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Die Helfer der Steuertrickser
18. Oktober 2018 Steuerraub Lesezeit 8 min
Ein Mastermind der Cum-Ex-Industrie ließ – laut Ermittlern – zur Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells österreichische Experten in Banken und Anwaltskanzleien kontaktieren. Das könnte auch vor Gericht eine Rolle spielen. Der kleine Österreich-Ableger einer internationalen Investmentbank taucht wiederum bei einem riesigen Verdachtsfall in Deutschland auf.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Steuerraub und ist Teil 3 einer 6-teiligen Recherche.

Hanno B. gilt als die zentrale Figur der Cum-Ex-Industrie in Deutschland. Ursprünglich selbst Finanzbeamter, wechselte er später die Seiten. Er wurde Steueranwalt – und zwar einer der gefinkeltsten, die die Branche je hervorgebracht hat. B. untermauerte als Berater mit seiner Expertise und seiner fachlichen Autorität jenes Geschäftsmodell, das – so die Ermittler in Deutschland – darauf abzielte, sich mit komplexen Aktiengeschäften Steuern rückzahlen zu lassen, die vorher gar nicht einbehalten worden wären.

Gleich vorneweg: B. bestreitet vehement sämtliche Vorwürfe. Ungeachtet dessen ist sein Name praktisch allgegenwärtig in den „CumEx Files“ – einer durch das Recherchezentrum CORRECTIV koordinierten Recherche europäischer Medienhäuser.

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Cum-Ex-Export

Hanno B. hat – laut Ermittlern – das Cum-Ex-Geschäft in eine neue Richtung weiterentwickelt. Ursprünglich führten Banken solche Deals nur zu ihrem eigenen Gewinn durch. Steueranwalt B. soll jedoch dahingehend gewirkt haben, dass es auch für reiche Privatpersonen zugänglich wurde. Doch B. hatte – den Ermittlern zufolge – noch eine ganz andere Weiterentwicklung im Sinn. Demnach wurden Überlegungen angestellt, das Modell in andere europäische Länder zu exportieren – darunter auch nach Österreich.

Bei den Recherchen zu den „CumEx Files“ konnte Addendum Listen einsehen, die aus der Kanzlei stammen, in der B. tätig war. Darin wurde erörtert, ob die in Deutschland praktizierte Cum-Ex-Struktur in einzelnen Ländern funktionieren könnte – oder nicht. Es gibt unterschiedliche Versionen, wobei die ersten mit nennenswertem Österreich-Bezug aus 2007 stammen. 2009 wurde augenscheinlich noch einmal eine Art Gesamtübersicht der Länderrecherche erstellt.

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Anruf bei Raiffeisen und Bank Austria

Um die begehrte Einschätzung zu erhalten, wo man eventuell noch Cum-Ex-Geschäfte durchführen könnte, wurden in den jeweiligen Ländern fachkundige Personen um ihre Einschätzung gebeten. Was Österreich betrifft, stechen da zunächst die Namen von zwei Kreditinstituten ins Auge: Raiffeisen Zentralbank (RZB) und Bank Austria. Stimmen die Eintragungen in der Länderliste, dann hat die Kanzlei von B. mit jeweils einem Experten aus diesen heimischen Großbanken Kontakt aufgenommen.

Angeführt ist ein damaliger Mitarbeiter aus dem Bereich Wertpapierleihe der Bank Austria. Er soll bestätigt haben, dass Investmentbanken von London aus diese Geschäfte durchführen würden – gemeint ist wohl: mit Bezug auf Österreich. Den Notizen zufolge gab der damalige Bank-Austria-Mitarbeiter tatsächlich einen Tipp zur konkreten Ausgestaltung des Modells ab.

Auch ein Banker aus der Steuerabteilung der RZB plauderte laut Länderliste mit dem Kanzleimitarbeiter von Hanno B. aus Frankfurt: Er soll wiederholt kontaktiert worden sein, sei allerdings der Cum-Ex-Struktur gegenüber „eher restriktiv eingestellt“ gewesen, ist zu lesen. Die RZB habe Zweifel, ob es gelinge, „die doppelte Anrechnung der Kapitalertragsteuer“ zu erreichen.

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Raiffeisen: „Kein Hinweis“

Beide Männer wollten auf Anfrage von Addendum keinen Kommentar abgeben. Eine Raiffeisen-Sprecherin teilte mit: „Unsere Recherche hat keine Hinweise auf Gespräche über Cum-Ex-Geschäfte ergeben. Wir haben die Kolleginnen und Kollegen befragt, die bereits in 2007 im Bereich Steuern bzw. Trading tätig waren. Niemand der befragten Personen kann sich an Gespräche mit den von Ihnen genannten Personen erinnern.“

Das ist wenig überraschend. Keiner der beiden – in der Länderliste genannten – Herren ist noch bei seinem damaligen Arbeitgeber tätig.

Die Bank Austria teilt mit: „Wir geben grundsätzlich keinen Kommentar zu Gerüchten und Spekulationen.“ Ob das der richtige Weg ist, mit den vorliegenden Hinweisen umzugehen, sei dahingestellt.

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Was sagte ein Professor aus Wien?

Bei Hanno B. war man seinerzeit augenscheinlich sogar zur Ansicht gelangt, dass RZB und Bank Austria die Cum-Ex-Struktur auch selbst praktizieren würden. In einer der Listen wird dies einer angeblichen Auskunft von Josef Schuch zugeschrieben, Leiter der Abteilung für Internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und Partner beim Beratungsunternehmen Deloitte in Wien.

Schuch bestreitet das auf Anfrage von Addendum: „Ich habe niemandem gegenüber zu keiner Zeit gesagt, dass eine RZB oder eine Bank Austria sogenannte Cum-Ex Strukturen praktizieren würden. Das hätte ich auch gar nicht sagen können, denn ich habe weder zu der von Ihnen genannten Zeit gewusst (und ich weiß es bis heute nicht), ob die beiden Banken derartige Geschäfte damals bzw. jemals praktiziert haben.“

Es ist nicht auszuschließen, dass es sich hier um ein Missverständnis oder einen fehlerhaften Eintrag in der Länderliste handelte. Die Raiffeisensprecherin teilt mit: „Mit Sicherheit können wir sagen, dass eine Steuerprüfung betreffend die Jahre 2006 bis 2011 keinerlei Beanstandungen betreffend Cum-Ex-Geschäfte zu Tage gebracht hat.“ Die Bank Austria wiederum schweigt auch zur Frage, ob sie jemals in irgendeiner Form in Cum-Ex-Geschäfte involviert war.

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„Cum-Ex in Österreich nicht zulässig“

In einer der Länderlisten aus der Kanzlei von Hanno B. heißt es ziemlich konkret, Schuch wäre am 14. November 2007 „nochmals“ kontaktiert worden. „Er wollte zeitnah prüfen, ob es nicht doch möglich ist, auf diese Struktur eine Should-Opinion abzugeben, sofern der Leerverkäufer im Ausland ansässig ist und der Leerkäufer von den (Gesamt-)Umständen nichts weiß.“

Schuch will mit Verweis auf seine berufliche Verschwiegenheitspflicht dazu keine Angaben machen. Allgemein verweist er jedoch auf einen Beitrag, den er in einer 2007 herausgegebenen Festschrift veröffentlicht hat, und teilt mit: „Jeder Leser kann daraus den Schluss ziehen, dass die österreichische Rechtslage für den sogenannten Cum-Ex Geschäften zu Grunde liegende Sachverhalte keinen Anwendungsbereich lässt.“

Das klingt ziemlich eindeutig und wäre für allfällige Cum-Ex-Exportbestrebungen von Hanno B. nach Österreich wohl ein herber Schlag gewesen. Eine Abfuhr soll sich seine Kanzlei zudem bei einem Mitarbeiter von Freshfields in Wien bzw. bei einem weiteren hier ansässigen Rechtsanwalt geholt haben – inklusive Hinweis, dass eine solche Vorgehensweise „keinesfalls steuerrechtlich zulässig“ bzw. „sogar strafbar“ wäre.

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Wie das System der Cum-Ex-Industrie funktioniert:

Österreich-Beratung wichtig für Anklage

Diese Listeneinträge in Bezug auf die österreichischen Experten könnten in absehbarer Zukunft eine Rolle vor Gericht spielen. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat im vergangenen Herbst beim Landgericht Wiesbaden die erste Cum-Ex-Anklage in Deutschland eingebracht. Die Anklageschrift ist noch nicht rechtskräftig. Bis Jahresende können die Beschuldigten, darunter B., Stellung nehmen. Dann entscheidet das Gericht, ob es die Anklage zulässt.

Die Generalstaatsanwaltschaft greift in dem mehr als 900 Seiten starken Schriftsatz unter anderem die Warnhinweise aus Österreich auf, was eine mögliche Strafbarkeit betrifft. Das Argument: Jemand, der trotzdem ernsthaft an einer Umsetzung arbeitet, nimmt strafrechtliche Risiken bewusst in Kauf.

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„Struktur in Österreich nicht umgesetzt“

B. bestreitet sämtliche Vorwürfe vehement. Er betont auf Anfrage von Addendum, nie in irgendeiner Form in Cum-Ex-Geschäfte in Bezug auf Österreich involviert gewesen zu sein. Insbesondere sei die Struktur, um die es in der Anklage in Wiesbaden geht, nicht in Bezug auf Österreich umgesetzt worden. Es könne aber sein, dass ein Kanzleimitarbeiter Recherchen in Bezug auf Österreich angestellt habe. An dieser Stelle sei erwähnt, dass deutsche Ermittler sehr wohl davon ausgehen, dass B. in die Export-Bestrebungen in Bezug auf das Cum-Ex-Modell involviert war bzw. die Länderprüfungen veranlasst hat.

B. weist aber auch grundsätzlich zurück, dass Cum-Ex-Geschäfte überhaupt illegal wären. Es gebe gar keine „doppelte oder mehrfache Anrechnung/Erstattung von Steuern an ein und derselben Aktie“. Das seien „durch Sie und andere Journalisten permanent im Interesse des Fiskus verbreitete Fake-News“.

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Rechtslage in Deutschland ungeklärt

Der Steueranwalt argumentiert, dass es praktisch unmöglich sei, einen bestimmten Aktien-Leerverkauf – das ist die entscheidende Handelstechnik bei Cum-Ex-Geschäften – einem bestimmten Käufer zuzuordnen. Folgt man diesem Gedanken, hieße das, der Käufer kann gar nicht wissen, ob jemand anderer in der Verkaufskette für dieselbe Aktie ebenfalls eine Steuerrückerstattung beantragt hat. Kommt es doch dazu, dass doppelt rückerstattet wird, kann man es – gemäß dieser Logik – dem Einzelnen nicht vorwerfen.

Diese Ansicht teilt – ganz offensichtlich – die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt nicht. Laut Verdachtslage gab es nämlich einen zentralen Transaktionsplan und eine Excel-Tabelle zur Berechnung paralleler Wertpapiergeschäfte, über die der Gewinn aus der Steuerrückerstattung verteilt werden sollte.

Dabei ist zu betonen, dass die Rechtslage in Deutschland in Bezug auf Cum-Ex-Geschäfte noch nicht eindeutig geklärt ist.

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Das System-Problem

Doch zurück nach Österreich. Addendum hat die hiesigen Berater, Anwälte und Bankmitarbeiter, die in den Länderlisten auftauchen, gefragt, ob sie denn die Behörden hierzulande gewarnt hätten, dass jemand ein derartiges Cum-Ex-Modell in Bezug auf Österreich prüfe. Direkt beantworten wollte dies keiner von ihnen. Insgesamt entstand jedoch der Eindruck, dass keine Warnungen platziert wurden. Gut möglich, dass hier Verschwiegenheitspflichten im Weg standen. Der Weisheit letzter Schluss – im Sinne der Steuerzahler – scheint dies jedoch nicht zu sein.

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Banker aus Österreich involviert

Bisher ebenfalls völlig unbekannt ist auch eine ganz anders gelagerte Cum-Ex-Spur nach Österreich: Die – global tätige – australische Investmentbank Macquarie betreibt seit 2001 ein Büro in Wien. 2009 wurde daraus eine im Firmenbuch protokollierte Zweigniederlassung der Londoner „Macquarie Bank International Limited“. Und diese Zweigniederlassung mit Adresse in der Wiener Innenstadt taucht – Recherchen im Rahmen der „CumEx“ Papers zufolge – in Zusammenhang mit einem besonders bemerkenswerten Cum-Ex-Verdachtsfall auf.

Es geht um drei US-Pensionsfonds, die Anfang Dezember 2011 in Deutschland Steuerrückerstattungen von insgesamt 150.219.142,19 Euro beantragten. Nun klingt das Wort „Pensionsfonds“ zwar so, als wäre da eine Menge Geld von einer Menge Leute im Spiel, das tendenziell für den guten Zweck der Absicherung im Alter gedacht ist. Bei diesen drei Fonds handelte es sich jedoch um Ein-Personen-Firmenvehikel.

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Kundenprüfung made in Austria

Es besteht der Verdacht, die Fonds wären lediglich vorgeschoben worden, um aus Cum-Ex-Geschäften Steuererstattungen zu erzielen. Sie hätten – über ein Firmenkonstrukt in Luxemburg – reichen europäischen Privatinvestoren unberechtigterweise zu fetten Gewinnen auf Kosten der Steuerzahler verhelfen sollen.

Und ausgerechnet da findet sich eine Spur nach Wien: Die Zweigniederlassung von Macquarie in Österreich taucht am Beginn der Umsetzung dieses – letztlich fehlgeschlagenen – Geschäfts auf. Die australische Bankengruppe stattete die Fonds nämlich mit zusätzlichem Geld aus, durch das Geschäfte in der für Cum-Ex-Deals nötigen Größenordnung überhaupt erst möglich wurden. Es wurden schließlich riesige Aktienmengen gehandelt. Vorher machte sich Macquarie allerdings selbst ein Bild von diesen eigenartigen Pensions-Vehikeln. Und dabei war ein Banker aus Wien mit von der Partie.

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Kein Alarm

Der Mann sammelte Dokumente zu den US-Pensionsfonds ein – im Rahmen einer Art Kundenüberprüfung. Aus internen E-Mails geht hervor, dass dem Macquarie-Mitarbeiter aus Wien klar gewesen sein müsste, dass es sich – zumindest bei einzelnen der Vehikel – um Ein-Personen-Fonds handelte. Alarm geschrien hat offensichtlich niemand. Erst die deutsche Finanz, als ein halbes Jahr später Steuererstattungen in dreistelliger Millionenhöhe begehrt wurden.

Addendum fragte bei Macquarie nach, eine Stellungnahme war bei Redaktionsschluss jedoch noch ausständig. Informationen im Rahmen der „CumEx Files“ deuten darauf hin, dass der Banker aus Wien möglicherweise für dieses Geschäft einem größeren Team bzw. einem Macquarie-Standort in einem anderen Land zugeteilt war.

Treppenwitz der Geschichte: Letztlich führten genau diese drei US-Pensionsfonds dazu, dass in Deutschland die großen Cum-Ex-Ermittlungen gestartet wurden. Und dass weitere Teile dieser Industrie, die Gewinne nur auf den Rücken der Steuerzahler erwirtschaftete, aufflogen. 

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