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Wie Österreich Militärgüter in Kriegsregionen liefert
9. September 2018 Waffen 10 min
Im Jahr 2016 gingen aus Österreich Waffen, Munition, Militärfahrzeuge und mehr im Wert von 37 Millionen Euro in acht kriegführende Länder. Offiziell und legal. Und dennoch war es ein Grenzgang. Wir zeichnen nach, wie das möglich war.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Waffen und ist Teil 6 einer 10-teiligen Recherche.

Wer wie Bernhard R. als Ingenieur für ein Unternehmen arbeitet, das zur Rüstungsindustrie gehört, muss sich im Lauf der Jahre einiges anhören. Das Treffen mit Herrn R. haben wir über einen Krypto-Messenger seiner Wahl organisiert. In seinem Gewerbe, findet er, soll selbst Banales „sicher“ sein. Oder zumindest den Anschein erwecken.

Heute reden wir bei gespritztem Apfelsaft und reichlich Zigaretten (er, nicht wir) Klartext mit ihm. Klartext über – wie er meint – „Tiefschläge“ des Abgeordneten Peter Pilz gegen R.s Branche, über NGOs wie Amnesty International, „die viel zu dick auftragen und generalisieren“. Und darüber, wie die Ergebnisse unserer Recherchen zu seiner Selbstwahrnehmung passen, denn: 2016 (neuere Daten liegen nicht vor) hat Österreich Militärgüter im Wert von 37 Millionen Euro in Staaten geliefert, die Krieg führen.

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Ein Pseudonym, das wir zu seinem Schutz wählten.

Was sind Militärgüter?

Die Basisdefinition liefert die Militärgüterliste der EU, die 22 unterschiedliche Klassen von der Handfeuerwaffe bis zum Nuklear-U-Boot unterscheidet. In Österreich gibt es eine Untergruppe von Militärgütern, für die verschärfte Ausfuhrbedingungen gelten: das sogenannte Kriegsmaterial. Was Kriegsmaterial ist, ist in der Kriegsmaterialverordnung festgeschrieben.

Als Laie fragt man sich, wie das möglich ist. Die geltenden Bestimmungen im Außenwirtschafts- und im Kriegsmaterialgesetz kann man bei kritischer Lesart nämlich auch so auslegen, dass Exporte in kriegführende Staaten wenigstens fragwürdig, vielleicht sogar unmöglich sein sollten. Österreichs Behörden legen die Bestimmungen zur Ausfuhr von Militärgütern offensichtlich großzügig aus. Aufzeichnungen der Bundesregierung zufolge wurden allein im Jahr 2016 entsprechende Waren im Wert von genau 37.658.593 Euro an Länder exportiert, die Krieg führen. Den herstellenden Firmen ist dabei rechtlich kein Vorwurf zu machen. Die Geschäfte erfolgten absolut legal. Weil die dafür verantwortlichen Ministerien die entsprechenden Genehmigungen erteilten.

Militärgüter an kriegführende Nationen

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Als Basis für die Definition, was Krieg ist und was nicht, zogen wir das Konfliktbarometer des anerkannten Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) heran. Die Ergebnisse des Jahres 2016 verglichen wir mit jenen Daten für Militärgüter-Exporte, die die Regierung in Wien im selben Jahr an die Europäische Union meldete. Sie werden in Österreich nicht veröffentlicht, liegen uns aber vor. Das Ergebnis:

Vom HIIK als Kriegsgebiete definiert wurden u.a. Mexiko, die Türkei, die Ukraine und der Jemen. An folgende, in ebendiese Konflikte verstrickte Nationen hat Österreich 2016 Militärgüter geliefert: Mexiko und die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Katar und Saudi-Arabien (allesamt Parteien im Jemen-Krieg). Und: Die Ukraine und Russland; wobei Russland trotz zahlreicher Indizien dafür, dass das Gegenteil stimmt, offiziell nicht an den Kampfhandlungen in der Ostukraine beteiligt ist. Wer sich was in welchem Ausmaß liefern ließ, entnehmen Sie der interaktiven Karte.

Besonders gefragt waren in den genannten Empfängerländern 2016 militärische Landfahrzeuge und Handfeuerwaffen. Aber auch Munition, Maschinen zur Herstellung von Militärgütern aller Art und: Feuerleitsysteme für schwere Waffen. Die uns vorliegenden Daten unterscheiden allerdings nur sehr selten, ob ein Produkt (etwa eine Handfeuerwaffe) Kriegsmaterial oder „nur“ Militärgut ist.

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Das HIIK spricht von einem Krieg zwischen Staat und Drogenkartellen.

Die militärische Auseinandersetzung mit der PKK definiert das HIIK als Krieg.

Innen- und Wirtschaftsministerium entscheiden

Diese Unterscheidung ist jedoch wichtig, da der Export von Kriegsmaterial nach dem strengeren Kriegsmaterialgesetz genehmigt oder untersagt wird. Zuständige Behörde ist das Innenministerium.

Über die Ausfuhr von Militärgütern entscheidet hingegen das Wirtschaftsministerium nach dem etwas weiter gefassten Außenwirtschaftsgesetz.

Wenn also Glock-Pistolen von den Standorten Deutsch-Wagram (Niederösterreich) und Ferlach (Kärnten) in die Wüste der arabischen Halbinsel reisen sollen, dann muss das Unternehmen seinen Antrag dafür im Wirtschaftsministerium einbringen. Für Steyr-Mannlicher-Sturmgewehre aus Kleinraming (Niederösterreich) hingegen ist das Innenministerium zuständig: Solche Waffen gelten als Kriegsmaterial.

Und Kriegsmaterial „soll“ (von „darf“ ist im Gesetzestext keine Rede) laut Kriegsmaterialgesetz nicht in Regionen geliefert werden, in denen ein „bewaffneter Konflikt“ herrscht, oder in denen die Gefahr besteht, dass dieses Kriegsmaterial zur „Unterdrückung von Menschenrechten verwendet wird“.

Auch im Außenwirtschaftsgesetz gibt es Einschränkungen für die Exportgenehmigung von Militärgütern. Etwa bei einem „eindeutigen Risiko“, dass diese zum Zweck „interner Repression“ oder „Aggression gegen ein anderes Land“  benutzt werden könnten.

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Hier die für die Bewilligung der Ausfuhr von Kriegsmaterial entscheidenden Passagen aus §3 Kriegsmaterialgesetz.

 

§ 3. (1) Die Bewilligung nach § 1 wird vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten nach Anhörung des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport, soweit keine anderen gesetzlichen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen entgegenstehen, unter Anwendung von Artikel 130 Abs. 3 B-VG erteilt. Hiebei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß

1.

die Ein-, Aus- oder Durchfuhr völkerrechtlichen Verpflichtungen oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich nicht zuwiderläuft;

2.

die Aus- oder Durchfuhr nicht in ein Gebiet erfolgen soll, in dem ein bewaffneter Konflikt herrscht, ein solcher auszubrechen droht oder sonstige gefährliche Spannungen bestehen;

3.

die Aus- oder Durchfuhr nicht in ein Bestimmungsland erfolgen soll, in dem auf Grund schwerer und wiederholter Menschenrechtsverletzungen die Gefahr besteht, daß das gelieferte Kriegsmaterial zur Unterdrückung von Menschenrechten verwendet wird;

4.

Embargobeschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen entsprechend berücksichtigt werden;

5.

der Ein-, Aus- oder Durchfuhr sicherheitspolizeiliche oder militärische Bedenken nicht entgegenstehen;

6.

keine sonstigen vergleichbaren gewichtigen Bedenken bestehen.

(1a) Abs. 1 steht einer Bewilligung nicht entgegen, wenn die Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Kriegsmaterial eine Maßnahme darstellt, um

1.

einen Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen oder

2.

einen Beschluss auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in Verbindung mit Teil V des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder

3.

einen Beschluss im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder

4.

sonstige Friedensoperationen entsprechend den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen, wie etwa Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe oder zur Unterbindung schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen, im Rahmen einer internationalen Organisation,

durchzuführen, soweit dem keine völkerrechtlichen Verpflichtungen oder überwiegende außenpolitische Interessen der Republik Österreich entgegenstehen.

(1b) Der Bundesminister für Inneres kann über das Vorliegen einer Voraussetzung nach Abs. 1a eine Feststellung der Bundesregierung einholen.

(2) Die Erteilung der Bewilligung kann aus den in Abs. 1 genannten Gründen insbesondere von der Vorlage einer sogenannten „Endverbrauchsbescheinigung“ oder einer Importbewilligung des Bestimmungslandes abhängig gemacht werden.

(2a) Bei einem Antrag auf Ausfuhr von zuvor aus einem anderen EU-Mitgliedstaat nach Österreich eingeführtem Kriegsmaterial in einen Drittstaat hat der Antragsteller zu erklären, ob und gegebenenfalls welche Ausfuhrbeschränkungen welcher EU-Mitgliedstaaten für das antragsgegenständliche Kriegsmaterial aufgrund vorangehender Verbringungen dieses Kriegsmaterials innerhalb der EU ihm zur Kenntnis gelangt sind. Eine allenfalls erteilte Zustimmung des jeweiligen EU-Mitgliedstaates zur beantragten Ausfuhr des Kriegsmaterials in diesen Drittstaat ist vorzulegen; liegt eine solche nicht vor, ist der Versuch, sie einzuholen, etwa durch Vorlage einer Bestätigung der Übermittlung des Zustimmungsersuchens an diesen EU-Mitgliedstaat oder einer abschlägigen Antwort dieses EU-Mitgliedstaates, nachzuweisen. Ausfuhrbeschränkungen anderer EU-Mitgliedstaaten sind im Rahmen der Entscheidung über den Antrag angemessen zu berücksichtigen. Erforderlichenfalls kann der Bundesminister für Inneres im Wege des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten die betroffenen EU-Mitgliedstaaten konsultieren.

(3) Die Bewilligung ist angemessen zu befristen; sie ist einzuschränken oder zu widerrufen, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorliegen oder Bekanntsein die Bewilligung nicht erteilt worden wäre. Abs. 1a ist sinngemäß anzuwenden. Die Bewilligung kann aus den im Abs. 1 angeführten Gründen auch nachträglich mit Auflagen oder Bedingungen versehen werden.

(4) In der Bewilligung können aus den im Abs. 1 angeführten Gründen Auflagen erteilt und Bedingungen festgelegt werden. Hiebei kann insbesondere die Verpflichtung vorgesehen werden, dem Bundesminister für Inneres binnen angemessener Frist die tatsächliche Inanspruchnahme der Bewilligung zu melden oder eine Bestätigung des Einlangens des Kriegsmaterials beim Empfänger (Wareneingangsbestätigung) vorzulegen. In den Fällen des § 1 Abs. 2 Z 2 kann, wenn dies aufgrund bestimmter Tatsachen im Hinblick auf die Kriterien des Abs. 1 erforderlich ist, eine Ausfuhrbeschränkung für die nachfolgende Ausfuhr des Kriegsmaterials von einem EU-Mitgliedstaat in Drittstaaten vorgesehen werden, wie insbesondere jene, dass eine solche Ausfuhr der Zustimmung Österreichs gemäß Abs. 8 bedarf.

(5) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann Inhabern einer Gewerbeberechtigung für das Waffengewerbe gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, die glaubhaft machen, dass sie regelmäßig bestimmtes oder bestimmte Arten von Kriegsmaterial an bestimmte Empfänger oder Empfängergruppen innerhalb der EU verbringen (§ 1 Abs. 2 Z 2), auf Antrag eine Bewilligung für diese Vorgänge für einen Zeitraum von drei Jahren erteilt werden (Globalbewilligung). Das oder die Arten von Kriegsmaterial sowie die Empfänger oder Empfängergruppen, für die die Globalbewilligung gilt, sind im Bescheid anzugeben. Für Kriegsmaterial gemäß § 5 Abs. 2a Z 2 darf eine Globalbewilligung nicht erteilt werden. Auf Antrag kann die Bewilligung jeweils für weitere drei Jahre verlängert werden, wenn die Voraussetzungen für ihre Erteilung weiterhin vorliegen.

(6) Die Bewilligung darf für Kriegsmaterial, dessen Entwicklung oder Herstellung oder Einsatz nach österreichischer Rechtsordnung unzulässig ist, nicht erteilt werden.

(7) Soweit dies sicherheitspolizeiliche Interessen erfordern, kann der Bundesminister für Inneres im Bescheid eine besondere Überwachung des Transportes im Bundesgebiet durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes anordnen; § 27a des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, bleibt unberührt.

(8) Auf Antrag kann der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten nach Anhörung des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport für einen konkreten Einzelfall von einer Ausfuhrbeschränkung im Sinne des Abs. 4 absehen und seine Zustimmung zur Ausfuhr des Kriegsmaterials in einen bestimmten Drittstaat erteilen, wenn nach der gegebenen Sach- und Rechtslage auch eine Ausfuhr aus Österreich in diesen Drittstaat bewilligt würde.

(9) Der Bundesminister für Inneres hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport auf Ersuchen Gewerbetreibender gemäß § 3 Abs. 5, die ihr Interesse am Abschluss eines bestimmten Rechtsgeschäftes über eine Ausfuhr von Kriegsmaterial in einen Drittstaat glaubhaft machen, Auskunft zu erteilen, ob derzeit nach den Kriterien des § 3 die Ausfuhr des nach Art und Menge bestimmten Kriegsmaterials an einen bestimmten Empfänger zu einer bestimmten Endverwendung bewilligt werden könnte. Die Auskunft bedarf keiner Begründung und ist nicht verbindlich. Kann eine Auskunft nicht erteilt werden, ist dies dem Auskunftswerber mitzuteilen und auf dessen Antrag bescheidmäßig festzustellen.

Hier die für den Export von Militärgütern (in Österreich nennt man sie Verteidigungsgüter) entscheidenden Passagen aus dem Außenwirtschaftsgesetz.

 

 Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts

§ 6. (1) Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn kein eindeutiges Risiko besteht, dass die Güter zu interner Repression, zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen oder zu schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts verwendet werden könnten.

(2) Bei Beurteilung der in Abs. 1 genannten Voraussetzung sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Haltung des Bestimmungslandes und des konkreten Endverwenders zu den einschlägigen Grundsätzen der internationalen Menschenrechtsinstrumente,

2. die Einhaltung der Übereinkünfte und sonstigen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts durch das Bestimmungsland und den konkreten Endverwender,

3. die besondere Gefahr von Verletzungen im Sinne von Abs. 1 im Fall festgestellter schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen im Bestimmungsland,

4. die Art der Güter, für die die Genehmigung beantragt wird,

5. der Umstand, ob die Güter für Zwecke der inneren Sicherheit bestimmt sind,

6. die besondere Gefahr von Verletzungen im Sinne von Abs. 3, wenn die Güter vom angegebenen Endverwender in dieser oder ähnlicher Form schon zur internen Repression benutzt worden sind.

(3) Interne Repression umfasst unter anderem:

1. Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe,

2. willkürliche oder Schnell-Hinrichtungen,

3. das Verschwinden lassen von Personen,

4. willkürliche Verhaftungen,

5. andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie in den einschlägigen Menschenrechtsinstrumenten, einschließlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, niedergelegt sind.

Auswirkungen auf die innere Lage im Bestimmungsland

§ 7. (1) Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn kein begründeter Verdacht besteht, dass die Güter im Bestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen oder verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden.

(2) Bei Beurteilung der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 ist insbesondere die innere Lage im Bestimmungsland im Hinblick auf bestehende oder drohende Spannungen oder Konflikte eingehend zu prüfen.

Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und regionaler Stabilität

§ 8. (1) Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn kein eindeutiges Risiko besteht, dass der angegebene Empfänger die Güter zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land oder zur gewaltsamen Durchsetzung eines Gebietsanspruchs benutzen oder auf andere Weise die Sicherheitsinteressen eines anderen Landes oder die Stabilität in der Region gefährden könnte.

(2) Bei der Beurteilung der in Abs. 1 genannten Voraussetzungen sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Bestimmungsland und einem anderen Land,

2. Ansprüche auf das Hoheitsgebiet eines Nachbarlandes, deren gewaltsame Durchsetzung das Bestimmungsland in der Vergangenheit versucht oder angedroht hat,

3. die Wahrscheinlichkeit, dass die Güter zu anderen Zwecken als für die legitime nationale Sicherheit und Verteidigung des Bestimmungslandes verwendet werden,

4. die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen im Hinblick auf die Nichtanwendung von Gewalt durch das Bestimmungsland,

5. die Gefahr, dass die regionale Stabilität wesentlich beeinträchtigt werden könnte.

Wir gingen für uns davon aus, dass das unmöglich ist.
Bernhard R., Ingenieur in der Rüstungsbranche

Bernhard R., der Ingenieur aus der Rüstungswirtschaft, ist überrascht. „Ich kann mir nicht erklären, wie diese Exporte auf Basis der Gesetze möglich waren.“ Sein Unternehmen habe wegen des Kriegs im Jemen nicht einmal angefragt, ob es in Länder wie Saudi-Arabien oder die Emirate liefern dürfe. „Weil wir davon ausgingen, dass das nicht geht.“ Die Zurückhaltung war allem Anschein nach unbegründet. Warum geht es also doch?

Wir sprachen zunächst mit dem Innenministerium und übermittelten der Behörde unsere Rechercheergebnisse. Nach Prüfung unseres Materials kam die Antwort aus der für Exportanträge für Kriegsmaterial zuständigen Abteilung „Sicherheitsverwaltung“. Demnach habe das Haus im Jahr 2016 keine Ausfuhren von Kriegsmaterial an die genannten Länder genehmigt. Bis auf eine Maschinenpistole, die jedoch sei an eine dafür berechtigte Privatperson gegangen. Das dokumentierte Feuerleitsystem – eigentlich Kriegsmaterial –, das an die Türkei ging, habe aus Komponenten bestanden, die eben nicht von der Kriegsmaterialverordnung abgedeckt würden.

Den Volltext der schriftlichen Antwort des Innenressorts können Sie hier nachlesen.

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Kriegsmaterial ist eine in der österreichischen Gesetzgebung definierte Untergruppe von Militärgütern. Was Kriegsmaterial ist, ist in der Kriegsmaterialverordnung festgehalten. Vollautomatische und schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie fallen jedenfalls darunter.

Aufgrund der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit und aus Gründen des Datenschutzes können keine Auskünfte zu konkreten Genehmigungsverfahren erteilt werden. Die vertrauliche Behandlung personenbezogener Daten (involvierte Unternehmen, Kunden, Empfänger) ist zudem im KMG (Kriegsmaterialgesetz; Anmerkung der Redaktion) ausdrücklich gesetzlich angeordnet (vgl § 3a KMG).

Grundsätzlich geht jeder Ausfuhrgenehmigung von Kriegsmaterial ein aufwendiges Ermittlungsverfahren voran. Dabei sind vom Antragsteller alle erforderlichen Unterlagen und Beweise (wie zB. Endverbrauchsbescheinigung, Importgenehmigung, Gewerbeberechtigung,…) vorzulegen, um den Verbleib des zu exportierenden Kriegsmaterials nachvollziehen zu können. In das Verfahren sind zusätzlich eingebunden das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres sowie das Bundesministerium für Landesverteidigung – nur auf Basis von positiven Beurteilungen beider Ressorts wird von Seiten des BMI (Bundesministerium für Inneres; Anm. d. Red.) eine Ausfuhrgenehmigung für Kriegsmaterial erteilt.

Sind alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt und das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres hergestellt, wird ein befristeter (und regelmäßig mit Auflagen versehener) Bewilligungsbescheid erlassen. Dieser wird widerrufen, wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorliegen oder Bekanntsein die Bewilligung nicht erteilt worden wäre.

Zu Ihrer konkreten Anfrage hinsichtlich Lieferungen von Kriegsmaterial an bzw. in konfliktführende Länder im Jahr 2016 kann für den Vollzugsbereich des Bundesministeriums für Inneres mitgeteilt werden, dass für die von Ihnen genannten Länder von Seiten des BMI keine Ausfuhrbewilligungen nach dem Kriegsmaterialgesetz erteilt wurden. Einzige Ausnahme: Im Jahr 2016 wurde in einem Fall die Ausfuhr von 1 Stück Maschinenpistole an einen berechtigten Privatverwender genehmigt und nach dem vorliegenden Aktenstand auch ausgeliefert.

Das fällt unter Datenschutz.
Der Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf die Frage, wie 2016 die Lage in Kriegsgebieten beurteilt wurde

Der Standpunkt des Innenministeriums lässt den Schluss zu, dass alle betroffenen Exporte vom Wirtschaftsministerium genehmigt wurden. Also legten wir auch dort unsere Erkenntnisse mit dem Ersuchen um Aufklärung vor. Die Antwort kam rasch. Sie fiel vorsichtig und ausweichend aus. Denn auch wenn das Wirtschaftsressort formell die nötigen Bescheide erlasse: „Bei Lieferungen in Krisenregionen wird de facto in einem anderen Ministerium entschieden“, teilte uns Wolfgang Schneider, Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, mit. Und zwar im Außenministerium, das seinem Haus die nötigen Lagebeurteilungen für das jeweilige Bestimmungsland liefere.

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Wir wollten wissen, wie diese Beurteilungen 2016 für Saudi-Arabien, die Emirate, Kuwait, Russland, die Ukraine, Mexiko und die Türkei ausfielen. Immerhin müssten diese Informationen im Wirtschaftsressort ja aufliegen. „Das fällt unter Datenschutz. Das muss das Außenministerium beantworten.“ Zwei schriftliche und zwei telefonische Anfragen ebendort blieben jedoch bis heute ohne Reaktion.

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Jagd- und Sportwaffen als Erklärung?

Dass – neben dem Hauptprodukt militärische Landfahrzeuge – Handfeuerwaffen im Wert von 9,6 Millionen Euro in Kriegsregionen gingen, erklärt das Wirtschaftsressort so: „In die von Ihnen genannten Lieferungen fallen auch Jagd- und Sportwaffen für den Privatmarkt. Dieser Anteil könne durchaus hoch sein.“ Wie hoch, wollten wir wissen. Die Antwort: „Darüber führen wir keine Statistiken.“

Auch wenn die Ausfuhrstatistik keinen Aufschluss darüber gibt: Wenn laut Innenministerium 2016 kein Kriegsmaterial wie zum Beispiel Sturmgewehre in die genannten Länder ausgeführt wurde, dann dürfte der Großteil der in Kriegsregionen ausgeführten Handfeuerwaffen Behördenpistolen der Firma Glock sein. Unsere schriftliche Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen wurde nicht beantwortet.

Wobei die entscheidende Frage, nämlich wie es möglich ist, dass Militärgüter in die genannten Kriegsregionen gehen, nicht von Glock, sondern von den Behörden zu beantworten wäre. Die Unternehmen halten sich nur an die erlassenen Bescheide.

Weil die Antworten ausblieben oder unbefriedigend waren, machten wir uns selbst auf die Suche. Mit dem Ergebnis:

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Weltweit gefragt

Die Entscheidung des Wirtschaftsministeriums ist zumindest kritikwürdig. Beispiel: Saudi-Arabien. Das Außenwirtschaftsgesetz bewertet Exportländer kritisch, in denen es zu „interner Repression“, „schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen“, zum „Verschwinden von Personen“, „willkürlichen Verhaftungen“ und Ähnlichem kommt. Zustände, die laut den anerkannten Berichten von Amnesty International für Saudi-Arabien, Russland oder die Türkei durchaus in mehreren Punkten zutreffen.

Polizei ja, Militär nein. Oder umgekehrt

Die Entscheidung darüber, wohin man Militärgüter liefern kann, scheint also vor allem eines zu sein: Ermessenssache. Dieser Eindruck deckt sich jedenfalls teilweise mit der Analyse von Otfried Nassauer. Nassauer ist ausdrücklich rüstungskritischer Direktor des Thinktanks BITS (Berlin Information-Center for Transatlantic Security). Er sagt, „dass insbesondere die Frage nach der menschenrechtlichen Zulässigkeit in der juristischen Sprache praktisch aller europäischen Länder sehr dehnbar ist, viel zulässt“.

Tatsächlich muss laut österreichischem Recht ein „eindeutiges Risiko“ bestehen, dass genau die exportierten Güter zur Unterdrückung der Menschenrechte eingesetzt werden. Ein Ausschlusskriterium, das tausende Kilometer entfernt kaum auf Punkt und Beistrich durchzuargumentieren ist. Und deshalb große Spielräume zulässt. Weiters gibt es Fälle, in denen Lieferungen an das Militär eines Landes verboten sind, die gleichen Produkte an Sicherheitskräfte jedoch verkauft werden können. Oder umgekehrt.

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Heiko Borchert

Jahrgang 1970. Borchert ist Inhaber und Geschäftsführer der auf strategische Sicherheitsfragen spezialisierten Borchert Consulting & Research AG im schweizerischen Luzern. Er berät mehrere Unternehmen und Armeen in Zentraleuropa, unter anderem auch das österreichische Bundesheer.

Experte mahnt zu Realismus

Andererseits: Staaten haben auch Interessen. Strategische zum Beispiel. Oder wirtschaftliche. Oder politisch-diplomatische. Was manchmal schwer erklärbar, unlauter oder sogar schmutzig erscheint, kann einem Staat in strategischer Hinsicht nützlich sein.

Der Schweizer Heiko Borchert, der in Mitteleuropa mehrere Armeen – unter anderem auch das österreichische Bundesheer – in Rüstungs- und Technologiefragen berät, stößt bei seiner Arbeit fast täglich auf dieses Spannungsfeld. Das Dilemma aufzulösen, werde, glaubt er, wohl nie gelingen. Im Interview plädierte er für eine schonungslos offene und realitätsnahe Diskussion darüber, welche Güter man aus welchen Interessen wohin liefern dürfe. Oder eben nicht. Denn: „Nur die Verweigerung des Exports an und für sich ist kein politisch gestaltendes Instrument.“ (Mehr dazu im folgenden Video-Interview.)

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90 Prozent

Anteil jener Mittel für Rüstungsbeschaffungen, die das Bundesheer bei ausländischen Firmen ausgibt.

Man könnte auch argumentieren, dass der Staat Österreich gegenüber der heimischen Verteidigungswirtschaft in einer besonderen Verantwortung steht. Die Mittel, die dem Bundesheer für Beschaffungen zur Verfügung stehen, wurden im Lauf der vergangenen Jahre immer kleiner. Gleichzeitig kauft das österreichische Militär den Großteil seiner Güter im Ausland (siehe folgende Originalgrafik aus einem EU-Dokument).

Das bedeutet aber auch, dass für die österreichische Industrie Exporte lebensnotwendig sind. Die Branche setzt den Exportanteil ihres Geschäfts bei 90 Prozent an. Weil gleichzeitig auch der Staat ein strategisches Interesse am Erhalt dieses Wirtschaftszweigs im Sinne des Durchhaltevermögens in Krisenzeiten hat, kann man unterstellen, dass der gesetzlich vorhandene Ermessensspielraum für Exportgenehmigungen aus genau diesen Gründen auch ausgeschöpft wird.

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Auslandsanteil der Rüstungsausgaben europäischer Armeen

Bernhard R., unser Gesprächspartner aus der Rüsrtungsindustrie, der mit uns im Rahmen eines vertraulichen Treffens über die öffentliche Darstellung seiner Branche spricht, sieht sich dadurch bestätigt. „Nein“, sagt er und inhaliert tief den ersten Zug einer neuen Zigarette. „Wir verstoßen nicht öfter als andere Branchen gegen Gesetze. Wir produzieren nur eben Güter, von denen man öfter als bei anderen vermutet, dass sie nur illegal exportiert werden könnten.“

Die – für viele wohl unerhörte – Frage, die es zu stellen gilt, lautet also: Ist die Rüstungsindustrie sauberer als ihr Ruf? Offenbar ja.

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Wir versuchten, die Sache zu objektivieren. Militärgüter und Kriegsmaterial ohne Genehmigung ein-, aus- oder durch Österreich zu führen, ist eine Straftat. Also begannen wir, Daten über staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, vor allem aber gerichtliche Verurteilungen zu den Tatbeständen nach Kriegsmaterial- und Außenwirtschaftsgesetz (bis 2012 hieß es Außenhandelsgesetz) zu erheben. Das Ergebnis: Seit 2008 sind 223 Ermittlungsverfahren nach dem Kriegsmaterialgesetz dokumentiert. 25 Personen wurden schuldig gesprochen.

Wie „schmutzig“ ist die Branche?

Über die Beteiligung von österreichischen Unternehmen sagen diese Zahlen jedoch noch nichts aus. Deshalb recherchierten wir bei allen betroffenen Landesgerichten, um die Sachverhalte zu den Schuldsprüchen zu erheben. Und stießen dabei meistens erneut auf eine Mauer, die hierzulande viele andere Behörden umgibt: „Datenschutz“, hieß es zum Beispiel in Korneuburg. Jedenfalls: Zentral und elektronisch abrufbar sind Informationen dazu nicht.

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aus österreichischen Rüstungsunternehmen wurden nach unseren Erkenntnissen während der vergangenen 10 Jahre wegen illegaler Ausfuhren nach dem Kriegsmaterialgesetz verurteilt. Insgesamt waren es 25. Darunter Sammler, Kriminelle und Hochzeitsgäste (siehe Text).

Schließlich durchsuchten wir mehrere Mediendatenbanken. Die Hoffnung: Weil illegale Waffenexporte automatisch das Interesse von Journalisten auf sich ziehen, ist die Chance groß, dass Fälle mit Industriebeteiligung in der Presse auftauchen würden.

Tatsächlich fanden wir vieles, aber keine verurteilten Industrievertreter. Unter den Schuldigen waren Jäger, die ohne Lizenz Waffen an ausländische Waidmänner verkauften, ein international gesuchter Waffenhändler, für den Österreich nur Zwischenstation war, ein Unteroffizier des Bundesheers, der illegal Lagerbestände verkaufte, und ein Ehepaar, das dem Sohn zur Hochzeit in der Türkei eine Maschinenpistole mitbringen wollte, mit der Waffe im Gepäck aber auf dem Flughafen Wien-Schwechat von den Behörden gestoppt wurde. Bei der Urteilsverkündung wurde der Richter mit den Worten zitiert: „Auf eine Hochzeit, bei der die Gäste mit der Maschinenpistole anreisen, will ich nicht eingeladen werden.“

Alle anderen waren „einfache“ Kriminelle, die – zum Beispiel – mit automatischen Waffen oder Handgranaten erwischt wurden. Oder Sammler. Aber natürlich: Über das Dunkelfeld sagt die Recherche nichts aus.

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Weil ihre Produkte zum Töten gemacht sind
Friedensforscher Pieter Wezeman auf die Frage, warum die Rüstungsbranche einen schlechten Ruf hat

Woher kommt er also, der schlechte Ruf von Unternehmen aus der Branche? „Weil ihre Produkte zum Töten gemacht sind“, sagt Pieter Wezeman, Wissenschaftler beim Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm.
Weil für viele vermeintliche Fehler der Industrie eigentlich die Politik verantwortlich ist, glaubt hingegen Heiko Borchert, verteidigungspolitischer Berater aus Luzern in der Schweiz. Oder durch mediale Fehlinterpretation, wie Reinhard Marak, Leiter der Sparte Verteidigungswirtschaft in der Wirtschaftskammer auf der Rüstungsmesse in Paris sagte. Ihre Meinungen dazu finden Sie in der folgenden Clip-Sammlung.

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Lauter Standpunkte, mit denen Bernhard R., unser Gesprächspartner und Ingenieur aus der Branche, im Stammtisch-Gespräch gut leben kann. Er sagt:

„Wir alle wissen, dass wir kein Spielzeug herstellen. Ich persönlich schlafe deshalb nicht schlecht. Die meisten von uns glauben daran, dass unsere Produkte immer aus berechtigten Interessen nachgefragt werden. Es kommt halt stets darauf an, von welcher Seite man das betrachtet.“ 

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