Anna H. wollte für ihre zehn Vögel vorgesorgt haben, wenn sie einmal nicht mehr für sie da sein kann. Sie seien ihr Ein und Alles, erzählt die 75-jährige Wienerin, und sie habe jahrelang gespart, damit sie später gut untergebracht werden könnten. Weil sie monatlich an die gemeinnützige Stiftung Aiderbichl spendete, also schon für andere Tiere auf dem Gnadenhof als „Tierpatin“ bezahlte, erhielt sie regelmäßig Werbeprospekte. In einem dieser Prospekte pries Aiderbichl-Gründer Michael Aufhauser eine sogenannte „Tier-Vorsorge“ an, ein Angebot exklusiv für die Haustiere regelmäßiger Spender. Das Angebot gab es seit 2013 in Kooperation mit der Wüstenrot-Versicherung.
Die Information wird von Aiderbichl noch immer verschickt – obwohl es das Produkt „Tiervorsorge“ nach Auskunft von Wüstenrot seit Dezember 2017 nicht mehr gibt. Aiderbichl nennt die Versendung auf Nachfrage ein „Versehen“: Nach dem Ausstieg von Wüstenrot biete die Stiftung ausschließlich eine eigene „Tierabsicherung“ an – die allerdings noch kostspieliger ist.
Weil Anna H. der Tierschutzeinrichtung, die jahrelang – etwa im ORF – mit Promis und rührenden Tier-Rettungs-Geschichten aufgetreten war, vertraute, schloss sie bei Wüstenrot Versicherungen für alle zehn Vögel ab. Für einen Zebrafinken bezahlte sie einmalig 3.500 Euro, für einen Papagei fast 5.000. Der Makler verkaufte ihr pro Vogel einen eigenen Vertrag, für jeden fielen Provision und Gebühren an.
Seit mehr als drei Jahren ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die Aiderbichl-Vorstände Dieter Ehrengruber und Michael Aufhauser und gegen weitere Personen wegen des Verdachts, dass Erbschaften und Spendengelder missbräuchlich verwendet wurden. Derzeit arbeitet die Anklagebehörde an einem Vorhabens-Bericht, weil der Fall berichtspflichtig ist. Das heißt, dass am Ende das Justizministerium entscheidet, ob Anklage erhoben wird. Aiderbichl weist alle Vorwürfe zurück. Vorstand Dieter Ehrengruber zeigt sich überzeugt davon, dass demnächst alle Ermittlungen eingestellt werden.
Im Jahr 2017 erfuhr Anna H. aus den Medien von Ermittlungen gegen die Chefs von Gut Aiderbichl. Ein Fernsehbeitrag der ORF-Sendung „Am Schauplatz“ zeigte einen von Aiderbichl betriebenen Gnadenhof, auf dem Hunde in einem feuchten, teils verschimmelten Haus untergebracht waren. Daraufhin bezweifelte Frau H., dass ihre gefiederten Lieblinge tatsächlich gut versorgt würden und kündigte alle Verträge.
Die Justiz wird demnächst entscheiden, ob der Fall Aiderbichl weiter aufgerollt wird und es eine Anklage gibt. Es geht unter anderem um die Frage, ob Aiderbichl seine Versprechen gegenüber einem inzwischen verstorbenen Millionär, der der Stiftung seinen Hof mitsamt Tieren – darunter seinen Lieblingshund – vermacht hatte, eingehalten hat – und wie dieses Testament überhaupt zustande gekommen war.
Anna H. blieb nach der Kündigung ihrer Verträge auf mehreren tausend Euro Verlust sitzen. Der Rückkaufwert der Polizzen lag unter dem Verkaufspreis, und sie musste Versicherungssteuer nachzahlen.
Frau H. ist nicht nur wegen des Geldes enttäuscht. „Ich habe Fotos der Vögel an die Versicherung geschickt, von jedem einzeln, so wie sie es verlangt hatten. Sie sagten, ich kriege sie wieder zurück. Nicht einmal das ist passiert.“
Die ehemalige FPÖ-Politikerin Susanne Riess ist Generaldirektorin der österreichischen Wüstenrot-Gruppe und Vorstand der Gut Aiderbichl Privatstiftung.
Sie ist das einzige der drei Vorstandsmitglieder von Aiderbichl, gegen das nicht ermittelt wird.
2013 erklärte Susanne Riess zu dem mit Aiderbichl gemeinsam entwickelten Produkt: „Uns war klar, dass wir die Vierbeiner-Vorsorge nur mit einem absolut zuverlässigen Partner umsetzen können. Denn wir übernehmen Verantwortung gegenüber den Tierhaltern und müssen ihnen mit absoluter Sicherheit sagen können, ihre Lieblinge haben auf Gut Aiderbichl den bestmöglichen Platz und sind bestmöglich versorgt“.
Eine ehemalige Wüstenrot-Maklerin sagt, dass das Produkt unter Berufskollegen eher belächelt wurde. Man habe halt daran verdient, aber es sei klar gewesen, dass es die Versicherung nur aufgrund der personellen Verknüpfung gegeben habe. Die normalerweise für solche Produkte zuständige Mitarbeiterin bei Wüstenrot habe sich damit kaum ausgekannt.
Für Wüstenrot ist die Kündigung ein Standardvorgang. Die Versicherung sei auf Wunsch von Frau H. erfolgt. Für zehn Vögel habe es zehn Einzelverträge gegeben, damit „die klare Zuordnung der jeweiligen Versicherungssumme sichergestellt (sei). Findet bei Einmalerlägen der Rückkauf unter der Mindestbindefrist statt, gelten statt der ursprünglichen 4% Versicherungs-Steuer 11% Versicherungs-Steuer, daher die Nachforderung der 7%“.
Darüber, wie viele Bestands-Kunden es gibt, geben weder Gut Aiderbichl noch Wüstenrot Auskunft. Nur so viel: Bestehende Verträge blieben jedenfalls aufrecht.
Die Frage, ob die Kooperation mit Aiderbichl aufgrund der aktuellen Betrugsermittlungen ausgesetzt wurde, beantwortet Wüstenrot damit, dass man derzeit lediglich an einer Verbesserung des Produkts arbeite. Demnächst würde es auch für Neukunden wieder angeboten. Allerdings nicht mehr per Makler, sondern preiswerter über das Internet.
Erkundigt man sich bei Gut Aiderbichl aktuell als interessierte Kundin nach den Kosten der „Wüstenrotversicherung“, heißt es, man berechne mindestens 100 Euro für eine Katze und 300 Euro für einen Hund pro Monat – auf zehn Jahre hochgerechnet, ergibt also 12.000 bzw. 36.000 Euro. Vor allem Hunde seien sehr personalintensiv heißt es, Aiderbichl verdiene daran nichts.
Am besten sei es, bei einem Notar einen Beitrag oder eine testamentarische Verfügung festzulegen.
Darüber, dass es die Vorsorge-Versicherung über Wüstenrot gar nicht mehr gibt, sondern es sich um eine ausschließlich über Aiderbichl abgewickelte „Tierabsicherung“ handelt, wird man nicht aufgeklärt. Sehr wohl erhält man über die Bedingungen Auskunft: Man müsse Tierpate werden, also monatlich an die Stiftung spenden.
Ruft man Wüstenrot – ebenfalls als Kundin – an, heißt es nur, dass es die Versicherung nicht mehr gibt.
Schon 2014 – die Aiderbichl/Wüstenrot-Tiervorsorge war gerade ein paar Monate alt – warnten Konsumentenschützer vor dem „teuren Unterfangen“. 30.000 Euro kostete es damals, einen Hund abzusichern. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) fand das sehr teuer, angesichts wesentlich niedrigerer realer Haltekosten. Außerdem sei es fraglich, ob das Tier wirklich die von Aiderbichl für die Prämienberechnung herangezogenen zehn Jahre auf dem Gnadenhof leben würde.
Auch fehlten konkrete Bestimmungen zum Umfang der Betreuung. Man müsse der Stiftung Aiderbichl vertrauen und das Ganze eher als Spende ansehen denn als Versicherung. Die Vierbeiner-Vorsorge sei kein Massenprodukt, sondern richte sich an betuchte ältere Menschen, meinte der VKI.
„Im mit dem Kunden abgeschlossenen Versicherungsvertrag ist zum Umfang der Tierversorgung definiert, dass die Betreuung und Versorgung durch Gut Aiderbichl erfolgt. Die genauen Regelungen der Betreuung und Versorgung sind der Homepage von Gut Aiderbichl zu entnehmen und können jederzeit von Gut Aiderbichl erfragt werden. Der Umfang und die genaue Ausgestaltung der Tierversorgung ist nicht Gegenstand des Versicherungsvertrages“, sagt Andrea Krametter, Pressesprecherin Wüstenrot-Gruppe.
Immer wieder gab es in letzter Zeit Vorwürfe gegen Gut Aiderbichl. Es ginge den prominenten Tierschützern nicht um die ihnen anvertrauten Schützlinge, sondern ums Geld. Ehemalige Mitarbeiter, Tierschützer, Paten und auch ein ehemals dort tätiger Tierarzt äußerten sich dazu auch öffentlich. Die Vorwürfe betreffen alle Einrichtungen der Stiftung, nicht nur das für Besucher zugängliche Stammhaus im Salzburger Henndorf. Die Unterbringung der Tiere auf nichtöffentlichen Tierschutzeinrichtungen und zusätzlich etwa bei Bauern ist noch schwieriger zu kontrollieren und steht ebenfalls im Fokus von Kritikern.
Die Kritiker sind sich darin einig, dass ein Gesamtkonzept für ärztliche Betreuung und die generelle Versorgung der Tiere fehle. Auch wenn einzelne Mitarbeiter sehr engagiert seien, mangle es an Fachkräften. Außerdem werde kaum kontrolliert, wie die Tierpfleger tatsächlich arbeiten.
Eine Sprecherin der Stiftung Gut Aiderbichl weist die Vorwürfe, wie schon in der Vergangenheit, zurück, und verweist auf hohen Personalaufwand, ausreichend Fachkräfte und beste tierärztliche Versorgung. Kritiker seien bloß neidisch auf den Erfolg oder enttäuschte Ex-Mitglieder der „Aiderbichl-Familie“. Wörtlich heißt es:
„Unsere Tierhaltung wird regelmäßig sowohl von Tier- als auch Amtstierärzten kontrolliert.
Es ist nicht richtig, dass es keine durchgängige/systematische Betreuung gibt. Über jedes einzelne Tier wird genau Buch geführt. Es gibt Futter-, Medikamenten- und Behandlungspläne. Befunde, Impfdaten, und individuelle Informationen zum Tier, Krankheiten, etc. werden exakt vermerkt, die zuständigen Tierpfleger haben jederzeit Zugriff auf diese Pläne und Daten.
Eine Tiertrainerin arbeitet mit den Pflegern und coacht sie, vor allem bei den Hunden. Es ist die Pflicht eines jeden Tierpflegers- bzw. helfers, Auffälligkeiten wahrzunehmen und unmittelbar an die leitende Tierpflegerin bzw. deren Vertretung zu melden, damit umgehend gehandelt und, wenn nötig, sofort ein Tierarzt konsultiert werden kann.“
Erst vor kurzem erreichten Addendum neue Fotos, die Tiere im Aiderbichl-Gnadenhof in Henndorf zeigen. Durch nicht artgerechte Haltung, lückenhafte Betreuung und verschmutztes Futter komme es immer wieder zu Situationen, wie sie auf den Bildern zu sehen sind.
Die folgenden Aufnahmen wurden uns von einer Insiderin zugespielt. Vorsicht, sie können verstörend wirken.
Die Insiderin, die Addendum diese Fotos zukommen ließ, möchte nicht genannt werden. Sie fürchtet persönliche Nachteile. Aus Sorge um die Tiere, sagt sie, wollte sie aber nicht weiter schweigen. Was eine Tierabsicherung durch Aiderbichl betrifft, ist die Tierfreundin sicher, dass es dort „die Hölle“ sei. Sie würde ihre Katze oder ihren Hund lieber einschläfern lassen, als sie dorthin zu geben.
Auch Anna H., die 2017 ihre zehn Wüstenrot-Tiervorsorge-Verträge gekündigt hat, meint: „Ich will andere warnen, damit sie nicht den gleichen Fehler machen wie ich. Es kostet nur viel Geld.“