Die gesetzliche Entwicklung hinkt der gesellschaftlichen weit hinterher. In den 1980er Jahren beschäftigt sich der Nationalrat bereits mit der Einführung einer Pflegeversicherung, Anlass ist eine Debatte über die Versorgung von Menschen mit Behinderung. Sozialminister Alfred Dallinger will damals „nichts übers Knie brechen“. Die freiheitliche Abgeordnete Helene Partik-Pablé wirft ihm daher angesichts der steigenden Zahl der Älteren Untätigkeit vor. Aber auch die ÖVP-FPÖ-geführte Koalition wird später keine Pflegeversicherung einführen.
1993 wird das Bundespflegegesetz eingeführt, das den Anspruch auf Pflegegeld zwar grundsätzlich an eine ASVG-Versicherung koppelt, den auszahlenden Anstalten aber gleichzeitig Kostenersatz aus dem Bundeshaushalt gewährt. Dem Pflegegeld steht somit kein eigenständiger Versicherungsbeitrag gegenüber. Gleichzeitig läuft das Geschäft mit privaten Pflegeversicherungen schleppend, weil der Staat ohnehin eine Versorgung aus Budgetmitteln anbietet.
Als die zunehmende alternde Bevölkerung die Politik zum Handeln zwingt, versuchen Bund und Länder sich zu einigen, um das komplexe System verschiedener Leistungen zu überwinden. Erst 2012 wird das Pflegegeldwesen per Verfassungsänderung ausschließliche Bundessache. Zur Einführung einer Pflegeversicherung, wie sie beispielsweise in Deutschland besteht, kann sich der Bund aber auch danach nicht durchringen. Die Pflege ist in Österreich auch heute noch eine steuergeldfinanzierte Sozialleistung. Weitere Lohnnebenkosten durch eine Pflichtversicherung sind derzeit politisch schwer durchzusetzen.
Auch die Einführung eines Pflegefonds 2013 kann, so sieht es der Rechnungshof ein Jahr darauf, die Situation nicht nachhaltig entschärfen. Österreich sei „trotz der Schaffung eines Pflegefonds und dessen Dotierung mit rd. 1,3 Mrd. EUR auf die demographische Entwicklung nicht ausreichend vorbereitet“. Gleichzeitig kritisiert der Rechnungshof die „mangelnde Abstimmung“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und die daraus resultierenden „Effizienzverluste der Gebietskörperschaften“.
Der überwiegende Teil der Pflegeleistung wird nach wie vor in der Familie, zwei Drittel davon von Frauen erbracht. Es ist naheliegend, dass viele pflegende Angehörige ihre Berufstätigkeit reduzieren oder aufgeben müssen. Die Angehörigenpflege entzieht dem Arbeitsmarkt überwiegend weibliche Arbeitskräfte und ist damit auch ein Thema der Gleichberechtigung.
Das gilt auch für die bezahlte mobile Pflege zu Hause, die ebenfalls vorwiegend durch Frauen erfolgt. Diese sind zwar berufstätig, aber oft in prekären Verhältnissen wie Scheinselbstständigkeit. Dies auch deshalb, weil die „Flexibilität und Exklusivität einer Eins-zu-Eins-Betreuung“ bei regulären Arbeitsverhältnissen „nicht aufrechtzuerhalten“ wäre, so die Sozial- und Politikwissenschafterin Almut Bachinger. Die weitgehende Übernahme dieser Pflegeleistungen durch Pflegerinnen aus Osteuropa schafft zudem in diesen Ländern neue Betreuungsdefizite. In Österreich waren 2012 etwa 45.000 Pflegerinnen aus dem Ausland beschäftigt, 38.000 davon als Selbstständige.
45.000 ausländische Pflegerinnen versorgen pflegebedürftige Menschen in Österreich, 38.000 davon sind als Selbstständige gemeldet. Von den 460.000 Pflegebedürftigen werden nur 75.000 in Pflegeheimen versorgt.
Die Pflege zu Hause ist immer noch die kostengünstigste Variante. Von etwa 460.000 pflegebedürftigen Menschen sind in Österreich gerade einmal 75.000 in einem Pflegeheim untergebracht. Die Heimbetreuung ist vergleichsweise teuer. Allein die Errichtungskosten für ein Heimbett liegen zwischen 85.000 und 170.000 Euro, pro Bewohner liegen die monatlichen Betriebskosten bei 1.500 bis 3.500 Euro in staatlichen und bis zu 7.000 Euro in privaten Heimen.
Laut dem Sozialwissenschaftler Bernd Marin entstehen in Österreich 90 Prozent der Pflegekosten durch Heime, in denen drei bis vier Prozent der Pflegebedürftigen untergebracht sind. Eine günstige Alternative wären Wohngemeinschaften mit mehreren Betreuungsbedürftigen und gemeinsamen Pflegekräften. Diese Stufe zwischen einer privaten Betreuung zu Hause und einer Vollversorgung im Heim würde sich insbesondere für Menschen mit mittleren Pflegestufen anbieten. Betreuungsart und -intensität sind, insbesondere im Hinblick auf stockende Reformschritte bei der einnahmenseitigen Pflegefinanzierung durch Versicherungen oder Vermögenssteuern, potenzielle Kostenhebel.
Die alternde Bevölkerung lässt nicht nur die Kosten für die Betroffenen und den Bund steigen, sondern auch jene für Länder und Gemeinden. Sie sind es, die weitgehend für Bau, Erhalt und Betrieb von Pflegeheimen aufkommen. Immer bessere medizinische Betreuung verursacht zusätzliche Kosten.
Die Pflegekosten in Vorarlberg sollen bis 2030 um 427 Prozent steigen.
Der volkswirtschaftliche Gesamtaufwand für die Pflege ist jedoch schwer abschätzbar. Der Rechnungshof kritisiert die Intransparenz des Systems. Im Jahr 2015 betrugen die öffentlichen Ausgaben für die Pflegefinanzierung 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Wert wird schätzungsweise bis 2060 auf 3,1 bis 3,4 Prozent steigen. Für Vorarlberg rechnet man mit einem Pflegekostenanstieg bis 2030 um 427 Prozent.
2015 bezogen bereits 5,2 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung Pflegegeld. Die Zahl der Pflegebedürftigen soll aktuellen Prognosen zufolge jährlich um etwa 10.000 Personen ansteigen. 2030 werden etwa eine Million Menschen in Österreich pflegebedürftig sein. In 30 Jahren werden rund viermal so viele Einwohner über 85 sein wie heute.
Die Finanzierungsfrage wurde durch die Abschaffung des Pflegeregresses, durch den es den Bundesländern möglich war, zur Kostentragung auf das Vermögen der Pflegebedürftigen zuzugreifen, zusätzlich verschärft. Dadurch fand gleichzeitig eine Verlagerung der Kosten von Personen mit entsprechendem Vermögen auf die Allgemeinheit statt. Rechnete man ursprünglich nur mit Mehrkosten von 100 Millionen Euro jährlich, geht mittlerweile allein Vorarlberg von zusätzlichen Kosten von 60 Millionen Euro im Jahr aus.
Wie man den insgesamt milliardenschweren Finanzierungsbedarf in Zukunft decken wird, ist wohl eine Frage, der sich die neue Bundesregierung wird stellen müssen. Laut Kurier soll ein Zugriff auf das 13. und 14. Einkommen von Heimbewohnern angedacht sein. Da Vermögenssteuern zur Gegenfinanzierung sowohl von der ÖVP als auch von der FPÖ abgelehnt werden, bleiben neben der Einführung einer Pflichtversicherung auch nur Umschichtungen, Leistungskürzungen oder Schulden als weitere Möglichkeiten übrig.