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Ein bildungspolitisches Beben
27. Januar 2020 Brennpunkt Schule Lesezeit 5 min
Vor einer Woche ist Susanne Wiesingers Buch „Machtkampf im Ministerium“ erschienen. Ein Überblick über die bewegten Tage seit der Veröffentlichung.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Brennpunkt Schule und ist Teil 17 einer 19-teiligen Recherche.
Bild: Collage | Addendum

Samstag, 18. Jänner 2020. Um genau 16.21 Uhr, wird über die Austria Presse Agentur eine Aussendung verbreitet, die schon wenig später von allen wichtigen Medien des Landes übernommen werden soll.

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Die Nachricht stammt aus dem Palais Starhemberg am Wiener Minoritenplatz. Seit 1871 Sitz des Bildungsministeriums. Und dort ist man nun „außerordentlich irritiert“, wie man der Aussendung entnehmen kann.

Anlass der Irritation ist Susanne Wiesinger, zu diesem Zeitpunkt noch Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte in ebendiesem Ministerium. Sie hatte ihren Chef, Bundesminister Heinz Faßmann, am Mittwoch zuvor davon unterrichtet, dass am Montag, dem 20. Jänner, ein Buch über „sein“ Ministerium erscheinen würde. Noch am selben Tag wird Wiesinger von ihren Aufgaben als Ombudsfrau vorzeitig abberufen.

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Herr Faßmann hatte sie zur Betreuung einer neuen Ombudsstelle für Werte- und Kulturfragen eingeladen. Er ist über die jetzige Vogehensweise außerordentlich irritiert.

Die Vorgeschichte: Die damalige Lehrerin Susanne Wiesinger schilderte in ihrem aufsehenerregenden Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ die Missstände an Wiener Brennpunktschulen und prangerte das Wegschauen der Behörden an.

Kurz darauf wurde sie vom damaligen und nunmehrigen Unterrichtsminister Faßmann als Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte ans Bildungsministerium berufen. „Unabhängig und weisungsfrei“ sollte diese Ombudsstelle sein, wie auf der gemeinsamen Pressekonferenz im Dezember 2018 verkündet wurde. Ein Versprechen, das in den Augen von Wiesinger durch parteipolitische Einflussnahme seitens des Kabinetts, gebrochen wurde.

Als Ombudsfrau war Wiesinger ein Jahr lang in ganz Österreich unterwegs. In dieser Zeit hat sie selbst erlebt, woran die österreichische Bildungspolitik scheitert: Die Parteilinie scheint wichtiger zu sein als wirkliche Hilfe für die Schüler. Das neue Buch, „Machtkampf im Ministerium“ ist ein Bericht aus dem Inneren der österreichischen Bildungspolitik, die von Machtkämpfen, ideologischen Blockaden und Message Control geprägt ist. Beide Bücher sind bei Edition QVV Addendum erschienen, dem Buchverlag der Quo Vadis Veritas Redaktions GmbH, die auch Addendum publiziert.

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Empörung im Ministerium

Martin Netzer, Generalsekretär im Bildungsministerium, äußert sich ebenfalls empört:

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„Eine pauschale Diskreditierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und aller nachgeordneten Dienststellen – so wie es nun im Buch von Frau Wiesinger erfolgt ist – weisen wir entschieden zurück. Es wurde ihr vom Ministerium und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr viel Vertrauen, guter Wille und breite Unterstützung entgegengebracht. Über diesen Bruch des Vertrauens herrscht nun große Enttäuschung.“

Und es geht noch weiter. Heidi Glück, früher Pressesprecherin von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, war Susanne Wiesinger schon zu Beginn ihrer Tätigkeit als Ombudsfrau zur Seite gestellt worden. Offiziell, „um ihre neue Funktion vom Ministerium unabhängig und optimal auszuüben zu können“, damit sollte der „Rollenwechsel von der Lehrerin in die Leitung einer Stabsstelle unabhängig unterstützt werden“.

Es sei nicht um Unterstützung, sondern um Kontrolle gegangen, sagt Susanne Wiesinger. Wiesinger sei „mehr Maulwurf als Ombudsfrau“ gewesen, lässt Heidi Glück vermelden, und das schon in der Aussendung vom Samstag, dem 18. Jänner. Kurz darauf lässt das Ministerium, nachdem der Verlag ankündigte rechtliche Schritte wegen „Ehrenbeleidigung“ zu prüfen, den Absatz löschen. In der OTS-Aussendung, die immer noch mit 18. Jänner 2020, 16:21 Uhr datiert ist, wird Heidi Glück nicht mehr erwähnt.

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Am Sonntag berichten alle großen Medien des Landes über Susanne Wiesinger. In den Foren der Online-Medien wird heftig debattiert. Von der „Heldin“ und der „Hetzerin“ ist die Rede, von der „Verräterin“ und einer, die „endlich einmal den Mund aufmacht“.

Der Kurier titelt:

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Die Schlagzeile der Presse:

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Die Krone berichtet mehrere Tage hintereinander über die „Wut-Lehrerin“, wie sie nun in immer mehr Berichten genannt wird:

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Noch am Sonntagabend spricht Susanne Wiesinger in der Zeit im Bild.

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Dort präsentiert sie auch den von ihr erstellen Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle und sagt, dieser sei seit dem 20. Dezember fertig und nie als Zwischenbericht gedacht gewesen. Das Ministerium reagiert und veröffentlicht am Tag nach dem Interview im ORF den Tätigkeitsbericht auf der Website.

Montagfrüh ist Wiesinger zu Gast im Morgenjournal von Ö1.

In Deutschland widmet sich Spiegel Online dem „Machtkampf im Ministerium“.

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Am Mittwoch wird das Buch der Pädagogin Thema im Parlament.

Die Krone schreibt:

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Und dann später:

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Helmut Brandstätter (NEOS) mit dem Buch am Rednerpult.
Bild: Screenshot | ORF TVTHEK
Bildungsminister Heinz Faßmann.
Bild: Screenshot | ORF TVTHEK

Für die SPÖ vermisste Ex-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid die Interessen der Kinder in der Debatte um das Aufregerbuch der ehemaligen Bildungsombudsfrau Susanne Wiesinger.

Hermann Brückl (FPÖ) warnte davor, dass das System des Parteibuchs in Österreichs Schulen weiter Bestand habe.

Gertraud Salzmann (ÖVP) verteidigte das System: „In unseren Schulen in Österreich werden keinem Kind die Flügel gebrochen, ganz im Gegenteil.“ Wiesinger warf sie vor, zwar das Vertuschen von Problemen der Wiener Schulbehörden thematisiert, sich aber nicht um Lösungsansätze bemüht zu haben. „Da bin ich als Lehrerin einfach enttäuscht.“

Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer stellte Wiesinger kein gutes Zeugnis aus. „Ja, sie spricht Dinge an, die relevant sind, aber recht befremdlich ist, in welchem Ton sie das tut und wie apokalyptisch ihre Schilderungen sind.“ Sie sprach sich für eine wissenschaftsorientierte und zahlengeleitete Arbeit im Bildungsbereich aus, statt mit Anekdoten zu arbeiten.

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Auf Anfrage der NEOS legt Minister Faßmann die Kosten für die Kommunikationsberaterin von Heidi Glück für ihre Beratung der Ombudsfrau offen: 46.000 Euro erhielt die ehemalige Schüssel-Sprecherin, die Wiesinger „zur Seite“ gestellt wurde.

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Etwa zeitgleich entbrennt eine Debatte um die Frage, ob es gerechtfertigt war, Susanne Wiesinger vom Dienst freizustellen. Das Urteil der Leser von Vorarlberg Online fällt eindeutig aus:

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Wir sollten weniger über die Manieren einer Buchautorin reden, als über die Misere an den Schulen, meint Rosemarie Schwaiger im Profil. Sie kann zwar nachvollziehen, dass man sich im Ministerium über das Buch ärgert, aber:

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„Weniger einleuchtend war, dass letzte Woche sogar Journalisten ausrückten, um der Autorin fehlende Loyalität zu ihrem Arbeitgeber vorzuwerfen. So streng ist unsereins sonst nicht; eine ganze Menge Exklusivgeschichten wäre andernfalls nie geschrieben worden.“

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Als Ombudsfrau wurde Wiesinger vom Dienst für das Ministerium bis Mitte Februar freigestellt. Danach wird sie wieder als Lehrerin in Wien unterrichten. Ihr neuer Arbeitgeber ist dann wieder die Bildungsdirektion Wien. 

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Der Artikel wurde am 27.01.2020 um 15:00 Uhr aktualisiert.

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