Wir wollten wissen, wie sich das Land verändert hat, das Donald Trump seit einem Jahr regiert. Wie sehen die Amerikaner ihren Präsidenten? Beurteilen sie ihre Lage genauso düster wie die Europäer? Zehn Tage lang reisen wir quer durchs Land, von der Hauptstadt Washington D.C., weiter nach Norden über Princeton und New York City bis an die kanadische Grenze. Dann nach Süden in die Kohlereviere West Virginias und schließlich in den Wilden Westen: über Arizonas Hauptstadt Phoenix an die mexikanische Grenze und von dort aus ins liberale Kalifornien. Es wird eine Reise durch ein gespaltenes Land, eine Reise, bei der wir oft denken, dass der Name des Landes Mahnung und Hoffnung ist, aber nicht Realität: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind entzweit. Auf der einen Seite gibt es die Trump-Unterstützer, auf der anderen die Trump-Gegner. Für Zwischentöne ist kein Platz.
Unser erster Interviewpartner ist Tom Toles, Karikaturist der Washington Post. Die linke Presse ist schon im Wahlkampf zu Trumps Erzfeind avanciert. „Fake News“ wirft der Präsident Medien wie CNN, der New York Times und der Washington Post mindestens im Wochenrhythmus vor. Für Tom Toles ist Trump einerseits der absolute Traum-Präsident. Keiner seiner Vorgänger lieferte dem Karikaturisten so viel Material. Doch Toles sieht in Trump auch eine Gefahr für die Demokratie und das Bild Amerikas in der Welt.
Eine Sorge, die er mit Bill Eacho teilt. Eacho war unter Barack Obama von 2009 bis 2013 US-Botschafter in Wien. Seit seiner Rückkehr in die USA wohnt er in Chevy Chase, einem noblen Vorort von Washington. Bei der Beurteilung Trumps verzichtet Eacho auf jegliche diplomatische Zurückhaltung: „Trump schert sich weder um die Gesetze noch um demokratische Prinzipien oder Traditionen. Er glaubt, er sei Präsident geworden, um Washington zu zerstören.“
Genau deswegen haben Sam Pirozzolo und Sal Oliva Trump gewählt. Die beiden Männer wohnen in Staten Island, einem der fünf Bezirke New York Citys. Staten Island ist der einzige Bezirk der Metropole, in dem Trump bei der Präsidentschaftswahl die Mehrheit der Stimmen erringen konnte. Sam Pirozzolo hat Donald Trump gewählt, weil er endlich mal einen Mann an der Spitze der Nation sehen wollte, der kein Politiker ist. „Hätte ich einen Politiker gewollt, hätte ich bestimmt nicht Trump meine Stimme gegeben.“ Trump sei angetreten, um aufzuräumen, um das zu tun, was die Amerikaner wirklich wollen. Sam hat das Gefühl, das Land befinde sich endlich wieder im Aufbruch. Während wir uns mit ihm auf dem Gehsteig vor seinem Haus unterhalten, fährt ein Nachbar vorbei und hält an. Auch er hat Donald Trump seine Stimme gegeben, im Wesentlichen aus einem Grund: „Es macht so viel Spaß, die Linken in den Wahnsinn zu treiben.“ Er lacht und fährt weiter. Dieser kleine Augenblick ist bezeichnend für die Stimmung im Land. Die Trump-Unterstützer finden es in erster Linie amüsant, wie sich die Demokraten, die Journalisten und die Europäer über ihren Präsidenten aufregen. Die Trump-Gegner schämen sich für ihren Präsidenten, sehen in ihm eine Gefahr für die amerikanischen Werte.
Dieser Perspektive kann Sal Oliva nichts abgewinnen. Er sieht Trump nicht als Gefahr, sondern als Bewahrer der amerikanischen Identität. Trump habe ihm aus dem Herzen gesprochen, als er den Bau einer Mauer zu Mexiko forderte und den umstrittenen Muslim-Ban ankündigte. Die Mauer schütze ihn vor billiger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, der Einreisestopp gegen Muslime vor Übergriffen. Der 33-jährige Anstreicher ist homosexuell und davon überzeugt, dass muslimische Einwanderer eine Gefahr für ihn wären: „Ich weiß, das klingt rassistisch, aber die wollen doch gar nicht in Harmonie leben, die hassen Schwule.“
Wir fahren weiter nach Manhattan, ins Herz der Metropole. Am Ground Zero, der Stelle, an der einst das World Trade Center stand, treffen wir uns mit Bill Wilby. Der ehemalige Investmentbanker arbeitete früher im 34. Stock des Südturms. Dem Anschlag entging er, weil er gerade auf einer Geschäftsreise in San Francisco war. Heute ragt neben der Gedenkstätte das 2015 eröffnete One World Trade Center in den Himmel. Die Wunden des Terrors sind in New York verheilt. Jetzt müssen die New Yorker lernen, mit den Folgen des Trump-Schocks zurechtzukommen. In Manhattan haben rund 70 Prozent der Wähler Hillary Clinton ihre Stimme gegeben.
Bill Wilby allerdings hat Donald Trump gewählt, obwohl er dem Immobilientycoon schlechten Charakter vorwirft und sich für seine Auslassungen per Twitter immer wieder fremdschämt. Doch Wilby hält Trumps Versuch, die Finanzmärkte wieder zu deregulieren, für den richtigen Ansatz, sie wieder in Schwung zu bringen. Ein Kalkül, das bisher aufgeht. Die Börsen sind seit Trumps Amtsantritt im Höhenflug, die Arbeitslosigkeit ist auf den niedrigsten Stand seit dem Terroranschlag aufs World Trade Center im Jahr 2001 gesunken. „Wissen Sie, wenn man Trump einen Sack über den Kopf ziehen und ihm den Mund zukleben könnte, würde ich den Kerl wahrscheinlich sogar mögen.“
Nur 500 Meter von der Wall Street entfernt befindet sich das Szenelokal „Schilling“. Inhaber Edi Frauneder ist vor 18 Jahren nach New York gekommen. Sein Restaurant ist schon mittags gut gefüllt, die New Yorker lieben die österreichische Gemütlichkeit. Für Edi selbst ist es seit Trumps Wahlsieg eher ungemütlich geworden. Der Wiener kann immer noch nicht glauben, dass Hillary Clinton die Wahl verloren hat. „Das war ein Riesenschock für uns. Von Obama zu Trump, das kann es nur in den USA geben. Das Pendel schwingt von einem Extrem ins andere.“ Er kenne auch keinen einzigen Menschen, der Trump gewählt hat. „Aber wahrscheinlich ist das wie mit der FPÖ in Österreich. Da kenn ich auch keinen, der die wählt, und am Ende haben die 26 Prozent.“
Wir fahren weiter in den Norden nach Rochester, eine Stadt an der kanadischen Grenze. Hier wohnen Renate und John Lutsch. Beide sind in den fünfziger Jahren in die USA gekommen. Sie aus Berlin, er aus Oberösterreich. Gemeinsam haben sie sich ihren American Dream aufgebaut. Ein eigenes Geschäft, ein eigenes Haus mit großem Garten, Urlaube in Mexiko. Die beiden Pensionisten haben keine finanziellen Sorgen. Trotzdem hat sich bei ihnen in den vergangenen Jahren immer mehr Unbehagen breitgemacht. Die Zahl der illegalen Einwanderer sei viel zu hoch, sagen sie. Die meisten würden nur von der Wohlfahrt leben. Wie die meisten ihrer Freunde beziehen sie den Großteil ihrer Informationen über den konservativen Fernsehsender Fox News. Alle anderen Sender seien ihnen zu „left leaning“. Trump sei vielleicht nicht der beste Redner, aber die Kritik an ihrem Präsidenten halten sie für maßlos überzogen. Viel schlimmer sei, dass Hillary Clinton immer noch frei herumlaufe. Renate Lutsch ist überzeugt: „Die Frau ist so korrupt. Dafür würden normale Bürger schon längst im Gefängnis sitzen.“
In West Virginia, dem zweitärmsten Staat der USA, treffen wir mit Dustin White. Er ist Umweltschützer und Sohn eines Bergarbeiters und sorgt sich um die Zukunft seiner Heimat. Denn Donald Trump hat den Bürgern West Virginias versprochen, die längst verloren gegangenen Jobs in den Kohlerevieren zurückzubringen und stillgelegte Minen wieder zu öffnen. Die Menschen hätten viel zu lange unter den Folgen des Bergbaus gelitten. Es werde nicht nur die Natur, sondern auch die Gesundheit der Leute zerstört, fürchtet Dustin White. Viele Freunde und sein Vater sind an Krebs gestorben. Die Umweltschützer West Virginias sehen einen direkten Zusammenhang zwischen den giftigen Abfällen aus dem Bergbau und den Krankheiten. Noch nicht einmal das wirtschaftliche Argument hält Dustin White für stichhaltig. In West Virginias Kohleindustrie sind im ersten Jahr unter Trump gerade einmal 1.200 neue Jobs neu entstanden. Für die einen ein Hoffnungsschimmer, für die anderen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bei unserer Fahrt durch die Kohleregion sehen wir ausgestorbene Orte, die eine perfekte Kulisse für eine amerikanische Mystery-Serie bilden würden. Viele sind weggezogen, um andernorts zu arbeiten. Die wenigen, die geblieben sind, leiden unter der immer schlechter werdenden Infrastruktur. Von einigen Ortschaften aus dauert es eine Stunde, mit dem Auto den nächsten Supermarkt zu erreichen. In West Virginia werden die Probleme des Landes besonders sichtbar. Die Perspektivlosigkeit treibt immer mehr Jugendliche in die Drogensucht, jeder dritte verlässt die Schule ohne Abschluss. Wenigstens gibt es in West Virginia keine Rassenkonflikte. Das dürfte allerdings vor allem daran liegen, dass die Bevölkerung zu 94 Prozent aus Weißen besteht.
Wir brechen auf nach Arizona, in den Wilden Westen. In Phoenix empfängt uns die Austrian Society of Arizona zu einer Poolparty. Die meisten der Auswanderer leben seit mehreren Jahrzehnten in den USA, manche mehr als 60 Jahre. Von ihnen hat niemand Trump gewählt, sie halten ihn für einen Spalter der Nation, eine Gefahr für die Werte Amerikas, einen selbstherrlichen Zündler. Doch viele ihrer Kinder sehen das offenbar anders. Durch viele amerikanische Familien geht dieser Tage ein Riss. Die Frage: Trump oder nicht Trump? ist zu einer Glaubenssache geworden. Das politische System der USA, das im Wesentlichen aus nur zwei Parteien besteht, verstärkt diese Entwicklung. Es gibt nur zwei Seiten, und aus der Frage Demokrat oder Republikaner wird schnell gut oder böse.
Wenige Kilometer nördlich von Phoenix in Scottsdale findet am Abend eine Veranstaltung der Demokraten statt. Sie bereiten sich auf die Kongresswahlen im Herbst vor, bei denen sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern wollen. Dann könnten sie Trumps Gesetzesentwürfe deutlich einfacher blockieren. Die Demokraten schöpfen Hoffnung; noch nie hätten sich so viele Menschen für Politik interessiert, vor allem Frauen sind seit Trumps Amtsantritt engagiert. Schätzungen zufolge bewerben sich in den USA zurzeit 20.000 Frauen um politische Ämter, so viele wie nie zuvor. Die Demokraten glauben, von Trump sogar etwas gelernt zu haben: „Wir müssen endlich mehr in Schlagzeilen und weniger in Fußnoten reden. Dann erreichen wir auch leichter die Bürger“, gibt sich eine der Kongress-Kandidatinnen gleichermaßen selbstkritisch wie kämpferisch. Der Populismus wird in den USA in den kommenden Jahren wohl keine kleinere, sondern eher eine noch größere Rolle spielen.
Von Phoenix geht es an die amerikanisch-mexikanische Grenze. Dorthin, wo Trump eine Mauer errichten will. Eine Mauer, die Kriminelle, Vergewaltiger und Drogenschmuggler aus Mexiko abhalten soll. Eine Mauer, die Milliarden kosten würde. Milliarden, die Mexiko bezahlen soll. Mit Justin Kallinger, einem Beamten der US Border Patrol, begeben wir uns auf eine Fahrt entlang der Grenze. Weite Teile seines Einsatzgebiets sind eine unwirtliche Gegend. Nur ein Drittel der rund 3.000 Kilometer langen Grenze ist durch Zäune und Mauern gesichert, den Rest bilden natürliche Barrieren wie Berge oder Wüsten. Justin Kallinger äußert sich nicht über seinen Präsidenten und dessen Mauerpläne, doch er zeigt uns, was durch die letzte große Geldspritze bewirkt wurde. 2005 stellte der damalige Präsident George W. Bush eine Milliarde Euro für den Ausbau der Grenzzäune bereit. Seitdem habe sich die Zahl der Aufgriffe an der Grenze erheblich verringert. Justin Kallinger glaubt fest daran: „Die Mauern halten Verbrecher und Drogen aus dem Land. Die Mauern schützen die Bürger der USA.“
Wir verlassen Arizona und fahren in den Golden State Kalifornien, eine der Hochburgen der Demokraten. Die Drehbuchautorin Randi Johnson lebt in den Hügeln nördlich von Los Angeles. Sie arbeitet für die Traumfabrik Hollywood, ist Umweltschützerin und Pazifistin und naturgemäß kein Trump-Fan. Sie hält ihn für eine Gefahr für den ganzen Planeten. Doch sie gesteht ihm zu, dass er das Land wachgerüttelt hat: „Donald Trump hat vielen Dingen einen Namen gegeben, Themen aufgebracht, über die in den Medien nur unausgewogen oder gar nicht berichtet wurde, wie das Einwanderungsproblem.“ Die Drehbuchautorin sieht einen Teil der Schuld an Trumps Wahlsieg auch in ihrer eigenen Zunft: „Hollywood und viele Medien haben Trump scharf kritisiert. Das hat bei einigen Leuten bewirkt, dass sie Trump in Schutz genommen haben, weil sie das ungerecht fanden. Wir müssen versuchen, einander zu verstehen, wir müssen zuhören, wir dürfen nicht zulassen, dass unser Land gespalten wird.“ Nur zwanzig Minuten entfernt wohnt Buzz Patterson. Er hat für Bill Clinton zwei Jahre lang den sogenannten nuklearen Koffer getragen und erzählt davon, wie damals die Atomcodes verloren gegangen sind. Er kann nachts gut schlafen, obwohl Donald Trump Oberbefehlshaber über das Atomwaffenarsenal ist. Im Falle eines Clinton-Siegs hätte das anders ausgesehen. Zu oft hat Buzz Patterson erleben müssen, wie die damalige First Lady ihre Fassung verlor, Mitarbeiter und ihren Gatten anfuhr und mit Gegenständen um sich warf. Buzz Patterson hat Trump unterstützt, um Hillary Clinton zu verhindern.
An unserem letzten Tag, wenige Stunden vor dem Rückflug nach Österreich, treffen wir uns mit Andreas Biebl. Der Salzburger lebt seit zehn Jahren in Santa Monica. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 durfte er zum ersten Mal wählen. Der Marketingmanager war sicher, die erste Präsidentin der USA gewählt zu haben. Doch statt Hillary zog Donald ins Weiße Haus ein. Andreas Biebl ist leidenschaftlicher Amerikaner, den Slogan „Make America Great Again“ würde er sofort unterschreiben, doch Trump lege zu viel Wert auf das „again“ und zu wenig auf das „great“: „Seine Politik ist so rückwärtsgewandt. Donald Trump will ein Amerika der fünfziger Jahre wieder errichten, mit Kohlebergbau und viel Industrie. Doch das geht nicht. Wir müssen nach vorne schauen.“
Nach vorne schauen und optimistisch sein – zwei uramerikanische Tugenden, die dieser Tage mal wieder gefragt sind. Viele Amerikaner sind verunsichert. Doch die meisten glauben fest daran, dass ihr Land zu alter Stärke zurückfinden wird. Ob trotz oder wegen Trump, darüber wird voraussichtlich noch mindestens drei Jahre gestritten werden.