Wir schreiben Ende August des Jahres 2005, als Vladimir Kishenin plötzlich vor einem veritablen Problem steht. Vor einem 170-Millionen-Dollar-Problem, um genau zu sein. Behörden in Deutschland und Österreich frieren Bankkonten ein, die dem russischen Unternehmer und Ex-KGB-Offizier bzw. seinen Firmen zugerechnet werden. Es geht um einen Telekom-Deal in der Ukraine und um eine mögliche Verwicklung des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kuchma.
Vladimir Kishenin ist zu dieser Zeit auch aktiver Politiker. Er sitzt der Sozialdemokratischen Partei Russlands vor und ist Mitglied der „Sozialistischen Internationale“. Er will auf das Geld zugreifen können. Und es stört ihn ungemein, dass – wie er selbst meint – in Justiz- und Polizeikreisen der Verdacht gehegt wird, er sei Mitglied einer kriminellen Organisation. Kishenin weiß, dass er eine tiefgreifende Imagekorrektur benötigt. Und da kommt als Problemlöserin wieder einmal eine Dame ins Spiel, die einst schon für die Stasi tätig war, nun jedoch als Privatagentin ihre besonderen Kontakte und Fähigkeiten zu versilbern versucht.
Im Februar 2007 engagiert Vladimir Kishenin also Christina Wilkening aus Berlin. Sie gilt damals als große Nummer im Geschäft der privaten Nachrichtenhändler, arbeitet – zumindest indirekt – auch für größere Konzerne und generiert Millionenumsätze. Ihr Ruf macht sie für Klienten wie den russischen Politiker, Multimillionär und Aufsteiger Kishenin interessant.
Vladimir Kishenin bucht Wilkening über einen Beratungs- und Werkvertrag, als Vehikel dafür dient eine seiner Firmen, die an der Waterpool Plaza in Tortola, Britische Jungferninseln, domiziliert ist. Was sollte die Agentin für den reichen Russen tun? Eine Gesprächsbasis zu Beamten in halb Europa herstellen, Kanäle zu Banken öffnen, Kontostände eruieren, Auszüge besorgen, Akten und Beweismittel beschaffen. In Moskau, in Wiesbaden, in München. In Bremen, in Zürich, in Riga.
Die EC Venture Capital S.A. mit Anschrift in Road Town, Tortola, auf den British Virgin Islands, taucht auch in den sogenannten Panama Papers auf – doch dazu später mehr. Vorerst scheint interessant, wie das Engagement organisiert wird.
Die Panama Papers sind eine riesige Menge geleakter Daten der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca in Panama. Diese war ein zentraler Player im internationalen Offshore-Geschäft. Die Daten wurden der Süddeutschen Zeitung (SZ) zugespielt, die diese mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), einem Investigativnetzwerk in den USA, teilte. ICIJ und SZ riefen ein weltweites Rechercheprojekt ins Leben.
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Zu einem ordentlichen Auftrag gehört auch ein ordentlicher Vertrag. Und dieser wird bis ins kleinste Detail ausgerechnet über eine der renommiertesten Wiener Anwaltskanzleien abgestimmt. Als deren Chef fungiert Gabriel Lansky, der bekannte SPÖ-Anwalt. Mit Vladimir Kishenin hat die Kanzlei Lansky nunmehr auch einen Genossen aus Moskau in der Klientenkartei – und diesem mangelt es nicht am nötigen Kleingeld für besondere Dienstleistungen. Schließlich liegt allein auf den eingefrorenen Konten ein dreistelliger Millionenbetrag.
Der Vertrag zwischen der Kishenin-Firma auf Tortola und der Nachrichtenhändlerin aus Berlin datiert vom 14. Februar 2007 und dokumentiert nebst vorliegender E-Mails, wie das Projekt aufgesetzt werden sollte. Schon auf den ersten Blick fällt auf: Die Anwaltssozietät Lansky koordiniert augenscheinlich nicht nur vorab gewisse Vertragsdetails zwischen ihrem Mandanten und Frau Wilkening; sie sollte auch in die Detailabwicklung des Auftrags eingebunden werden.
Wenn der Vertrag richtig gelebt wurde, dann müsste sich die Kanzlei Lansky bei diesem Auftrag in enger Abstimmung mit Wilkening befunden haben. In dem 14-seitigen Dokument heißt es nämlich: „Die Auftragnehmerin (Wilkening, Anm.) verpflichtet sich, die Anwälte des Auftraggebers Lansky, Ganzger & Partner über ihre Strategie in Bezug auf jeden Aufgabenblock rechtzeitig zu informieren und ihre Schritte im Rahmen der Auftragserfüllung mit diesen zu koordinieren, um juristische Fehler, welche zu Fehleinschätzungen in der Strategie und damit verbundenem Zeitverlust bei der Auftragserfüllung führen können, zu vermeiden.“ Fest steht also: Alles sollte über Lansky bzw. dessen Kanzlei laufen.
Ein weiterer spannender Punkt im Kontrakt zwischen der Kishenin-Firma und der Agentin bezieht sich auf die Zahlung von „Fremdkosten“, die schon vor Vertragsabschluss angefallen sind.
Was könnte mit „Fremdkosten“ gemeint sein? Aus einer Kalkulation Wilkenings zum Kishenin-Projekt vom 27. Dezember 2006 geht augenscheinlich hervor, dass die Nachrichtenhändlerin darunter auch Schmiergelder verstand. Auch dieses Papier liegt Addendum vor. Darin heißt es:
„Der Auftraggeber überweist auf das von der Auftragnehmerin bekannt gegebene Bankkonto innerhalb von drei Tagen nach der Unterzeichnung dieser Vereinbarung den Betrag in Höhe von EUR 7.000,– für die Begleichung der vor der Unterzeichnung dieses Vertrags für den Auftraggeber durchgeführten Vorrecherchen inklusive Reise- und Fremdkosten (…).“
In der folgenden Kalkulation kann nur jener Teil berücksichtigt werden, der sich mit der Wiederbeschaffung des Geldes von Herrn Kishenin beschäftigt. Die Frage nach seinen Schwierigkeiten im politischen Bereich sollten mit Herrn A. (vollständiger Nachname im Papier genannt, Anm.) in der Duma geklärt werden. Die Kalkulation beinhaltet ausschließlich Reisekosten, Kommunikationskosten, Honorare für Arbeitsleistung und Fremdkosten (gemeint sind Schmiergelder).
Bei der in Klammer gesetzten Erklärung – gemeint sind Schmiergelder – handelt es sich nicht um eine Anmerkung der Redaktion. Tatsächlich findet sich diese Passage im vorliegenden Projektpapier. Offen ist, ob dieses „Schmiergeld“-Dokument vom 27. Dezember 2006 in dieser Form die Kanzlei Lansky erreichte. In einer deutlich überarbeiteten „Kalkulation“ vom 10. Februar 2007 ist der Begriff dann nicht mehr enthalten. Allerdings ist da von einem „Fremdhonorar“ zu lesen:
UKRAINE/KIEW und Lwow
Fremdhonorar für Kontaktierung des dortigen
Verlässlichen OK – Beamten, Vorbereitung und
Weichenstellung erfolgt von Moskau aus. Ca. 3.000.00 €
Diese „Kalkulation“ dürfte laut vorliegenden Unterlagen eine Mitarbeiterin der Kanzlei Lansky einen Tag später, am 11. Februar 2007, per E-Mail erhalten haben. Bereits am 29. Jänner 2007 hatte diese Lansky-Mitarbeiterin, die mit Wilkening in engem Austausch stand, eine Nachricht erhalten, in deren Anhang sich eine „Chronologie“ befand. Addendum liegt eine – offenkundig von der Privatagentin verfasste – „Chronologische Vorgehensweise“ mit diesem Datum vor. Darin heißt es etwa:
1. Abfolge der ersten Schritte:
– Kontakt zum LKA BREMEN, KHK O. (vollständiger angeblicher Nachname im Papier genannt, Anm.). Hier wurde ein Grundstein für die inzwischen aktenkundigen Verleumdungen gegen Herrn Kishenin gestellt. Hier wurden die Verfahren gegen N. (vollständiger Nachname im Papier genannt, Anm.) eingeleitet, bearbeitet und eingestellt. Hier gibt es Beamtenfrust, von dem wir profitieren sollten.
Handelte es sich beim veranschlagten „Fremdhonorar“ von 3.000 Euro für die Kontaktierung eines Beamten im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) in der Ukraine um Bestechungsgeld? Welche Mittel müssen eingesetzt werden, um von „Beamtenfrust“ zu profitieren? Und: Welche Vorab-„Fremdkosten“ hat Frau Wilkening konkret in Rechnung gestellt?
Kanzlei-Primus Gabriel Lansky gibt sich auf Anfrage dazu zurückhaltend. Er will nicht einmal preisgeben, ob Frau Wilkening den Vertrag mit seinem prominenten Klienten erfüllte. Nur so viel: Seine Kanzlei sei weder mit der Anbahnung noch mit der Abwicklung der Zusammenarbeit mit Frau W. betraut gewesen. „Zu keinem Zeitpunkt war unsere Kanzlei Vertragspartnerin der Frau W. Zu den einzelnen Fragen dürfen wir aufgrund des anwaltlichen Mandatsverhältnisses keine Auskünfte erteilen.“ Weiters teilt Lansky mit, dass „unser Mandant selbstverständlich davon ausgehen durfte, dass Frau W. sich ausschließlich legaler Mittel bedient, falls sie tatsächlich für ihn tätig wurde.“
Diese Aussage ergibt sich wohl aus dem ersten Punkt der im Vertrag festgehaltenen Gewährleistungen:
Die Auftragnehmerin leistet dafür Gewähr, dass sie zum vereinbarten Zeitpunkt sämtliche Leistungen in hervorragender Qualität und ausschließlich durch legale Methoden erbringt (…).
Man würde allerdings annehmen, dass es sich hierbei ohnehin um eine Selbstverständlichkeit handelt, die keiner gesonderten Erwähnung bedarf. Schließlich hat der der Chef einer politischen Partei in Russland unter Zuhilfenahme einer prominenten Wiener Anwaltskanzlei einen Auftrag an eine Berliner „Unternehmensberaterin“ vergeben. Laut KURIER wurden einstige Geldwäsche-Ermittlungen gegen Kishenin in Österreich jedenfalls rasch eingestellt, da eine Straftat im Inland nicht erwiesen werden konnte.
Wilkenings Anwalt teilt zur Causa Kishenin mit, seine Mandantin habe sich „rein gar nichts vorzuwerfen“. Bemerkenswert erscheint der Nachsatz: „Die üblichen Geschäftspraktiken in Osteuropa dürften Ihnen geläufig sein.“