loading...
Frauen werden seltener wiedergewählt
23. Oktober 2019 Repräsentation Lesezeit 7 min
Frauen sind im im österreichischen Nationalrat nicht nur unterrepräsentiert, sie bleiben auch fast zweieinhalb Jahre kürzer im Amt als ihre männlichen Kollegen. Ein Überblick über die unterschiedliche Amtsdauer österreichischer Abgeordneter.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Repräsentation und ist Teil 5 einer 6-teiligen Recherche.
Bild: Carla Márquez | Addendum

Frauen sind im österreichischen Nationalrat nicht nur unterrepräsentiert – sie bleiben auch deutlich kürzer im Amt. Betrachtet man die durchschnittliche Amtsdauer aller Abgeordneten zwischen 1945 und 2019, sind Frauen um zwei Jahre und 110 Tage kürzer im Amt gewesen als ihre männlichen Kollegen. Das entspricht einer halben Gesetzgebungsperiode.

0
Kommentare
Kommentieren

Seit 2007 dauern Gesetzgebungsperioden maximal fünf Jahre – davor vier Jahre.

Dieses Muster lässt sich bei allen Parteien, die in der Zweiten Republik im Nationalrat vertreten waren, beobachten, und sowohl bei Parteien mit hohem und bei Parteien mit niedrigem Frauenanteil. Am geringsten ist diese Differenz jedoch bei freiheitlichen Abgeordneten; bei ihnen beträgt der Unterschied nur knapp ein Jahr.

Auffällig an der Freiheitlichen Partei ist darüber hinaus, dass die Amtsdauer der Abgeordneten generell geringer ist als bei ÖVP, SPÖ oder Grünen. Es gibt also in der FPÖ eine höhere Fluktuation unter den Parlamentariern, was sich mit den wiederkehrenden Neuausrichtungen der Partei auch gut erklären lässt. Bei ÖVP und SPÖ (und bis 2017 auch bei den Grünen) bleibt das gleiche Personal hingegen über sehr lange Zeiträume im Amt.

0
Kommentare
Kommentieren

Die Top 10 der am längsten Dienenden

Der Unterschied zwischen Männern und Frauen wird besonders deutlich, wenn man die zehn Abgeordneten mit der längsten absoluten Amtsdauer betrachtet. Diese waren nämlich ausschließlich männliche Abgeordnete (und wenig überraschend gehörten alle SPÖ oder ÖVP an). Die beiden Spitzenreiter, Josef Cap (SPÖ) und Jakob Auer (ÖVP), waren mehr als 34 Jahre im Nationalrat – das entspricht zehn Gesetzgebungsperioden, sieben unterschiedlichen Kanzlern und vier  Bundespräsidenten.

0
Kommentare
Kommentieren

Die weibliche Abgeordnete mit der längsten Verweildauer im Nationalrat war Helene Partik-Pablé von der FPÖ, die mit mehr als 23 Jahren Amtsdauer dennoch fast zehn Jahre kürzer im Nationalrat saß als die männlichen Spitzenreiter. Innerhalb der FPÖ ist Partik-Pablé dennoch eine Ausnahme: Die übrigen weiblichen Abgeordneten der FPÖ blieben deutlich kürzer in ihren Ämtern.

0
Kommentare
Kommentieren

Wenig Unterschied bei Alter und Bildung

Die unterschiedliche Amtsdauer von Männern und Frauen ist auch deshalb so auffällig, weil es zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern sowie zwischen einzelnen Altersgruppen keine substanziellen Unterschiede gibt. Junge und Nicht-Akademiker sind zwar so wie Frauen ebenfalls unterrepräsentiert; schaffen sie es aber einmal in den Nationalrat, bleiben sie dort ungefähr gleich lang wie ältere Abgeordnete und Akademiker – bei Frauen ist das nicht so.

Nicht-Akademiker waren tendenziell sogar etwas länger im Nationalrat vertreten als Akademiker (allerdings nur um 85 Tage). Abgeordnete, die bei ihrem ersten Amtsantritt unter 35 Jahre alt waren, unterscheiden sich, was die Dauer der Amtszeit betrifft, nicht wesentlich von Abgeordneten, die bei ihre Amtsantritt über 35 Jahre alt waren.

0
Kommentare
Kommentieren

Diese Differenz ist auch auffällig, da Abgeordnete, die ein Regierungsamt übernehmen, ihr Mandat zurücklegen und daher eine geringe Amtsdauer haben. Sebastian Kurz‘ gesamte Amtsdauer als Abgeordneter beträgt beispielsweise „nur“ 122 Tage, da er sein Nationalratsmandat zugunsten seiner Regierungsämter zurückgelegt hat. Zugleich wechseln jedoch häufiger Männer vom Nationalrat auf die Regierungsbank, was die durchschnittliche Amtsdauer von Männer eigentlich reduzieren sollte.

Eine Ausnahme sind Abgeordnete, die bei ihrem Amtsantritt bereits über 60 Jahre alt waren. Diese Abgeordnete haben eine deutlich kürzere weitere Amtszeit.

Frauen treten nicht häufiger zurück

Die unterschiedliche Amtsdauer von männlichen und weiblichen Abgeordneten verdient daher eine vertiefende Betrachtung. Eine mögliche Erklärung für die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern könnte sein, dass Frauen früher von ihrem Amt zurücktreten – egal ob aus Parteiräson, aus persönlichen Motiven oder anderen Gründen – und so nicht die gesamte Gesetzgebungsperiode im Amt sind. Dadurch würde die Gesamtdauer im Nationalrat relativ zu der der Männer sinken.

Vergleicht man allerdings die relative Amtsdauer – also die Zeit, die ein Abgeordneter im Amt war, relativ zur Dauer der gesamten Legislaturperiode – zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Frauen legen demnach ihr Amt nicht öfter vorzeitig zurück als Männer.

0
Kommentare
Kommentieren

Dauert eine Gesetzgebungsperiode beispielsweise 1.000 Tage und ein Abgeordnete trat nach der Hälfte der Periode zurück, beträgt die relative Amtsdauer 50 Prozent. Bleibt ein Abgeordneter die gesamte Periode im Amt beträgt dieser Wert 100 Prozent. Bei Abgeordneten, die mehr als eine Legislaturperiode im Amt waren, wurden Dauer aller Gesetzgebungsperiode sowie die gesamte Amtsdauer des Abgeordneten summiert.

Nur 60 Prozent der Frauen werden wiedergewählt

Der Unterschied kommt dadurch zustande, dass Frauen seltener wiedergewählt werden. Wiedergewählt bedeutet hier, dass ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete zumindest in zwei Gesetzgebungsperioden im Amt war. Betrachtet man den Anteil an Männern und Frauen, die mehr als eine Legislaturperiode im Amt waren und damit zumindest einmal wiedergewählt wurden, zeigen sich markante Unterschiede: Fast 73 Prozent der Männer zogen zumindest ein zweites Mal in den Nationalrat; bei den Frauen sind es knapp 60 Prozent. Auch dieser Unterschied lässt sich bei allen Parteien feststellen – auch wenn die sehr hohe generelle Wiederwahlrate bei den Sozialdemokraten hervorsticht.

0
Kommentare
Kommentieren

Der am 23. Oktober 2019 neu konstituierte Nationalrat weicht teilweise von diesem langfristigen Trend ab. Bei der FPÖ, der ersten großen Wahlverliererin, sind die Mandatsverluste eindeutig stärker auf Frauen verteilt. Von den weiblichen freiheitlichen Abgeordneten der vergangenen Gesetzgebungsperiode schafften nur 28 Prozent (4 von 14) den Wiedereinzug; bei den männlichen Freiheitlichen waren es hingegen knapp 53 Prozent. Bei der zweiten Wahlverliererin, der SPÖ, schafften hingegen 57 Prozent der weiblichen Abgeordneten den Wiedereinzug; unter den männlichen Sozialdemokraten schafften nur 37 Prozent ein weiteres Mandat.

In der ÖVP ist die Wiedereinzugsrate von Männern und Frauen zwischen 2017 und 2019 ausgeglichen, während bei den NEOS fünf von sechs Männern, aber nur drei von sechs Frauen erneut im Nationalrat sitzen. Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass Matthias Strolz und Irmgad Griss, zwei der insgesamt vier nicht wiedergewählten Abgeordneten, sich aus der Politik zurückgezogen haben und Claudia Gamon aufgrund ihres Mandats im Europaparlament nicht mehr kandidierte. Nur Doris Hager-Hämmerle kandierte erneut, verpasste aber den Einzug.

0
Kommentare
Kommentieren

Doris Hager-Hämmerle ersetzte ab 1. Juli 2019 Claudia Gamon. JETZT – Liste Pilz hat den Wiedereinzug in den Nationalrat verpasst, allerdings wurde Alma Zadić, die in der vergangenen Gesetzgebungsperiode für JETZT im Nationalrat saß, über die Listen der Grünen in den Nationalrat gewählt.

Kandidatur oder Rückzug?

Damit drängt sich eine letzte Frage auf: Warum kehren Frauen seltener in den Nationalrat zurück? Ist es eine geringere Bereitschaft, weiterhin in der Spitzenpolitik zu bleiben, und damit ein freiwilliger Verzicht auf Fortsetzung des Mandats? Oder haben Frauen parteiintern weniger Einfluss, um auf aussichtsreichen Listenplätzen nominiert zu werden?

Zumindest für 2019 lässt sich dies recht klar beantworten: Der Wiedereinzug scheitert zumeist nicht an der fehlenden Bereitschaft erneut zu kandidieren. Von den 33 Frauen, die in der vergangenen Gesetzgebungsperiode im Nationalrat vertreten waren, aber im neuen Nationalrat nicht mehr vertreten sind, kandidierten 23 erneut für den Einzug in den Nationalrat 2019 – aber eben auf Plätzen, die 2019 nur schwer zu gewinnen waren. 

0
Kommentare
Kommentieren

Methodik

Die Analysen beruhen auf den Daten zu Amtsantritt und -ende aller Nationalratsabgeordneten seit 1945, die über die Webpage des Nationalrats verfügbar sind und von Flooh Perlot zur Verfügung gestellt wurden. Weitere biografische Information zu Alter, Geschlecht und Bildungsgrad stammen ebenfalls aus dieser Datenquelle.

loading...
Die Redaktion von Addendum hat mit 15. September 2020 ihren Betrieb eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch diese Website letztmalig aktualisiert. Hier finden Sie das vollständige Archiv unserer Rechercheprojekte.
Wir bitten um Ihr Verständnis, dass manche Funktionen auf manchen Endgeräten nicht mehr verfügbar sind.

Das Addendum-Team, September 2020