Zu Weihnachten wird in großen Teilen der Welt der Geburt Jesu Christi gedacht, des Mannes, auf den sich die christlichen Konfessionen berufen. Ihm wird vieles zugeschrieben, auch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37). Es ist die Referenz für die christlich-theologische Rede über Nächstenliebe oder „Caritas“.
Das Gleichnis erzählt die Geschichte eines Mannes, der einen Verletzten von der Straße aufliest und ihm hilft. Nicht nur durch Versorgung und Verpflegung, sondern auch mit Geld. Wie viele andere Geschichten aus unterschiedlichen Religionen auch, erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter eine andere, größere Geschichte: die Geschichte der Spende für die Armen.
Das Spenden von Geld und anderen Gütern für die Armen war nicht immer in erster Linie ein Glaubensgrundsatz. Im antiken Griechenland war das „Wohltun“ eine sittliche Verpflichtung. Darunter verstand man, dass sich der einzelne Bürger durch Dienste oder materielle Gaben gegenüber dem Staat verdient machte. Diese Wohltaten kamen allen Bürgern zugute – mit einer „Armenpflege“ im heutigen Sinn hatte das wenig zu tun. Das Geben von Almosen für Arme war daneben zwar nicht unüblich, aber weit weniger positiv besetzt.
Auch bei den Römern galt das Wohltun als Tugend, stand jedoch nicht explizit in Zusammenhang mit der Armenpflege.
Die enge Verbindung zwischen Armenfürsorge und Religion ist in erster Linie ein Phänomen, das man im Orient beobachten konnte. Wer Gutes tat, durfte sich im alten Ägypten, ähnlich wie später im Christentum, eine Belohnung im Jenseits erwarten – die Israeliten siedelten den Belohnungsort hingegen im Diesseits an. Auch und vor allem religiöse Stätten spielten eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Armenfürsorge: Sie war fest an den Tempel gebunden, und im Rahmen von Opferfesten wurden die Armen bewirtet und beschenkt.
Im Lauf der Zeit breitete sich dieser orientalische Ansatz mehr und mehr auf das Abendland aus. Die Sozialpolitik Roms veränderte sich in Richtung der Armenpflege. Aus Pilgerherbergen wurden die ersten Armen- und Krankenhäuser. Verstärkt wurde diese Entwicklung im heutigen Europa nicht zuletzt durch Verarmungswellen, die Auseinandersetzung mit den jüdischen Traditionen und den Einfluss des erstarkenden Christentums.
Die Hilfe für die Armen war ein zentrales Anliegen des christlichen Glaubens. Bereits in der frühchristlichen Gemeinde existierten institutionalisierte Formen der Armenfürsorge – in Form von Kollekten, Agapen und Oblationen. Aber auch das unmittelbare Geben von Almosen wurde praktiziert. Die Empfänger waren überwiegend Glaubensgenossen.
Das Christentum brachte auch einige Neuerungen im „Spendenwesen“ mit sich: Die Armenfürsorge wurde nun auch für missionarische Zwecke eingesetzt – erfolgreich, wie die rasche Ausbreitung des Christentums zeigt.
Für die immer weiteren Wege, die zwischen Spendern und Begünstigten lagen, liefert bereits das Neue Testament etliche Belege. Diese neue Art der Spende breitete sich vor allem während der Christenverfolgungen im 4. Jahrhundert nach Christus aus, als es regelmäßig darum ging, Gefangene freizukaufen. Über solche Spenden über große geografische Distanzen hinweg ist mehrfach die Rede. Die in Not befindliche Gemeinde in Jerusalem beispielsweise wurde von Gemeinden in Achaja (2. Kor 9,2), Antiochia (Apg 11,27–30), Galatien (1. Kor 16,1–4) und Mazedonien (2. Kor. 8,1–4) unterstützt.
Nachdem das Christentum Ende des vierten Jahrhunderts zur römischen Staatsreligion erklärt worden war, hatte die Kirche im Armenwesen lange Zeit mehr oder weniger ein Monopol. Nicht unbedingt zu ihrem Nachteil: Ihr Vermögen, das selbst als „Armenvermögen“ galt, vermehrte sich kontinuierlich. Die Einführung der Abgabe des sogenannten Zehents zur Unterstützung der Armen im 6. Jahrhundert machte sich bezahlt. Umso mehr, als er wenig später sogar zwangsweise eingetrieben werden konnte.
Ungeachtet dessen war auch das Geben freiwilliger Almosen an die Armen üblich – mitunter fand die Übergabe vom Spender an den Empfänger sogar im Kirchengebäude statt. Bettelorden, die ebenfalls Almosen einsammelten, stellten jedoch eine nicht zu vernachlässigende Konkurrenz für die Armen dar.
Zwischen Mitte des 8. und Mitte des 13. Jahrhunderts wurde dann der größte Teil der Armenpflege in unseren Breitengraden von Klöstern übernommen. Daneben waren die Hospitäler die für die Armenfürsorge wichtigsten Institutionen dieser Zeit. Das sollte sich jedoch bald ändern.
Ende des 13. Jahrhunderts griffen nämlich die aufblühenden Städte Europas in das Geschehen ein. Das stellte eine grundlegende Veränderung des bis dahin religiös geprägten Armenwesens dar. Wie die Kirche, finanzierten die Städte die Armenpflege im Wesentlichen durch formal freiwillige Gaben – also durch Spenden.
Dazu wurden Bettel- und Almosenordnungen erlassen und Bettelzeichen ausgegeben. Wer betteln wollte, musste sich in ein Verzeichnis eintragen lassen, um das Betteln der städtischen Kontrolle zu unterwerfen, zur Überwachung wurden sogar eigene Bettelvögte eingesetzt. Auch Hospitäler wurden unter die Aufsicht der Städte gestellt.
Johann Ludwig Vives, geboren 1492 in Valencia, war ein spanischer Gelehrter. Sein 1526 erschienenes Werk „De subventione pauperum“ setzte im Armenwesen neue Maßstäbe. Anfangs Scholastiker, wandte er sich über seinen Lehrer und Freund Erasmus von Rotterdam dem Humanismus zu. Bis zu seinem Tod im Jahr 1540 in Brügge verfasste er zahlreiche Schriften und unterrichtete sogar am königlichen Hof in England – über Vermittlung des großen, heiliggesprochenen Humanisten Thomas Morus.
Diese „Verstädterung“ des Armenwesens machte den christlichen Klerus kreativ: Es kam zur Einführung des Ablasshandels, der der Kirche erhebliche Einnahmen verschaffte. Das sollte sich erst im Verlauf der von Martin Luther initiierten Reformation wieder ändern, die zur Spaltung des westlichen Christentums in katholische, evangelisch-lutherische und reformierte Kirchen führte.
Für das Spendenwesen wichtiger als die Reformation waren neue Denkweisen, die vor allem aus den nicht reformierten Gebieten stammten, wie die Schriften des Johann Ludwig Vives. Innerhalb kurzer Zeit wurde das Armenwesen in zahlreichen Städten reformiert, ein wichtiger Schritt war die sogenannte Yperner Armenordnung Karls V. aus dem Jahr 1525. Die Bedürftigkeit wurde in der Folge individueller, also je nach Fall, beurteilt. Besonderes Augenmerk wurde auf ein allfälliges Selbstverschulden gelegt.
Die Freiwilligkeit der Spende spielt im Steuerrecht eine wesentliche Rolle. Das österreichische Einkommensteuergesetz spricht von einer „freigebigen Zuwendung“.
Solche freiwilligen Zuwendungen können unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich geltend gemacht werden, vermindern also die Steuerlast. Doch das ist eine andere Geschichte .
Der freiwilligen Spendenleistung stehen staatliche Sozialversicherungssysteme gegenüber, die sich in unseren Breitengraden ab dem späten 19. Jahrhundert entwickelten: Sie gewähren einklagbare Ansprüche auf Versorgungsleistungen. Und damit nicht mehr bloß freiwillige Zuwendungen.
Leistungen von Sozialversicherungen haben folglich mit „Spenden“ nur mehr sehr wenig zu tun. Außer, dass sie mitunter ebenfalls Bedürftigen und Armen zugutekommen.
Ähnliches gilt für sonstige staatliche Sozialleistungen wie Zuschüsse zu den Kosten für Heizung und Kindergärten. Und natürlich auch für die Vielzahl an Förderungen und Subventionen, die von der öffentlichen Hand vergeben werden – doch das ist eine andere Geschichte .
Doch mit der „Vormachtstellung“ der Städte im Spendenwesen war es bald wieder vorbei. Im Absolutismus (ca. 16. bis 18. Jahrhundert), einer Zeit der Alleinherrscher, merkantilistischer Wirtschaft und großer stehender Heere, wurden sie mehr und mehr zu bloß ausführenden Organen. Staatliche Almosenämter und Armenkassen, die sogar Zwangsmaßnahmen setzen konnten, wurden eingesetzt. Das entsprach dem absolutistisch-zentralistischen Zugang.
Schließlich gesellte sich ein weiterer Akteur im Spendenwesen zu Staat und Kirche hinzu: das private Bürgertum.
Die Bürger arbeiteten zwar mit kirchlichen und staatlichen Organisationen zusammen. Rechtlich bestand jedoch Unabhängigkeit, man organisierte sich in Vereinen. Die Mittel lukrierte man durch öffentliche Sammlungen, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Lotterien und Vereinsbeiträgen.
Diese bürgerliche Privatwohltätigkeit hat sich, wenngleich auf einer deutlich höheren Professionalitätsstufe, bis ins heutige Spendenwesen erhalten. Seit den 30er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es auch mehr und mehr internationalisiert.
Ein weiteres wesentliches Merkmal ist noch heute für das Leisten einer Spende kennzeichnend: die Freiwilligkeit.
Oliver Müller: Von Almosen zum Spendenmarkt. Sozialethische Aspekte christlicher Spendenkultur. Freiburg im Breisgau: Lamberto (2005)
Andreas Voß: Betteln und Spenden. Eine soziologische Studie über Rituale freiwilliger Armenunterstützung, ihre historischen und aktuellen Formen sowie ihre sozialen Leistungen. Berlin – New York: de Gruyter (1993)
Was sich ebenfalls bis heute erhalten hat, ist der eingangs beleuchtete Zusammenhang zwischen Spendenwesen und Religion. Viele Formen bürgerlicher Privatwohltätigkeit sind klar einem bestimmten Glauben zuzuordnen sind. Etwa die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Österreichs. Mit den eingenommenen Spenden werden Projekte in Entwicklungsländern finanziert. Daneben wird aber auch pastorale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geleistet.
Darüber hinaus existieren aber auch institutionalisierte Arten freiwilliger Spenden zugunsten Bedürftiger, die sehr direkt im Lebenskonzept von Religion verankert sind.
Muslime etwa leisten etwa auf bestimmte Güter mit der Zakāt eine Art Armensteuer, die unter anderem Bedürftigen zugute kommen soll. Auch wenn die Zakāt eine der fünf Säulen des Islam darstellt, wird sie nur von wenigen Staaten direkt eingehoben. Die „Armensteuer“ wird meist freiwillig geleistet. Außerdem können selbstverständlich auch – direkt – Almosen gegeben werden.
Die Unterstützung der Armen ist auch ein wesentlicher Bestandteil vieler anderer Religionen, das Judentum kennt die Zedaka, vereinfacht gesprochen ein Gebot, wohltätig zu sein und zu spenden.
Manche Glaubensgemeinschaften sind wiederum selbst auf Spenden angewiesen. Die Mönche des Theravāda-Buddhismus finanzieren ihr Leben durch Spenden. Dasselbe gilt für Gemeinschaften anderer Religionen, etwa die auf Franz von Assisi zurückgehenden Franziskanerorden, die sich selbst als Bettelorden bezeichnen.
Doch das Sammeln von Spenden aus religiösen Motiven ist nur die eine Seite. Die Armenfürsorge ist nach wie vor auch eine der Hauptaufgaben vieler Glaubensgemeinschaften. Die unterschiedlichen Konfessionen sind mit einer Vielzahl von Einrichtungen karitativ tätig. Die katholische Kirche in Österreich etwa durch die „Caritas“, die ihren Namen nicht von ungefähr vom eingangs erwähnten Begriff der Nächstenliebe ableitet.
Die Geschichte des Spendenwesens ist also nicht nur eine Geschichte der Bedürftigkeit und der Armut. Sie ist vor allem auch eine Geschichte der Religionen.