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Das Recht auf den See
15. Juli 2019 Seezugang Lesezeit 5 min
An den österreichischen Seen blüht das Geschäft mit Grundstücken. Ein offener Seezugang gehört zu den populären Forderungen in oft dicht verbauten Ufergemeinden. Erreichen lässt sich dieses Ziel in den meisten Bundesländern aber kaum noch.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Seezugang und ist Teil 2 einer 2-teiligen Recherche.
Bild: APA

Seegrundstücke sind ein lukratives Geschäft, hinter dem in der Vergangenheit Naturschutz und öffentliches Interesse oft zurückstehen mussten. Die Länder hätten zu Beginn der Zweiten Republik noch die Möglichkeit gehabt, den Seezugang auf vielen Privatgrundstücken offen zu halten. Die Chance wurde weitgehend vergeben. Die heute an vielen Gewässern vorherrschende intensive Bebauung lässt diese Einschränkung kaum mehr zu. Enteignungen wären ein finanzielles und rechtliches Risiko.

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Vorarlberg kratzt die Kurve

Weitgehend freien Zugang genießt die Öffentlichkeit zu einem See, an dem Österreich über den kleinsten Uferanteil verfügt: dem Bodensee. Das Schicksal dieses Sonderfalls entschied sich im März 1964 an einer Badehütte. Die Vorarlberger Landesregierung hatte dem Erbauer aufgetragen, diese abzureißen, weil sie den offenen Seezugang erschwerte und damit geltendes Recht verletzt worden sei. Der Grundeigentümer wollte sich das nicht gefallen lassen und zog zum Verfassungsgerichtshof, der letztlich die Rechtsansicht des Landes und damit den freien Seezugang bestätigte.

In anderen Bundesländern schrumpften indes die offenen Uferflächen über die Jahrzehnte. Villen und Hotels wurden gebaut, altansässige Familien bebauten ihre Seegrundstücke selbst oder verkauften sie für gutes Geld, und auch der Staat verdiente an der Seensucht der Wohlhabenden. Die Öffentlichkeit wurde zunehmend auf Strandbäder und Seepromenaden beschränkt. Doch mancherorts sind auch diese Oasen kaum noch zu finden. Am Kärntner Weißensee sind beispielsweise nur noch 0,9 Prozent der Uferfläche für die Allgemeinheit zugänglich.

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Seenschutz mit Löchern

Der wohl größte Eigentümer von Seegrundstücken und Wasserflächen in Österreich sind die Bundesforste. Sie sind verfassungsmäßig dazu verpflichtet, diese zu erhalten oder im Fall eines Verkaufs den Erlös „zum Ankauf neuer Seeuferflächen oder Seen oder zur Erhaltung oder Verbesserung der Substanz von Seeuferflächen oder Seen zu verwenden“. Diese Pflicht zur Substanzerhaltung hat allerdings Löcher: Die Bundesforste müssen keine gleichwertigen Grundstücke ankaufen. Eine teure Lage auf der Sonnenseite eines Sees lässt sich so durch den Erwerb eines bewaldeten Hangs kompensieren.

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Aber auch wenn ein Grundstück im öffentlichen Eigentum bleibt, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch öffentlich ist. Nicht nur die Bundesforste verpachten Seegrundstücke an Private, auch die Gebietskörperschaften beteiligen sich am Geschäft. Das Land Salzburg beispielsweise verpachtet hunderte Grundstücke an Seeufern an Private, auch wenn dabei ökonomische Aspekte oft in den Hintergrund treten. Die meisten Seegrundstücke des Landes werden in einer Art Erbpacht zu sehr günstigen Konditionen, in der Regel für 5,25 bis elf Euro pro Jahr und Quadratmeter, an lokale Vereine und Einzelpersonen vergeben – und bleiben so für alle anderen weitgehend unzugänglich.

Wie aus öffentlichem Grund sehr schnell privater werden kann, zeigt ein weiterer Fall aus Salzburg: Zell am See einigte sich Ende der 90er Jahre mit einem Hotel über die Nutzung einer gemeindeeigenen Seeparzelle. Bis dahin war diese allgemein zugänglich gewesen und hätte es auch weiterhin bleiben müssen, wie die Volksanwaltschaft nach einer Beschwerde feststellte. Das betroffene Grundstück stand nämlich nicht im Privateigentum der Gemeinde, sondern war als Gemeingut gewidmet. Der Zugang zu solchen Flächen darf nicht ohne weiteres eingeschränkt werden.

Da die Zuständigkeit für die Raumplanung und das Grundeigentum aber in der Hand der Gemeinde zusammenfielen, ließ sich dieser Umstand leicht ändern. Man behalf sich, indem einem Teil des Grundstücks kurzerhand die Widmung als Gemeingut entzogen wurde. Damit, so heißt es lapidar im Bericht der Volksanwaltschaft, sei „die Vorgangsweise rechtlich saniert“ worden.

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Tourismuswerbung mit dem Attersee um 1935

Uferlose Lippenbekenntnisse

Auch angesichts der Geschäfte der öffentlichen Hand mit den Seen ist der offene Zugang zu denselben ein lokalpolitisches Thema. In Kärnten, Oberösterreich oder Salzburg bemüht sich die Politik immer wieder, Versäumnisse der Vergangenheit auszubügeln. Aber gerade in Toplagen ist das ohne hohen finanziellen Aufwand kaum möglich. So wurde der Gemeinde Unterach am Attersee 2016 ein Seegrundstück für 1,6 Millionen Euro angeboten, das sie schließlich nur mit finanzieller Unterstützung des Landes kaufen konnte. Enteignungen wären rechtlich schwer zu argumentieren und würden ein jahrzehntelanges Prozessrisiko in sich bergen.

Die Popularität der Seen wirkt sich aber längst über den unmittelbaren Uferbereich hinaus auf das öffentliche Leben aus. Hanglagen mit Seeblick sind im Salzkammergut oder in Bregenz kaum mehr erschwinglich. Einheimische wandern aus solchen Lagen vermehrt ab. Einige Gemeinden haben daher ein Verbot von Grundstücksverkäufen an Zweitwohnsitznehmer verhängt.

Oberösterreich hat darüber hinaus den freien Seenzugang als Staatszielbestimmung in seiner Landesverfassung verankert und bekennt sich nun „zum Zugang der Allgemeinheit zu Wäldern, Bergen, Seen, Flüssen und anderen Naturschönheiten“. Im Burgenland wird eine solche Bestimmung seit Jahren diskutiert. Hinter dieser Verfassungsprosa steckt aber nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis. Solche Bestimmungen binden nur die Gesetzgebung der Länder und können Fehler in der Raumplanung nicht rückgängig machen.

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Steinbach am Attersee um 1910
ÖNB
Bregenzer Hafen um 1910
ÖNB
Ebensee 1941
ÖNB
Zeller See 1952
ÖNB
Litzlberg am Attersee
ÖNB
Bodenseeufer in Bregenz um 1930
ÖNB

Freie Ufer im Westen

Dass der Bodensee, aber auch der Achensee in Tirol kaum verbaut sind, ist der Verteidigung des Status quo durch eine engagierte Landespolitik und Beamtenschaft geschuldet. Dieser Status war bereits von den Nazis zementiert worden, die den Naturschutz in ihre Blut-und-Boden-Ideologie einbanden. Der NS-Reichstatthalter in Tirol und Vorarlberg hatte mit Genehmigung Görings die Verbauung der Seen im damaligen Gau Tirol-Vorarlberg streng geregelt. Ab 1943 war es verboten, in einer Zone von 500 Metern um das Ufer „Bauwerke aller Art, einschließlich von Mauern und Zäunen, zu errichten oder zu verändern“. Vorarlberg hatte diese Bestimmungen nach 1945 beibehalten und im Verordnungsweg ausgebaut.

In den 50ern entschied man sich, gegen den Druck der Seegrundstückbesitzer, keine weiteren Ausnahmegenehmigungen für Bauten im Uferbereich mehr zu erteilen. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von 1964 beruhte nach wie vor auf der Anordnung des NS-Statthalters. Erst 1968 wurde die Wegefreiheit im Vorarlberger Straßengesetz festgeschrieben und damit eine neue Rechtsgrundlage für den offenen Seezugang geschaffen. Seitdem muss ein zehn Meter breiter Streifen am Ufer freibleiben. Ausnahmen gibt es nur wenige, etwa für den Naturschutz, Hafenanlagen oder die Bühne der Bregenzer Festspiele – aber nicht für Badehütten oder Villen. 

 

22. Juli 2019: In einer ursprünglichen Version des Artikels hieß es, die Bundesforste müssten bei Veräußerungen von öffentlichem Wassergut keine Rücksicht auf die Einschränkungen des Wasserrechtsgesetzes nehmen, tatsächlich gilt diese Befreiung von der Anwendung des § 4 Abs 8 f WRG nur bei Übertragungen an die Bundesforste.

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