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Wiener Lehrervertreter: Wie sollen wir mit dem Islam umgehen?
14. Mai 2018 Brennpunkt Schule Lesezeit 6 min
Seit Jahren versuchen Lehrer auf den wachsenden Einfluss des Islam im Klassenzimmer aufmerksam zu machen. Bei den Verantwortlichen stoßen sie auf taube Ohren. Das zeigt die Anfrage einer Wiener Lehrervertretung an den Stadtschulrat, die Addendum vorliegt.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Brennpunkt Schule und ist Teil 9 einer 19-teiligen Recherche.
Bild: Addendum

Ibrahim Olgun, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), hält die Diskussion um das Kopftuchverbot für eine Scheindebatte, wie er kürzlich in einem Interview mit der Austria Presse Agentur kritisierte. Einer internen Erhebung der IGGÖ zufolge würden weniger als 15 Prozent der Mädchen in islamisch-konfessionellen Volksschulen ein Kopftuch tragen. Daraus schließt er, dass es an öffentlichen Schulen nicht mehr sein können und diese Zahlen beweisen würden, „dass das eigentlich kein Thema ist“. Zum Kopftuch gezwungen würden Mädchen nur in Einzelfällen, ist der oberste Vertreter von Österreichs Muslimen überzeugt. Wie er das wissen kann, ist eine andere Frage.

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„Wir haben uns unterworfen, angepasst“

Addendum hat Lehrerinnen zu ihren Erfahrungen mit dem Islam unter Schülern befragt. Hier dokumentieren wir ihre Erfahrungsberichte.

Unabhängig davon, wie valide und vergleichbar diese von der IGGÖ erhobenen Zahlen sind, haben viele Lehrer eine andere Wahrnehmung. Sie sind der Meinung, dass kein Mädchen im Volks- und Mittelschulalter reif genug sei, um zu entscheiden, ob es ein Kopftuch tragen wolle. Für die Pädagogen ist es ein Thema – und immer öfter auch ein Problem. Seit Jahren warnen sie davor, dass der Islam in vielen Wiener Schulen auf dem Vormarsch ist und sie dieser religiöse Einfluss vor große Schwierigkeiten im Klassenzimmer stellt.

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Seit 2016 ist der in Österreich geborene Ibrahim Olgun Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Er studierte in Ankara Islamische Theologie, war Integrationsbeauftragter beim türkischen Verband ATIB und bis 2016 Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht.

Ein ebenso großes Problem ist es offenbar auch, die zuständigen Bildungspolitiker von der Dringlichkeit zu überzeugen, etwas gegen die Ausbreitung islamischer Gebote und Verbote zu unternehmen. Das zeigt die Anfrage eines Wiener Personalvertretungsgremiums, die Addendum vorliegt.

Im Schreiben vom 21.5.2016 mit dem Betreff „Gendergerechtigkeit für Mädchen und Buben in Österreichs Schulen“ thematisieren die Lehrervertreter, dass es immer mehr Kinder aus Familien mit einem religiösen bis fundamentalistischen Weltbild an Wiener Schulen gibt, die die Lehrkräfte vor große Schwierigkeiten stellen. Viele wüssten nicht, wie sie auf diese neue, von religiösen Einstellungen dominierte Situation reagieren sollen. Es fehle an Orientierung und Unterstützung.

Wie sollen die Lehrkräfte reagieren, fragen die Personalvertreter in dem Brief, wenn im Schulalltag ein achtjähriges Mädchen ein Kopftuch trägt, und dieses nicht abnehmen möchte, weil die Mutter sagt „Allah mag Mädchen mit Kopftuch lieber“? Den Lehrern zufolge werde es immer schwieriger, einerseits diesen Zustand zu akzeptieren, andererseits verpflichtet zu sein, bestimmte Unterrichtsprinzipien, wie die Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern, einzuhalten.

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Aus der Anfrage der Lehrervertreter an den Stadtschulrat:

Wenn im Schulalltag ein 8-jähriges Mädchen ein Kopftuch in der Schule trägt und dieses aufbehalten will, weil die Mutter gesagt hatte: „Allah mag Mädchen mit Kopftuch lieber!“, was ist die richtige vom Dienstgeber erwartbare Reaktion der Lehrkraft?

a) Die Aussage ist zu akzeptieren und das Mädchen trägt weiterhin während des Unterrichts das Kopftuch.

b) Kopftücher zu tragen ist weder Lehrerinnen noch Schülerinnen verboten. Daher ist nichts zu unternehmen.

c) Das Kopftuch ist auch bei 8-jährigen Mädchen Ausdruck einer Religionszugehörigkeit und somit zu akzeptieren.

d) Auch wenn das Kopftuch in diesem Fall nicht religiös begründet ist (traditionell wird das Kopftuch nach der ersten Menstruation getragen), ist es zu akzeptieren.

e) Die Mutter wird von der Lehrerin zu einem Gespräch in die Schule geladen, um ihr mitzuteilen, dass an VS Mädchen während des Unterrichts keine Kopftücher tragen.

f) Die Mutter und der Vater des Kindes werden von der Lehrerin zu einem Gespräch eingeladen, um ihnen mitzuteilen, dass an VS Mädchen während des Unterrichts keine Kopftücher tragen.

g) Die Mutter wird von der Schulleitung zu einem Gespräch in die Schule geladen, um ihr mitzuteilen, dass an VS Mädchen während des Unterrichts keine Kopftücher tragen.

h) Die Mutter und der Vater des Kindes werden von der Schulleitung zu einem Gespräch eingeladen, um ihnen mitzuteilen, dass an VS Mädchen während des Unterrichts keine Kopftücher tragen.

i) Das Kopftuch, von einem 8-jährigen Mädchen getragen, wird als Ausdruck von Sexismus gesehen werden, d.h. als Einschränkung des Mädchens in seiner Freiheit ohne Kopftuch zu sein.

j) andere: ….

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Doch nicht nur bei der Frage des Kopftuches kollidieren im Klassenzimmer immer öfter Kinderrechte mit dem Recht auf freie Religionsausübung.

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„Wenn mein Vater die Bilder von nackten Menschen sieht, bringt er mich um!“

In einem weiteren Beispiel beschreiben die Personalvertreter, wie sehr die Kinder von ihren Eltern unter Druck gesetzt werden. Sie berichten von einem Volksschulmädchen, das zu einer Lehrerin sagt, dass sie das Sachunterrichtsbuch nicht mit nach Hause nehmen könne. Denn wenn ihr Vater die Bilder von nackten Menschen sehe, bringe er sie um.

Die Personalvertreter sorgen sich auch um die psychische Gesundheit der Kinder und schildern den Fall eines Schülers, der im Sachunterricht in Tränen ausbricht und auf die Frage der Lehrerin, warum er das Sachunterrichtsbuch mit dem Thema „Unserer Körper“ nicht aufschlagen könne, antwortet: „Je ein Engel sitzt auf meiner Schulter und schreibt alles auf, was ich Gutes und Böses tue. Wenn ich dieses Buch aufschlage, schreibt der Engel Böses auf.“

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Die Lehrervertretung appelliert in dem Schreiben, das unter anderem an den Wiener Stadtschulrat, die Jugendanwaltschaft, die Glaubensgemeinschaft und das Bildungsministerium ging, diese Themen endlich ernst zu nehmen. Das Thema „Mädchen und ihre Emanzipation im österreichischen Schulsystem“ dürfe nicht länger totgeschwiegen werden.

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Aus der Anfrage der Lehrervertreter an den Stadtschulrat:

Wir ersuchen um Antwort auf die beiden Fragen:

Ist der massive Druck, den die Mutter (Vater, Familie, ReligionslehrerIn,…) auf die Tochter (das Mädchen) bzw. Sohn (der Bub) ausübt (ein Kopftuch zu tragen, typisch männliches Rollenverhalten anzutrainieren) nicht bereits Gewalt gegen die Tochter / den Sohn?

Welche Rahmenbedingungen und Informationsbroschüren bietet der SSR / das BM für die Eltern (und auch für Mutter, dass sie zugeben kann, dass ihr Ehemann massiven Druck und damit Gewalt auf sie ausübt, ein Kopftuch zu tragen)?

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Die Antwort der zuständigen politischen Stellen auf das doch sehr emotional formulierte Schreiben der Lehrervertretung ist formell und sachlich. Das Büro des damaligen Wiener Stadtschulrats Jürgen Czernohorszky verweist lediglich auf einen Erlass des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2004, der noch immer das Tragen von Kopftüchern in Schulen regelt und eine Einschränkung religiöser Gebote durch außerkirchliche Stellen für unzulässig erklärt.

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Erlass des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2004

„Das Tragen von Kopftüchern durch muslimische Mädchen (bzw. Frauen) fällt als religiös begründete Bekleidungsvorschrift unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 des Staatsgrundgesetzes 1867 bzw. des Art. 9 der MRK. Das Schulunterrichtsgesetz hingegen kennt keine, diese im Verfassungsrang stehende Norm einschränkende Bekleidungsvorschrift. Eine Einschränkung religiöser Gebote steht außerkirchlichen Stellen nicht zu.“

Dass genau dieser derzeitig gültige Rechtsrahmen den Problemen mit islamischen Geboten und Verboten in der Schule nicht gerecht wird, wie die Lehrervertreter in ihrem Schreiben formulieren, darauf ist weder der Wiener Stadtschulrat noch das damals SPÖ-geführte Bildungsministerium eingegangen. Letzteres empfahl die „Gender- und Diversitätskompetenz von Führungskräften“ zu verbessern. Die Islamische Glaubensgemeinschaft plädierte in einer Stellungnahme dafür, „mit sehr viel pädagogischem Fingerspitzengefühl“ vorzugehen.

Auf praxistaugliche Hilfen warten Lehrer noch immer vergebens. Denn obwohl sich die Situation in vielen Klassen weiter verschärft, habe sich seit ihrer Anfrage vor zwei Jahren bis heute nichts getan, um die Lehrer bei der Bewältigung von Problemen mit dem Islam zu unterstützen, heißt es aus Personalvertreterkreisen.

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Seit Februar 2017 ist Heinrich Himmer amtsführender Präsident des Stadtschulrats für Wien. Davor war er in der Personal- und Unternehmensberatung tätig und unterrichtete 10 Jahre als Lehrer. Seit seiner Jugend ist Himmer in der SPÖ aktiv.

Der amtsführende Stadtschulratspräsident, Heinrich Himmer, sieht dennoch keinen Grund zur Sorge. Auf Anfrage teilt er uns mit, dass sich Lehrer mit Fragen bezüglich wahrgenommener religiöser Probleme jederzeit an die Direktion, die Schulsozialarbeiter, die Beratungslehrer und Psychologen wenden können. Dass es diese Personen, die Direktoren ausgenommen, an vielen Schulen kaum noch gibt , wie viele Lehrer beklagen, bleibt unerwähnt.

Als nächsten Schritt hat der Stadtschulrat für 15. Mai einen runden Tisch angekündigt. 

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