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Der österreichische Rüstungskomplex
7. September 2018 Waffen Lesezeit 11 min
Nach dem „Noricum“-Skandal musste sich die österreichische Rüstungsindustrie strukturell komplett neu aufstellen. Heute mischen 133 Firmen auf dem Weltmarkt für Waffen und Militärgüter mit. Wer sind diese Unternehmen und was stellen sie eigentlich her?
Dieser Artikel gehört zum Projekt Waffen und ist Teil 4 einer 10-teiligen Recherche.
Bild: Lilly Panholzer | Addendum

In der Panzersammlung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien stehen tonnenschwere Zeugen längst vergangener Zeiten. Die Kolosse aus Stahl heißen „Saurer“ und „Kürassier“ und lassen Militärs wie Ingenieure von der guten, alten – weil nachfrage- und entwicklungsstarken – Zeit der österreichischen Rüstungs- und Schwerindustrie träumen.

Einer Industrie, die sich seit dem Skandal rund um die in Österreich produzierten und illegal in den mittleren Osten verkauften „Noricum“-Wunderkanonen stark verändert hat. Und die zuletzt vor fast drei Jahren in den Winkeln des Internets noch einmal an diese Zeit erinnert wurde. An eine Zeit, in der man noch wer war.

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Damals, im Herbst 2015, veröffentlichten die „Volksmobilisierungseinheiten“ im Irak ein Propagandavideo. Der Kurzfilm (siehe vorangestelltes Video) soll einst illegal an Saddam Hussein gelieferte „Noricum“-Kanonen (Fachbezeichnung: GHN-45) zeigen, die von Mitgliedern dieses schiitischen Milizverbandes wieder instand gesetzt wurden, und die seither die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates (IS) mit Artilleriegranaten beschießen.

Das Auffliegen der illegalen Lieferung der Geschütze Anfang der 1980er Jahre an die beiden Kriegsparteien Iran und Irak kann man auch als Anfang vom Ende der klassischen österreichischen Rüstungsindustrie sehen. Bis Anfang der 2000er Jahre ging es steil bergab. Doch dann – so scheint es – kam die Wende. Die wenigen verbliebenen Branchen-Saurier schienen sich zu erholen. Und neue, bis heute der Öffentlichkeit völlig unbekannte Player drängten auf den Markt. Anscheinend mit Erfolg.

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638
Millionen
Euro

Insgesamt wurden 2016 aus Österreich Militärgüter im Wert von 638.513.028 Euro exportiert.

Exporte stark gewachsen

Im Lauf unserer Recherchen gelangten wir an Detaildaten zu Exporten und exportierenden Unternehmen. Das Ergebnis: Seit 2002 (damals beklagte das Magazin Profil den Niedergang der österreichischen Verteidigungswirtschaft) stieg der Wert der jährlichen Güterexporte der Branche von 48 auf zuletzt (2016) beeindruckende 648 Millionen Euro. Beeindruckend deshalb, weil Österreich damit – relativ zur Größe und auf dem Papier – in einer Liga mit Deutschland spielt. Unser Nachbarland, der „Exportweltmeister“, verkaufte laut Kriegswaffenkontrollbericht im selben Jahr nämlich auch „nur“ Militärgüter im Wert von 6,8 Milliarden Euro.

Die Branche selbst schätzt ihren Exportanteil auf 80 bis 90 Prozent. Und das trotz eines der – angeblich – strengsten Exportregime der Welt.

Wie gingen die alten Firmen unter? Wer sind die neuen Vorzeigeunternehmen? Und: Tragen Waffen und Militärgüter aus Österreich heute gar dazu bei, in ihren Zielländern Frieden und Sicherheit zu schaffen?

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Bundesheer als Geburtshelfer

Wie überall auf der Welt kommt dem Militär des Herstellerlandes bei der Entwicklung von Militärgütern entscheidende Bedeutung zu. Das Bundesheer ließ sein Know-how unter anderem bei der Einführung von Panzern wie dem „Kürassier“ einfließen, trug jedoch auch maßgeblich zur Entwicklung der Glock-Pistole und des Steyr-Mannlicher-AUG bei.

Im Lauf der vergangenen Jahre ging die Beteiligung des Militärs bei Neuentwicklungen zurück. In kleinerem Rahmen soll diese Praxis (mit Unterstützung der EU) in naher Zukunft wieder aufgenommen werden.

Hightech statt Pulver und Stahl?

Wer Rüstungswirtschaft sagt, der denkt in den meisten Fällen wohl an Handfeuerwaffen wie das Sturmgewehr 77, den Schützenpanzer „Saurer“ und – natürlich – „Noricum“-Haubitzen. Ein Teil dieser klassischen Industrie produziert ihre Güter noch heute hier. Doch die übewältigende Mehrheit jener Unternehmen, die in Österreich Kriegsmaterial, Militär- oder Dual-Use-Güter herstellen, ist inzwischen in anderen Feldern tätig. Wo und in welchen, erfahren Sie in der vorangestellten Karte und in der folgenden Geschichte.

Die Liste umfasst inzwischen 133 Unternehmen.

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Was Kriegsmaterial ist, ist recht präzise in der Kriegsmaterialverordnung festgeschrieben. Beispielsweise sind Pistolen und Revolver kein Kriegsmaterial.

Dual-Use-Waren sind in einer Verordnung der Europäischen Union beschrieben.

Zur Definition von Verteidigungsgütern dient die Militärgüterliste der EU, die 22 unterschiedliche Klassen von der Handfeuerwaffe bis zum Nuklear-U-Boot unterscheidet. Verteidigungsgüter nach österreichischem Recht sind letztlich jene EU-Militärgüter, die kein Kriegsmaterial gemäß Kriegsmaterialverordnung (siehe oben) sind. Zum Beispiel Pistolen.

Bevor sich Österreichs Rüstungswirtschaft in vielen Bereichen auf Nischen spezialisierte, entwickelte und produzierte sie – nicht selten in Kooperation mit dem Bundesheer – überwiegend schweres Gerät.

Die Saurerwerke und Steyr-Daimler-Puch bauten Panzer wie den „Kürassier“, „Saurer“, „Greif“ und „Pandur“. Einige gingen in den Export. In Fachkreisen einen bis heute legendären Ruf haben die ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Transportfahrzeuge „Haflinger“ und „Pinzgauer“. Auch bei bis heute auf dem Markt erfolgreichen Handfeuerwaffen, der Glock-Pistole und dem Steyr AUG (Armee Universal Gewehr bzw. StG77), spielte das Bundesheer mit seiner Nachfrage den Geburtshelfer.

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„Noricum“-Kanonen an Kriegsgegner

Die VOEST fertigte für den legendären aus Kanada stammenden Kanonen-Ingenieur Gerald Bull Haubitzen und entwickelte diese weiter. Das Endprodukt wurde schließlich von der VOEST-Tochter Noricum produziert. Die Nachfrage nach dem hochwertigen Artilleriegeschütz, das das Bundesheer selbst wegen seiner hohen Reichweite gar nicht besitzen durfte, war derart groß, dass man die Waffen sogar illegal an die Kriegsparteien Iran und Irak lieferte.

Nach Skandalen wie diesem bestellte jedoch auch das Bundesheer immer weniger. Seit den 1970er Jahren ging der Anteil des Verteidigungsbudgets am BIP deutlich zurück (siehe Grafik).

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„Noricum“-Skandal in den Medien: Der Anfang vom Ende der alten Industrie

Wie Steyr-Panzer amerikanisch wurden

Österreich baute einst seine eigenen Panzer. Der Schützenpanzer „Saurer“ und der Jagdpanzer „Kürassier“ zum Beispiel hatten auch international einen guten Ruf. Hersteller war die Steyr-Daimler-Puch AG. Sie produzierte auch militärische Lkw sowie die legendären Transporter „Haflinger“ und „Pinzgauer“.

Nach der Filetierung des Unternehmens ging die Rüstungssparte als Steyr-Daimler-Puch Spezialfahrzeug GmbH zunächst an eine Investorengruppe und 2003 schließlich an den US-amerikanischen Rüstungsriesen General Dynamics (GD).

GD spannte die Abteilung mit der ebenfalls in Europa gekauften Mowag (Schweiz) und Santa Bárbara Sistemas (Spanien) in General Dynamics European Land Systems (GDELS) zusammen.

Als GDELS – Steyr GmbH produziert und entwickelt man vom Standort Wien-Simmering aus heute vor allem den Radpanzer „Pandur“ und die Mehrzweckplattform „ASCOD“. Das Kettenfahrzeug ist hierzulande als Schützenpanzer „Ulan“ beim Bundesheer im Einsatz.

Aktuell wickelt das Unternehmen einen Auftrag des Bundesheers für 34 „Pandur“-Evolution-Radpanzer ab.

Doch Forschung und Entwicklergeist lassen sich offenbar auch durch größere Einschnitte nicht aufhalten. Nach der Filetierung des Steyr-Konglomerats landete die Panzerschmiede beim amerikanischen Rüstungs-Riesen General Dynamics und dessen Fahrzeugsparte namens General Dynamics European Landsystems (siehe Kasten). Heute entwickelt man neben der neuen Generation des Radpanzers „Pandur“ für das Bundesheer vor allem Prototypen für den Weltmarkt.

Auch die Handfeuerwaffen mit dem Steyr-Logo verkaufen sich seit zehn Jahren und unter den neuen Eigentümern gut, und Glock zählt inzwischen weltweit zu den größten Herstellern von Pistolen. Befeuert wird die Nachfrage nach diesen Waffen allerdings nicht nur von Behörden, sondern vor allem vom riesigen Zivilmarkt in den USA.

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Panzer-Test in Wien

Drohnen, Software, Simulatoren

Der große Wandel fand in Österreich abseits der klassischen Waffenschmieden statt. Militärs und verschiedenste Sicherheitskräfte brauchen im 21. Jahrhundert nämlich auch andere Produkte. Österreichische Unternehmen entwickeln und verkaufen sie. Schiebel gehört mit seinen unbemannten Aufklärungshelikoptern zu den bekannteren, wie auch Diamond Aircraft mit seinen Überwachungsflugzeugen.

Einer der Größten des „neuen“ Rüstungssektors ist Frequentis. Die Wiener sind zivil und militärisch inzwischen Weltmarktführer in sicherheitskritischen Kommunikationslösungen zur Steuerung des Flugverkehrs. Doch die Liste der Technologieträger ist viel länger.

AMST aus dem oberösterreichischen Ranshofen zum Beispiel baut einzigartige Simulatoren für Kampfflugzeuge, die die in Gefechten auftretenden Beschleunigungswerte bis zum Siebenfachen der Erdanziehung auch auf dem Boden und zur Übung für die Piloten darstellen können. 80 Kilometer östlich von Ranshofen, in Schwanenstadt, hat Ulbrichts Protection seinen Firmensitz. Die aus Titan gefertigten Helme gelten als weltweit technisch führend und schützen Militärs und Polizisten vor Granatsplittern und Projektilen aus Handfeuerwaffen.

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Diamond Aircraft hat inzwischen chinesische Eigentümer.

Die Niederlande kauften einen dieser „Desdemona“ genannten Simulatoren. Das verlinkte Werbevideo des Unternehmens vermittelt einen Eindruck von der Maschine.

Türkei wollte Panzer-Motor aus Graz

Zivilisten eher unbekannt dürften Unternehmen wie TTTech sein. Die in Wien ansässige Firma produziert militärisch gehärtete Netzwerkkomponenten. Ein Prestigeprojekt, an dem man zur Zeit beteiligt ist: der in Entwicklung stehende neue US-Kampf- und Aufklärungshelikopoter S-97 „Raider“ von Weltmarktführer Sikorsky.

Ein bekannter Name mit einem wenig bekannten Geschäftsfeld ist AVL List aus Graz. Der Motorenentwickler verfügt nämlich auch über weltweit gefragtes Know-how für Panzermotoren. Zuletzt wollte die Türkei von diesem Wissen profitieren. Das Geschäft kam jedoch nicht zustande.

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Türkischer „Altay“-Kampfpanzer: AVL sollte den Antrieb entwickeln

Wohin wird exportiert?

Österreichische Hersteller haben seit 2004 Waffen, Fahrzeuge und mehr in 164 Länder exportiert – mehr über die wichtigsten Zielländer und Hersteller erfahren Sie hier .

Großteil der Exporte waren und sind Waffen

Auch wenn also die überwältigende Mehrzahl der Unternehmen mit Waffen im eigentlichen Sinn nichts mehr zu tun hat: Die großen Umsätze erzielt die österreichische Verteidigungswirtschaft nach wie vor genau damit. Seit 2002 wurden Militärgüter im Wert von 4,752 Milliarden Euro exportiert. Die Hälfte davon, nämlich 2,390 Milliarden, waren Handfeuerwaffen (siehe Grafik).

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Immer wieder weisen Kritiker deshalb auch auf die Sensibilität von Rüstungsexporten hin. Aktuell blickt beispielsweise die SPÖ sehr kritisch auf den Plan der Regierung, die Exportgenehmigungen für sämtliche Militärgüter künftig von einem Ministerium aus zu steuern. Eine parlamentarische Anfrage dazu ließ dies deutlich erkennen.

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Derzeit sind dafür vier Ministerien zuständig: Innen-, Wirtschafts-, Außen- und Verteidigungsministerium.

Waffen als Werkzeuge für Friedensstifter?

Nach wie vor werden einige Waffenexporte nämlich mit dem Argument genehmigt, dass diese in den Händen entsprechender Einsatzkräfte den Frieden erhalten oder durchsetzen würden. Auf der Suche nach dem Wert dieses Arguments reisten wir nach Stockholm. Dort trafen wie den Niederländer Pieter Wezeman vom weltweit einzigartigen Insitut für Friedensforschung und Rüstungskontrolle, SIPRI.

Wezeman sagt, dass international einerseits ein Konsens darüber bestehe, dass Waffen für die Ausrüstung von Einsatzkräften für Friedensmissionen tatsächlich notwendig seien. Andererseits gäbe es aber auch bedeutende Beispiele dafür, dass Waffenexporte Konflikte erst so richtig anheizten. Einer dieser Fälle betreffe auch Österreich.

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Einer, der Waffen selbst herstellt und verkauft, ist Gerhard Unterganschnigg. Seit 2007 ist er Miteigentümer von Steyr-Mannlicher. Das Unternehmen fertigt – unter anderem – das als StG77 beim Bundesheer eingeführte Sturmgewehr Steyr AUG. Die Waffe wird vom Werk in Kleinraming aus in etwa 70 Länder dieser Welt exportiert.

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In seinem Büro in Wien-Döbling begegneten wir einem Mann, der das AUG mit Stolz und Leidenschaft herstellt, es verkauft und auch offen darüber spricht. Unterganschnigg sagt, dass seine Produkte staatlich legitimierten Soldaten und Polizisten auf der ganzen Welt dabei helfen, ihre Arbeit zu tun, sich verteidigen zu können. Schaffen Sturmgewehre Frieden? Oder weniger breit formuliert: Sicherheit? Der 50-Jährige sprach mit uns im folgenden Clip darüber.

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Manchmal landen Waffen aus Österreich jedoch auch in Händen, für die sie ursprünglich nicht bestimmt waren. Während die eingangs beschriebenen „Noricum“-Geschütze von schiitischen Milizen gegen den geächteten IS eingesetzt wurden und daher nicht in der öffentlichen Debatte auftauchten, war das – zum Beispiel – bei Waffen von Glock und Steyr-Mannlicher anders.

Beide Unternehmen belieferten in der Vergangenheit nämlich Sicherheitskräfte und Militärs in der Region. Glock zum Beispiel die USA während ihrer Mission im Irak, Steyr-Mannlicher Saudi-Arabien. Allerdings tauchten laut mehreren Medienberichten Waffen aus ebendiesen, von der österreichischen Regierung genehmigten Exporten aufgrund von Verstößen der Empfängerländer gegen Weiterverbreitungsverbote oder bis heute nicht geklärten Materialverlusten an Orten auf, wo sie eigentlich nicht hingehörten.

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Gut sind die Waffen, ist nur die Absicht, die sie führt, gerecht.
William Shakespeare

Beispielsweise kauften einst die USA bei Glock Pistolen, um mit diesen die irakische Polizei auszustatten. Doch offenbar ging Washington mit der Lieferung ähnlich nachlässig um wie Riad mit einer Lieferung von Sturmgewehren von Steyr-Mannlicher: Die Pistolen landeten – zumindest teilweise – bei Al-Kaida. Das ergab eine Prüfung, die durch Wikileaks-Cables zugänglich wurde. Auch beim IS tauchten Glocks immer wieder auf. Die Quellen blieben meistens unbekannt.

Die Frage, ob Waffen Frieden schaffen, beschäftigte auch den Dramatiker William Shakespeare. Ende des 16. Jahrhunderts schrieb er in Teil 1 des Dramas Heinrich IV.: „Gut sind die Waffen, ist nur die Absicht, die sie führt, gerecht.“ 

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