Was ist der Staat? Was muss er leisten? Was soll er dürfen? Diese Frage beschäftigte die Menschen zu allen Zeiten, die griechischen Philosophen versuchten sie ebenso zu beantworten wie die frühen Aufklärer. Das bekannteste Werk zum Thema stammt von Thomas Hobbes: „Leviathan“. Hobbes war als Philosoph Aufklärer, als Staatstheoretiker aber ein Verfechter des Absolutismus.
Eine Haltung, die sich seit Erscheinen des „Leviathan“ um die Mitte des 17. Jahrhunderts bis heute bei den Vertretern eines „starken Staates“ gehalten hat: Man versteht den Staat als eine Art „Container des Bösen“, eine letzte absolute Macht, vor der die Menschen so viel Angst haben, dass sie auf den „Krieg aller gegen alle“ („bellum omnium contra omnes“) verzichten, der eigentlich den Urzustand („Behemoth“) des Menschen ausmacht, in dem „der Mensch des Menschen Wolf“ ist („homo homini lupus“).
Die österreichische Variante dieses aufgeklärten Absolutismus verkörperte Josef II., seine strenge Art, das Volk mithilfe eines straffen Staatsapparats von oben nach unten aufzuklären, nannte und nennt man „Josefinismus“, und sie ist noch immer ziemlich populär. Angesichts der neuen Unübersichtlichkeiten auf allen Feldern von der Kommunikation bis zur Arbeitswelt wünscht man sich einen Staat, der einen versorgt und beschützt, dafür billigt man ihm in fast allen Fragen auch des täglichen Lebens das letzte Wort zu.
Wollen wir das? Wo schätzen wir den Schutz des Staates, wo nervt uns seine Einmischung? Vor allem aber: Was soll der Staat? Was sind seine Aufgaben? Und wie sollen sie finanziert werden? Die Debatte darüber, was die Aufgaben des Staates sind, wird selten geführt. Wir reden eher über Staatsausgaben – und sind uns wohl nicht immer bewusst, dass da kein so großer Unterschied besteht: Wofür er seine Ausgaben tätigt, das wird er wohl für seine Aufgaben halten, der Staat.
Grundsätzliche Debatten solcher Art haben in Österreich keine große Tradition. In Europa schon eher. Ergebnis einer dieser Debatten über die „Finalität“ Europas war ein Verfassungsvertrag, der nie gültig wurde, weil er in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Europa wurde also kein Staat, auch wenn sich viele eine „Europäische Republik“ wünschen. Ob Österreich noch ein Staat ist, kann man aus guten Gründen ebenfalls bezweifeln.
Sehr kompliziert das alles also. Aber lesen Sie selbst.
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Ernst-Wolfgang Böckenförde: Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter, Tübingen: Mohr Siebeck (2006)
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Armin von Bogdandy (Hrsg): Europäisches Verfassungsrecht, Berlin: Springer (2009)
Andreas Braune (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG (2017)
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Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Frankfurt am Main: Suhrkamp (1976)
Michel Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I, Frankfurt/Main: Suhrkamp (2006)
Oliver Flügel-Martinsen, Daniel Gaus, Tanja Hitzel-Cassagnes, Franziska Martinsen (Hrsg): Deliberative Kritik – Kritik der Deliberation, Wiesbaden: Springer VS (2014)
Thomas Franck: Democracy, Legitimacy and the Rule of Law
Franz Geppert: Otto Fürst von Bismarck. Eine Biographie, Hamburg: Severus Verlag (2013)
Peter Glotz (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/Main: Suhrkamp (1983)
Dieter Grimm: Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt am Main: Suhrkamp (1991)
Dieter Grimm: Staatsaufgaben, Frankfurt am Main: Suhrkamp (1996)
Dieter Grimm: Europa ja – aber welches, München: Verlag C.H. Beck oHG (2016)
Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss, Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH (2017)
Ulrike Guérot: Der neue Bürgerkrieg, Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH (2017)
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Ludger Heidbrink, Alfred Hirsch (Hrsg): Staat ohne Verantwortung? Zum Wandel der Aufgaben von Staat und Politik, Frankfurt am Main: Campus Verlag (2007)
Ludger Helms, David M. Wineroither (Hrsg): Die österreichische Demokratie im Vergleich, Baden-Baden: Facultas Verlag (2017)
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Yael Tamir: Liberal Nationalism, Princeton: Princeton University Press (1993)
Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin: Ullstein (2015)