigen, an denen sie sich messen lassen (und scheitern) können.
Das politische System Österreichs ist für solches ein wenig zu träge. Allein der parlamentarische Prozess für einzelne Gesetze – Stichwort Bundesrat – zieht sich häufig über Monate, binnen 100 Tagen bräuchte es massiven politischen Willen, schnelle Änderungen durchzuziehen.
Das zeigt sich in der aktuellen Legislaturperiode recht deutlich: Von all den Gesetzesvorhaben, die in der Amtszeit der Regierung Kurz, also seit 18. Dezember 2017, im Nationalrat eingelangt sind, sind gerade einmal drei von National- und Bundesrat beschlossen, vom Bundespräsidenten gegengezeichnet, vom Kanzler kundgemacht und damit in den Rechtsbestand der Republik eingegangen:
Aber wie schaut es weiter hinten in der Gesetzes-Pipeline aus? Wir haben nachgerechnet, wie viele Vorhaben die aktuelle Regierung in ihren ersten hundert Tagen auf den Weg gebracht hat – im Vergleich zu den Vorgängerkoalitionen, als diese angetreten sind:
Regierungsvorlagen und Anträge der Koalitionsparteien sind in den ersten 100 Tagen der Koalition Kurz im Nationalrat eingegangen.
Wir sehen: Besonders eilig hatte es die Koalition Kurz/Strache bisher nicht, dem „Speed Kills“-Vorbild von Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel nachzueifern. 33 Regierungsvorlagen und Anträge von Mandataren der Regierungsparteien sind zwischen 18. Dezember und 28. März im Nationalrat eingereicht worden – sieben mehr als die 26 in den ersten hundert Tagen der Regierung Gusenbauer/Molterer, aber deutlich weniger als 2008/09 unter Faymann/Pröll (57) oder 2000 unter Schüssel/Riess-Passer (51).
Anmerkung: Ein Vergleich mit dem Antritt von Christian Kern als Bundeskanzler ist hier unterblieben, weil mit dessen Regierungsübernahme im Mai 2016 keine (sofortige) Änderung des Koalitionspakts mit der ÖVP verbunden war. Es gab also kein neues Programm, das es sofort umzusetzen gegeben hätte.
Natürlich hat auch diese Methode, die Regierungsarbeit zu quantifizieren, ihre Schwächen: Man kann etwa große gesellschaftliche Projekte, die eine Vielzahl an Rechtsgebieten novellieren, in eine einzelne Novelle packen. Außerdem sind viele Gesetzesvorhaben de facto unspektakuläre Verwaltungsanpassungen, die mit keiner großen Ideologie verbunden sind.
Nirgendwo ist das deutlicher als bei Staatsverträgen, die zu großen Teilen auf diplomatischer und Beamtenebene formuliert werden, wie, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, das Durchführungsübereinkommen zum Übereinkommen zw. der Republik Bulgarien, der Republik Kroatien, Ungarn und der Republik Österreich über die Erleichterung der grenzüberschreitenden Verfolgung von die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikten, das derzeit noch seiner Ratifikation durch den Bundesrat harrt. Wichtig zweifelsohne, aber politisch hätte sich daran kein Fünkchen geändert, wäre noch die alte oder sonst eine Regierungskoalition an der Macht gewesen, wie der einstimmige Beschluss im Nationalrat zeigt.
Daher hier noch die Aktivität ohne die von der Regierung eingebrachten Staatsverträge:
Signifikant geändert hat sich durch diese Bereinigung nichts.
Welche anderen Kriterien kann man heranziehen, um den Eifer einer Regierung einzustufen? Ein Beispiel wären die Verordnungen, die die Bundesregierung und die einzelnen Minister in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit erlassen haben.
Während sich dem Trend entsprechend widerspiegelt, was schon die Gesetzesvorhaben gezeigt haben, gilt auch hier die Maßgabe, dass gerade Verordnungen häufig bloße Verwaltungsakte ohne großen Gestaltungsspielraum sind – wie etwa die ersten drei solchen Rechtsakte nach Antritt der neuen Minister zeigen:
Welche Kriterien kommen sonst noch infrage, um nach hundert Tagen die Arbeit einer Regierung zu bewerten? Jobbesetzungen wären eine Variante – aber eine Recherche im Amtsblatt zeigt, dass da die Samplegröße (noch) zu klein ist, um sich über diese oder andere Legislaturperioden ein Urteil zu bilden.
Am Ende wird man um eine qualititative Bewertung wohl nicht herumkommen – und sei es auch nur darüber, wie die abgebildeten Daten über die ersten 100 Tage Kurz/Strache zu interpretieren sind.