„Die Deutschen sind schlimm, sehr schlimm. (…) Schau dir die Millionen von Autos an, die sie in den USA verkaufen. Schrecklich. Das werden wir stoppen.“ Mit dieser angeblichen Aussage von Donald Trump spannten sich Anfang des Jahres die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA weiter an. Trumps Direktor für Handelspolitik, Peter Navarro, konkretisiert die Vorwürfe: „Eine große Hürde, um TTIP als bilateralen Vertrag zu sehen, ist Deutschland, welches weiterhin die anderen Staaten in der EU und die USA durch eine implizierte unterbewertete deutsche Mark ausnutzt.“ Deutschland schaffe sich durch die Zurückhaltung von Löhnen innerhalb des fixen Wechselkurssystems der Eurozone einen unfairen Handelsvorteil durch interne Abwertung. Die Folge: Die USA und andere Nationen verzeichnen starke Handels- und Leistungsbilanzdefizite mit Deutschland. Die Kritik ist nicht neu und stammt – für manche vielleicht überraschend – vor allem von linken Politikern.
„The Germans are bad, really bad. (…) See the millions of cars they sell in the US. Terrible. We’ll put a stop to that.“
„A big obstacle to viewing TTIP as a bilateral deal is Germany, which continues to exploit other countries in the EU as well as the US with an ,implicit Deutsche Mark‘ that is grossly undervalued.“
Tatsächlich importieren die USA permanent mehr Güter aus Deutschland, als sie dorthin exportieren. Das Handelsbilanzdefizit, also importierte Leistungen minus exportierte, erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2015 mit rund 75 Milliarden US-Dollar. Dadurch akkumulieren die USA eine substanzielle Verschuldung bei den deutschen Handelspartnern. Berücksichtigt man die Dienstleistungsimporte und -exporte, so ist das Defizit der USA mit Deutschland geringfügig niedriger, aber ebenfalls sehr hoch.
Die in der Grafik dargestellten Werte beziehen sich ausschließlich auf den Handel mit Gütern, also auf die Handelsbilanz. Die Leistungsbilanz berücksichtigt darüber hinaus den Handel mit Dienstleistungen und andere Geldströme wie Vermögensüberträge. Berücksichtigt man die gesamte Leistungsbilanz, so ist das Defizit der USA mit Deutschland geringfügig niedriger, aber in den verfügbaren Daten des US Census Bureau ebenfalls sehr hoch.
Allerdings ist Deutschland dabei keine Ausnahme: Es gibt kaum Länder, mit denen die USA nicht Jahr für Jahr negative Handelsbilanzen schreiben. Sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen stellt China das größte Problem für die USA dar. Im Jahr 2016 etwa haben die USA Güter im Wert von 350 Milliarden US-Dollar mehr importiert als exportiert – die Differenz entspricht fast dem gesamten BIP von Österreich.
China wird von den USA vorgeworfen, über eine bewusste Abwertung ihrer Währung einen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt zu erzeugen. Abseits dieser Erklärungen kann auch die Konsumnachfrage in den USA für die negativen Bilanzen verantwortlich gemacht werden. In keinem anderen entwickelten Land der Welt geben die Bewohner einen größeren Anteil ihres Einkommens für Konsum aus. Die starke Nachfrage kann schwer durch Inlandsproduktion abgedeckt werden, und der hohe Wert der eigenen Währung ermöglicht den billigen Import. Die Verschuldung im Ausland basiert also auch auf einem hausgemachten Problem. Aber zurück zum eigentlichen Vorwurf.
Wie kann sich Deutschland einen Vorteil auf internationalen Märkten verschaffen? Bleibt die Entwicklung der Lohnkosten hinter der Produktivität zurück, so kann unter der Bedingung gleichbleibender Kapitalkosten billiger produziert und exportiert werden. Produktivitätssteigerungen werden also nicht dafür genutzt, den Faktor Arbeit zu entlohnen, sondern um Preise von (Export-)Gütern niedrig zu halten. Damit hierdurch ein Wettbewerbsvorteil entstehen kann, muss aber noch die Währung ins Spiel gebracht werden. Der Wechselkurs des Euro wird – neben anderen Faktoren – durch die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft im Euroraum bestimmt.
Gäbe es die D-Mark noch, so könnte sich der Kostenvorteil Deutschlands über eine Aufwertung der Währung wieder mindern. Würden mehr deutsche Produkte gekauft, so würde auch der Kurs der fiktiven D-Mark steigen. Dies würde deutsche Güter teurer machen und im Gegenzug moderierend auf die Nachfrage wirken. Da diese Möglichkeit aber innerhalb der Eurozone nicht besteht, bleibt der Kostenvorteil erhalten. Derartige Vorgänge werden als innere Abwertung bezeichnet. Deren Folgen betreffen grundsätzlich sowohl Euro-Drittländer als auch Staaten innerhalb der Währungszone. Letztere sogar stärker, weil hier überhaupt keine Möglichkeit der äußeren Anpassung über Wechselkurse besteht, und Deutschland für einen großen Teil der Staaten der wichtigste Handelspartner ist.
Nun kommt die Politik ins Spiel: Deutschland hat den Kritikern zufolge durch Arbeitsmarktreformen seit der Jahrtausendwende aktiv dafür gesorgt, dass Löhne zurückgehalten werden und sich der beschriebene relative Kostenvorteil einstellt. Daten der OECD stützen diese Behauptung. Seit der Jahrtausendwende sind die Kosten für die Entlohnung von Mitarbeitern in Deutschland stark hinter der Produktivität zurückgeblieben – teilweise wurde Arbeit sogar billiger, während die Produktivität stieg. Dieser Trend zeigt sich besonders in den Jahren nach den in Deutschland umstrittenen Reformen des Arbeitslosengeldes – dem berüchtigten Hartz IV. Seit 2012 halten beide Indikatoren aber wieder Schritt.
Aus Sicht der Deutschland-Kritiker gibt es in der EU einen Musterschüler: In Frankreich sind die Arbeitskosten seit 1995 sehr konstant mit der Produktivität gewachsen. Nicht ganz unbedeutend ist die Tatsache, dass auch in den USA ein ähnlicher Verlauf wie in Deutschland beobachtet werden kann. Allerdings: Mit dem US-Dollar verfügen die USA über eine eigene Währung, die frei auf den Finanzmärkten gehandelt wird. Sind amerikanische Güter zu billig, kann eine äußere Aufwertung stattfinden. Diese Option besteht im Falle Deutschlands nicht. Es hat sich also im Vergleich zum Jahr 2000 einen relativen Kostenvorteil gegenüber der Weltwirtschaft verschafft. Glatter Betrug, könnte eine Zwischenbilanz dieser Analyse lauten.
Die Lohnkosten enthalten neben den an den Arbeitnehmer ausbezahlten Bruttolöhnen auch Sachleistungen, Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und andere Formen von Belastungen. Grundsätzlich sollen sie die gesamten Gelder erfassen, die notwendig sind, um eine Arbeitskraft anzustellen.
Natürlich gilt das nicht innerhalb der USA. Einzelne Bundesstaaten können durch ihre Policys ähnliche Schritte wie Deutschland setzen, um innerhalb der US-Währungszone einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Allerdings wird das in den USA durch höhere Mobilität der Arbeitnehmer über Bundesstaaten hinweg sowie durch die einheitlicheren Preis- und Lohnniveaus erschwert.
Das Deutsche Institut der Wirtschaft widerspricht in einer Veröffentlichung der These eines unfairen Wettbewerbsvorteils. Zwar habe Deutschland seine Lohnkosten relativ reduziert, allerdings befänden sie sich noch immer im internationalen Spitzenfeld. Auch die Produktivität sei in Deutschland zwar hoch, aber auch nicht ganz an der Spitze, womit Deutschland anderen Industrienationen auf Augenhöhe begegne. In dieser Betrachtung hat Deutschland damit lediglich einen bestehenden Wettbewerbsnachteil ausgeglichen und ist in der medialen Bezeichnung vom „Sick Man of Europe“ zur „Engine of Growth“ geworden.
Untersucht man die Zahlen zu absoluten Lohnkosten und Produktivität der OECD, erscheinen die Werte für Deutschland an die unmittelbare Konkurrenz angepasst. Gegenüber Frankreich ergeben sich für die gesamte Wirtschaft leicht niedrigere Lohnkosten und etwas höhere Produktivität. Die US-Wirtschaft hingegen ist nicht nur produktiver als die deutsche, sondern auch teurer. Allerdings liefern die Daten lediglich eine grobe Einschätzung der gesamten Wirtschaft. Produktivität und Lohnkosten können sektoral stark schwanken, und die Wettbewerbsfähigkeit eines Staats hängt von vielen anderen Gesichtspunkten ab, die schwieriger zu erfassen sind. Noch schwieriger fällt ohnehin die Bewertung aus, was überhaupt fairer Wettbewerb ist, und ob Deutschland zu wettbewerbsfähig ist oder andere Länder zu wenig.
Faktum ist jedenfalls, dass Deutschland durch die relative Entwicklung der Lohnkosten kompetitiver auf dem Weltmarkt geworden ist, und auch deshalb große Außenhandelsüberschüsse vorweisen kann. Wenn deutsche Produkte schon in Zeiten des „Sick Man of Europe“ genügend auf den Exportmärkten abgenommen wurden, so werden sie es nun umso mehr. Vor allem der Ruf nach gesteigerten Investitionen der öffentlichen Hand wurde in Deutschland in den letzten Jahren daher immer lauter. Diese könnten den Binnenkonsum in Deutschland erhöhen und damit auch Handelsbilanzen in Ausgleich bringen.
Trump hat also in der Sache nicht unrecht, wenn er Deutschland für seine dominante Stellung an den globalen Märkten rügt. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern seine scharfen Angriffe Deutschland zu einem wirtschaftspolitischen Einlenken bewegen können. Zusätzlich trifft ihn nämlich ein Gegenvorwurf: Er wolle die EU-Staaten mit seiner Rhetorik auseinanderdividieren. Schließlich stehen diese durch die starke deutsche Exportwirtschaft am stärksten unter Druck.