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Der Sozialstaat, was ist das genau?
28. November 2017 Sozialstaat Lesezeit 6 min
Österreich gilt gemeinhin als Land, das versucht, den sozialen Ausgleich zu schaffen. Dennoch gibt es auch hierzulande 1,2 Millionen Menschen, die als armutsgefährdet eingestuft werden. Auf der anderen Seite steigen die Kosten für Pensionen und Pflege dramatisch an. In diesem Spannungsfeld läuft jede Debatte über Reformen im Sozialstaat ab. Wir haben uns die Fakten angesehen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Sozialstaat und ist Teil 4 einer 15-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Österreich ist ein Sozialstaat, heißt es. Doch was bedeutet das konkret? Welche Aufgaben muss ein Sozialstaat erfüllen? Und wird er, so wie wir ihn heute kennen, auch in 30 Jahren noch funktionieren?

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Eine der Hauptaufgaben eines Sozialstaats ist es, gesicherte Lebensbedingungen für alle Bürger zu gewährleisten und für sozialen Ausgleich zu sorgen. In unterschiedlichen Lebensabschnitten kommen die Menschen mit wechselnder Intensität mit dem Sozialstaat in Berührung. In jungen Jahren profitiert man vom System etwa durch Kinderbetreuungsgeld, Kindergarten- und Schulplätze. Im fortgeschrittenen Alter unterstützt das System die Bürger auch überproportional durch soziale Leistungen ­– in Form von Pflegegeld oder staatlichen Zuschüssen zur Pension. Finanziert wird das alles durch die Beiträge, die Erwerbstätige und Unternehmer leisten. Das funktioniert, solange das Verhältnis der Einzahler und der Leistungsbezieher ausgewogen ist. Details dazu finden Sie hier .

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Ohne Sozialtransfers sähe es trist aus

Faktum ist: Österreich wäre mit einer enormen gesellschaftlichen Schieflage konfrontiert, wenn es keine Sozialleistungen gäbe. Das zeigt die Statistik der EU über Einkommen und Lebensbedingungen – kurz EU-SILC. Demnach wären in Österreich 44 Prozent der in Privathaushalten lebenden Personen ohne Sozialtransfers armutsgefährdet. Berücksichtigt man alle Sozialleistungen, wie etwa die Zuschüsse zu den Pensionen, die Unterstützung für Arbeitslose etc., gelten immer noch 14 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet.

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Als armutsgefährdet gelten Personen, deren Haushaltseinkommen niedriger als 60 Prozent des Median-Einkommens aller österreichischen Haushalte ist. Dieses lag 2016 für Einpersonenhaushalte bei 1.185 Euro, für eine Familie mit drei Kindern bei 2.843 Euro.

Geld- versus Sachleistungen

In vielen Bereichen werden nicht nur finanzielle Leistungen, sondern auch Sachleistungen gewährt. So wird etwa für Familien mehr Geld für Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag aufgewendet, als für Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch bei den Arbeitslosen fließen mehr Mittel in das Arbeitslosengeld als in Angebote für Kurse oder vergleichbare Sachleistungen. Umgekehrt steht bei der Gesundheitsversorgung die Sachleistung in Form von ärztlicher Versorgung, Spitalsbehandlung oder Medikamenten im Vordergrund.

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Mindestsicherung

Diesen Leistungsspagat zwischen Geld- und Sachleistungen unter der Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit versucht man auch im Bereich der Mindestsicherung zu schaffen. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung beträgt für alleinstehende volljährige Personen für den Lebensunterhalt 633,35 Euro (Ausnahmen gibt es für Personen in einer Wohngemeinschaft). Der Zuschuss zur Miete trägt in Tirol den regional unterschiedlichen Wohnkosten Rechnung und beträgt etwa im Bezirk Reutte maximal 262 Euro, in Innsbruck-Stadt maximal 512 Euro. In Niederösterreich beträgt der Zuschuss für den Wohnbedarf einheitlich 211 Euro – obwohl die Mieten in der Landeshauptstadt sicherlich deutlich höher sind als etwa im Waldviertel.

Eine österreichweit einheitliche Regelung gibt es mangels politischer Einigung bis dato nicht. Die schwarz-blauen Koalitionsverhandler haben lediglich angekündigt, dass es für Asylberechtigte Änderungen geben soll. Die Frage, wie viel das Wohnen grundsätzlich kosten darf, wenn man Sozialhilfe in Anspruch nimmt, wurde vorerst nicht diskutiert.

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Der Sozialstaat als Rettungsanker in Krisenzeiten

Eine besondere Rolle spielte das soziale Netz im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Während etwa in südlichen Ländern Sozialleistungen gekürzt wurden, dominierte in Österreich der politische Wille, die Folgen der Krise auf den Lebensstandard der Bevölkerung zu mildern. Das schlug sich freilich deutlich in der Statistik über die Sozialquote nieder.

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Wahlzuckerl mit bitterem Beigeschmack

Nicht immer regiert freilich die Vernunft, wenn es um Änderungen im Sozialwesen geht. Vor Wahlen werden mitunter Gesetze beschlossen, die teils sogar bis dahin unternommene Reformbemühungen konterkarieren. Die Nachwehen der von einigen als „Sternstunde des Parlamentarismus“ bezeichneten Verlängerung der Hacklerregelung im Wahlkampf 2008 wird noch lange finanziell spürbar bleiben (siehe hier).

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Auch im Herbst 2017 führte das „freie Spiel der Kräfte“ kurz vor der Nationalratswahl zu einem millionenschweren Belastungspaket. Alleine die Änderungen bei der Notstandshilfe schlugen mit Kosten in Höhe von rund 160 Millionen Euro zu Buche – vergleiche hier. Zu den Aspekten dieser Reform können Sie in diesem Artikel Näheres lesen. Wie steht es aber um die Kostenentwicklung im Sozialbereich, losgelöst von Wahlzuckerln?

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Muss der Sozialstaat reformiert werden?

Wenn in Politik und Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, ob der Sozialstaat reformiert werden muss, bilden sich stets zwei konträre Positionen heraus: Die eine Seite meint, dass das System kurz vor einem Kollaps steht, die andere Seite ist überzeugt, dass es keinen großen Reformbedarf gibt.

Der Autor Michael Köhlmeier sieht die Thematik so:

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Der Autor Wolf Lotter (geboren 1962) plädiert hingegen für mehr Eigenverantwortung und die Einführung eines Grundeinkommens.

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Gegenwärtig gibt es jedenfalls zwei Bereiche, die wegen der enormen Kostensteigerung hervorstechen:

Kostentreiber Pflege und Pensionen

Die Kostenblöcke, die in den kommenden Jahren weiter in die Höhe wachsen werden, sind die Pensionen und die Pflege. Die Ausgaben für den Pflegebereich lagen 2015 bei rund sechs Milliarden Euro (1,8 Prozent des BIP). Das ist mehr, als der Staat für Arbeitslose (rund 5,5 Milliarden) oder für Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag (rund 4,5 Milliarden) ausgibt. Der Rechnungshof prognostiziert, dass die Pflegekosten bis zum Jahr 2060 auf 3,1 bis 3,4 Prozent des BIP ansteigen werden – das bedeutet nahezu eine Verdopplung.

Noch dramatischer ist die vorhergesagte Kostenentwicklung bei den Pensionen. Der Bundesbeitrag  betrug 2016 rund 7,7 Milliarden Euro (2,2 Prozent des BIP). Bis zum Jahr 2045 werden die Ausgaben laut der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung und Berechnungen des Finanzministeriums auf über 50 Milliarden Euro (rund 5,4 Prozent des BIP) ansteigen – das ist eine relative Steigerung um 150 Prozent in den kommenden 30 Jahren.

Diese Prognosen legen jedenfalls nahe, dass zumindest im Pflege- und Pensionsbereich Reformen unumgänglich sein dürften. 

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Das ist die Ausfallshaftung des Bundes für Pensionen: Jener Betrag, um den die Aufwendungen die Erträge aus Pensionsbeiträgen übersteigen.

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