Für die Bebilderung unseres Projekts haben wir einen MAN TGL 8.18 12t Lastkraftwagen mit Kofferaufbau an prominenten Plätzen Österreichs festgehalten, da in letzter Zeit ähnliche Fahrzeugtypen als Waffen bei diversen Terroranschlägen in Europa verwendet wurden. Schließlich ist die Frage, die wir uns stellen: Müssen wir mit Terror leben lernen? Und zwar eben auch in Österreich.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
Mit dem Bus in die Menschenmenge. Mit der Sprengstoffweste in die U-Bahn-Station. Mit dem Messer in der Innenstadt gegen einen Polizisten: Der Terrorismus hat in den vergangenen Jahren unterschiedlichste Formen angenommen. Ein neues Phänomen ist er aber nicht. Von 1970 bis 2016 haben in Europa etwa 4.280 Anschläge stattgefunden. Dabei sind etwa 5.700 Menschen getötet und etwa 16.400 Menschen verletzt worden. Das zeigt eine Datenanalyse der Global Terrorism Database, die von Forschern der Universität von Maryland (USA) jährlich erstellt wird.
In den vergangenen 46 Jahren gab es demnach immer wieder Zeiträume, in denen die europäische Bevölkerung von Terrorwellen heimgesucht wurde. Geografisch konzentrieren sich Anschläge auf drei Länder: 61 Prozent aller getöteten und verletzten Personen sind in Großbritannien (20 %), Spanien (27 %) und Frankreich (14 %) zu beklagen. Vor allem in Nordirland, dem Nordosten Spaniens sowie in London, Madrid und Paris häufen sich terroristische Vorfälle. Die Motive und Ideologien der Attentäter unterscheiden sich von Region zu Region.
Addendum hat die ideologischen Hintergründe aller Terrorgruppen, die in Europa Menschen verletzt und/oder getötet haben, recherchiert und in Kategorien eingeteilt. Die Kategorien entsprechen jenen von Rothenberger & Müller (2015), sind jedoch um rechtsgerichteten Terror erweitert.
Die Einteilung mancher Terrorgruppen in nur eine dieser Kategorien ist schwierig. Manche haben mehr als eine Motivation. Der „Islamische Staat“ ist zum Beispiel zwar hauptsächlich religiös motiviert. Er hat aber auch das Ziel eines eigenen Staates und könnte deshalb auch als ethno-nationalistisch bezeichnet werden. Ein weiterer schwieriger Fall ist Anders Behring Breivik, er bezieht sich in seinem Manifest vielfach auf die christliche Religion, verfolgt jedoch primär faschistische Ziele. In diesen Fällen wurde immer versucht, die Hauptmotivation der Terrorgruppen zu identifizieren, konkret wurde der „Islamische Staat“ als „religiös“ und Anders Behring Breivik als „rechts“ kategorisiert.
In Nordirland und dem Nordosten Spaniens dominieren Anschläge der Irisch-Republikanische Armee und von „Euskadi Ta Askatasuna“ – beide sind unter ihren Kürzeln IRA bzw. ETA besser bekannt. Sie versuchten auf die Unabhängigkeit ihrer Region mit terroristischen Mitteln zu drängen.
Diese Form des Terrors ist zur Seltenheit geworden. Von der Gesamtopferzahl des ethno-nationalistischen Terrors sind 92 Prozent der Zeit vor 2000 zuzuschreiben. In den dreißig Jahren vor der Jahrtausendwende war er europaweit für etwa 9.200 von etwa 16.000 Terroropfern (58 %) verantwortlich.
Auch rund 2.500 der 4.300 Anschläge vor dem Jahr 2000 sind ethno-nationalistischem Terror zuzurechnen. Danach pendelt die Zahl der Terroranschläge in Europa generell auf niedrigerem Niveau im Vergleich zu den 70er, 80er und 90er Jahren. Neun Prozent aller terroristischen Vorfälle seit 1970 haben sich seit der Jahrtausendwende ereignet.
Aber: 27 Prozent aller Opfer sind in der jüngeren Periode zu beklagen. Ein Schluss daraus ist, dass Anschläge zwar seltener sind, aber dann mehr Tote und Verletzte nach sich ziehen. In Europa sind Anschläge mit Sprengstoff für die meisten Toten und Verletzten verantwortlich. Dieser Angriffsform sind zwei Drittel aller Verletzten und Toten in den vergangenen 46 Jahren zuzurechnen. Angriffe mit Schusswaffen, wie etwa in Paris, sind nach gezielten Tötungen oder deren Versuch der dritthäufigste Angriffstyp.
Dieses Schema zeigt sich nicht nur in Europa, sondern auch bei Analyse der Terrorzahlen auf weltweiter Ebene seit 1970. Daraus geht auch hervor, dass 42 Prozent der global rund 690.000 Terroropfer in drei Ländern zu beklagen sind: Afghanistan, Pakistan und dem Irak.
Der Anteil von Europa: 3 Prozent.
Über die Datenquelle
Die primäre Datenquelle dieses Artikels ist die Global Terrorism Database (GTD). Die GTD ist eine öffentlich zugängliche Datenbank über weltweite terroristische Vorfälle von 1970 bis 2016. Sie wird vom National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (START) und der University of Maryland erhoben und ist eine der wichtigsten Quellen der akademischen Terrorforschung.
Wann kommt ein Vorfall in die Datenbank?
Dafür müssen drei Kriterien erfüllt sein:
Wie werden die Daten gesammelt?
Die Forscher filtern computergestützt aus mehr als einer Million Medienberichten jene heraus, die terroristische Angriffe thematisieren. Danach bleiben etwa 400.000 Artikel pro Monat, die analysiert werden müssen. Mithilfe von Natural Language Processing und Machine Learning werden die Ergebnisse weiter verfeinert. Die verbleibenden 16.000 Artikel pro Monat werden von GTD-Forschern begutachtet und in die Datenbank eingepflegt.
Was sind die Schwächen der Datenbank?
Vor 2011 hatten die Wissenschaftler kein ausgefeiltes System, um alle potenziellen Ereignisse zu sammeln. Demnach ist die Zahl der Anschläge vor diesem Zeitpunkt tendenziell höher als angegeben. Das Jahr 1993 ist nicht in der Datenbank erfasst.
Warum unterscheiden sich diese Opferzahlen von jenen anderer Publikationen?
Die Wissenschafter der Global Terrorism Database codieren etwa 150 Variablen. Eine davon verrät, ob es Zweifel an einem terroristischen Hintergrund gibt. Wir haben unsichere Fälle von der Analyse ausgeschlossen, andere Medien (hier, hier und hier) machen das nicht. Deshalb sind die Zahlen in diesem Artikel als konservative Untergrenze zu verstehen – dafür sind wir uns sicher. Bei der Anzahl der Terroranschläge sind nur Fälle inkludiert, in denen es Tote oder Verletzte gegeben hat.
Welche Länder sind mit Europa gemeint?
Die EU-28-Mitgliedstaaten sowie die Schweiz, Norwegen und der Vatikan.