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Auf der Suche nach neuen Finanzierungsformen
2. Dezember 2017 Sozialstaat Lesezeit 9 min
Der österreichische Sozialstaat basiert vorwiegend auf dem Bismarck’schen Sozialversicherungssystem des 19. Jahrhunderts. Durch die zunehmende Automatisierung wird dieses System immer schwieriger zu finanzieren. Von der Maschinensteuer bis zur Steuerfinanzierung: Viele Ideen geistern durch Medien und Wissenschaft. Ist es Zeit, umzudenken?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Sozialstaat und ist Teil 11 einer 15-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

Die Maschinensteuer oder Wertschöpfungsabgabe wird vom erzeugten Mehrwert eines Unternehmens berechnet. Dass sie damit der Umsatzsteuer ähnelt, könnte rechtliche Probleme verursachen.

Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Deutschland unter Otto von Bismarck die Grundstruktur vieler bekannter wohlfahrtsstaatlicher Finanzierungssysteme: die Pflichtversicherung – ein Versuch, die politischen Interessen der Arbeiter und Unternehmer in Einklang zu bringen, der heute als gescheitert beurteilt wird. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich dieses System kontinuierlich weiterentwickelt. In seinem Wesen blieb es aber gleich: Leistungen für Kranke, Arbeitslose und Pensionisten werden über Versicherungen der Allgemeinheit finanziert. Kennzeichnend ist dabei, dass die Menschen aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses beitragspflichtig sind. Etwa zwei Drittel der Ausgaben für soziale Sicherheit werden in Österreich auch heute über solche Beiträge finanziert .

Schwindende Bemessungsgrundlagen

Doch nun gibt es zunehmend Bedenken, das System sei nicht zukunftssicher: Der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt sinkt, es herrscht hohe Arbeitslosigkeit, und die Automatisierung droht weitere Arbeitsverhältnisse obsolet zu machen . Mit weniger Löhnen und Gehältern schwindet die Bemessungsgrundlage und damit das Beitragsaufkommen der Sozialsysteme. Um dieses Problem zu lösen, wird nach anderen Bemessungsgrundlagen gesucht. Diese Suche führt zunächst zu der Frage, warum wir überhaupt die menschliche Arbeit belasten, anstatt die uns viel fremdere Wertschöpfung durch Maschinen.

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Warum empören wir uns über eine Maschinensteuer, aber Menschensteuer finden wir ganz normal? Ist doch absurd.
Konrad Paul Liessmann

Was ist eigentlich diese Maschinensteuer?

Entstanden ist der Begriff durch den damaligen Sozialminister Alfred Dallinger, der in den 1980er Jahren forderte, die Einhebung von Sozialbeiträgen weg von den Arbeitsverhältnissen hin zum eingesetzten Kapital zu verlagern. Neben dem plakativen Begriff Maschinensteuer hat sich die Bezeichnung Wertschöpfungsabgabe für verschiedenste Beitragsmodelle eingebürgert. In den vergangenen Jahren haben sich auch Ökonomen wieder verstärkt mit diesen Ideen beschäftigt. Grundsätzlich besteuert die Abgabe den erzeugten Mehrwert oder die Wertschöpfung eines Unternehmens. Dieser ergibt sich aus dem gesamten Wert der erzeugten Güter und Dienstleistungen, ohne die dafür benötigten Vorleistungen anderer Unternehmen.

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Faktor Arbeit entlasten

Stellt ein Unternehmen beispielsweise Apfelsaft her, so muss es zum einen Äpfel von externen Unternehmen zukaufen (Vorleistung) und zum anderen Maschinen einsetzen (Kapital) und Menschen in der Produktion beschäftigen (Arbeit). Der Wert des Gutes steigert sich vom Apfel zum Apfelsaft – es findet ein Veredelungsprozess statt. Der so gewonnene Wohlstand verteilt sich auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Gegenwärtig werden die Sozialversicherungsbeiträge zur Gänze dem Faktor Arbeit zugeordnet. Die Wertschöpfungsabgabe würde die Beitragssätze von der Höhe der Arbeitsleistung entbinden, indem sie als Bemessungsgrundlage den noch nicht zugeteilten Mehrwert heranzieht.

Eine wesentliche Unklarheit herrscht bei der Berechnungsmethode der Wertschöpfung und ob als Grundlage die Brutto- oder Nettowertschöpfung herangezogen werden sollte.

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Zur Berechnung der Wertschöpfung: 

Die Wertschöpfung kann subtraktiv oder additiv ermittelt werden. Nach der subtraktiven Methode ergibt sich die Bruttowertschöpfung eines Unternehmens als die Summe der Werte der erzeugten Produkte minus den Vorleistungen, die für die Produktion zugekauft werden mussten. Nach der additiven Methode wird die Bruttowertschöpfung aus der Summe von Betriebsüberschuss, Personalaufwand, Zinsaufwand und Abschreibungen berechnet. Lässt man die Abschreibungen weg, so ergibt sich die Nettowertschöpfung, die ebenfalls als Grundlage herangezogen werden kann. Rein theoretisch sollte sich derselbe Wert ergeben, faktisch führen aber statistische Differenzen zu einem Unterschied. Zudem könnte die Abgabe je nach Berechnungsweise juristisch anders bewertet werden.

Wäre die Wertschöpfungsabgabe eine Art Umsatzsteuer?

Vor allem bei der Berechnung der Wertschöpfungsabgabe nach der subtraktiven Methode könnten sich rechtliche Probleme ergeben. Dann nämlich, wenn die Abgabe dem Charakter der Umsatzsteuer zu sehr ähnelt: Durch den Vorsteuerabzug dient hier ebenfalls der erzeugte Mehrwert eines Betriebs implizit als Bemessungsgrundlage. EU-Recht verbietet aber die Einführung einer zweiten Umsatzsteuer. Eine vermutlich gesetzeskonforme Lösung wäre die additive Berechnung der Bemessungsgrundlage. Eine vergleichbare Steuer ist die italienische IRAP (Imposta Regionale sulle Attività Produttive)– sie wurde bereits vom EuGH als regelkonform bestätigt. Das Beispiel ist allerdings eine kleinere, regionale Steuer und nicht zur gesamten Finanzierung von Sozialleistungen gedacht. Ökonomen des WIFO haben jedenfalls berechnet, dass eine Wertschöpfungsabgabe in der Höhe von etwa 13 Prozent über alle Branchen die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber sowie Lohnsummensteuern hierzulande ersetzen könnte. Daran lässt sich bereits ablesen, dass die Wertschöpfung wesentlich höher ist als die Lohnsumme, also eine verbreiterte Basis zur Besteuerung darstellt.

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Die Einahmequelle wäre stabil und lukrativ. Neue Arbeitsplätze könnten geschaffen werden. Tourismus, Handel und Staat würden profitieren, Selbständige und kleine Unternehmen dagegen stärker belastet werden. Langfristig könnte der technologische Fortschritt und damit damit die Produktivität eingebremst werden.

Die Auswirkungen einer Wertschöpfungsabgabe

In ihren wesentlichsten Aspekten dürfte die Wertschöpfungsabgabe halten, was sie verspricht: Die Bruttowertschöpfung ist eine stabile Basis, die nicht von der Menge der eingesetzten Arbeit abhängt. Sollten tatsächlich Löhne und Gehälter weiterhin hinter der gesamten Produktivität zurückbleiben, so werden dennoch große Volumen an Beiträgen generiert. Ein zusätzlicher Effekt ist die Entlastung des Faktors Arbeit und damit eine beschäftigungsfreundlichere Besteuerung; ein Wunsch der – in Österreich ungewohnt – von allen politischen Parteien, Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und vielen anderen Institutionen geteilt wird. Tendenziell würde die Abgabe mehr Jobs – vor allem in niedrigen Einkommensbereichen – generieren. Dies könnte den Menschen zugute kommen, deren Arbeitsplätze durch die Automatisierung besonders gefährdet sind.

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Ein Wundermittel?

Betrachtet man nur diese Aspekte, kann man schnell zum Schluss kommen, die Abgabesei ein Wundermittel. Tatsächlich würde sich aber durch die Einführung auch eine Reihe von Problemen ergeben. Grundsätzlich wird Kapital teurer und Arbeit als Produktionsmittel billiger werden. Kapitalintensive Branchen würden im Vergleich zum Status quo stärker und arbeitsintensive Branchen schwächer belastet werden. So würden etwa die Landwirtschaft, Energieunternehmen, Banken und Versicherungen mehr Abgaben leisten müssen. Profitieren würden vor allem Dienstleistungsbranchen wie Handel oder Tourismus. Die Sachgüterproduktion würde in etwa gleich aussteigen.

Der Staat als Gewinner

Ein großer Gewinner bei der Einführung ist auch der Staat. Da er extrem hohe Personalkosten für die Bereitstellung seiner Leistungen aufwendet, würde er sich selbst als Beitragszahler massiv entlasten. Die Abgabenlast würde sich vom öffentlichen Bereich in den privaten Bereich verschieben. Damit würde die Finanzierung der Sozialausgaben für öffentliche Bedienstete zu einem größeren Teil von privaten Unternehmen getragen werden, statt vom eigentlichen Arbeitgeber. Vorstellbar wäre es deshalb auch, den öffentlichen Dienst aus der Wertschöpfungsabgabe auszunehmen. Einzelunternehmer und kleine Betriebe würden durch die Umstellung stark belastet werden, da sie wenig bis nicht von einer Entlastung der Arbeit profitieren, aber zusätzliche Kosten der Abgabe zu tragen hätten. Dafür müsste eine Sonderlösung, etwa in Form von Freibeträgen, gefunden werden. 

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Verteilung und Wohlstand

Ein weiteres Problem stellt die unklare Aufteilung der Steuerlast dar. Zwar wäre formal das Unternehmen der Träger der Steuer, es ist aber unklar, inwiefern sie entweder auf Konsum, Arbeit oder Kapital umgewälzt werden wird. Aufgrund der recht ähnlichen Ausgestaltung zur Umsatzsteuer kann man davon ausgehen, dass auch hier ein Teil der Steuerlast im Endeffekt die Kunden des Unternehmens trifft, da die Abgabe über höhere Preise weitergegeben wird. Steuern auf Konsum haben aber meist eine regressive Wirkung – ärmere Haushalte werden durch sie prozentuell zu ihrem Einkommen stärker belastet. Damit könnte die Abgabe verteilungspolitisch ungewollte Effekte mit sich bringen. Das klassische Argument gegen die Abgabe ist aber die Befürchtung, sie werde den langfristigen technologischen Fortschritt bremsen und damit den Wohlstand gefährden. Ersetzen neue Technologien bestehende arbeitsintensive Prozesse, so erhöht sich die Produktivität, die auf einen Arbeitnehmer fällt. Die Abgabe würde – wie auch beabsichtigt – Anreize schaffen, Arbeitnehmer in unproduktiven Berufen zu halten.

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Sozialausgaben könnten auch verstärkt durch Besteuerung auf beispielsweise Vermögen oder Vermögenserträge finanziert werden.

Welche Möglichkeiten es noch gibt

Das bestehende Sozialversicherungssystem ist schon jetzt nicht alternativlos. Sieht man sich im europäischen Umfeld um, so findet man viele Länder, die ihre Sozialausgaben hauptsächlich über Steuern finanzieren, etwa Schweden oder das Vereinigte Königreich. Ob das für Österreich eine Alternative wäre, hängt davon ab, auf welche Steuern gesetzt wird. Schaffte man etwa die Sozialversicherungsbeiträge ab und ersetzte sie durch Steuern auf Einkommen und Lohnsummen, so würde sich weder am Problem der Belastung des Faktors Arbeit noch an der Zukunftssicherheit des Systems etwas ändern.

Kapital, Vermögen?

Viel Spielraum wird in Österreich meist bei der Besteuerung von Vermögen und Vermögenseinkommen attestiert. Denkbar wäre es etwa, die Erträge aus Kapital stärker zu besteuern und die Einnahmen den Sozialsystemen zuzuordnen. Der Anteil der Kapitaleinkommen am BIP ist seit den 1970er Jahren gewachsen – ein Trend, der womöglich anhält. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Beitrage aus Vermögenseinkommen können kurzfristig stärkeren Schwankungen unterliegen. Damit könnte es konjunkturbedingt zu stärkeren Einnahmeausfällen kommen. Wesentlich stabiler sind dagegen die Aufkommen aus Grunderwerbsteuer, Grundsteuer oder einer möglichen Erbschafts- oder Vermögenssteuer.

Erbschaft

Bei der Höhe dieser Steueraufkommen darf man aber nicht zu optimistisch sein. Die Besteuerung von Arbeitseinkommen erzeugt ein höheres Aufkommen, als dies bei moderaten Prozentsätzen auf Vermögensüberträge oder Vermögenssubstanz der Fall wäre. Eine vollkommene Umschichtung der Belastung von Arbeit auf Vermögen wird daher nicht möglich sein. Der große Vorteil solcher Steuern wird aber meist anders argumentiert: Im Gegensatz zu Einkommen sind Vermögenswerte speziell in Österreich sehr ungleich verteilt. Erbschaftssteuern hätten eine sehr progressive Wirkung und würden vor allem das oberste Vermögens- und damit oft auch das oberste Einkommensdezil treffen. Dass sie kaum konjunkturelle Auswirkungen hätten, wäre ein zusätzlicher Vorteil.

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Die Arbeiterkammer Oberösterreich präsentierte im November 2017 eine Studie der Johannes-Kepler-Universität Linz. Derzufolge würden die Einnahmen aus einer Vermögenssteuer je nach gewähltem Modell bei einer Bandbreite zwischen zwei und 11,5 Milliarden Euro liegen.

Auch innerhalb des Pflichtversicherungssystems könnte eine Ausweitung der Beitragsgrundlagen zusätzliche Einnahmen bringen. Noch bleibt die Beitragsfinanzierung eine solide Basis.

Ein Verbleib im System Pflichtversicherung

Kleinere Reformen innerhalb der Sozialversicherungen können einem Sinken der Beiträge ebenfalls entgegenwirken. Oft ins Spiel gebracht wird eine Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage oder die Beitragspflicht für geringfügige Einkommen. Bei Ersterem ergibt sich bei Arbeitslosen- und Pensionsversicherung aber ein Problem. Mit ihr begründet sich auch die Deckelung der Leistungen auf der Ausgabenseite. Fiele mit der Höchstbeitragsgrundlage auch die Höchstbemessungsgrundlage weg, so könnten künftig auch höhere Ansprüche an Pension und Arbeitslosengeld entstehen. Eine Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage wird daher auch oft nur für die Arbeitgeberbeiträge gefordert. Den WIFO-Berechnungen zufolge könnte diese alleine schon ein zusätzliches Aufkommen von etwa 1,7 Milliarden Euro jährlich generieren.

Was für den status quo spricht

Es existiert also noch viel Spielraum durch eine Verbreiterung der Beitragsgrundlagen. Ein größerer Schritt in Richtung bestehendes System wäre die Einführung einer eigenen Pflegeversicherung. Freilich würde diese Intensivierung der Versicherungsbasierung das Grundproblem der sinkenden Arbeitsverhältnisse ignorieren. Ob eine Umstellung der Finanzierung zwingend kommen muss, hängt davon ab, wie sich die Beitragszahlen in den nächsten Jahren entwickeln werden. Denn Einkommen aus Arbeit bleiben vorerst eine attraktive Bemessungsgrundlage für Sozialbeiträge: Sie sind aufkommensstabil, volumenmäßig groß, wären progressiv gestaltbar und bauen auf einer administrativ bereits bestehenden Bürokratie auf.  

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Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber fixe Prozentsätze des Bruttomonatsgehalts in die verschiedenen Sozialversicherungen einzahlen. Liegt das monatliche Gehalt aber über 4.980 Euro, so ist der darüber hinausgehende Verdienst beitragsbefreit. Die Beiträge sind also gedeckelt, und können einen gewissen Wert nicht übersteigen. Bei geringfügiger Beschäftigung müssen lediglich Beiträge in die Unfallversicherung einbezahlt werden. Sie sind also auch von Pensions-, Arbeitslosen-, und Krankenversicherung befreit.

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