Leder-Couches und Drehstühle aus den 70er Jahren, knallorange Schließfachschränke: Sieben Jahre lang waren sie fixer Bestandteil einer jungen Unternehmergemeinschaft, jetzt werden sie an andere Bürobetreiber weitergegeben oder über einen Online-Marktplatz verkauft. Der „Sektor5“, einer der bekanntesten Co-Working-Anbieter Wiens, gab im Oktober sein Ende bekannt. Ende November wurde das Gemeinschaftsbüro in Wien-Margareten leergeräumt. Der Ort war für viele Gründer nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch das Zentrum der österreichischen Startup-Community. Die meistbesuchte Veranstaltung war – im Februar 2017 – der Besuch von Bundeskanzler Christian Kern.
„Dass es den Sektor5 nicht mehr gibt, liegt auch an denen.“ Johann „Hansi“ Hansmann , ein aktiver Investor, deutet vom Café am Donaukanal zum Design-Tower gegenüber. Im Herbst eröffnete dort das Startup-Zentrum „Wexelerate“, das durch seine Förderungen und Verbindungen in die Politik besonders im vergangenen Wahlkampf in die Schlagzeilen geraten ist. Die klaren Linien des einstigen Stilwerks haben den „Shabby Chic“ des „Sektor5“ abgelöst.
Dieser Wandel steht symbolhaft für die Entwicklung, die das Startup-Ökosystem – vor allem im Hinblick auf seine Bedeutung für die Politik – durchgemacht hat. Die aktuelle Startup-Welle wurde zwischen 2008 und 2010 von Gründern und Unternehmern wie Markus Wagner und Oliver Holle losgetreten, später begannen die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, Startups als Hoffnungsträger für die österreichische Wirtschaft zu instrumentalisieren.
Wagner und Holle verkauften ihr Mobiltechnologie-Unternehmen 3United im Jahr 2006 für 60 Millionen Euro an den US-Konzern Verisign. Ein Jahr später war Wagner auf der Suche nach neuen Ideen in New York, gründete dort den Inkubator i5invest, zog Internet-Dienste wie 123people oder Tupalo groß und brachte das Unternehmer- und Investorenkollektiv nach Wien. Zur gleichen Zeit begann Ex-Mitgründer Holle damit, Investoren für einen Risikokapitalfonds zu suchen. Speedinvest ging im Jahr 2011 mit einem Frühphasenfonds in Höhe von zehn Millionen Euro an den Start.
In der gleichen Ära initiierten die Studenten Andreas Tschas und Jürgen Furian die Veranstaltungsreihe „Starteurope“, heute als „Pioneers Festival“ bekannt. Zu dieser Zeit suchte der Unternehmer Hansmann nach zwei Jahrzehnten in Spanien und zwei Investments in Europa Zugang zur österreichischen Startup-Community – und landete auf der „Starteurope“-Konferenz. Hansmann investierte bereits zum Start in die Mutterfirma JFDI. Mittlerweile umfassen die Unternehmungen der Pioneers gleich fünf Firmen, die, wie Furian erklärt, teilweise Vehikel für Investitionsfonds sind.
Das Pioneers-Festival sei kein Weg, um reich zu werden, sagt der Gründer. Hinter dem öffentlichen Erfolg sah die Bilanz tatsächlich schlecht aus. 2013 stand das Unternehmen kurz vor der Pleite, Hansmann sicherte die Festival-Veranstalter mit einer weiteren Geldspritze ab: „Wir haben natürlich viel dafür gearbeitet und nicht großartig Geld damit verdient. Das erste Jahr war auch nicht so groß, wie es jetzt ist. Aber wir haben dann Unternehmen gehabt, die von Anfang an an das Konzept geglaubt haben und gesehen haben, dass es auch für das ganze Umfeld und das Land irgendwie Mehrwert hat. Die haben uns dann unterstützt.“
Sponsoring und damit die Unterstützung durch andere Unternehmen sei ein weiteres Instrument, das bei den Pioneers zum Erfolg beigetragen habe. Kooperationen mit der öffentlichen Hand wurden schon vor Jahren in den Medien als Förderungen bezeichnet, dabei wurden als Gegenleistung beispielsweise Tickets zur Verfügung gestellt. Wie genau solche Deals funktionieren, erklären die Veranstalter nicht – lediglich, dass die Pakete jedes Jahr neu ausgehandelt werden. Das Außenministerium und die Stadt Wien, mit denen es solche Kooperationen gab, sind jedenfalls nicht auf der Partnerseite der Pioneers angeführt.
Mittlerweile ist das Pioneers-Festival ein Fixpunkt der Szene, es ist auch international bekannt. Abgesehen von den Veranstaltungen beraten die Pioneers neue Startups und investieren auch selber in neue Unternehmen. Wobei Pioneers Ventures nicht nur eigene Investments tätigt, sondern auch bei anderen Investoren beliebt ist – die Startsumme belief sich deshalb auf acht Millionen Euro, drei davon sind schon angelegt. Von Pioneers als Startup kann damit gemäß der gängigen Definition keine Rede mehr sein.
(Quellen: Startup Report 2016 der KMU Forschung Austria; European Startup Monitor)
Neben Hansmann zählt auch Claus Raidl zu den Investoren der JFDI GmbH. Durch den Industriellen und Nationalbankspräsidenten bekamen die Veranstalter Aufmerksamkeit von politischer Seite. Harald Mahrer, Ex-Staatssekretär, Noch-Wirtschaftsminister und künftiger Wirtschaftskammer-Präsident, pflegte ebenso Kontakte mit den Pioneers-Veranstaltern und anderen Stakeholdern in der Branche wie Noch-Außenminister und Bald-Kanzler Sebastian Kurz. Ein Selfie mit „Basti“ oder auch schon das Fallenlassen seines Namens kam vor drei Jahren einem Statussymbol in der Community gleich. Heute weniger: Im Sommer vor der Nationalratswahl wehrten sich einige in der Branche gegen Medien, die gemeinsame Bilder mit Kurz veröffentlichten.
Zu dem Zeitpunkt waren Kurz und Mahrer schon längst nicht mehr die einzigen Startup-Lieblinge. Als Christian Kern im Mai 2016 Bundeskanzler wurde, setzte er die Förderung von Jungunternehmern aus innovativen Bereichen auf seine Agenda – nicht überraschend: Schon bei den ÖBB war der Neo-Politiker mit der Tech-Branche in Verbindung gekommen. Mit Speedinvest gründete die Bahn das Joint Venture „iMobility“ – eine Plattform für die öffentliche Reiseplanung. Mittlerweile hat die ÖBB „iMobility“ zur Gänze übernommen.
Der bisherige Höhepunkt in der Startup-Politik war das Maßnahmenpaket – Volumen: 185 Millionen Euro –, das die Koalition im Juli 2016 präsentierte. Die Investitionen in das technologieorientierte Unternehmertum sollten in den nächsten fünf Jahren 15.000 Arbeitsplätze schaffen.
Im Juli 2016 einigten sich die damaligen Regierungspartner SPÖ und ÖVP auf ein Startup-Maßnahmenpakt für 2017 bis 2020 mit einem Volumen von 185 Millionen Euro. Dieses beinhaltete folgende Maßnahmen:
Gerold Weisz, Lektor für Unternehmensgründung an der FH Oberösterreich, erklärt den Begriff Startup so:
Wie viele Arbeitsplätze durch Startup-Förderung bisher geschaffen wurden, ist nicht öffentlich bekannt.
Harald Mahrer hat schon in seiner Gründerland-Strategie 2015 100.000 Arbeitsplätze durch 50.000 Neugründungen bis 2020 in Aussicht gestellt. Doch fragt man im Wirtschaftsministerium oder bei der staatlichen Förderagentur Austria Wirtschaftsservice (AWS) nach konkreten Zahlen zu Startup-Arbeitsplätzen, gibt es darauf keine zufriedenstellende Antwort. Das AWS veröffentlicht zwar in seinem Leistungsbericht die Zahl der neuen Arbeitsplätze in geförderten Unternehmen, die Kategorie Startups wird jedoch nicht einzeln ausgewiesen. „Da die Maßnahmen des Start-up Pakets großteils mit 1. Jänner 2017 gestartet wurden, werden die ersten detaillierten Daten als Bestandteil der Darstellung sämtlicher aws-Aktivitäten im Start-up Bereich im Jahresbericht 2017 enthalten sein“, begründet die AWS den aktuellen Mangel an Daten.
Das Ministerium antwortet auf die Frage nach der Messung der Arbeitsplatzbeschaffung so:
„Die politische Botschaft war immer, dass – wenn es gelingt, mit unseren Maßnahmen die Gründungsintensität zu steigern – man von einem Potenzial von rund 100.000 neuen Jobs bis zum Jahr 2020 ausgehen kann. Das Startup-Paket besteht aus einer Reihe von materiellen und immateriellen Einzelmaßnahmen, die in Summe direkte und indirekte Effekte auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und den Arbeitsmarkt haben. Wie viele Arbeitsplätze in der positiven Arbeitsmarktstatistik auf das Startup-Paket unmittelbar zurückzuführen sind, ist in diesem größeren Kontext nicht unmittelbar ableitbar.“
Transparenter geben sich die privaten Kapitalgeber. Hansmann schätzt, dass durch seine mehr als 40 Startup-Investments 600 bis 700 Arbeitsplätze in Österreich entstanden sind. Durch den Verkauf von Runtastic, Shpock und MySugr an ausländische Konzerne könnten es laut dem Business-Angel noch weitere hunderte Jobs sein, die in Österreich geschaffen werden.
Der Wahlkampf, den Christian Kern und Sebastian Kurz in diesem Jahr auch in der Startup-Szene geführt haben, hat sich nur für den ÖVP-Chef bezahlt gemacht. Beide besuchten im Mai, kurz vor dem Ausrufen der Neuwahlen, die Eröffnung des neuen Runtastic-Büros im oberösterreichischen Pasching. Gründer und Geschäftsführer Florian Gschwandtner umarmte beide vor der Kamera. Heute sitzt er für die ÖVP als Berater in der Verhandlergruppe für Digitalisierung und Innovation.
Viel ist aus den Verhandlerkreisen nicht zu erfahren, Gschwandtner soll dichthalten. Die Meinungen über die kommende türkis-blaue Regierung gehen unter den Startup-Unternehmern auseinander. Die einen fürchten, dass die Regierung sich der Internationalisierung verschließt und Fachkräften, die im Hightech-Bereich gesucht werden, den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt erschweren könnte. Andere wiederum sprechen von einer wirtschaftsfreundlichen Regierung und rechnen damit, dass die unter Rot-Schwarz geplatzten Pläne, wie etwa die Schaffung von regionalen Startup-Clustern, jetzt wieder auf dem Tisch landen.
Viel Startup-Affinität aus der alten Regierung ist nicht übrig geblieben. SPÖ-Startup-Sprecherin Elisabeth Hakel gab schon vor der Neuwahl ihren Rücktritt bekannt. Ihr Nachfolger Oliver Stauber schaffte den Einzug in den Nationalrat nicht. Mahrers Startup-Vermittler Benedikt Rettenbacher verabschiedete sich in Richtung Andritz. Neue Startup-Affinität gibt es dafür in der Opposition: Die Liste Pilz hat mit Stephanie Cox eine Nationalratsabgeordnete, die in den vergangenen Jahren stark in der Gründerszene verankert war. Als Startup-Coach hielt sie auch Vorträge im mittlerweile geschlossenen Sektor5.
Jetzt sind die Büros von Wexelerate im Design-Tower Ort für Wahlkämpfe. Bei der Eröffnung Mitte November war nicht nur Noch-Kanzler Kern mit Ehefrau und Wexelerate-Mitgründerin Eveline Steinberger-Kern anwesend. Auch Noch-SP-Klubobmann Andreas Schieder, der wenige Tage zuvor seine Kandidatur für den Wiener SPÖ-Vorsitz verkündete, ließ sich blicken. Hier riecht es nicht nach alten Ledermöbeln, sondern nach frischem Teppichboden.