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Hat Trump die EU geeint?
17. Januar 2018 Trump Lesezeit 6 min
Donald Trumps Aussagen zur NATO-Beistandsklausel haben in Europa für viel Aufregung gesorgt. Seither wird immer wieder betont, wie notwendig es sei, militärisch enger zusammenzurücken. Aber es gibt ein Problem: Die Mitglieder der Europäischen Union haben noch immer unterschiedliche Interessen.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Trump und ist Teil 4 einer 12-teiligen Recherche.

Die EU spricht mit vielen Stimmen. „Wen rufe ich an, wenn ich Europa sprechen möchte?“, soll schon Henry Kissinger während seiner Zeit als US-Außenminister gefragt haben (er selbst meinte, dieser Ausspruch könnte vielmehr von „einem irischen Außenminister stammen“). Ein Zitat, das seit Jahrzehnten als Sinnbild für die unterschiedlichen Interessen der europäischen Staaten gilt.

Das Problem der fehlenden Einigkeit existiert bis heute. Zwar wird die EU in der Funktion des Hohen Vertreters in Angelegenheiten der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch eine Einzelperson vertreten. Das ändert aber nichts daran, dass die einzelnen Länder höchst unterschiedliche und schwer miteinander in Einklang zu bringende Ziele verfolgen. Also versuchen Länder wie die Türkei, Israel oder Russland, die gemeinsame EU-Außenpolitik auf bilateraler Ebene zu umgehen.

Oft wurde nach Donald Trumps Wahl darauf hingewiesen, dass man die Not der Abkehr der USA unter Trump in Europa zur Tugend in Form einer neuen Einigkeit machen könnte.  Langjährige Beobachter bleiben skeptisch. Donald Trump „hat ein Fenster geöffnet, durch das Europa erst durchsteigen muss“, meint etwa Paul Schmidt von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Gleichzeitig verfällt er nicht in Euphorie. Die rhetorischen Ansagen gebe es zwar, aber das solle man auch nicht überbewerten: „Die Frage, ob Europa seinen Ankündigungen gerecht wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Politik.“

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Wie Russlands europäische Nachbarn reagieren

Der Atlantic Council sprach im Juli 2016 davon, dass Russland über Nacht in Polen einmarschieren könnte: etwa dann, wenn die EU aufgrund einer Krise abgelenkt sein sollte oder Russland ein unvorhergesehenes Ereignis zu seinen Gunsten nützen möchte, um die NATO zu schwächen. Außerdem möchte Polen seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern, die ersten US-Gaslieferungen erfolgten Anfang Juni. Donald Trump hat seine Europareise im Sommer 2017 nicht zufällig in Polen begonnen.

Die baltischen Staaten haben seit Wiedererlangung ihrer Unabhängigkeit ihre Sorgen vor Russland nie ganz abgelegt. Schließlich waren sie von 1944 bis zur Wiedererlangung ihrer Unabhängigkeit widerrechtlich besetzt (völkerrechtlich bestanden sie damit in gewisser Weise weiter fort, obwohl sie faktisch Teil der Sowjetunion waren. Man bezeichnete sie während dieser Periode daher als „scheintot“). Außerdem gibt es in Estland, Lettland und Litauen jeweils eine beträchtliche russische Minderheit, und Russland hat den (gegebenenfalls gewaltsamen) Schutz von Russen im Ausland zur Staatsdoktrin erklärt – der Georgien-Krieg 2008 wurde auf diese Weise begründet.

Auch Schweden und Finnland sind ungeachtet ihres Status als neutrale Länder betroffen. In Schweden wird dieses Jahr die 2010 abgeschaffte Wehrpflicht wieder eingeführt. Hintergrund ist die „veränderte Bedrohungslage“ in der Region, vor allem die Verteidigung der Region Gotland gilt als bedeutsam.

Finnland hat wiederum die mit Abstand längste gemeinsame Landgrenze mit Russland unter allen EU-Staaten (1.309 km). Hinsichtlich der Russlandpolitik geht es einen möglichst versöhnlichen Weg: Zum einen befürworten Umfragen zufolge lediglich 21 Prozent einen NATO-Beitritt (den Russland zweifelsohne als Provokation ansehen würde). Zum anderen hat Finnland die EU-Sanktionen gegen Russland unterstützt und kooperiert über die Partnerschaft für Frieden eng mit der NATO.

Unterschiedliche Interessen: Russland …

Die EU ist kein Staat, der eine ganzheitliche geopolitische Strategie verfolgt. Dementsprechend gibt es auch kein einheitliches Lagebild mitsamt den dazugehörigen militärstrategischen Interessen. Für die einen steht Russland ganz oben, für die anderen die Flüchtlingskrise und (Militär-)Operationen in afrikanischen Ländern.

Vor allem Polen und die baltischen Staaten sorgen sich aufgrund ihrer Geschichte und geografischen Lage vor russischer Aggression. Aufgrund der Cyberangriffe auf Estland 2007 und noch mehr seit dem Vorgehen auf der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine herrscht hier Unruhe, die sich auch in Berichten und Nachrichtenmeldungen widerspiegelt.

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… oder Flüchtlinge

Umgekehrt spielt die Bewältigung der Flüchtlingskrise in diesen und einigen weiteren Ländern eine nur untergeordnete Rolle. In reicheren und am Mittelmeer gelegenen Ländern werden schließlich weitaus mehr Asylanträge gestellt als in den baltischen Staaten, Polen oder Finnland: Während beispielsweise Lettland im dritten Quartal 2017 gerade einmal 29 Anträge pro Million Einwohner verbucht, waren es in Deutschland 558, in Frankreich 331, in Italien 537 und in Österreich 696. Schweden hatte 702 Asylanträge.

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im Rahmen der seit Ende 2010 bestehenden Central European Defence Cooperation arbeiten Österreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn, die Slowakei und Slowenien auf militärischer Ebene zusammen. Das Foto wurde im September 2017 bei der gemeinsamen Militärübung in Allentsteig aufgenommen. Österreich legte den Schwerpunkt dabei auf den Grenzschutz.

Fokus Afrika

Dabei spielt Afrika eine geostrategisch bedeutsame Rolle für die EU (die USA haben hier ein ungleich geringeres Interesse). So werden Interventionen in afrikanischen Ländern mit der Notwendigkeit begründet, Fluchtursachen zu bekämpfen. Vor allem Frankreich, das eine Führungsrolle in Mali übernommen hat, fordert mehr Engagement – eine Ansicht, die nicht von allen EU-Mitgliedern geteilt wird. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Frankreich seine postkolonialen Interessen über die EU querfinanzieren möchte. Auch die vom seinerzeitigen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy vorangetriebene Intervention in Libyen 2011 wird heute aufgrund der langfristigen Auswirkungen höchst kritisch gesehen.

Dementsprechend wird es hinsichtlich europäischer (Militär-)Operationen in Afrika auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens oft keine Einigung geben. Daher rühren die französischen Bestrebungen, einen europäischen Verteidigungsrahmen außerhalb der EU (und auch der NATO) zu schaffen (die European Intervention Initiative).

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„Europa muss auf sich selbst aufpassen“

Sollten ernsthafte Absichten bestehen, den politischen Gelöbnissen Taten folgen zu lassen, hat die EU noch einen weiten Weg vor sich, wie der deutsche Politologe Carlo Masala betont: Zwar wird PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) die Beteiligung an Konflikten auf mittlerer Intensitätsstufe – etwa in Mali – erleichtern. Die Kapazitäten für komplexere und größere militärische Operationen sind allerdings nach wie vor beschränkt. Die britischen und französichen NATO-Luftangriffe gegen Gaddafi 2011 hätten beispielsweise ohne US-amerikanischen Raketennachschub nicht aufrechterhalten werden können.

Trump hatte durchaus einen Effekt auf die militärische Kooperation innerhalb der EU. An den unterschiedlichen und bisweilen gegensätzlichen Interessen hat sich jedoch nichts geändert. Es fehlt ein einheitliches Lagebild. Ingesamt hat „Trump Bewegung in die Europäische Debatte gebracht“ und ein „neues Bewusstsein geschaffen, dass Europa auf sich selbst aufpassen muss“ konstatiert Masala. Auch die Einrichtung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit wäre ohne Donald Trump nicht so schnell erfolgt. Dieser einigende Effekt ist jedoch bereits wieder am Schwinden, zumal die USA ihre Russlandpolitik bislang beibehalten haben. 

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