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Der Islam und die Schulen
15. März 2018 Brennpunkt Schule Lesezeit 8 min
Schuldirektor Christian Klar ist dafür, dass der islamische Religionsunterricht nicht mehr in der Schule stattfindet, der ehemalige Religionslehrer Aly El Ghoubashy findet, der Staat solle die Kontrolle übernehmen. Andere sehen eher ein kulturelles als ein religiöses Problem. Wie steht es um die islamische Religionspädagogik in Österreich?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Brennpunkt Schule und ist Teil 4 einer 19-teiligen Recherche.
Bild: Jan Thies | Addendum

Dass es überhaupt islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen in Österreich gibt, ist der katholischen Kirche zuzuschreiben. Ein letzter Rest ihrer lange Zeit vorherrschenden Stellung im heimischen Bildungssystem findet sich im Konkordat, dem Staatsvertrag Österreichs mit dem Heiligen Stuhl. Das vom Dollfuß-Regime verhandelte Abkommen ist heute noch weitgehend in Kraft, die Vereinbarungen über den Religionsunterricht wurden 1962 erneuert.

Der Staat übernimmt „den gesamten Personalaufwand für alle Religionslehrer an den öffentlichen Schulen“. Ausgewählt werden die Lehrer allerdings von der Kirche. Entzieht sie ihnen die „missio canonica“, dürfen sie nicht mehr unterrichten. Dazu reicht ein Verstoß gegen das Kirchenrecht wie Scheidung oder Abtreibung aus. Der Staat kann ohne Zustimmung der Kirche nicht einmal die Zahl der Religionsstunden reduzieren.

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Gleiches Recht für alle

Um die übrigen anerkannten Religionsgesellschaften gleichzustellen, werden ihnen mehr oder weniger dieselben Konditionen eingeräumt, wie sie das Konkordat vorsieht. Geregelt wird das im Religionsunterrichtsgesetz. Daher kann auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ihre Lehrer aussuchen und vom Staat bezahlen lassen. Die Lehrer aller Religionsgesellschaften müssen allerdings ausgebildet sein und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Das Ministerium kann ausnahmsweise die Anstellung anderer Staatsbürger genehmigen.

Der Religionsunterricht an sich wird „durch die betreffende gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgemeinschaft besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt“. Der Bund hat nur das Recht, „durch seine Schulaufsichtsorgane den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht zu beaufsichtigen“.

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Die Lehrpläne werden von den Kirchen und Religionsgesellschaften erlassen und vom Unterrichtsministerium nur veröffentlicht. Für Unterrichtsmaterialien gilt nur die Einschränkung, dass sie „nicht im Widerspruch zur staatsbürgerlichen Erziehung stehen“ dürfen. Der Staat finanziert also die Religionslehrer aller anerkannten Konfessionen, hat aber keinen Einfluss auf ihre Unterrichtsinhalte.

Mundtot gemachter Kritiker

Daran entzündet sich unter anderem die Kritik am islamischen Religionsunterricht. Der Religionslehrer Aly El Ghoubashy schrieb 2009 im Standard: „Der Islamunterricht wäre eine gute Gelegenheit, um die jungen Muslime in die Gesellschaft zu integrieren. Leider haben wir Muslime diese Möglichkeit nicht ernst genommen und deshalb verpasst.“

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El Ghoubashy kritisierte mangelnde Integrationsfortschritte und forderte, das Unterrichtsministerium solle den Religionsunterricht übernehmen. Daraufhin wurde ihm von der IGGÖ gekündigt. Gegenüber Addendum sagt El Ghoubashy, der mittlerweile nur mehr in seinem Zweitfach als Zeichenlehrer an einem Vorarlberger Gymnasium tätig ist, er verfolge weiterhin „die Entwicklung des Unterrichts, weil ich bis jetzt die Hoffnung nie aufgegeben habe, dass sich etwas verändert“.

Sein Austausch mit Kollegen und Schülern veranlasst ihn allerdings nicht zur Zuversicht: „Was die Unterrichtsmaterialien anbelangt, kann ich Ihnen versichern, dass es keine gibt. Jeder Lehrer arbeitet nach seinem Gutdünken.“ Das bestätigt auch die Erfahrung von Frau J., die bis 2017 Lehrerin an einer Wiener Mittelschule war. Der Lehrer für islamischen Religionsunterricht an ihrer Schule habe keinen harten Unterricht gemacht: „Die sind viel Fußball spielen gegangen.“

El Ghoubashy ist der Auffassung, dass sich die IGGÖ neu ausrichten müsste und sich nicht mehr um die Ausbildung der Lehrer kümmern sollte. „So viele Kinder von Flüchtlingsfamilien besuchen den Islamunterricht, und es gibt anscheinend keine modernen Lehrpläne. Die Lehrpläne, die existieren, sind veraltet und passen nicht zu den muslimischen Kindern, die in einer völlig anderen Umgebung aufwachsen als ihre Eltern.“

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Ein Fünftel gegen die Demokratie

Die Qualität der islamischen Religionspädagogik stand wiederholt in der Kritik. Der Mangel an qualifizierten Kräften führte immer wieder zu Personalengpässen. Seit 2016 müssen alle Religionslehrer zunächst die Lehramtsausbildung absolvieren und sich später auf ihr Fach spezialisieren. Die Universitäten in Wien und Innsbruck bieten mittlerweile Bachelor- und Masterstudiengänge an. An Problemen mit dem bestehenden Lehrpersonal ändert das wohl wenig. 2009 sorgte eine Studie des Integrationsfonds für Aufsehen, derzufolge 14,2 Prozent der 199 befragten Religionslehrer sehr oder eher die Meinung vertraten, es wäre besser für muslimische Kinder, unter sich zu bleiben. 5,1 Prozent der Lehrer wollten mit Nichtmuslimen eher oder überhaupt nichts zu tun haben.

10,4 Prozent fiel es sehr oder eher schwer, Nicht- oder Andersgläubige zu respektieren. 17,3 Prozent waren teils oder ganz der Meinung, der Islam verbiete die Teilnahme an der österreichischen Kultur. 21,9 lehnten die Demokratie ganz oder teilweise ab.

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Ist der islamische Religionsunterricht also ein Integrationshemmnis? Ein irakischer Vater fürchtet islamistische Einflüsse in der Schule und meint gegenüber Addendum: „Die Gefahr für die Kinder ist groß, sie nutzen die Kinder aus. Sie versuchen über den Unterricht einen Zugang zu bekommen.“ Frau J., die an einer Wiener Brennpunktschule unterrichtete, hat andere Erfahrungen gemacht. Der islamische Religionslehrer an ihrer Schule sei den Kindern gegenüber sehr verständnis- und liebevoll aufgetreten.

Mehrere ihrer Schüler seien aber nach dem Unterricht in Koran- oder Bibelschulen gegangen, erzählt Frau J. weiter. Was dort unterrichtet wird, entzieht sich dem staatlichen Zugriff. Der Religionsunterricht ist nicht zuletzt ein Mittel, religiöse Betreuung in einem staatlich zwar eingeschränkt, aber doch kontrollierten Umfeld stattfinden zu lassen.

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Andere Probleme

Für den Wiener Mittelschuldirektor Christian Klar ist die Religion allerdings Teil des Problems: „In unterschiedlichen Ausprägungen tobt im Klassenzimmer ein Kampf zwischen allen möglichen Kulturen, und die Abstammung und die Religion ist bei den Kindern leider viel zu wichtig. Wir haben mit einigen Ausprägungen mit islamischen Familien oder Gruppierungen große Probleme, und wenn man sie benennt, wird man ins rechte Eck gestellt.“

Ist die Religion nur ein Vehikel für kulturelle Konflikte oder deren Mitursache? Die Probleme der Schüler untereinander seien eher kultureller als religiöser Natur, meint Frau J. Länderkonflikte seien „ein Riesenthema“. Religion spiele hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Der Jugendsozialarbeiter Herr W., der sich überwiegend mit Schulpflichtigen aus Migrantenfamilien beschäftigt, sieht das ähnlich: „Wir hatten immer wieder einmal Probleme mit muslimischen Jugendlichen, die sich quasi als Religionspolizisten aufspielen wollten. Das hat aber mittlerweile wieder abgenommen.“

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Die aktuellen Probleme seien vielmehr sozialer und kultureller Natur. Viele Jugendliche seien in den Denkmustern ihres Migrationshintergrunds und der Bildungsschicht ihrer Eltern gefangen. Es gebe auch Konflikte zwischen muslimischen Jugendlichen aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft. „Wenn man mit den Jugendlichen spricht, sind Schule, Lehre und Beruf die bestimmenden Themen.“

Ansätze für schulische Reformen sieht der Sozialarbeiter vor allem beim Deutschunterricht: „Das Sprachniveau ist zum Teil erbärmlich.“ Ein Problem, das die Schüler mit manchem Lehrer zu teilen scheinen, wie Aly El Ghoubashy berichtet: „Leider ist die deutsche Sprache immer noch ein Problem, von Maturaniveau kann keine Rede sein.“ 

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