Wilkening trifft Martin Rossmann, zu diesem Zeitpunkt Zentralbetriebsratsvorsitzender bei der OMV.
Später trifft sie den prominenten Bundesheeroffizier und Auftraggeber Gerald Karner.
Am Ende des Tages wird die Geschichte der sogenannten Staatsaffäre eine andere sein. Und nur mehr am Rande mit jenem Narrativ zu tun haben, das derzeit rund um die Ermittlungen im Innenministerium und im dazugehörigen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, dominiert. Womöglich taucht noch ein ehemaliger Minister auf, der ein Waffengeschäft mit einer ehemaligen Sowjetrepublik einfädeln wollte. Womöglich werden die Details eines Öldeals zutage gefördert, die sich in einem Rechtsstaat westeuropäischer Prägung nicht nur nicht geziemen, sondern auch noch gegen Vorschriften verstießen. Und wahrscheinlich wird sich dann auch ein Spitzenfunktionär aus der Wirtschaft, der bei dutzenden zweifelhaften Geschäften in vornehmlich autokratischen Staaten als Vermittler seine Mitschnitte machte, in seinem Ruhestand die Frage stellen, warum er nicht früher eine Ruhe gegeben hat.
In der seit Herbst 2017 laufenden Berichterstattung über mutmaßliche Missstände und Fehlentwicklungen im BVT, die zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss führen werden, wird ein Name nahezu ausgespart, ja nicht einmal ansatzweise beleuchtet: Die Rolle von Christina Wilkening, 71, Stand April 2018 in Haft in Deutschland, die sich in Wien nicht nur in den Dienst von BVT, Bundeskriminalamt und Heeresabwehramt stellte, sondern auch allen möglichen Privatagenten, die offiziell unter dem Deckmantel Unternehmensberater agieren und in Zigarren-Lounges sitzen, als Quelle nachrichtendienstlichen Ursprungs diente. „Nina“, wie sich Wilkening seit ihrer Zeit als Inoffizielle Mitarbeiterin – kurz: IM – der Staatssicherheit – kurz: Stasi – im DDR-Regime nannte, war in Österreich seit den 1990er-Jahren aktiv. Indirekt, also über Vermittler, für die OMV, die Vienna Insurance Group und einen Glücksspielkonzern. Für Dmitry Firtash, Vertraute von Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, den Anwalt Gabriel Lansky und für Johann Pleininger, der seinen beachtlichen Aufstieg zum Vorstand des österreichischen Mineralölriesens OMV wohl auch zu einem Teil dem Geschick der umtriebigen Nachrichtenhändlerin verdankt.
Was kann Frau Wilkening? Wie konnte die Dame ihre Stasi-Vergangenheit monetarisieren? Wann begann sie, die in Ostberlin, Karlshorst, aufwuchs, Grenzen zu übertreten, indem sie etwa zum Zwecke der Informationsgewinnung einen Beamten des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern teuer bezahlte – er wurde dafür verurteilt – und auch mit einem BVT-Inspektor aus Wien kooperierte?
Alles begann lange vor der Wende, in den 1980er-Jahren, als Christina Wilkening in der Deutschen Demokratischen Republik Journalistin war – und Informantin für das Regime, ganz sauber ließ sich das damals wohl nicht trennen. Nach dem Mauerfall widmet sich Wilkening als Autorin in zwei Büchern offensiv dem Thema Stasi („Staat im Staate“ und „Ich wollte Klarheit: Tagebuch einer Recherche“), nebenher fällt sie als Rechercheurin auf – und als Filmemacherin rund um den ominösen Todesfall des Uwe Barschel, der unter bis heute ungeklärten Umständen in einer Badewanne des Genfer Luxushotels Beau Rivage starb. Auffällig dabei: Wilkenings gute Kontakte zur Ostspionage. Mehrmals legte sie bei Einvernahmen als Zeugin in der Causa Barschel geheimdienstliche Dokumente der Stasi vor, zu denen die Ermittler selbst damals keine offiziellen Zugänge gehabt hatten.
Ihre besonderen Zugänge sind es auch, die sie für Geheimdienste interessant machen. Und die ihr gleichzeitig eine Zukunft im Journalismus verwehren, als die Stasi-Vergangenheit in Deutschland, allen voran vom „Spiegel“, breit medial thematisiert wird.
Nach Wien führten Wilkening Anfang der 1990er-Jahre Filmrecherchen für MDR und ORF, zu einer Firma, die als Geldwaschmaschine für rasant reich gewordene Osthändler diente. Mit der Zeit fand sie hier eine Reihe von Geschäftspartnern, über die sie hochkarätige Aufträge im nicht journalistischen Bereich lukrieren konnte: Aufträge, die eher der Tätigkeit einer Geheimagentin entsprachen.
Ihre unmittelbaren Geschäftspartner waren in den Jahren vor ihrer Festnahme im Jahr 2016 private Sicherheitsberater und Anwälte, die ihrerseits Auftragnehmer von Konzernen oder reichen Privatpersonen waren. Meist weilte „Nina“ einmal im Monat in der Stadt, manchmal seltener, manchmal öfter. So hielt sie es bis zum Finale ihrer zweifelhaften Karriere, als im Frühjahr 2016 die Polizei vor der Tür stand – und zwar nicht nur vor ihrer.
Wien besuchte Wilkening in den fünf Wochen vor ihrer Festnahme gleich mehrfach. Und traf dabei auf höchst spannende Persönlichkeiten. Der Versuch einer Rekonstruktion:
Mittwoch, der 16. März 2016. Am späten Vormittag steigt Agentin „Nina“ in Wien-Schwechat aus dem Flugzeug. Eine dunkle Limousine bringt sie wie so oft in die Stadt. Die Fahrt führt direkt zu ihrem Lieblingshotel, dem „Kärntnerhof“, ein paar Schritte vom Stephansplatz entfernt in einer Seitengasse. Schritte wird Wilkening in Wien allerdings nicht viele machen. Das Fortbewegungsmittel ihrer Wahl ist eindeutig das Taxi. Am Abend trifft sie in einem Cafe unweit des Stephansdoms einen etwa 50-jährigen Mann, bei dem es sich um keinen der bisher bekannten Geschäftspartner handelt.
Wilkening trifft Martin Rossmann, zu diesem Zeitpunkt Zentralbetriebsratsvorsitzender bei der OMV.
Später trifft sie den prominenten Bundesheeroffizier und Auftraggeber Gerald Karner.
Wilkening trifft Vermittler V., früher Sicherheitsmanager bei einem Glücksspielunternehmen.
Die Agentin hat einen Geschäftstermin im „Sacher“.
Ex-OMV-Betriebsratschef Rossmann fährt sie später zum Flughafen.
Wilkening trifft erneut Vermittler V.
„Nina“ trifft wieder Auftraggeber Karner. Danach tritt sie mit dem ehemaligen OMV-Generaldirektor Richard Schenz in Kontakt.
Am nächsten Tag, um die Mittagszeit, steht das Berufliche jedenfalls im Vordergrund:
„Nina“ verlässt das Hotel – und zwar in Begleitung eines Mannes Mitte 40. Die beiden gehen mittagessen, wie so oft in Wilkenings Stammlokal „Buxbaum“. Bei ihrem Begleiter handelt es sich um keinen Unbekannten. Es ist Martin Rossmann, damals Zentralbetriebsratsvorsitzender bei der OMV. Dass er sich mit Wilkening trifft, ist – angesichts ihrer jahrelangen Involvierung mit dem teilstaatlichen Mineralölkonzern – höchst brisant.
Knapp zwei Stunden lang sitzen Wilkening und Rossmann zu Tisch. Dann fährt Rossmann mit seinem PS-starken Dienst-BMW ab.
Für Wilkening geht es am späten Nachmittag weiter. Sie trifft im „Café Korb“ ihren wichtigsten Wiener Auftraggeber der vergangenen Jahre: den „Brigadier a.D.“ des österreichischen Bundesheeres, Gerald Karner. Dieser ließ sich 2006 beim Heer karenzieren und ist nun Geschäftsführer der privaten Sicherheitsfirma Aventus. Von 2013 bis 2015 zahlte Aventus rund 600.000 Euro für diverse Aufträge an Wilkening.
Auffällig ist: In den knapp zwei Tagen ihres Aufenthalts hat Christina Wilkening die Innenstadt kein einziges Mal verlassen – außer im Taxi sitzend, wenn dieses über den Donaukanal hinaus eine Schleife fahren musste. Weit aus der City hinaus sollte sie sich auch bei ihren weiteren Aufenthalten im Frühjahr 2016 nicht bewegen.
Freitag, 18. März 2016: Es ist der dritte und letzte Tag, den Wilkening diesmal in Wien verbringen wird. Mittags hat die Privatagentin einen Termin mit einem ihrer wichtigsten Vermittler: V. war früher Sicherheitsmanager bei einem Glücksspielunternehmen, nunmehr ist er auf Projektbasis unterwegs. Der Smart, den er fährt, ist auf die Security-Firma G4S zugelassen. Ihren V.-Mann wird Frau Wilkening bei ihren kommenden Wien-Besuchen noch öfters treffen.
Der nächste Aufenthalt Wilkenings in Wien sollte nur eine Stippvisite werden – aber eine spannende. Es ist der 8. April 2016. „Nina“ landet gegen 10 Uhr in Wien-Schwechat, wieder geht es in den „Kärntnerhof“, später ins „Sacher“. Dort trifft die Agentin zwei Männer in der Hotelbar. Es dürfte sich um Russen handeln. Am späteren Nachmittag läuft ihr im „Kärntnerhof“ wieder Martin Rossmann über den Weg. Nach einer Besprechung bringt der laut der Tageszeitung „Kurier“ „letzte Betriebsratskaiser“ die Dame in seinem BMW 530i zum Priority-Check-in des Flughafens.
Schon vier Tage später, am 12. April 2016, ist Frau Wilkening wieder in der Stadt. Abends trifft sie in einem orientalischen Lokal den Vermittler V. , am nächsten Tag ihren Hauptauftraggeber Karner, den Aventus-Chef. Nach einem neuerlichen Termin mit dem „Unternehmensberater“ V. trifft die umtriebige Nachrichtenhändlerin einen gewissen Manfred R., dem eine Consulting-Firma gehört. Wilkening dürfte mit ihm Geschäfte machen. Im Gastgarten kontaktiert Wilkening den Vizepräsidenten der Wirtschaftskammer Österreich und ehemaligen OMV-Generaldirektor Richard Schenz. Tags darauf trifft sie in ihrem Hotel, dem „Kärntnerhof“, einen Mann, der für Firmen im Bereich der privaten Informationsbeschaffung tätig ist und in der Vergangenheit Vorträge über Wirtschaftsspionage hielt. Dass es das letzte dienstliche Treffen der Privatagentin in Wien werden würde, ahnen beide nicht.
Nicht einmal eine Woche später finden in einer konzertierten Aktion in Deutschland und Österreich Hausdurchsuchungen statt. Wilkening und ihre Komplizen in Deutschland werden festgenommen. Sie wandern in Untersuchungshaft, werden vor Gericht gestellt und Anfang 2017 nach Geständnissen verurteilt – wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit und Anstiftung zum Amtsmissbrauch bzw. Amtsmissbrauch.
Nach Wien kommt Wilkening nur noch, weil auch hier seit knapp zwei Jahren ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft und sie einvernommen wird. Es geht um die angebliche Bestechung eines – bereits seit vielen Monaten suspendierten – Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).
Die nächsten Monate werden zeigen, wie sich diese Causa in die mittlerweile losgetretene BVT-Affäre fügt. Der Name „Wilkening“ findet sich jedenfalls auch in dem bekannten 39-Seiten-Konvolut mit Vorwürfen gegen Spitzenbeamte des Innenministeriums – die Initialzündung für die Ermittlungen rund den Nachrichtendienst.
Österreichische Konzerne und Behörden griffen viele Jahre auf die Dienste einer Berliner Nachrichtenhändlerin zurück, die in Deutschland mittlerweile in Strafhaft sitzt. Addendum hat dieses Sittenbild aufgearbeitet: