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Abgabenhinterziehung: „Auf jeder Großbaustelle gibt’s ein Problem“
27. November 2017 Sozialstaat Lesezeit 15 min
Der systematische Sozialbetrug krimineller Unternehmer verursacht für ordentliche Betriebe, Steuer- und Beitragszahler jedes Jahr Schäden in Milliardenhöhe. Dennoch spart der Staat ausgerechnet bei seinen wichtigsten Kontrolleuren: der Finanzpolizei. Ein Blick in die Untiefen organisierter Kriminalität.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Sozialstaat und ist Teil 1 einer 15-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Der gute, alte Dominoeffekt führt erfahrene Ermittler regelmäßig zu weiteren Tätern. So war es auch im Fall von Nevzat H.
Im Rahmen eines anderen Betrugsfalls war das mehrköpfige Fahndungsteam der Finanzpolizei über eine Lohnbuchhalterin an Hinweise gelangt, die auf systematisches und vor allem betrügerisches Anmelden von Arbeitern zur Sozialversicherung hinwiesen (§ 153d Strafgesetzbuch). Im Zentrum des Verdachts standen H. und ein von ihm kontrolliertes Unternehmen für Personalbereitstellung.

Die Firma operierte dabei als Dienstleister für organisiert durchgeführte Schwarzarbeit. Für ein „Kopfgeld“ von wenigen hundert Euro meldete er Personal an, das in Wirklichkeit für insgesamt zwölf andere Unternehmen tätig war – für Unternehmen der organisierten Schwarzarbeit. Die dafür fälligen Abgaben landeten jedoch nie auf den Konten der Versicherungsträger. Der am Ende dokumentierte Schaden betrug 758.177,16 Euro.

Falsche Dokumente

Dabei trat der 30-Jährige offiziell gar nie in Erscheinung. Als Gesellschafter und Geschäftsführer des von ihm gesteuerten Vehikels hatte er Strohmänner mit gefälschten Dokumenten aus der Slowakei vorgeschoben. Den Einfluss auf diese illegale Gelddruckmaschine zum Schaden aller Beitragszahler sicherte er sich über Vollmachten, die ihm die Strohmänner zuvor unterschreiben mussten. Als Geschäftsadresse des Unternehmens, bei dem 258 Personen angemeldet waren, diente zunächst die Privatwohnung seiner Mutter in Wien-Leopoldstadt, später ein kommerzieller Anbieter für virtuelle Büros in der Nähe des Wiener Westbahnhofs.

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Virtuelles Büro

Darunter versteht man eine Geschäftsadresse außerhalb des eigenen Unternehmens. Meistens übernimmt ein Dienstleister die Bereitstellung der dafür nötigen Infrastruktur. Das Modell ist für seriöse Startups genauso interessant wie für Scheinfirmen, die nach außen eine taugliche Fassade brauchen. Häufig bieten Anbieter virtueller Büros ihren Kunden Gesamtpakete mit Post-, Schreib- und Telefondienst an. Nicht selten an repräsentativen Adressen.

Mehrere Monate lang saß H. das Fahndungsteam der Finanzpolizei im Nacken, das ihn fast lückenlos observierte und auch seine Telefonanschlüsse abhörte. Als der Verdächtige in einem abgefangenen Telefonat mit einem Geschäftspartner ankündigte, Österreich in Richtung Dubai zu verlassen, schlugen die Behörden zu. Es bestand akute Fluchtgefahr.

Mit einem Großaufgebot durchsuchten die Einsatzkräfte H.s Familiensitz in der kleinen Wienerwaldgemeinde Klausen-Leopoldsdorf und nahmen ihn fest. Beschlagnahmt wurden neben dem Beweismaterial zum Sozialbetrug: Kokain, gefälschte Ausweise, Luxusautos, Querverbindungen zu anderen Betrugsfirmen. Und chinesische Imitate teurer Smartphone-Modelle der Marken Samsung und Apple, mit denen er im Nebenerwerb einen regen Handel über die Online-Plattform Willhaben betrieb.

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Ist der Sozialstaat noch zu retten?

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Österreich ist ein Sozialstaat, dessen Kostenentwicklung in manchen Bereichen Reformbedarf nahelegt.
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger könnte einzelne Sozialleistungen ersetzen und das System vereinfachen.
  • Abgabenhinterziehung und Sozialmissbrauch sind Bereiche, denen zu geringe Beachtung gewidmet wird.
  • Im österreichischen engmaschigen Netz von Sozialleistungen gibt es Lücken und mangelhafte Treffsicherheit.
  • Die Automatisierung wird die Arbeitswelt verändern. Die Gefahr, dass künftig jegliche Arbeit von Robotern übernommen wird, besteht aktuell aber nicht.
  • Welche konkreten Auswirkungen die Zuwanderung auf den österreichischen Sozialstaat hat, lässt sich nicht angeben.

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Typisches Tatbild

Nevzat H.s Fall ist typisch für ein Tatbild, das Wirtschaft und Sozialversicherungen zwar Jahr für Jahr enorme Schäden beschert, Öffentlichkeit und Medien jedoch anscheinend deutlich weniger aufregt als die Erschleichung von Sozialleistungen wie der Mindestsicherung.

Aber wie funktioniert Abgabenhinterziehung eigentlich? Welche Geschäftsfelder sind davon betroffen? Was tut der Staat dagegen, und: Welche Schäden entstehen dadurch?

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Legal operierende Firmen wurden vom Markt für Bewehrung (...) faktisch verdrängt.
Feststellung aus einer Studie des IHS

Genaues weiß man nicht

Vorweg: Die Antwort auf die Frage, wie viel die Nichtabführung von Beiträgen für Sozialversicherungsträger, Vorsorgekassen oder Insolvenzentgeltfonds tatsächlich kostet, weiß niemand in Österreich ganz genau; weder der Hauptverband der Sozialversicherungsträger noch die Finanzpolizei noch das in viele Ermittlungen involvierte Bundeskriminalamt. Alle drei konnten keine entsprechenden Zahlen zur Verfügung stellen. Bleiben also nur Studien und Hochrechnungen. Deren Bandbreite ist jedoch groß.

Die Regierung ging im Rahmen der Vorbereitungen für das 2016 in Kraft getretene Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz von einem jährlichen Schaden in Höhe von 523 Millionen Euro aus. Als Basis für die Einschätzung diente eine der bisher umfangreichsten Studien zum Thema, die einst das Sozialministerium in Auftrag gegeben hatte. Das Werk („Sozialbetrug, auch im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping“) ist inzwischen jedoch in einigen Details veraltet (der Endbericht datiert mit März 2012).

Eine Milliarde allein in der Baubranche

Aktueller ist eine Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS). Für das im Mai 2015 erschienene Papier „Sozialbetrug durch Scheinfirmen im Bauwesen“ berechnete ein Team bestehend aus sechs Mitarbeitern gleich mehrere Dimensionen des dadurch entstehenden Problems. Beispielsweise wurde der durch Schwarzarbeit entstehende Wertschöpfungsentgang für legal arbeitende Unternehmen mit 324 bis 808 Millionen Euro beziffert. In einem Alternativszenario ist gar von bis zu 1,3 Milliarden Euro die Rede. Und das allein in der Baubranche.

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Wilfried Lehner
Leiter der Finanzpolizei
Der Beamte (Jg. 1969) leitet seit 2013 die Finanzpolizei. Die Einrichtung verfolgt unter anderem organisierte Abgabenhinterziehung und illegales Glücksspiel. Zuvor war er Betriebsprüfer, Betrugs­bekämpfungs­koordinator und Steuerfahnder. Lehner ist Autor mehrerer Fachbücher und Vortragender an Fachhochschulen und Universitäten. (Foto: Philipp Horak)

Die Baubranche ist es auch, die den Behörden die meisten Sorgen macht. „Auf jeder Großbaustelle gibt’s ein Problem.“ – Das sagt einer, der aus Erfahrung spricht. Wilfried Lehner ist Leiter der Finanzpolizei. Jahr für Jahr kontrollieren seine Mitarbeiter zehntausende Beschäftigte auf ihren Status (2016: 54.579). Bereits jeder vierte von ihnen (12.962) ist illegal tätig. Noch vor zehn Jahren war es „nur“ jeder sechste.

Wenn Lehner in seinem Büro im gesicherten Bereich des Finanzministeriums von Baustellen spricht, dann denkt er dabei nicht an Einfamilienhäuser und den Pfusch unter Freunden. Er meint die Großbaustellen, an denen dutzende bis hunderte Arbeiter gleichzeitig tätig sind. Und er denkt an die Reinigungsbranche und zumindest kleine Teile der Industrie.

Betrug als Wettbewerbsvorteil

Die Durchdringung bestimmter besonders personalintensiver Gewerke durch Anbieter organisierter Schwarzarbeit reicht inzwischen an die 100 Prozent. Während sich die Behörden im Rahmen der Recherchen davor hüteten, sich offiziell zu den betroffenen Branchen zu äußern, hat das IHS das in seiner zuvor erwähnten Untersuchung mehr als nur eindeutig getan. Besonders betroffen scheint die Eisenbieger-Branche, also das Handwerk zur Verstärkung von Fundamenten und Mauern aus Beton mittels Baustahl (Bewehrung). Wörtlich heißt es da: „Heimische, legal operierende Firmen wurden vom Markt für Bewehrung, Stuckatur- und Trockenbauarbeiten faktisch verdrängt.“ Wie es dazu kam? „Weil es einen massiven Wettbewerbsvorteil bedeutet, wenn man die Lohnnebenkosten einfach auf null stellt“, sagt Lehner. Das funktioniert dann so:

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Organigramm eines LKA-Ermittlers zu einer Subfirmen-Konstrunktion

Sub-Subunternehmer

Die Aufträge auf den Baustellen bekommen in der Regel die großen Generalunternehmer. „Das sind durchaus die Konzerne mit den bekannten Namen“, sagt ein Sonderermittler für Abgabenhinterziehung eines Landeskriminalamts; zum Schutz seiner Identität wird sein Name hier nicht veröffentlicht. „Die Generalunternehmer, die selbst oft nur wenige eigene Arbeiter stellen, beauftragen anschließend Subfirmen mit der Durchführung. Und ebendiese Personen aus Unternehmen der Kategorie B bedienen sich schließlich weiterer Subunternehmen der Kategorie C, in denen die Arbeiter, die auf der Baustelle tätig sind, letztendlich angemeldet sind.“ (siehe vorangestelltes Organigramm des Beamten) Nicht selten, berichtet er, würden diese dann die Arbeitskleidung der großen und bekannten Generalunternehmer tragen. Ohne deren Wissen, wie es im Nachhinein stets heißt.

Anmelden, so viel wie möglich

Und genau hier, auf der Stufe der Subunternehmer der Kategorie C, geschieht der Betrug. Dabei dienen diese Firmen nur als Werkzeuge, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Arbeiter anzumelden und diese damit für Versicherungsleistungen zu berechtigen, deren Prämien nie gezahlt werden: Sozialversicherung, Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, Lohn- und U-Bahn-Steuer – nichts davon wird abgeführt. Sind die Schulden schließlich groß genug, ist es meistens die Gebietskrankenkasse, die den Insolvenzantrag stellt.

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Claus-Peter Kahn
Der Leiter des Büros für Betrug, Fälschung und Wirtschaftskriminalität im Bundeskriminalamt steht bei Hausdurchsuchungen häufig vor Firmenzentralen, in denen es nicht einmal einen Computer gibt. Vor seinem Eintritt in die Exekutive war er (Jg. 1976) als Trader in der Finanzbranche und im Beratungsgewerbe tätig. (Foto: Bundeskriminalamt)

Drogenkranke als Strohmänner

„Doch dort gibt’s in der Regel nichts zu holen.“ Claus-Peter Kahn leitet das Büro für Wirtschafts-, Betrugs- und Fälschungskriminalität im Bundeskriminalamt. Die Firmen, auf die die betroffenen Arbeiter angemeldet sind, existieren nämlich faktisch nie. Man spricht dann von Scheinfirmen. Die im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer oder Gesellschafter sind meistens nur Strohmänner aus Osteuropa, die für wenige hundert Euro ihren Namen und ihre Unterschrift hergeben.

Unter ihnen: Trinker, Mindestpensionisten und Drogenkranke, die für jeden Zusatzverdienst dankbar sind. „An die wahren Hintermänner, an die, die die Fäden ziehen, kommt man nur sehr schwer“, erzählt Kahn. Die angegebenen Geschäftsadressen sind in aller Regel verwaist, die befragten Arbeiter geben meistens an, von nichts zu wissen. Solange jeden Freitag der Lohn trotz Barauszahlungsverbot verlässlich im Kuvert ankommt, schauen alle weg.

Datenbank erkennt Muster

Ermittler wie Kahn, Finanzpolizist Lehner und auch unsere Quelle beim Landeskriminalamt müssen jedoch hinschauen. Das tun sie inzwischen mithilfe von Datenbankanalysen, die auffällig viele Anmeldungen auf Firmen, die bisher nur über wenige Mitarbeiter verfügten oder die noch nicht lange existieren, automatisch als Verdachtsfälle melden.

Bestätigen sich die Hinweise, können Bescheide erlassen werden, die die betroffenen Unternehmen öffentlich als Scheinunternehmen brandmarken, also Dritte vor Geschäftsbeziehungen warnen und weitere Anmeldungen bei den Sozialversicherungsträgern unmöglich machen. Die laufend aktualisierte Liste der behördlich festgestellten Scheinunternehmen veröffentlicht das Finanzministerium hier.

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Es verstreicht wertvolle Zeit

Ein automatischer Schutz vor hunderte Millionen Euro schweren Schäden ist das jedoch nicht. Bis so ein Bescheid rechtskräftig wird, verstreicht wertvolle Zeit. Weniger als noch vor einigen Jahren, aber immer noch ausreichend, um aus Sicht der Täter abkassieren und ein Unternehmen in Konkurs schicken zu können. Anschließend zieht die Karawane mitsamt dem immergleichen Personal zur nächsten Scheinfirma weiter. Das Spiel beginnt dort von vorne. Wie hat die Szene nun auf die neuen Methoden der Ermittler reagiert?

Mit Skalierung. Früher hatten die Banden in der Regel sechs bis acht Monate Zeit, bis ihre Masche aufflog und ein Konkursantrag wegen offener Abgaben ins Haus flatterte. Heute sind es oft nur zwei Monate. Das bedeutet: Täter müssen, auch um ihre eigenen Kosten zu decken, in kürzerer Zeit höhere Umsätze machen. Das funktioniert, indem einfach noch mehr Arbeiter angemeldet werden. Reichten früher ein paar Dutzend aus, die man mangels Abführung von Abgaben extrem kostengünstig weitervermitteln konnte, sind es heute hunderte.

2.600 Arbeiter binnen Wochen

So, wie es sich in der beschriebenen Ermittlung gegen Nevzat H. herausstellte. Claus-Peter Kahn vom Bundeskriminalamt erinnert sich an einen anderen Fall, in dem innerhalb weniger Wochen sogar 2.600 Arbeiter auf eine Firma angemeldet wurden, die zuvor über die Jahre einen Beschäftigungsstand von zehn hatte.

Um nach außen hin – und das möglichst lange – unauffällig zu erscheinen, ist inzwischen ein Sekundärmarkt für sogenannte Firmenmäntel entstanden. Das bedeutet: Anstatt neue Unternehmen zu gründen, auf die die Behörden schneller aufmerksam werden, übernimmt die organisierte Schwarzarbeiterkriminalität länger bestehende, seriöse Unternehmen, und modelt diese für die eigenen Zwecke um. Das können zum Beispiel alte Familienbetriebe sein, die immer sauber geführt wurden, dadurch auf der Liste der haftungsfreistellenden Unternehmen (HFU-Liste) aufscheinen, aber vom Eigentümer, etwa weil Erben fehlen, nicht mehr weitergeführt werden. Anstatt das Unternehmen kostenpflichtig auflösen zu müssen, wird es einfach verkauft. Und von den neuen Eigentümern anschließend umbenannt.

Schaden im Ausland

Dieses Muster funktioniert auch vom Ausland aus. Dabei entsenden die nun zum Beispiel slowakischen oder kroatischen Unternehmen ihre Arbeiter nach Österreich, lassen sie von zwischengeschalteten Subfirmen für prominente Baufirmen anheuern und führen – wie immer – ihre Abgaben nicht ab. Der einzige Unterschied: Der Schaden für Finanz und Kassen entsteht genau genommen im Ausland. Ein – mutmaßliches – Beispiel für dieses leicht abgewandelte Muster haben die Ermittler in diesem Fall aufgedeckt.

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„Es bedeutet einen massiven Wettbewerbsvorteil, wenn man die Lohnnebenkosten einfach auf null stellt.“

Die Arbeit der Finanzpolizei spült fünf- bis achtmal so viel Geld ins Budget, wie sie kostet. Trotzdem wird die Zahl der Beamten nicht erhöht, sondern reduziert.

Der Ausbau fand nicht statt

Trotz der Unsummen, die die organisierte Kriminalität Jahr für Jahr allen Beitrags- und Steuerzahlern vorenthält, könnte das Interesse des Staates an Aufklärung und Schadensminimierung größer sein. Recherchen im Finanzministerium führten zu dem Ergebnis, dass der ursprünglich angekündigte Ausbau der Finanzpolizei, die laut internen Berechnungen durch ihre Arbeit fünf- bis achtmal so viel Geld ins Budget spült, wie sie kostet, nicht nur abgesagt, sondern umgekehrt wurde. Seit 2013 besteht die Organisation in dieser Form. Damals zählte sie 450 Mitarbeiter, sollte zunächst auf 600, dann optimistischen Verlautbarungen aus dem Finanzministerium zufolge sogar auf 1.000 Beamte aufgestockt werden.

Die Personalstatistik zeigt: Nach einem anfänglich sachten Anstieg sind die Betrugsfahnder heute wieder dort, wo sie vor vier Jahren angefangen haben: bei 450 Mitarbeitern. Personalentwicklungsplan (PEP) und Budget lassen nichts anderes zu. Eine Entwicklung, die man mit kritischem Blick wohl zumindest als bemerkenswert bezeichnen würde. Warum ist das so?

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Die Politik gibt den Rahmen vor

Wilfried Lehner, der Leiter, will sich dazu nicht äußern. Nur so viel: Die Rahmenbedingungen, an denen sich die von ihm geführte Organisation zu orientieren habe, gebe die Politik vor.

Im inneren Kreis der Finanzpolizei sprechen Abgabenfahnder ihren Ärger dann aber doch aus. „Einflussreiche Kreise haben offenbar Angst, dass wir der Wirtschaft mit stärkeren, vor allem aber gezielteren Kontrollen in dem Bereich wehtun könnten“, sagt eine Quelle. Das unterstellte Ziel, die Eigeninitiative der Finanzpolizei bei Ermittlungen einzubremsen, wurde jedenfalls erreicht.

Einem internen Bericht zufolge waren noch 2010 knapp 60 Prozent aller Kontrollen auf eigene Erhebungen zurückzuführen. Heute, 2017, sind es nur noch 40 Prozent. Der Rest sind Anzeigen von Dritten. Oder anders formuliert: Die Finanzpolizei ist wegen ihres immer größeren Aufgabenspektrums bei leicht rückgängigem Personalstand dazu gezwungen, immer öfter auf Hinweise von außen zu warten, als selbst und proaktiv dorthin zu gehen, wo es der organisierten Kriminalität wehtut.

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Wenn der Staat Schwarzarbeit in Kauf nimmt

Ein weiteres und starkes Indiz dafür, dass es womöglich sogar so etwas wie ein unausgesprochenes öffentliches Interesse an organisierter Schwarzarbeit geben könnte, sind die fast deckungsgleichen Äußerungen eines hohen Kriminalbeamten und eines Unternehmers aus dem Reinigungsgewerbe, der selbst 925 Mitarbeiter beschäftigt. Beide sagen, dass öffentliche Ausschreiber von Aufträgen mit den verlangten Preisen wissentlich in Kauf nehmen würden, dass das nur mit Schwarzarbeit erzielbar sei. Und beide ersuchten mit dem Verweis auf ihre Position (einerseits Beamter, andererseits regelmäßiger Teilnehmer an Ausschreibungen der öffentlichen Hand) darum, ihre Identität nicht offenzulegen.

„Die öffentlichen Auftraggeber geben den Kostendruck schon ganz am Anfang an die teilnehmenden Firmen weiter“, sagt der Polizist. Druck, unter dem dann einige in die Illegalität ausweichen würden.

„Mit den Preisen stimmt etwas nicht“

Wie sich das im täglichen Geschäftsleben äußert, das legte uns der Unternehmer im Rahmen unserer Recherchen anhand seiner eigenen Gebarung vor. In einem bevölkerungsreichen Bundesland nimmt er seit Jahren regelmäßig an Ausschreibungen der öffentlichen Hand teil. „Dass mit den Preisen etwas nicht stimmen kann, zeigt allein deren Entwicklung im Lauf der letzten Jahre“, sagt er. 2010, vor sieben Jahren also, lag der vom Auftraggeber bezahlte Stundensatz im Schnitt bei etwa 16 Euro. Ein Preis, der heute noch gilt und nicht selten sogar unterboten wird. „Und das trotz einer Lohnsteigerung seit damals im Ausmaß von 15,2 Prozent.“

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So funktioniert das Geschäftsmodell der Abgabenhinterziehung.

Löhne stiegen, Preise nicht

Das führt dann dazu, dass ganz aktuell ein Großauftrag für die Reinigung von Drogenberatungsstellen für 15,30 Euro die Stunde an einen Konkurrenten ging. „Als ordentlich arbeitendes Unternehmen verdient man jedoch erst dann Geld, wenn der Auftraggeber dazu bereit ist, zwischen 18,50 und 19 Euro die Stunde zu bezahlen“, sagt der Unternehmer. Er habe sich deshalb für den schweren, aber legalen Weg entschieden, weil er einmal in Salzburg bei einem Auftrag auf einen Subunternehmer zurückgegriffen hat und nach wenigen Wochen dahinterkam, dass dieser Abgaben hinterziehe. „Seither stelle ich alle Mitarbeiter selbst an, und die Sozialversicherungsträger habe ich aus Gründen der Transparenz dazu berechtigt, die Beiträge selbstständig von meinen Konten abbuchen zu dürfen.“

Welch gewaltiger Wettbewerbsvorteil sich ergibt, wenn man sich nicht an die Regeln hält, rechnet der Unternehmer am Beispiel einer 42-jährigen Mitarbeiterin vor. Seit 2011 arbeitet O. als Reinigungskraft in seinem Unternehmen. Ihr letzter Monatslohn setzte sich aus einem Bruttolohn in Höhe von 1.010,31 Euro und einem Feiertagsentgelt von 50,94 Euro zusammen. Zusätzlich dazu führte der Unternehmer in diesem Monat Abgaben in Höhe von 323,8 Euro ab. Insgesamt entstanden ihm dadurch Gesamtkosten in Höhe von 1.385,05 Euro.

Gewaltiger Kostenvorteil

Zum Vergleich: Eine Firma, die es als Subunternehmen eines vorangestellten Auftragnehmers darauf anlegt, zahlt für die gleiche Kraft 883,88 Euro. Zusätzlich zu den Abgaben des Unternehmens wird nämlich auch gleich der vom Arbeitnehmer abzuführende Beitrag (im Fall von O. sind das die Sozialversicherung und die Lohnsteuer für den Feiertagsdienst) einbehalten. Ein Kostenvorteil von 36 Prozent, der am Bau aufgrund der höheren Gehälter und damit höheren Abgaben 70 Prozent und mehr ausmachen kann.

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Das ärgert mich maßlos.
Gerhard Flenreiss, Unternehmer und Bundesvorsitzender der Personaldienstleister der Wirtschaftskammer

Öffentliche Auftraggeber sind härtere Partner

Doch es gibt auch Kritiker, die ganz offen auftreten. Einer von ihnen ist Gerhard Flenreiss. Er führt in Wien selbst ein Unternehmen für Arbeitskräfteüberlassung und ist Bundesvorsitzender der Personaldienstleister der Wirtschaftskammer. Flenreiss glaubt, dass öffentliche Auftraggeber inzwischen härtere Geschäftspartner sind als private.

Was ihn im Zusammenhang mit der Inkaufnahme offensichtlich unrealistischer Preise „maßlos ärgert“, ist eine beliebte Verteidigungstaktik öffentlicher Auftraggeber. Wenn ein Unterlegener den Verdacht hat, dass der Ausschreibungsgewinner zu unlauteren Mitteln greift, gehen die Beamten der ausschreibenden Stellen meistens zum Gegenangriff über. „Dann argumentieren sie, dass ja nichts dagegenspreche, wenn Unternehmer vereinzelt unter ihren eigenen Deckungskosten anbieten, um gewissermaßen Werbung für sich selbst zu machen.“ Auf der Strecke blieben dabei, sagt Flenreiss, nur die ehrlichen Unternehmer.

Nevzat H.s Ende

Manchmal erwischt es jedoch auch die Richtigen. Nevzat H., der im Rahmen einer Hausdurchsuchung in Klausen-Leopoldsdorf festgenommen wurde, traf das Gesetz mit voller Härte. Das bei ihm sichergestellte Bargeld in Höhe von 44.861,90 Euro wurde eingezogen, er saß nicht nicht weniger als acht Monate in Untersuchungshaft, die auf sein Urteil angerechnet wurden. Die Berufung beim Oberlandesgericht wurde abgewiesen. Zusätzlich zur Abgabenhinterziehung verurteilte ihn die oberste Instanz wegen Betrugs, schweren Betrugs und gewerbsmäßigen Betrugs zu 30 Monaten bedingter Freiheitsstrafe. Seine Gewerbeberechtigung ist ruhend gestellt. 

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