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Sperrgeld und Friedenszins
25. April 2018 Wohnen Lesezeit 4 min
Der Friedenszins gilt als Beispiel für die Auswüchse des österreichischen Mietrechts, dabei gibt es ihn eigentlich gar nicht mehr. Eine andere Rechtsantiquität lebt hingegen fröhlich weiter: das Sperrgeld.
Dieser Artikel gehört zum Projekt Wohnen und ist Teil 3 einer 8-teiligen Recherche.
Wiener Hausmeister um 1885 || Bild: Otto Schmidt | Österreichische Nationalbibliothek

Dass das eigene Heim ein Schloss sei, besagt ein englisches Sprichwort. Österreichische Zinshäuser hatten tatsächlich lange Zeit den Charakter von Burganlagen: Man konnte nicht ohne weiteres hinein. Die Mieter besaßen zwar Schlüssel zu ihren Wohnungen, in der Regel aber nicht für das Haustor.

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Der Engländer sagt: ‚Mein Haus ist meine Burg‘, und in der That er hat auch den Schlüssel dazu.
„Die Bombe“, 20. Mai 1883

Man behalf sich mit einer Regelung, wie sie auch an den Stadttoren praktiziert wurde: Wer nach einer festgelegten Schließzeit hinein wollte, musste für die Öffnung des Tores das sogenannte Sperrgeld entrichten. Von diesem System leitete sich nicht nur der Begriff „Torschlusspanik“ ab, sondern auch ein Gutteil des Einkommens der Hausbesorger.

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Verhasst, aber langlebig

Bei den Mietern erfreute sich das Sperrgeld einer ungemeinen Unpopularität und war über viele Jahrzehnte Gegenstand von Prozessen, Eingaben und polemischen Zeitungsartikeln. Das System wurde selbst dann noch beibehalten, als die Vervielfältigungsmöglichkeiten und -kosten für Schlüssel kein valides Argument mehr darstellten.

In der Praxis hatten sich einfach zu viele stabile Interessenlagen etabliert, um die Gebühr einfach abzuschaffen. Die Hausbesitzer wollten die Abschaffung verhindern, weil sie sonst den Verdienstentgang der Hausbesorger ausgleichen hätten müssen. Der Staat wiederum hatte ein Interesse an den Schließzeiten, weil sie zur nächtlichen Ruhe und Sicherheit beitrugen.

Hinzu kam, dass die Hausbesorger sich „zum Spionieren und Denunzieren brauchen“ ließen, wie es die Zeitschrift „Der Österreichische Zuschauer“ 1849 ausdrückte. Die Monarchie schätzte die von der Presse als „profane Gassenkehrvirtuosen“ geschmähten Hausbesorger als loyale Verbündete des Metternich’schen Polizeiapparates. Man wollte ihnen durch eine Abschaffung des Sperrgeldes weder die Grundlage für ihre wirtschaftliche Existenz noch jene für ihr Wissen über die Heimkehrgewohnheiten der Hausbewohner entziehen.

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Das „Szepter des freien Mannes“

Das Sperrgeld blieb genau so erhalten wie der Ärger über Hausbesorger, die aus Einkommensgründen Haustüren früher schlossen, aufgrund ihres Alkoholkonsums durch Läuten nicht aufzuwecken waren oder selbst Ärzte nicht ohne Bezahlung ins Haus ließen. Die Zeitungen ereiferten sich über die „lästigen Kontrollen solcher albernen, neugierigen, ungebildeten, groben und gemeinen Menschen, wie in der Regel die Hausmeister sind“. Der Hausschlüssel sei das „Szepter des freien Mannes“, die Sperrzeit ein „Zapfenstreich der Zivilisten“.

Das Sperrgeld war ein Problem des Mittelstandes. So berichtete die Presse, der zum zeitlichen Überziehen neigende Schauspieler Josef Kainz habe sich einer regen Anhängerschaft unter den Hausbesorgern erfreut. Diese hätten sogar in Schreiben an das Burgtheater seinen häufigen Einsatz gefordert, um so an das Sperrgeld der zu spät heimkehrenden Theaterbesucher zu kommen.

Arbeiter konnten sich die sechs Kreuzer oder 20 Heller hingegen selten leisten und blieben nach der Sperrzeit um 22 Uhr zu Hause. Wien platzte um die Jahrhundertwende aus allen Nähten. Mieter waren leicht zu finden, Wohnraum weniger, es lebten damals  mehr Menschen auf weit weniger Raum als heute. Manche der mehr als zwei Millionen Bewohner der Reichshaupt- und Residenzstadt teilten sich ihr Bett genauso in Schichten wie ihre Arbeit. Die Tuberkulose war allgegenwärtig.

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Sozialdemokratisches Wahlplakat der Nationalratswahl 1923 Sozialdemokratisches Wahlplakat der Nationalratswahl 1923
Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei machte in der Zwischenkriegszeit gegen Delogierungen mobil.

Für Gott, Kaiser und Friedenszins

Der Mieterschutz spielte in den Überlegungen des Staates bis zum Ersten Weltkrieg eine äußerst untergeordnete Rolle. Während des Krieges aber drohten die steigenden Mieten zum Problem zu werden. Berichte über Kriegerwitwen, die aus ihren Wohnungen delogiert wurden, waren für die öffentliche Moral fatal.

Die Konsequenz bestand in der Einführung des Friedenszinses. Die Mieten wurden eingefroren, und zwar auf das Niveau der Friedenskrone, also der Preise des Jahres 1914. Für viele Familien bedeutete diese Maßnahme die Rettung. Die Hyperinflation der Nachkriegszeit machte sie allerdings de facto zur Enteignung der Hausbesitzer. Diese beklagten denn auch lautstark ihre „Entrechtung“.

Der Friedenszins hielt sich jedoch hartnäckig, zunächst in den Verträgen und dann in den Köpfen. Für Neuverträge wurde er 1968 abgeschafft, für Bestandsverträge erst 1982. Der Begriff selbst hielt sich noch viel länger, als Synonym für Altmieten, die aus ähnlichen Gründen auf sehr niedrigem Niveau stagnierten – und von denen es noch heute einige gibt.

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Und ewig grüßt das Sperrgeld

Den Friedenszins gibt es also formal nicht mehr. Das Sperrgeld jedoch lebt weiter, auch wenn es wohl kaum noch eingehoben wird. Die meisten Mieter haben heutzutage einen Hausschlüssel, und das Sperrgeld steht nur noch Hausbesorgern zu, deren Verträge vor dem 1. Juli 2000 abgeschlossen wurden und die daher unter das Hausbesorgergesetz fallen.

Der Tenor der österreichischen Presse von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ging noch davon aus, das antiquierte Sperrgeld werde bald der Vergangenheit angehören. Das Bundeseinigungsamt hat seine Höhe für das Jahr 2018 aber auf 4,64 Euro festgelegt, nach 24 Uhr beträgt es 5,15 Euro. 

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