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Sozialbetrug: Zwischen Dichtung und Wahrheit
27. November 2017 Sozialstaat Lesezeit 15 min
Wird das heimische Sozialsystem missbraucht? Wie groß ist der Schaden? Und kommen tatsächlich reihenweise Zuwanderer, um hierzulande Sozialleistungen zu kassieren? Ein Gesamtüberblick fehlt, aber in Teilbereichen gelangt man zu interessanten Erkenntnissen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Sozialstaat und ist Teil 2 einer 15-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Tschetschene kassierte 70.000 Euro Mindestsicherung“ – es sind Schlagzeilen wie diese, die in regelmäßigen Abständen Debatten über das Thema Sozialmissbrauch befeuern.

Geht man solchen Beispielen auf den Grund, lässt sich aber mitunter nicht feststellen, ob sie real oder – zumindest teilweise – Fiktion sind. Die Sache mit dem Tschetschenen, der laut Zeitungsbericht als „U-Boot“ in Österreich lebt, konnte die zuständige Magistratsabteilung 40 in Wien jedenfalls „weder verifizieren noch falsifizieren“, heißt es auf Anfrage. Im Büro von Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) wird das bestätigt. Warum konnte der Fall nicht geklärt werden? Weil man vom Autor des Artikels „keine überprüfbaren Angaben bekommen“ habe, also keinen Namen, keine Adresse, lautete die Erklärung. Daher sei kein Check möglich gewesen.

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Keine Zahlen zu Gesamtschaden

Im Hintergrund erfährt man, es sei zwar intensiv recherchiert und es seien auch einige Fälle von tschetschenischen Staatsbürgern ausgemacht worden, aber diese hätten sich nicht mit den medial geschilderten Informationen gedeckt.

Die Geschichte ist symptomatisch für den Gesamtkomplex Sozialbetrug bzw. Sozialmissbrauch. Es ist nicht feststellbar, wie groß der Gesamtschaden ist, der durch betrügerischen oder missbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen entsteht. Was es gibt, sind Daten für einzelne Bereiche, aber selbst die sind teils unvollständig.

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Keine Übersicht aufgrund von Kompetenz-Wirrwarr

Dass die Behörden keinen Gesamtüberblick über den Missbrauch von Leistungen wie Mindestsicherung, Notstandshilfe, Wohnbeihilfen & Co. haben, liegt unter anderem daran, dass unterschiedlichste Stellen bzw. Gebietskörperschaften damit befasst sind.  Das AMS zahlt die Notstandshilfe aus, die Mindestsicherung ist Ländersache, und Heizkostenzuschüsse erhält man in Gemeinden – wobei die Mindestsicherung auch nur auf dem Papier Landesangelegenheit ist, in der Praxis sind dafür Bezirke und Gemeinden zuständig. So weit, so komplex. Ein seit langem bekanntes Problem, das man seinerzeit mit der Einführung der Transparenzdatenbank lösen wollte. Die existiert zwar bereits, wird aber von den Bundesländern nicht in einer Weise befüllt, dass man daraus einen Gesamtüberblick erhalten könnte.

Also lassen sich Annäherungswerte nur „händisch“ recherchieren. Im Zuge der Recherchen zeigt sich, dass sowohl mit dem Thema befasste Beamte in den Ländern und bei der Polizei, als auch Mitarbeiter von Sozialversicherungen der Überzeugung sind, dass der Schaden, der durch das Erschleichen oder den Missbrauch von Sozialleistungen entsteht, um einiges geringer sein dürfte als jener, der durch das organisierte Hinterziehen von Sozialabgaben durch Scheinfirmen angerichtet wird. Beides wird von den Behörden gemeinhin unter dem Schlagwort Sozialbetrug subsumiert. Konkrete Zahlen können die Gesprächspartner freilich auch nicht nennen.

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Friedrich Schneider
Volkswirt Uni Linz
Der gebürtige Deutsche Friedrich Schneider (68), der an der Uni Konstanz Volkswirtschaftslehre studierte und sich an der Uni Zürich habilitierte, war 30 Jahre lang an der Uni Linz tätig, er emeritierte kürzlich. In seiner Forschung befasst sich Schneider schwerpunktmäßig mit den Themen Schattenwirtschaft, Korruption und Abgabenhinterziehung.
Johannes Kopf
AMS-Vorstand
Johannes Kopf ist seit 2006 AMS-Vorstand. Zuvor war der Jurist als Arbeitsmarktexperte im Kabinett des damaligen Wirtschaftsministers Martin Bartenstein (ÖVP) sowie bei der Industriellenvereinigung tätig.

Was die Wissenschaft kalkuliert

Berechnungen des Linzer Volkswirts Friedrich Schneider zu den Jahren 2011 bis 2016 stützen diese These allerdings. Der Wissenschaftler errechnete, dass der landläufige Sozialbetrug, also das missbräuchliche Beziehen von Sozialleistungen, einen Schaden von rund einer Milliarde Euro pro Jahr verursache. Was dem Staat an Steuern und Abgaben entgeht, indem Firmen großteils in organisierter Form Lohnsteuer und Sozialbeiträge hinterziehen, beziffert der Wissenschaftler mit etwa drei Milliarden Euro pro Jahr.

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Missbrauch oder nicht? Eine Streitfrage

Dass niemand exakt weiß, um wie viel Geld die öffentliche Hand geprellt wird, dürfte auch damit zusammenhängen, dass es keine allgemeingültige Definition dafür gibt, was alles in die Rubrik Sozialbetrug bzw. -missbrauch einzuordnen ist.

Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), erläutert am Beispiel des Arbeitslosengeldes, dass der Tatbestand des Betrugs im strafrechtlichen Sinn nur in wenigen Fällen erfüllt werde. Daneben gebe es aber Beispiele, die zeigen würden, dass es mitunter Interpretationssache sei, ob ein Missbrauch vorliege – oder eben nicht. „Manche meinen, man könnte etwa, wenn ein Saisonarbeiter im Tourismus für zwei bis drei Wochen zwischen den Saisonen zum AMS geschickt werde, vielleicht von moralischem Missbrauch sprechen“,  meint Kopf. Betrug im Sinne des Strafrechts sei das gewiss nicht.

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Missbrauch ist bis zu einem gewissen Grad Ansichtssache.

1. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe werden häufig gestrichen

Wer arbeitslos, aber arbeitswillig ist, kann Arbeitslosengeld beantragen. Gewährt wird es zwischen 20 und 52 Wochen, abhängig davon, wie lange man zuvor bereits beschäftigt war.  Wie viel Arbeitslosengeld man bekommt, hängt wiederum vom bisherigen Einkommen ab (55 Prozent des Netto-Einkommens). Ist man längerfristig arbeitslos, kann man um Notstandshilfe ansuchen. Die Notstandshilfe beträgt maximal 95 Prozent des Arbeitslosengeldes. Sie wird jeweils für ein Jahr gewährt, kann aber (unbegrenzt) neuerlich beantragt werden.

Ab wann liegt ein Missbrauch vor? Das ist, wie erwähnt, bis zu einem gewissen Grad Ansichtssache. Festgelegt ist aber sehr wohl, wann man seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe verliert. Geregelt ist das im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG). Demnach können Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe vorübergehend (für bis zu acht Wochen) oder auch gänzlich gestrichen werden, wenn man sich weigert, offerierte Jobs anzunehmen, an Schulungen teilzunehmen, oder auch, wenn man keinerlei Eigeninitiative zeigt. In der AMS-Statistik ist ablesbar, dass die beiden Leistungen zwar häufig vorübergehend (2016: 16.557-mal), aber eher selten gänzlich gestrichen werden (236-mal).

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Mehr als 58.270-mal entschied das AMS 2016, dass es (für einige Zeit) kein Geld mehr gibt, weil die Bezieher Kontrolltermine versäumt hatten. Ob man in diesen Fällen von einem Sozialmissbrauch sprechen kann, ist wohl eine Streitfrage. Das AMS führt sie zwar in ihrer Statistik über die Sanktionen an, zählt sie aber nicht zu den „eigentlichen Missbrauchsfällen“. Insgesamt wurden Notstandshilfe und Arbeitslosengeld jedenfalls knapp 75.000-mal (16.557 plus 58.270) – meist vorübergehend – gestrichen. Als Relation dazu: Mehr als 300.000 Menschen haben 2016 Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe erhalten.

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Das AMS hat durchschnittlich alle 47 Tage Kontakt zum Klienten.

Alle eineinhalb Monate wird kontrolliert

Wie intensiv wird kontrolliert? Unterschiedlich. Im Schnitt gebe es alle 47 Tage einen Kontakt zu den Klienten, sagt das AMS.

Dass die durchschnittliche Bezugsdauer von Notstandshilfe in den vergangenen Jahren angestiegen ist, sei kein Indiz für mehr Missbrauch, betont AMS-Vorstand Kopf. Das sei vielmehr „ganz logisch. Notstandshilfe ist eine Folgeleistung der Arbeitslosenversicherung. Fünf Jahre steigende Arbeitslosigkeit haben dazu geführt, dass sehr viele Menschen länger arbeitslos geworden sind.“ Daher gebe es auch mehr Notstandshilfe- als Arbeitslosengeldbezieher.

Im Schnitt werden Arbeitslosengeld und Notstandshilfe 775 Tage bezogen (Daten aus 2016), also zwei Jahre und eineinhalb Monate. Das ist aber noch kein Rekordwert. 2000 lag die durchschnittliche Bezugsdauer bei 807 Tagen (zwei Jahre und zweieinhalb Monate).

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2. Mindestsicherung: Aufregende Einzelfälle?

Eine Sozialleistung, die in der politischen Auseinandersetzung besonders emotional diskutiert wird, ist die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS), wie sie offiziell heißt. Sie ist das, was früher die Sozialhilfe war, und soll gewährleisten, dass in Not geratene Menschen ein Mindesteinkommen erhalten. Beanspruchen kann man sie laut Gesetz, wenn man sich legal in Österreich aufhält, grundsätzlich arbeitswillig ist und über kein Vermögen mehr verfügt (Ausnahmen: das Haus, in dem man wohnt; Ersparnisse von maximal rund 4.200 Euro). Asylwerber haben keinen Anspruch, Asylberechtigte bis dato sehr wohl. Bekommt Österreich eine schwarz/türkis-blaue Regierung, dürften die Letztgenannten aber bald weniger bekommen als Staats- oder EU-Bürger. So zumindest wurde es von ÖVP und FPÖ angekündigt.

Aktuell gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen, weil sich die Politik nicht auf eine einheitliche einigen konnte. Bis 2016 waren für alleinstehende Menschen rund 838 Euro monatlich vorgesehen, für Paare rund 1.256 Euro, und pro Kind gab es bis zu 226 Euro.

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Nicht alle halten sich ans Gesetz

So weit zur Rechtslage, an die sich freilich nicht alle Antragsteller und Bezieher halten, wie ein Fall aus der Steiermark zeigt (der Anfang September 2017 publik wurde und polizeilich bestätigt ist). Eine 79-jährige Kosovarin, die in der Obersteiermark wohnte, und ihre Söhne (41 und 52 Jahre) hatten demgemäß im Laufe der vergangenen sechs Jahre insgesamt 80.000 Euro widerrechtlich an Sozialleistungen bezogen.

Die Frau hatte laut Polizei eine Mindestsicherung beantragt, obwohl sie sich nur deshalb in Österreich aufhalten hatte dürfen, weil ihre Söhne zuvor der Behörde per Haftungserklärung zugesichert hatten, dass sie für ihre Mutter sorgen würden. Somit wäre keine öffentliche Unterstützung zugestanden. Warum das der Behörde, die den Mindestsicherungsantrag bearbeitet hatte, nicht bekannt war, blieb offen. Polizeilich festgestellt wurde jedoch, dass die Söhne auch noch Arbeitslosen- und Krankengeld bezogen hatten, obwohl sie sich zeitweise im Kosovo aufgehalten hatten.

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Rechnungshof rügte Stadt Wien

Nicht reihenweise Missbrauch, aber zumindest zahlreiche Missstände im Umgang mit der Mindestsicherung zeigte auch der Rechnungshof in diesem Jahr auf. Die Kritik richtete sich in diesem Fall an die Stadt Wien. Die Prüfer beanstandeten nicht nur, dass Wien mehr Geld ausschütte, als in der Bund-Länder-Vereinbarung vorgesehen war, sondern auch, dass die Kontrollen teils zu lasch gewesen seien. So wird in dem Rechnungshofbericht beispielsweise geschildert, dass eine Familie mit sechs Kindern ab 2010 Mindestsicherung bezogen habe. Die für Kontrollen zuständige MA 40 habe zwischen 2010 und 2013 „insgesamt 13 Mal“ geprüft, ob die „nicht mehr schulpflichtigen Kinder“ einer Beschäftigung nachgingen, reagiert habe man auf die negativen „Abfrageergebnisse“ aber nicht. Erst Ende 2013 habe sich herausgestellt, dass sich die Kinder im Herkunftsland des Vaters aufgehalten hatten, daraufhin habe die MA 40 31.000 Euro an Mindestsicherung zurückgefordert.

Moniert wurde vom Rechnungshof überdies, dass nur via Melderegister geprüft worden sei, ob sich Kinder von Mindestsicherungsbeziehern tatsächlich in Wien aufhalten. Zielführender wäre es, die Daten mit jenen des Stadtschulrates abzugleichen.

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Das Kontrollnetz im Bereich der Mindestsicherung soll in Wien nach der Kritik des Rechnungshofes nun enger geknüpft werden.

Kürzere Intervalle für den Datenaustausch

Im Büro von Sozialstadträtin Sandra Frauenberger wird erklärt, man habe auf die Kritik des Rechnungshofs reagiert, eine „Taskforce“ eingesetzt, alle Empfehlungen des Rechnungshofs würden umgesetzt. Allerdings verweist man auch darauf, dass man schon bisher nicht untätig gewesen sei. In mehr als 11.000 Fällen seien im Jahr 2016 Sanktionen verhängt worden. Das heißt, die Mindestsicherung wurde um ein Viertel, die Hälfte oder zur Gänze gestrichen. Das kommt dann vor, wenn Bezieher beispielsweise nicht bereit sind, Jobangebote anzunehmen.

Das Prüf- und Kontrollnetz soll noch enger geknüpft werden, heißt es im AMS. Man wolle beispielsweise die Intervalle für den Datenaustausch verkürzen. Derzeit werden die Informationen vom Arbeitsmarktservice einmal im Monat, konkret am 10. Tag, an die für die Mindestsicherung zuständigen Länder weitergeleitet. Wenn jemand am 15. eines Monats zu arbeiten beginnt, erfährt das die BMS-Stelle also erst vier Wochen später, die Sozialhilfe wird daher entsprechend länger ausbezahlt.

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Übersicht fehlt

Wie sieht es außerhalb von Wien aus? Dort ist ebenso wenig eruierbar, wie häufig Mindestsicherung auf betrügerische Art und Weise bezogen wird, ergaben Recherchen in Oberösterreich. Bezirke und Gemeinden würden zwar nach Linz melden, wenn Mindestsicherungsbezieher sanktioniert würden (also die BMS gekürzt werde). Fälle, in denen die Mindestsicherung eingestellt und über das Gericht zurückgefordert wird, weil ein Betrug vorliegt, seien jedoch nur den zuständigen Stellen bekannt. Daher sei es dem Land nicht möglich, „aggregierte Daten darzustellen“, sagt Richard Held, Büroleiter der oberösterreichischen Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ). 

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3. Die Mär vom Ausnützen des Mindestpensionssystems durch Zuwanderer

Pensionisten aus osteuropäischen Ländern würden vermehrt nach Österreich kommen, um hierzulande Ausgleichszulage zu kassieren und sich so ihre kleine Rente aus dem Heimatland auf Kosten der österreichischen Steuerzahler aufzubessern. Solche Gerüchte machen seit Jahren die Runde und werden vor allem von FPÖ-Politikern gestreut.

Was ist an diesen Behauptungen dran? Wie sieht die Faktenlage aus? Wird das österreichische Sozialsystem tatsächlich von Zuwanderern missbraucht?

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Betrugsversuch unterbunden

Fallbeispiele, die zeigen, dass es auch in diesem Bereich Missbrauch gibt oder der Versuch unternommen wird, die Ausgleichszulage widerrechtlich zu bekommen, sind in nahezu allen Fremdenbehörden des Landes dokumentiert, ergaben Addendum-Recherchen. Wie etwa der Fall einer rumänischen Mindestpensionistin, mit dem Beamte in Niederösterreich konfrontiert waren. Die Frau hatte einen Daueraufenthaltstitel in Österreich angestrebt, um eine Ausgleichszulage beantragen zu können.

Im erwähnten Fall hätten nach einem Antrag bei der Pensionsversicherung zur rumänischen Pension von 150 Euro knapp 740 Euro vom österreichischen Staat dazukommen sollen. Als die Beamten die Rumänin zu einem Gespräch luden, erschien nur einer der Söhne, bei dem die Mutter laut Meldeamt wohnte. Bei der Befragung stellte sich heraus, dass die Antragstellerin in einem Spital in Bayern lag, weil sie sich seit geraumer Zeit bei einem weiteren Sohn in Nürnberg aufhielt – und dort auch das deutsche Gegenstück zur Ausgleichszulage („Grundsicherung im Alter bei Erwerbsminderung“) bezog. Konsequenz in Österreich: Statt eines Aufenthaltstitels wurde die Pensionistin ausgewiesen.

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Die Ausgleichszulage soll Menschen mit niedrigen Pensionen ein Mindesteinkommen sichern. Der sogenannte Ausgleichszulagen-Richtsatz, der für Alleinstehende 889,84 Euro beträgt, wird daher umgangssprachlich auch als Mindestpension bezeichnet. Die Höhe der Ausgleichszulage hängt von der Höhe der Pension ab. Wenn man beispielsweise 500 Euro Pension bekommt und alleinstehend ist, beträgt die Ausgleichszulage 389,84 Euro im Monat. Ein Ehepaar hat Anspruch auf 1.334,17 Euro im Monat.

905 EU- oder EWR-Bürger, die eine ausländische Pension bekommen, haben 2016 in Österreich eine Ausgleichszulage erhalten. Das sind 0,4 Prozent aller Ausgleichszulagenbezieher.

Einzelfall vs. Gesamtbild

Solche Einzelfälle sagen noch nichts über die Gesamtsituation aus. Betrachtet man den Komplex Ausgleichszulage global, entsteht ein gänzlich anderes Bild. Die Zahl der Bezieher einer Ausgleichszulage aus Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Polen ist zwar in den vergangenen Jahren prozentuell sehr stark gestiegen, die absoluten Zahlen sind aber nach wie vor äußerst gering.

Im Jahr 2010 haben laut Pensionsversicherungsanstalt (PVA; Stand Dezember 2010) 430 EU- bzw. EWR-Bürger, die eine ausländische Rente erhalten, in Österreich eine Ausgleichszulage bekommen. Die Zahl hat sich bis 2016 mehr als verdoppelt (905 Personen). Das sind allerdings immer noch nur 0,4 Prozent aller Ausgleichszulagenbezieher. Denn im Vorjahr haben laut Statistik Austria 213.019 Personen eine Ausgleichzulage überwiesen bekommen.

Die größte Gruppe unter den ausländischen Staatsbürgern waren 2016 Rumänen (265), an zweiter Stelle standen Deutsche (190), gefolgt von Bulgaren (127), Polen (99) und Ungarn (66). 

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OGH schiebt Zuwanderung ins Pensionssystem einen Riegel vor

Die Zahlen dürften auch nicht mehr wesentlich steigen, denn der Oberste Gerichtshof (OGH) hat der Zuwanderung zum Zweck des Bezugs einer Ausgleichszulage durch ein Urteil aus dem Mai 2016 de facto einen Riegel vorgeschoben. Anlass war die Klage eines 68-jährigen Rumänen. Der Mann war nach einem Schlaganfall und zwei Herzinfarkten aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in seiner Heimat nach Österreich übersiedelt. Sein Begehren auf Gewährung einer Ausgleichszulage wurde abgewiesen.

Der OGH verwies darauf, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach der jüngsten Rechtsprechung den Mitgliedsländern erlaube, „wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen“. Das gelte auch für die Ausgleichszulage. Das bedeutet, dass EU-Bürger, die in Österreich nicht arbeiten und sich weniger als fünf Jahre hier aufhalten, über ausreichende Mittel verfügen müssen, um sich selbst erhalten zu können. Einen Anspruch auf eine Sozialleistung können sie nicht geltend machen.

Aufgrund dieses Höchstgerichtsspruchs würden nun weniger Ausgleichszulagen an ausländische Staatsbürger gewährt, heißt es bei der PVA, die Zahl der abgelehnten Anträge würde also steigen.

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Das Sozialministerium schätzt das „Einsparungspotenzial“ bei Missbräuchen im Gesundheitssystem als „überschaubar“ ein.

4. E-Cards: Oft gestohlen, aber nur wenige Betrugsfälle verifiziert

Das Sozialsystem kann auch missbraucht werden, indem man medizinische Leistungen bezieht, obwohl man nicht krankenversichert ist oder sich mehr Medikamente verschreiben lässt, als man tatsächlich benötigt. In diesem Bereich sei „das Einsparungspotenzial“ aber „überschaubar“, sagt ein Sprecher von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ). Konkretes dazu sei beim Hauptverband für Sozialversicherungsträger in Erfahrung zu bringen. Unsere Anfragen an den Hauptverband wurden nicht beantwortet.

Einige aufschlussreiche Informationen zum Thema E-Card-Missbrauch findet man jedoch in einer parlamentarischen Anfrage bzw. deren Beantwortung. Darin heißt es, dass laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger 2016 knapp 40.000 E-Cards als gestohlen und rund 161.000 als verloren gemeldet worden seien. Diese Daten würden auf den Angaben der Karteninhaber bei der Sperrmeldung beruhen.

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800 Fälle binnen drei Jahren

Wie oft die abhanden gekommenen oder gestohlenen Karten missbräuchlich verwendet werden (solange sie noch nicht gesperrt sind) oder wie oft E-Cards „verborgt“ werden, ist schwer zu sagen. Denn nicht einmal die einzelnen Krankversicherungsträger haben einen vollständigen Überblick. Die Gebietskrankenkassen haben dem Hauptverband 812 „Verdachtsfälle“ für die Jahre 2014 bis 2016 gemeldet (ohne Oberösterreich, das keine Daten lieferte). Wie valide diese Angaben sind, ist offen. Denn während die niederösterreichische Gebietskrankenkasse während der vergangenen drei Jahre in 299 Fällen den Verdacht hatte, dass „missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen“ vorliegt, waren es in Wien im selben Zeitraum nur 21 Fälle. Eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gab es in Niederösterreich aber auch nur in einem Fall. Da ging es um einen Schaden von 4.863,76 Euro.

Die Politik will den E-Card-Missbrauch künftig jedenfalls erschweren. Ab 1. Jänner 2019 werden die Sozialversicherungskarten mit Fotos ausgegeben. 2023 soll auf allen E-Cards ein Bild der Besitzer zu sehen sein, damit in Ordinationen und Spitälern zumindest augenscheinlich geprüft werden kann, ob der Patient mit der Person auf der E-Card ident ist. 

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