Zu Donald Trump und seiner Präsidentschaft ist im vergangenen Jahr sehr viel geschrieben worden. Während manche Themen enorm viel Aufmerksamkeit bekommen haben, sind wesentliche Aspekte untergegangen. Tiefergehende Analysen und Erklärungen bekommen oft nur wenig Platz. Daher haben wir mit drei Wissenschaftlern vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck kooperiert, um diese Lücke zu füllen. Martin Senn beschäftigt sich mit der Verbreitung von Nuklearwaffen und deren Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen. In seinem Beitrag stellt er die Sorge vor einem von Donald Trump angeordneten Einsatz von Nuklearwaffen in einen breiteren Kontext. Daraus ergibt sich letztlich die Frage, ob Nuklearwaffen nicht zu zerstörerisch sind, um sie der fehlbaren Kontrolle durch Menschen zu überlassen.
Auf den ersten Blick könnte der Unterschied zwischen dem derzeitigen Präsidenten der USA und seinem Vorgänger größer nicht sein: hier Barack Obama, der bedachte und wortgewandte Rechtsgelehrte, der vor einer Menschenmenge in Prag seine Vision einer Welt ohne Nuklearwaffen skizziert und als erster amtierender US-Präsident das Mahnmal für die Nuklearwaffen-Opfer in Hiroshima besucht; dort Donald Trump, der Immobilien-Mogul und marktschreierische Populist, der über Twitter eine massive Stärkung des amerikanischen Nuklearwaffenarsenals fordert und Nordkorea mit „Feuer und Zorn, wie sie die Welt noch nie gesehen hat“ droht. Doch hat mit der Präsidentschaft Donald Trumps nun tatsächlich ein gänzlich neues Kapitel in der nuklearen Rüstungs- und Rüstungskontrollpolitik der Vereinigten Staaten begonnen?
Im vergangenen Sommer twitterte Präsident Trump, dass seine „erste Order als Präsident die Erneuerung und Modernisierung [des] Nukleararsenals“ gewesen sei. Tatsächlich hatte seine erste executive order jedoch den als Obamacare bekannten Reformen des Gesundheitswesens gegolten und erst eine Woche später hatte Trump in einem presidential memorandum die Anweisung gegeben, die Nuklearstrategie der USA einer Überprüfung zu unterziehen. Die Entscheidung für die Modernisierung des Nuklearwaffenarsenals wurde jedoch einige Jahre zuvor von Barack Obama getroffen und hatte im Wesentlichen zwei Gründe.
Erstens traf Obamas Bestreben, den Prozess nuklearer Rüstungskontrolle mit Russland durch einen neuen Reduktionsvertrag (NEW START) für strategische Waffen wiederzubeleben, vor allem in den Reihen republikanischer Senatoren auf erhebliche Skepsis und Ablehnung. Um die notwendige Zustimmung des Senats zu diesem Vertrag sicherzustellen, verpflichtete sich Obama im Gegenzug zu einer Modernisierung des in die Jahre gekommenen Nuklearwaffenarsenals, die dessen Einsatzbereitschaft auch angesichts einer weiteren Reduktion sicherstellen sollte. Zweitens verlieh die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland sowie vor allem deren Intervention in der Ukraine und Annexion der Krim der Notwendigkeit einer Modernisierung des Nukleararsenals weiteren Nachdruck.
Die USA besitzen gegenwärtig insgesamt circa 6.780 nukleare Sprengsätze. Deren Sprengkraft liegt zwischen 0,6 Kilotonnen (nichtstrategische) und 455 Kilotonnen (W88-Gefechtskopf), also 455.000 Tonnen TNT. Eine ungefähre Vorstellung der enormen Zerstörungskraft dieser Waffen bietet das Onlinetool „Nukemap“
In ihrer Substanz betrafen die Modernisierungspläne der Obama-Administration alle drei Teilbereiche der US-Nuklearstreitkräfte, also boden-, see- und luftgestützte Waffensysteme. So sehen die Planungen etwa eine neue Klasse an U-Booten, eine neue Interkontinentalrakete, einen neuen Langstreckenbomber, einen neuen Marschflugkörper sowie die Modifikationen bestehender Gefechtsköpfe und Bomben vor. Einige dieser Modernisierungen werden von Beobachtern mit Sorge verfolgt. So geben diese etwa zu bedenken, dass die Modifikation von Gefechtsköpfen, die auf see- und bodengestützten Trägerraketen montiert sind, deren Zerstörungsfähigkeit gegenüber verbunkerten Zielen (wie etwa Silos von Interkontinentalraketen) erheblich erhöht und das US-Arsenal damit insgesamt in Richtung einer Fähigkeit zu einem entwaffnenden Erstschlag gegenüber Russland bewegt.
Auch die Entwicklung eines neuen Marschflugkörpers mit Tarnkappen-Fähigkeit und hoher Zielgenauigkeit könnte von Staaten wie Russland und China als weiteres Indiz für eine solche Fähigkeit gesehen werden, wodurch der Druck zur Nachrüstung und zu militärischem Handeln in Krisensituation steigen könnte. Nicht zuletzt wird auch die Modernisierung der luftgestützten B-61-Bombe kritisch gesehen, da deren höhere Zielgenauigkeit und geringere Sprengkraft die Versuchung erhöhen könnte, im Konfliktfall auf diese Waffe zurückzugreifen.
Die Trump-Administration wird den Weg der Modernisierung konsequent weiterverfolgen. Diese Kontinuität zu den Obama-Jahren war bereits im Budgetentwurf der Administration für das Fiskaljahr 2018 erkennbar und ist auch in der am 2. Februar veröffentlichten Nuclear Posture Review augenscheinlich. In diesem Dokument legt die Administration die grundsätzliche Beschaffenheit des amerikanischen Nuklearwaffenarsenals und dessen Rolle in der Wahrung amerikanischer Sicherheitsinteressen fest und bekennt sich zur Beibehaltung und Modernisierung aller drei Teilbereiche der US-Nuklearstreitkräfte sowie zur Modernisierung der Kommando- und Kontrollstrukturen und der Infrastruktur, die zur Wartung des Arsenals benötigt wird. Zudem stellt die Nuclear Posture Review in Aussicht, dass ein kleine Anzahl von seegestützten Nuklearwaffen mit einer geringeren Sprengkraft versehen werden sollen, um sie für taktische Einsätze verwendbar zu machen.
Dieser Plan der Trump-Administration wird von Experten heftig kritisiert. Deren Einwand ist, dass die Umsetzung dieses Plans das Risiko eines Nuklearkrieges erhöhen würde, da ein Gegner der USA nicht unterscheiden kann, ob es sich im Fall eines Raketenstarts von einem U-Boot um eine strategische Waffe mit hoher Sprengkraft oder um eine taktische Waffe handelt. Auch wenn die Trump-Administration den von Obama eingeschlagenen Weg der Modernisierung weiterverfolgt, ist es letztlich fraglich, ob die Vereinigten Staaten in der Lage sein werden, diese ambitionierten Programme längerfristig und angesichts des Finanzierungsbedarfs der konventionellen Streitkräfte sowie der bestehenden Schuldenlast zu finanzieren.
Hinsichtlich der sicherheitspolitischen Rolle von Nuklearwaffen lässt die Nuclear Posture Review hingegen erwarten, dass die Trump-Administration von der Linie der Obama-Administration abweichen wird, deren Nuclear Posture Review Einschränkungen in den Einsatzszenarien für Nuklearwaffen enthielt. Dieses Dokument sah deren Einsatz lediglich unter extremen Umständen und zur Verteidigung vitaler Interessen vor und beinhaltete ebenfalls einen Verzicht auf den (angedrohten) Einsatz von Nuklearwaffen gegen Staaten, die Parteien des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages sind und ihren Verpflichtungen im Bereich der nuklearen Nichtverbreitung nachkommen.
Beide Einschränkungen eröffneten natürlich viel Spielraum für Deutungen, und die Nuclear Posture Review enthielt auch nicht die von vielen erhoffte Garantie, dass die USA auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen verzichten würde. Von einer solchen wurde letztlich abgesehen, um Staaten unter dem nuklearen Schutzschirm wie etwa Japan und Südkorea nicht zu verunsichern. Immerhin aber ließ die Nuclear Posture Review zumindest das Interesse der Obama-Administration erkennen, die Rolle von Nuklearwaffen als Instrument der Sicherheitspolitik längerfristig einzuschränken.
Die Amtszeit von Donald Trump wird von einer neuerlichen Aufwertung von Nuklearwaffen geprägt sein. Diese folgt zum einen aus den Drohgebärden Nordkoreas und der zunehmenden technologischen Reife seiner Nuklearwaffentechnologie sowie vor allem aus dem zunehmend belasteten Verhältnis zu Russland, dessen ambitionierte Modernisierung des Nuklearwaffenarsenals sowie der (keineswegs unumstrittenen) Wahrnehmung, dass Russland Nuklearwaffen eine zunehmend wichtige Rolle zuschreibt und diese auch als Waffen der Kriegsführung ansieht.
Zum anderen legen öffentliche Äußerungen des Präsidenten und von Personen, die an der Ausarbeitung der Nuclear Posture Review beteiligt sind, nahe, dass diese Nuklearwaffen als wirkmächtiges und vielseitiges Instrument nationaler Sicherheitspolitik sehen. Konkret geht die Entwicklung in Richtung einer Strategie der strategischen Überlegenheit und eines breiteren Einsatzspektrums für Nuklearwaffen, durch das die USA in verschiedenen Konfliktszenarien die Oberhand behalten sollen.
Die Nuclear Posture Review der Trump-Administration übernimmt zwar die Formulierungen des Vorgängerdokuments hinsichtlich der Einschränkung der Einsatzszenarien, dehnt aber die Bedingung „extremer Umstände“ erheblich aus, indem es auf strategische, nichtnukleare Angriffe auf die Bevölkerung und zivile Infrastruktur als mögliche Auslöser für einen nuklearen Vergeltungsschlag der USA verweist. Das Dokument betont ebenfalls die Notwendigkeit „flexibler Abschreckung“, die es den USA ermöglicht, dem Einsatz von Nuklearwaffen in verschiedenen Konfliktszenarien zu begegnen. Ein Verzicht auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen wird mit einem Verweis auf die gegenwärtige Bedrohungslage explizit abgelehnt.
Buzz Patterson, der unter Bill Clinton für den sogenannten Atomkoffer verantwortlich war, erklärt den Ablauf nach einem Befehl zu einem Nuklearangriff.
Der Prozess der nuklearen Rüstungskontrolle scheint auch unter Donald Trump weiterhin auf eine unsichere Zukunft zuzusteuern. Hatte sein Vorgänger noch versucht, der Stagnation dieses Prozesses, die bereits Mitte der 1990er Jahre eingesetzt hatte, durch NEW START entgegenzuwirken, scheint Präsident Trump der Rüstungskontrolle skeptisch gegenüberzustehen. So hat er NEW START als einseitig zugunsten Russlands bezeichnet und Präsident Putin dem Vernehmen nach bereits eine Absage bezüglich einer möglichen Verlängerung des Vertrags erteilt.
Zukünftige Bestrebungen in Richtung einer weiteren Reduktion von Nuklearwaffen sind zudem mit drei weiteren Hürden konfrontiert. Die erste liegt im Raketenabwehrprogramm der USA, das unter den Präsidenten George W. Bush und Obama sowohl in seiner nationalen als auch regionalen Dimension erheblich ausgedehnt wurde. Russland will sich erst auf eine weitere, substanziellere Reduktion der strategischen Nuklearwaffen einlassen, wenn sich die USA zu einer Beschränkung der Raketenabwehrsysteme bereit erklären. Eine solche Beschränkung ist jedoch angesichts des zu erwartenden Widerstands innerhalb der USA, vor allem seitens der Republikanischen Partei, und auch seitens amerikanischer Verbündeter, wenig realistisch.
Die zweite Hürde stellt Russlands großes Arsenal an taktischen Nuklearwaffen dar, das bereits während der Debatte des US-Senats über NEW START ein zentrales Thema war und wohl auch bei Verhandlungen über einen Nachfolgevertrag ins Spiel gebracht werden würde. Russland scheint jedoch seinerseits wenig geneigt, seine taktischen Nuklearwaffen durch einen Vertrag zu reduzieren, da es diese als Ausgleich zur konventionellen militärischen Überlegenheit der NATO sieht.
Eine dritte Hürde ist schließlich die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland über den Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, kurz INF-Vertrag, der alle bodengestützten Trägermittel mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometer verbietet. Die Vereinigten Staaten sehen Russland angesichts der Entwicklung und Stationierung eines bodengestützten Marschflugkörpers als vertragsbrüchig und haben als Reaktion die Entwicklung von Waffen in Aussicht gestellt, die auch den Bestimmungen des Vertrags entgegenlaufen würden. Russland bezichtigt die USA seinerseits der Vertragsverletzung durch die Stationierung von bodengestützten Raketenabwehr-Komponenten in Europa. Sollte der Vertrag kollabieren, würde dies den gesamten Prozess nuklearer Rüstungskontrolle nachhaltig schwächen.
Im Bereich der nuklearen Nichtverbreitung kündigt sich ebenfalls eine Veränderung zur Politik der Obama-Administration an. Diese war mit dem Anspruch aufgetreten, dass nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung als Kernprinzipien des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (auch Atomwaffensperrvertrag) untrennbar miteinander verbunden seien und die USA diesem Umstand Rechnung tragen müssten. Ein ausschließlicher Fokus der Vereinigten Staaten auf den Bereich der Nichtverbreitung, also Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung neuer Nuklearwaffenstaaten, bei gleichzeitiger Missachtung der in diesem Vertrag angelegten Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung würde längerfristig auch Bemühungen im Bereich der Nichtverbreitung gefährden.
Dieser Versuch der Verbindung und Ausbalancierung beider Prinzipien dürfte mit der Präsidentschaft von Donald Trump zu seinem Ende kommen. Der Fokus verschiebt sich wieder auf das Prinzip der Nichtverbreitung und geht mit einer stärkeren Betonung militärischer Macht einher. Diese Verschiebung ist in der Nuclear Posture Review erkennbar, die festhält, dass andere Staaten nicht dem Beispiel amerikanischer Reduktionen von Nuklearwaffen gefolgt seien, sondern vielmehr ihre Arsenale ausgebaut hätten. Die Passage zum Atomwaffensperrvertrag bezieht sich überwiegend auf Maßnahmen zur Vermeidung der Weiterverbreitung und kommt nur sehr kurz auf den Bereich der nuklearen Abrüstung zu sprechen.
In diesem Zusammenhang ist es auch interessant festzustellen, dass das Feindbild des rogue state (zu Deutsch Schurkenstaat) eine Renaissance in der amerikanischen Sicherheitspolitik erfährt, nachdem es in den Jahren von Obamas Präsidentschaft zu einem Randphänomen geworden war. Rogue states werden als autokratische, von irrationalen Führern gelenkte Staaten verstanden, die sich nach innen repressiv und nach außen aggressiv verhalten. Die Unterstützung des Terrorismus und die Aneignung von Nuklearwaffen werden als Instrumente dieser Staaten gesehen, mittels derer sie ihre aggressiv-expansive Politik umsetzen können.
Die Renaissance dieses Feindbilds ist jedoch aus zweierlei Gründen problematisch: Sein Fokus auf die Pathologien von Herrschern und ihre nichtdemokratische Natur verstellen den Blick auf externe und damit (leichter) beeinflussbare Faktoren, die auf das Verhalten dieser Staaten wirken; sein Fokus auf die Irrationalität und Aggressivität erschwert diplomatische Initiativen und verengt damit letztlich den Handlungskorridor in Richtung militärischer Interventionen.
Es ist eine zynische Wendung der Geschichte, dass amerikanische Politiker und Militärs viele Jahre vor dem Szenario eines „Irren mit der Bombe“ in fernen Ländern gewarnt haben und mit dem Wahlsieg Donald Trumps Stimmen lauter wurden, die in ihm einen ebensolchen im eigenen Land sehen. Von großer Relevanz ist jedoch nicht die anhaltende Diskussion über Donald Trumps Geisteszustand, sondern die mit ihr in Verbindung stehende Diskussion über die uneingeschränkte Befehlsgewalt des Präsidenten über das amerikanische Nuklearwaffenarsenal: Donald Trump (wie auch Wladimir Putin) könnte jederzeit und ohne Rückkoppelung an seine Berater oder den Kongress einen Einsatz von Nuklearwaffen anordnen, der das Ende der menschlichen Zivilisation in der uns bekannten Form bedeuten würde. Durch die Präsidentschaft Donald Trumps stellt sich einmal mehr die grundsätzliche Frage, ob Nuklearwaffen letztlich nicht zu zerstörerisch sind, um sie längerfristig der zwangsläufig fehleranfälligen Kontrolle durch Menschen zu unterwerfen.
Den genauen Ablauf im Falle eines derartigen Befehls haben wir in unserem Interview mit Buzz Patterson erläutert : Donald Trump hat jedenfalls keinen „roten Knopf“, den er jederzeit betätigen kann.
Update: Am 1. Februar 2019 hat US-Außenminister Mike Pompeo bekanntgegeben, dass die USA sich nicht mehr an den INF-Vertrag halten werden. Russland hat daraufhin angekündigt, dasselbe zu tun. Rechtsgrundlage ist Artikel XV des INF-Vertrags. Die USA haben Russland außerdem ein sechsmonatiges Ultimatum gestellt, nach dessen Auslaufen der Vertrag endgültig beendet wäre.